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Bekanntlich ist das Ehe- und Scheidungsrecht in Indien weitgehend religionsabhängig. Alle Versuche, ein einheitliches und für alle Inder in gleicher Weise gültiges Familienrecht durchzusetzen, sind äußerst umstritten und bisher gescheitert. Auf der Tagesordnung der parlamentarischen Beratungen stand nunmehr in der vergangenen Woche der erste Entwurf eines neuen Gesetzes ("Christian Marriage Bill"). Es soll die beiden bisher gültigen Gesetze über christliche Ehen von 1872 und die entsprechenden Regelungen des "Indian Divorce Act" von 1869 ersetzen. Zwar wird diese Aktualisierung des Eherechts von den Christen in Indien schon seit mehreren Jahrzehnten gefordert, aber die Ausformulierungen des jetzigen Entwurfs finden nicht die Zustimmung der maßgeblichen christlichen Kirchen.
Besonders umstritten sind dabei vor allem:
1. bestimmte Einschränkungen, die der neue Gesetzentwurf für eine christliche Eheschließung vorschreiben will. Er verbietet insbesondere Eheschließungen, wenn nicht beide Ehepartner schon vorher Christen waren. Damit soll ausgeschlossen werden, daß Heirat zu einem Instrument der Konversionen wird.
2. Besonders befremdlich wirken ferner die Androhungen von Strafen für Priester. Während zum Beispiel das Eherecht für Hindus keinerlei Strafbestimmungen vorsieht, droht jetzt einem christlichen Priester bis zu einem Jahr Gefängnis, wenn er ohne die Bekanntgabe eines akzeptablen Grundes eine Eheschließung verweigert.
3. Ferner hat die Ausweitung möglicher Scheidungsgründe Beachtung gefunden. Während das "Christian Marriage Act" von 1872 lediglich Ehebruch als Scheidungsgrund zuließ, werden jetzt eine Vielzahl möglicher Gründe aufgelistet. Hierdurch sollen vor allem Frauen in ihren Entscheidungsmöglichkeiten gleichgestellt werden.
Insbesondere gegen die ersten beiden Veränderungen hat sich inzwischen eine Welle des Protests erhoben. Vertreter der christlichen Kirchen sehen hierin einen Angriff der regierenden hindunationalistischen BJP auf die Religionsfreiheit. Im Namen der Katholiken, die etwa zwei Drittel der 23 Millionen Christen in Indien ausmachen, hat sich der Erzbischof von Delhi, Alan de Lastic, an Premierminister Vajpayee gewandt, um entsprechende Änderungen in der Gesetzesvorlage zu erreichen.
Speziell die Katholische Kirche hat sich in Indien seit langem dafür eingesetzt, gemischtreligiöse Ehen zu akzeptieren. Weniger umstritten ist hingegen die Ausweitung möglicher Scheidungsgründe. Diese wird auch von christlichen Frauenorganisationen begrüßt. Neutrale Beobachter sehen hierin einen entscheidenden Schritt in Richtung auf eine Vereinheitlichung des Familienrechts, da die hier genannten Gründe auch für andere Religionsgemeinschaften als akzeptabel betrachtet werden können (India Today, 22. Mai 2000).
Den Berichten von Menschenrechtsorganisationen zufolge haben die gewalttätigen Übergriffe gegen Christen in den ersten vier Monaten dieses Jahres wieder zugenommen. Die unabhängige Zeitung "The Asian Age" (vom 17. Mai 2000) schreibt dazu: "There is a tremendous amount of fear, insecurity and apprehension in the minds and hearts of the Christian population, which feels harrassed, victimised and threatened".
Gleichzeitig hat die rechtsradikale Basisorganisation der BJP, die Rashtriya Swayamsevak Sangh (RSS) ihre Vorwürfe sowohl gegen Kirchenvertreter als auch gegen christliche Parlamentarier verstärkt. In einem offenen Brief an alle Mitglieder des Parlaments warf die "Prajna pravah", die als der intellektuelle Flügel der RSS gilt, christlichen Organisationen vor, "mit allen fairen und unfairen Mitteln ihr Evangelium und Lügen über Indien und die Hindus zu verbreiten" ("using all means, fair and foul, to sell their gospel and spread falsehood about India and Hindus", in: The Hindu, 15. Mai 2000). Das "Christian MPs Forum", ein Zusammenschluß der 25 im Unterhaus vertretenen christlichen Parlamentarier hat sich sehr besorgt hierüber geäußert und zu einem gewaltfreien Dialog aufgefordert.