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Country reports

Die erste Runde der Präsidentschaftswahlen in Serbien

Unerwartet kam das Wahlergebnis für kaum jemanden. Von den 11 zur Wahl stehen-den Kandidaten entfielen - bei einer sehr niedrigen Wahlbeteiligung von 55,7% - 31,2% der Stimmen auf den jugoslawischen Präsidenten Vojislav Kostunica, auf den stellvertre-tenden serbischen Premierminister Mirosljub Labus 22,7%, während der Ultranationa-list Vojislav Seselj 22,5% der Stimmen erreichte. Alle anderen Kandidaten überspran-gen nicht einmal die 5% Marke und haben mit dem weiteren Procedere nichts mehr zu tun.

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Da niemand der Kandidaten die absolute Mehrheit der Stimmen auf sich vereinigen konnte, wird es in zwei Wochen zwischen den beiden Erstplazierten – Kostunica und Labus - zu einem zweiten Wahlgang kommen. Ob es dann einen Sieger gibt, hängt freilich davon ab, dass die Wahlbeteiligung über 50% liegt.

Eine Überraschung brachte das Wahlergebnis insofern, als fast ein Viertel der Wähler und Wählerinnen den Extremnationalisten Seselj wählten, darunter auch die Anhänger des ehemaligen Präsidenten Milosevic. Den Hauptanteil seiner Stimmen konnte er im Kosovo gewinnen. Aber auch in der Hauptstadt Belgrad wählten 18,0% den Nationalisten.

Es wird deutlich, dass nach wie vor ein nicht zu unterschätzendes nationalistisches Potential im Staat vorhanden und aktivierbar ist: ein Indiz dafür, wie unzulänglich die Aufarbeitung der jüngsten Vergangenheit tatsächlich vonstatten geht. Hinzu kommt ein nicht zu unterschätzender Anteil von Protestwählern, die vor dem Hintergrund einer persönlichen Verschlechterung der Lebensumstände ihre Unzufriedenheit mit der derzeitigen Regierung durch ein Votum für Seselj zum Ausdrucke bringen wollten

Nationalistische Wähler und Wählerinnen werden in den nächsten zwei Wochen bis zu den Stichwahlen sicherlich von Kostunica heiß umworben werden, denn genau hier muss er zusätzliche Stimmen suchen. Es bleibt allerdings abzuwarten, wie er dies zu erreichen versuchen wird. Seselj– Anhänger werden von ihm eindeutige nationalistische Parolen hören wollen, die sich klar und deutlich gegen das politische Diktat der internationalen Gemeinschaft wenden und die an serbisches Nationalgefühl und Emotionen appellieren.

Letzteres beherrscht Kostunica perfekt, gleichzeitig muss er jedoch darauf achten, dass er für die internationale Gemeinschaft mit seinen jetzt sicherlich nationalistischer gefärbten Aussagen noch tragbar bleibt. Diese wird ihrerseits allerdings nationalistische Äußerungen im Zweifelsfall eher überhören als thematisieren, denn sie braucht Kostunica, um den Staat Jugoslawien - in der von Solana ausgehandelten Form - zusammenzuhalten bzw. zunächst einmal überhaupt zusammenzubringen.

Mit einer Annäherung Kostunicas - als Präsident der Demokratischen Partei Serbiens (DSS) - an die Nationalisten wird möglicherweise (später) auch ein entsprechender nationalistischer Ruck durch seine Partei gehen. Nur in diesem Spektrum kann sich die DSS neue Wählerstimmen erschließen, die Reformkräfte werden nach wie vor entweder die Demokratische Partei oder später G17 wählen. Vor dem Hintergrund späterer, neu zu diskutierender Koalitionen nach Neuwahlen und der damit verbundenen Inhalte, für die diese Parteien dann stehen, ist das eine sicherlich eher beunruhigende Perspektive.

Andererseits kann die internationale Gemeinschaft davon ausgehen, dass Kostunica auch im zweiten Wahlgang nicht gewählt wird, da eine Wahlbeteiligung über 50% sehr unwahrscheinlich sein wird. Insofern müsste Kostunica den Nationalisten nicht unbegrenzt Zugeständnisse machen, es sei denn, er möchte bereits jetzt – was aus Sicht seiner Partei sehr vorausschauend wäre - eine mögliche Koalitionsoption für die nächsten Parlamentswahlen aufbauen.

Neben den Geheimgesprächen, die er bereits zu früherer Zeit mit der Milosevic–Partei geführt hat, dem Austritt seiner Partei aus der DOS–Regierung und dem damit verbundenen Wechsel auf die Oppositionsbank - gemeinsam mit den Nationalisten um Milosevic und Seselj - würde sich das gerade beschriebene Verhalten Kostunicas in eine Kette von Aktivitäten einreihen, an deren Ende auch eine tatsächlich Zusammenarbeit mit den Nationalisten stehen könnte. Sicher wäre das ein enormer Rückschlag für die Reformbemühungen des Landes. Eine neu aufkeimende Furcht vor Serbien bei den Nachbarstaaten wäre die Folge. Das Thema Bosnien würde möglicherweise zu einem „innenpolitischen“ Thema in Serbien. Auch hierzu gibt es bereits entsprechende Äußerungen Kostunicas.

Möglicherweise liegt Kostunica auch daran, als Stärkster, wenn auch nicht als Wahlsieger aus der Stichwahl hervorzugehen. Bei gleichzeitiger wachsender Unzufriedenheit mit der derzeitigen Regierung, könnte er dann die verbleibende Zeit bis zu den nächsten Parlamentswahlen nutzen und durch gezielte Angriffe auf die serbische Regierung, für dessen Handeln er als jugoslawischer Präsident nicht verantwortlich ist, seine Partei weiter profilieren und positionieren, um dann bei den Parlamentswahlen möglicherweise als gewichtiger Konkurrent gegen Djindjic anzutreten. Dies könnte er - gestützt auf die Bestätigung durch die Bürger und Bürgerinnen - machen, ohne dabei aber direkte eigene politische Verantwortung auf serbischer Ebene übernommen zu haben, die ihn angreifbar machen würde. Ob er diese Option tatsächlich verfolgt, bleibt abzuwarten.

Bei einem Wahlsieg Kostunicas würde der Druck seitens der Demokratischen Partei Serbien (DS) auf den amtierenden Premierminister erheblich anwachsen. Djindjic – so ist zu hören - würde in diesem Fall erwägen, die vor einiger Zeit unter – in demokratischer Hinsicht - zweifelhaften Bedingungen entlassenen DSS – Abgeordneten wieder ins Parlament zu holen, um sich somit vom politischen Druck zu befreien und eventuell drohende Neuwahlen möglichst zu umgehen. Von diesen Wahlen würde zweifelsfrei die DSS profitieren, was keineswegs im Interesse von Djindjic sein kann.

Auch der von der serbischen Regierung unterstützte Kandidat Labus wird im zweiten Wahlgang keine Mehrheit für sich bekommen. Labus, der seinen Rückhalt in der Vojvodina hat, konnte sich mit seinem wirtschaftspolitischen Transformationskurs, der ihn auch für die internationale Gemeinschaft zu einen wichtigen und zuverlässigen Partner gemacht hat, nicht als stärkster Kandidat durchsetzen. Gegen einen Block Kostunica-Seselj hätte er keine Chance. Dies bedeutet, dass eine moderne wirtschaftspolitische Transformationspolitik, mit eindeutiger europäischer Perspektive, eine seriöse Privatisierung und eine zuverlässige Zusammenarbeit mit der internationalen Gemeinschaft, sich nicht gegen einen populistischen (Kostunica) bis radikalen (Seselj) Nationalismus durchsetzen konnte.

Vor diesem Hintergrund muss das Resultat der Stichwahl bewertet werden und in der Folge auch die Orientierung der internationalen Gemeinschaft bestimmen. Nachdrücklich ist zu fragen, warum für die Menschen in Serbien ein gemeinsames Europa noch immer keine annehmbare und wünschenswerte Option darstellt.

Für die Anhänger von Labus ergibt sich eine paradoxe Situation: Sie haben kaum eine Chance, ihren Kandidaten zum Sieg zu führen, sie haben ausschließlich eine realistische Chance - aus ihrer Sicht - „Schlimmeres“ zu vermeiden, indem sie nicht zur Wahl gehen und damit die Wahlbeteiligung unter 50% drücken. Die Wahl wäre dann ungültig, wenngleich Kostunica die meisten Stimmen hätte: ein gewiss äußerst zweifelhaftes Signal an die internationale Gemeinschaft.

Bei einer zu geringen Wahlbeteiligung, die in zwei Wochen zu erwarten ist, wird die Parlamentspräsidentin die Position des serbischen Präsidenten auf unbekannte Zeit (für wie lange sagte die Verfassung nicht) einnehmen. Sie gehört der Partei des amtierenden jugoslawischen Außenministers an. Eine kleinere Partei, der es allerdings gelang, sich in der serbischen und jugoslawischen Regierung geschickt zu platzieren.

Zoran Djindjic könnte mit dieser Personalentscheidung leben, sie entspräche möglicherweise sogar exakt seinen Wünschen. Hierfür gibt es einige Indizien: In der Wahlkampfphase gab es Äußerungen von seinem Justizminister und ihm selbst, die die Bedeutung dieser Wahlen zu minimieren versuchten bzw. offen zu einem Boykott aufriefen: Kostunica und Djindjic sind politische Erzfeinde, Labus, der sich explizit nicht von parteipolitischen Rücksichten in seinen Entscheidungen leiten lassen wollte, sondern ausschließlich von seinem Fachwissen, wäre Djindjic möglicherweise politisch zu stark geworden. So kommt dem Premier der Lauf der Dinge möglicherweise gerade recht.

Er wird nach Übernahme des Amtes durch die Parlamentspräsidentin zunächst einmal mit der Verfassungsdebatte beginnen und erst mit der Verabschiedung einer neuen Verfassung auch erneute Präsidentschaftswahlen durchführen lassen. Durch dieses Vorgehen gewinnt er sicherlich zunächst einmal ein halbes Jahr, wenn nicht länger Zeit. So kann er einen Kandidaten aufbauen, der genau seinen Vorstellungen entspricht und ihm auch politisch nicht gefährlich werden kann. Ob Kostunica und Labus dann noch einmal kandidieren, ist offen. Wenn nicht, wäre Djindjic der eigentliche Gewinner dieser Wahlen.

Eines wird bei all dem deutlich: die Regularien, wie zukünftig der serbische Präsident zu wählen ist, werden mit Sicherheit überarbeitet werden müssen.

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Norbert Beckmann-Dierkes

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