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„Die Schwierigkeiten haben gerade erst begonnen“

by Michael Däumer, Sebastian Grundberger, Björn Zimprich

Experten analysieren den Ausgang der libanesischen Parlamentswahlen

Der deutliche Sieg der prowestlichen Kräfte der „Zedernrevolution“ bei den Parlamentswahlen am 7. Juni hat die Analysten überrascht und im westlichen Ausland Hoffnungen geweckt. Bei einem „Debriefing“ zwei Tage nach den Wahlen diskutierten vier führende libanesische Politikanalysten in Beirut die Ergebnisse. Mit dem Wahlsieg, so ein Fazit, sei erst ein Anfang gemacht worden. Der schwierigste Teil der weiteren Stabilisierung des chronisch schwachen Staatsgebildes liege noch vor der Regierung. Dabei sei der Umgang mit der Hizbullah weiter eine der größten Herausforderungen.

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Die prowestliche „Koalition des 14. März“ kann im neuen libanesischen Parlament auf 71 Sitze bauen, während die pro-syrische „Koalition des 8. März“ nur 57 Parlamentsmandate erringen konnte. Mit einem Überblick über diese Resultate begann Richard Chambers, Landesdirektor der International Foundation for Electoral Systems (IFES), seine Ausführungen. Dabei kam er auf die Neuordnung der zu den Bezirken zugehörigen Parlamentssitzen zu sprechen. Diese Neuerungen erschwerten den Vergleich mit der vorherigen Wahl. So habe das Wählen von Koalitionslisten in den einzelnen Bezirken sowie das Mehrheitswahlrecht dazu geführt, dass die meisten Bezirke immer komplett an die Opposition oder die Regierung gegangen seien. Die wenigen Ausnahmen, wie zum Beispiel im Drusendistrikt Aley, wo vier Regierungskandidaten und ein Oppositionskandidat gewählt wurde, seien nur aufgrund vorheriger Absprachen zustande gekommen.

Probleme seien zum Teil durch überfüllte Wahllokale entstanden, die zu langen Wartezeiten geführt hätten. So geht Chambers davon aus, dass beispielsweise die geringe Wahlbeteiligung im Distrikt Beirut 1, welche hier trotz der Wichtigkeit des Bezirks nur bei 40 Prozent lag, auf die langen Schlangen vor den Wahllokalen zurückging. Diese hätten viele Wähler abgeschreckt. Parlamentssitze sind im Libanon immer an eine bestimmte Konfession gebunden. In Bezug auf die Verteilung zwischen Regierung und Opposition habe sich bei dieser Wahl dabei ein sehr heterogenes Bild ergeben. Während 24 von 27 den sunnitischen Moslems vorbehaltenen Sitzen an die Regierungskoalition gegangen seien, hätten die Schiiten fast ausnahmslos die Opposition gewählt. Das Bild bei den Christen sei gespalten, da hier sowohl die Regierung als auch die Opposition gepunktet hätten.

Der Generalsekretär der Lebanese Association for Democratic Elections (LADE), Ziad Abdel Samad, konzentrierte sich auf eine Reflexion der durchgeführten Wahlreform. So sei es zu begrüßen, dass die Parlamentswahlen dieses Jahr an einem einzigen Tag stattgefunden hätten. Bei vorherigen Wahlen, welche in verschiedenen Bezirken an verschiedenen Tagen stattfanden, hätten durchsickernde Ergebnisse im einen Teil des Landes das Stimmverhalten in anderen Teilen beeinflusst. Dies sei nun durch die Änderung des Wahlrechts ausgeschlossen. Auf der anderen Seite hätte die Reduzierung der Wahllokale zum Teil zu einer Überlastung geführt. Überfüllte Wahllokale hätten Konflikte zwischen den Wählern geschürt. Es sei vereinzelt zu Auseinandersetzungen gekommen, bei denen auch ein Toter zu beklagen gewesen sei. Trotz erster Schritte in die richtige Richtung sei die unkontrollierte Wahlfinanzierung aus dem Ausland nicht unterbunden worden. Diese Wahlen gehörten auch deshalb zu den teuersten der Welt. Um dies zu ändern, sollten Indizes eingeführt werden, welche die Einnahmen von Kandidaten in einen nachvollziehbaren Zusammenhang mit deren notwendigen Ausgaben bringen.

Der Versuch, eine neutrale Berichterstattung durch die libanesischen Medien per Gesetz zu verordnen, müsse als gescheitert angesehen werden. Da nahezu alle Fernsehsender im Libanon ohnehin eng mit politischen Bewegungen verbunden sind, sei dieser Versuch auch vollkommen unrealistisch gewesen. Man könne Parteisender, die das ganze Jahr tendenziös berichten, nicht zwingen, die Monate vor einer Wahl plötzlich neutral zu sein. Viele Verletzungen des Wahlgesetzes habe es aber auch hinsichtlich von Beeinflussung und Einschüchterung von Wählern im Umfeld der Wahllokale am Wahltag gegeben. Dies stelle ein ernst zunehmendes Problem dar. Neben der aktuellen Wahl kamen Ziad Abdel Samad auch auf seiner Meinung nach notwendige weitere Reformschritte zu sprechen. So sei es nicht zu rechtfertigen, dass allen Angehörigen des libanesischen Militärs das Wahlrecht verweigert würde. Gleiches gelte für die zahllosen Auslandslibanesen, welche auch das Recht haben sollten, in ihren Aufenthaltsländern per Brief zu wählen.

Oussama Safa, Direktor des Lebanese Center for Policy Studies (LCPS), einem Partner der KAS Amman, skizzierte die politischen Implikationen der Ergebnisse. Er stellte klar, dass zwei Tage nach der Wahl viele Konsequenzen noch gar nicht abzuschätzen seien. Noch keiner der wichtigen Akteure hätte eine neue politische Agenda verlautbart. Die entscheidenden Entwicklungen stünden noch bevor. Wörtlich erklärte Safa: „Wenn die Menschen dächten, die Schwierigkeiten wären nun vorüber, dann liegen sie falsch. Die Schwierigkeiten haben gerade erst begonnen“. Er forderte für die Lösung der Probleme des Landes ein neues Doha-Abkommen. Bei diesem hatten im letzten Jahr nach vorherigen militärischen Auseinandersetzungen im Land Regierungsmehrheit und Opposition wichtige Kompromisse zur Bildung einer „Regierung der Nationalen Einheit“ erzielt. Ob eine Einigung schnell und einfach umzusetzen sei, hinge dabei in hohem Maße vom Ausgang der Wahlen im Iran am kommenden Freitag ab. Teheran gilt als der wichtigste ausländische Unterstützer der schiitischen Hizbullah. Oussama Safa stellte auch die bedeutende Rolle des amtierenden Präsidenten Michel Sleiman für eine stabile Legislaturperiode heraus. „Der Präsident muss eine aktivere Rolle spielen“, so Safa. Sleiman müsse in die Politik der Regierungsbildung eingreifen und den Dialog vorantreiben. Seine Neutralität mache ihn zu einem glaubhaften Partner für beide Seiten. Auch die Frage nach den Waffen der Hizbullah müsste nun schnell im Dialog angegangen werden.

Der Direktor des Carnegie Middle East Center (CMEC), Paul Salem, bezog seine Analyse der Ergebnisse auf ihr Wechselspiel mit regionalen und internationalen Akteuren. Mit Bezug auf das überraschende Ergebnis der Wahlen erklärte er: „Dieses Panel wäre interessanter gewesen, wenn die Opposition gewonnen hätte.“ Er spielte damit auf eine mögliche Isolierung des Libanons durch sunnitisch-arabische und westliche Staaten an, welche bei einem Wahlsieg der vom Iran unterstützten schiitischen Hizbullah von vielen Experten erwartet worden war. Zu diesem befürchteten Bruch zwischen wichtigen Verbündeten und dem Libanon werde es nun nicht kommen.

Stattdessen sei vielmehr „Katerstimmung“ in Damaskus und Teheran angesagt. Dass die vom amerikanischen Präsidenten Obama an die muslimische Welt gerichtete Rede letzte Woche in Kairo einen großen Einfluss auf die Wahlen hatte, sei unwahrscheinlich. Trotzdem sei es durch die gemäßigte Nahostpolitik der Obama-Administration für viele radikale Akteure im Nahen Osten schwieriger geworden, die USA als Feind zu dämonisieren und so Anhänger zu mobilisieren. Das Wahlergebnis habe darüber hinaus auch entscheidende Auswirkungen auf einen jederzeit wieder möglichen Krieg zwischen der Hizbullah-Miliz und Israel. Wenn die von der Hizbullah angeführte Koalition als Sieger aus den Wahlen hervorgegangen wäre, hätte es Israel im Konfliktfall leicht rechtfertigen können, die gesamte libanesische Infrastruktur anzugreifen. Dies ist beim jetzigen Ergebnis jedoch nicht möglich. Im Konfliktfall würde der Druck westlicher Staaten dafür sorgen, dass Israel seine Kriegshandlungen wie schon im Krieg 2006 im Wesentlichen auf Hizbullah-dominierte Gebiete beschränken müsste. Da dies eine mögliche israelische Kriegsführung sehr erschweren würde, dürfte wohl auch die Hizbullah trotz der Niederlage ihrer Koalition mit dem Ergebnis ebenfalls zufrieden sein. Auch sei ein Machtverlust der Hizbullah durch die Wahlen nicht festzustellen. Sie habe sich als führende Kraft in den Schiitengebieten behauptet und es sei unwahrscheinlich, dass eine Entwaffnung der Hizbullah nach der Wahl ernsthaft diskutiert werde.

Paul Salem stellte fest, dass der Libanon wieder zu einer „überraschenden Stabilität“ gefunden hätte. Eine solche Entwicklung sei vor wenigen Jahren beinah undenkbar gewesen. Die Institutionen des Staates spielten dabei die entscheidende Rolle, wobei der stabilisierende Einfluss insbesondere des libanesischen Militärs hervorgehoben werden müsse, so Salem. Eine fortlaufende Unterstützung der Armee durch die internationale Gemeinschaft sei deshalb von großer Bedeutung. In Bezug auf eine mögliche Reform des sehr komplizierten libanesischen Wahlrechts bemerkte Salem, dass erstmals viele politische Akteure der Einführung eines Verhältniswahlrechts statt des geltenden Mehrheitswahlrechts wohlwollend gegenüber stünden. Dies sei eine einmalige Chance. Eine grundlegende Veränderung des konfessionellen Wahlsystems des Libanon werde dabei jedoch nicht vom Parlament ausgehen können, da die Abgeordneten ihre Mandate dem bisherigen System zu verdanken hätten. Grundlegende Reformen könnten daher in diesem Falle nur von der Zivilgesellschaft ausgehen.

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