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Argentinien 2005: Aktuelle politische Landschaft

Nachdem die politische Sommerpause 2004/2005 inzwischen vorbei ist, richtet sich das Augenmerk verstärkt auf die politischen Entscheidungen im Oktober. Im Vorfeld der am 23.10. anstehenden Kongresswahl ist der Kampf um die politische Vorherrschaft v.a. in der Provinz und in der Stadt Buenos Aires in vollem Gange.

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Allgemeine Lage

Das Jahr 2005 konnte aus der Sicht der Regierung nicht besser beginnen: Herausragende makroökonomische Daten (hohes Wachstum des BIP von 9% im Jahr 2004, sinkende Arbeitslosenzahlen und eine wieder steigende Tendenz in den ohnehin positiven Umfragewerten für Präsident Kirchner, die nun wieder deutlich über 60% liegen), der aus der Sicht der argentinischern Regierung positive Abschluss der Umschuldungsaktion, bei der rund 76% der privaten Gläubiger weltweit einem Umtausch der alten, nicht mehr bedienten Schulscheine in neue, langfristig und geringer verzinste Papiere zustimmten, waren die herausragenden Merkmale.

Ungeklärt bleiben in diesem Zusammenhang allerdings einige Fragen, wie beispielsweise das z.Z. suspendierte Abkommen mit dem IWF, wie mit den restlichen 24% der privaten Gläubigern verfahren wird und wie die nach der Umschuldung immerhin noch 125 Mrd. US $ schwere Auslandsverschuldung mittel- bis langfristig zu bewältigen sein wird.

Die sich Anfang des Jahres bereits abzeichnenden kritischen Elemente haben sich inzwischen allerdings auch verstärkt: Zum einen macht sich die Inflation wieder bemerkbar. Im ersten Quartal lag diese jeweils bei über 1% pro Monat, was auf ein zweistelligen Ergebnis für 2005 schließen lässt. Zum anderen werden nicht nur die Chilenen in der Sorge um Engpässe bei den argentinischen Gaslieferungen wie im Vorjahr unruhig. Alle seriösen Daten lassen auf eine gefährliche Verknappung in der nationalen Energieversorgung schließen, nicht zuletzt ein logisches Ergebnis der fehlenden Investitionen seit 2001 im gesamten Energiesektor, der nach wie vor unter den eingefroren Tarifen für Gas und Strom leidet.

Dass auch die Regierung auf dieses Thema inzwischen höchstsensibel reagiert, zeigt die Episode um die Benzinpreiserhöhungen. Die Firmen SHELL und ESSO hatten Anfang März die Benzinpreise um rund 4% erhöht, was zu einer massiven Anzeigenkampagne der Regierung und einer Mobilisierung der „piqueteros“ führte , die einige Shell Tankstellen einen Tag lang „besetzt“ hielten. Zunächst Esso und Ende März dann auch Shell senkten dann wieder die Benzinpreise, um in den Genuss der zwischenzeitlich von der Regierung veranlassten Steuervorteile für Treibstoffe zu gelangen.

Die Regierung weiß sicher sehr genau, dass die derzeit hohe Popularität des Präsidenten engstes an die wirtschaftliche und soziale Situation gekoppelt ist und wenn die Schere zwischen niedrigen Löhnen, hoher Schwarzarbeit und einer steigenden Inflationsspirale weiter anwächst, kann diese sehr schnell ins Gegenteil umschlagen. Ob allerdings Preiskontrollen, Anzeigenkampagnen und Drohgebärden wie die der „piqueteros“ das geeignete Mittel sind dieser Problematik Herr zu werden, darf mehr als nur bezweifelt werden. Die jüngsten Daten des statistischen Bundesamtes INDEC zeigen jedenfalls schon wieder eine klare Eintrübung der anfangs geradezu euphorischen Stimmung auf: Einhergehend mit Inflation und Einkommenssituation bzw. dem Anstieg des Basiswarenkorbes hat die Anzahl der Armen wieder zugenommen. Die akkumulierte Inflation im ersten Quartal (rund 4%) hat nach Expertenmeinung dazu geführt, dass 500.000 bis 700.000 Personen zusätzlich unter die Armutsgrenze gefallen sind, womit sich deren Anteil an der Gesamtbevölkerung nun wieder auf deutlich über 40% eingependelt hat.

Politische Landschaft

Die aktuelle politische Lage an Hand eines mehr oder weniger traditionellen Parteienschemas und einer links-mitte-rechts Einordnung beschreiben zu wollen ist in Argentinien zum Scheitern verurteilt. Zu atomisiert zum einen und programmatisch zu diffus zum anderen ist die Lage, als dass dies einigermaßen übersichtlich möglich wäre.

Vor dem Hintergrund der Ausgangslage nach der Präsidentschaftswahl 2003 stellt sich die politische Gemengelage heute wie folgt dar:

Die Peronisten sind derzeit die dominierende politische Kraft. Sie stellen129 der 257 Abgeordneten und 41 der 71 Senatoren im Kongress die eindeutige Mehrheit der Bürgermeister und auch der Gouverneure (14 von 24) des Landes.

Von dieser numerischen Übermacht allerdings auf einen starke Partei zu schließen wäre ein Trugschluss.

Die Peronistische Partei (PJ) konnte sich schon bei der Präsidentschaftswahl 2003 nicht auf einen gemeinsamen Kandidaten einigen, so dass die drei Kandidaten Kirchner, Menem und Rodriguez Saa getrennt über eigens für die Wahl gegründete politische Bewegungen antraten. Der letzte Parteitag der PJ zur Erneuerung der Parteiführung fand im April 2004 statt. Unmittelbar danach trat der gesamte, gerade gewählte Parteivorstand geschlossen zurück (auf Grund von verbalen Attacken während des Parteitages zwischen Kirchner- und Duhalde Anhängern). Bis heute, also ein Jahr danach (!) hat sich daran nichts geändert. Die vermeintlich stärkste Partei steht also seit einem Jahr ohne formale Führung da, was allerdings niemanden in der Partei ernsthaft zu stören scheint.

Der interne Machtkampf allerdings ist im Vorfeld der Wahl im Oktober bereits in vollem Gange. Sichtbare Köpfe sind in dieser Auseinadersetzung Eduardo Duhalde und dessen immer noch mächtiger Parteiapparat in der Provinz Buenos Aires auf der einen und Präsident Nestor Kirchner auf der anderen Seite (näheres siehe weiter unten).

Eine nennenswerte programmatische Diskussion hat es in den letzten 10-15 Jahren auch nicht mehr gegeben. Dass die Peronisten in den 90er Jahren dem liberalen Kurs Menems ebenso gefolgt sind wie jetzt dem linkspopulistischen Kurs Kirchners entspricht dem Naturell der Peronisten, die sich eher gefühlsbetont als Bewegung und weniger als programmatisch definierte Partei sehen.

In dieses diffuse Bild passt auch die Frage der internationale Zugehörigkeit der PJ. Nachdem unter Menem (der ja Staatspräsident und Parteivorsitzender war) Mitte der 90er Jahre die PJ als Vollmitglied in die IDC und den Regionalverband ODCA aufgenommen wurde, macht heute Kirchner kein Hehl aus seiner Sympathie zum sozialdemokratischen/sozialistische Lager, was man an den engen Kontakten zu der chilenischen PS, der brasilianischen PT und der spanischen PSOE ablesen kann.

Eine formale Auswirkung hatte dies bisher nicht, da Kirchner ja kein Parteivorsitzender ist und –wie schon erwähnt- derzeit auch kein Parteivorstand der PJ im Amt ist, der an dieser Situation etwas ändern könnte. An diesem status quo dürfte sich kaum etwas bis zur Wahl am 23.10. ändern. Von entscheidender Bedeutung zum weiteren Verlauf dieser Frage wird sowohl die Position Kirchners und seine Bereitschaft zur parteipolitischen Konsolidierung und Engagement sowie die Position Duhaldes und die der politisch gewichtigeren Gouverneure (de la Sota/Cordoba, Gioja/San Juan und Obeid/Santa Fe) sein, die ihrerseits bisher durchaus ihre Sympathie zu den Werten des christlichen Humanismus bekundet haben.

Die Radikale Partei (UCR) hat nach dem Debakel mit der „Alianza“ und dem Sturz de la Ruas 2001 noch nicht wieder zu alter Stärke zurückgefunden. Mit dem Austritt des liberalen Flügels unter Ricardo Lopez Murphy (heute RECREAR) und des linken Flügel unter Elisa Carrio (heute ARI) ist die Partei national erheblich geschwächt, was ja auch ihr mageres Abschneiden bei der Wahl 2003 erklärt. Auf lokaler und provinzieller Ebene hat sie allerdings wieder Boden gut machen können. Das siegreiche Abschneiden bei den Provinzwahlen in Catamarca und Santiago del Estero Anfang 2005 deutet auf einen positiveren Trend mit einer gewissen Erholung hin. Es fehlt hier allerdings die nationale Führungsfigur, die die Partei wieder anführen könnte, da ansonsten lediglich der Blick in die Vergangenheit und damit auf den Expräsidenten Raul Alfonsin fällt, der parteiintern immer noch viel Einfluss ausübt. Die UCR ist international Mitglied in der SI.

Über die Rolle und Perspektiven der kleineren Parteien kann man im Moment nur spekulieren. Die ARI (Afirmación para una República Igualitaria) unter Elisa Carrio besetzt das linke Spektrum v.a. in der Hauptstadt Buenos Aires, kann sich aber landesweit nicht konsolidieren.

Die liberale Partei RECREAR unter Ricardo Lopez Murphy hat zwar bei der Präsidentschaftswahl 2003 mit rund 18% sehr gut abgeschnitten, konnte dieses Ergebnis aber dann nicht auf nationaler oder provinzieller Ebene behaupten. Das politische Schicksal der Partei und auch Lopez Murphys hängt nun von dessen Ergebnis bei der Wahl 2005 ab.

Zu erwähnen ist in diesem Zusammenhang auch noch die neue Partei Compromiso por el Cambio (CPC) von Maurcio Macri, der bei der Wahl zum Stadtoberhaupt in Buenos Aires 2003 erst im 2. Wahlgang gegen den Amtsinhaber Anibal Ibarra (v.a. auf Grund der massiven Unterstützung Kirchners) verlor.

Seine politische Linie (intern wie auch international)ist noch nicht klar erkennbar, ist aber sicher in der Mitte des politischen Spektrums einzuordnen. Ihm ist (ein guten Abschneiden im Oktober vorausgesetzt) durchaus zuzutrauen, dass er bei der Präsidentschaftswahl 2007 ein ernstzunehmender Kandidat ist.

Weitere politische Bewegungen wie die des Gouverneurs Sobisch in der Provinz Neuquen, die Formierungen um die Expräsidenten Carlos Menem oder Rodriguez Saa spielen hingegen derzeit keine nennenswerte Rolle.

Wahlen

Bei der Kongresswahl am 23.10. erfolgt eine Teilerneuerung der Abgeordnetenkammer (129 von 257 Abgeordneten auf jeweils 4 Jahre) und des Senats (in 8 Provinzen werden jeweils 3, also insgesamt 24 Senatoren auf 8 Jahre gewählt, damit wird ein Drittel der 72 Senatoren umfassenden 2. Kammer des Kongresses erneuert).

Präsident Kirchner hat diese Wahl bereits mehrfach öffentlich zu einem Plebiszit über seine bisherige Amtszeit erklärt, wobei es ihm dabei wesentlich darauf ankommt, eine möglichst große Zahl ihm nahe stehender Abgeordneter in de Kongress zu bekommen. Zwar ist schon heute die PJ die nominal stärkste Kraft, deren Disziplinierung ist aber immer wieder ein Kraftakt, der mit Abstimmung der Provinzgouverneure und anderer Führungspersönlichkeiten erfolgen muss, da Kirchner eine nennenswerte regionale Fraktion fehlt (seine Heimatprovinz Santa Cruz ist als regionale Block im Kongress nicht signifikant).

Von daher gilt den zahlenmäßig stärksten Wahlbezirken (Provinz und Stadt Buenos Aires) ein besonderes Augenmerk.

Der Wahlkalender ist inzwischen offiziell geklärt. Das Wahlgesetz sieht für den Fall konkurrierender Listen einer Partei in einer Provinz offen Stichwahlen vor (internas abiertas), die simultan am 7.8. stattfinden würden.

Die heftigste Auseinandersetzung wird ohne Zweifel in der Provinz Buenos Aires stattfinden, wo sich schon jetzt der interne Machtkampf zwischen dem aktuellen Gouverneur Felipe Sola und Eduardo Duhalde und seinen Anhängern in voller Härte entfaltet.

Sola hat sich von seinem politischen Ziehvater Duhalde losgesagt und versucht nun (mit vordergründiger Unterstützung Kirchners) die wichtigsten Bezirke und Bürgermeister hinter sich zu vereinen. Dabei helfen ihm die finanziellen Mittel sowohl der Provinz wie auch die Zusatzmittel für öffentliche Investitionen und Sozialhilfeprogramme der Nationalregierung.

Duhalde und seine Anhänger legen dieses Verhalten als politischen Verrat aus und sind zur Gegenoffensive gestartet. Mit der angekündigten Kandidatur der Ehefrau Duhaldes (Hilda „Chiche“ Duhalde) und den Anfang April gestreuten Gerüchten, dass Duhalde selbst als Kandidat für den Senat antreten konnte wurde der Anspruch auf die Vormachtstellung des „Duhaldismus“ in der Provinz untermauert.

Der Konter Kirchners ließ keine 24 Stunden auf sich warten. Die schon seit langem anhaltenden Spekulationen um eine Kandidatur der Ehefrau Kirchners für den Senatssitz für die Provinz wurden von der auflagenstärksten Tageszeitung Clarin am 7.4. bestätigt, allerdings nicht von der Kandidatin Christina Fernandez de Kirchner selbst.

Folgerichtig titulierte der Chefkolumnist von LA NACION, Joaquin Morales Sola am 8.4.: „Der Peronismus spielt in der Provinz Buenos Aires mit Feuer“, eine zutreffende Beschreibung des sich zuspitzenden Machtkampfes Kirchner-Duhalde (bei dem der Gouverneur Sola am Ende ein austauschbarer Spielball werden könnte)

Kirchner scheint aber bereit zu sein diesen Machtkampf auszutragen, wohl wissend, dass er seine politischen Macht letztlich nur dann festigen und behaupten kann, wenn er die Provinz Buenos Aires dominiert. Dies scheint Duhalde zumindest nicht kampflos preisgeben zu wollen. Ein lachender Dritter ist hier allerdings auch nicht in Sicht.

Anders sieht es da in der Stadt Buenos Aires aus, in der traditionell die Peronisten einen schweren Stand haben.

Hier liegt nach wie vor Elisa Carrio (ARI) mit ihrer Kandidatur als Abgeordnete in den Umfragen klar vorn, gefolgt von Mauricio Macri (CPC, für den Fall, dass er tatsächlich in diesem Bezirk antritt). Unklar ist wer der Gegenkandidat der PJ sein wird (am häufigsten wird nach wie vor der derzeitige Außenminister Rafael Bielsa genannt).

Auf Seiten der Opposition scheint sich abzuzeichnen, dass Ricardo Lopez Murphy (RECREAR) als Kandidat für den Senatsitz in der Provinz Buenos Aires antreten wird, wobei es für ihn damit um das politische Überleben geht. Falls es nämlich dennoch zu einem Abkommen Kirchner-Duhalde in der Provinz kommt, welches durchaus so aussehen kann, dass Duhalde die Liste der PJ stellt und Christina Kirchner mit einer Liste außerhalb der PJ antritt, könnte dies das aus für Lopez Murphy bedeuten (2 der drei Senatssitze gehen an den Wahlsieger, der dritte Sitz an die erste Minderheit: Dies wäre die Formel wie letztlich alle drei Sitze an die Peronisten, verteilt auf unterschiedliche Wählervereinigungen, gehen könnten !)

So spannend diese politische Auseinadersetzung auf der einen Seite ist, so besorgniserregend ist die Vehemenz mit der diese geführt wird. Die notwendigen langfristigen strategischen und politischen Entscheidungen drohen vor diesem Hintergrund wieder einmal verschoben zu werden, wodurch Argentinien die derzeit bestehende hervorragende Gelegenheit zur wirtschaftlichen Konsolidierung und politischen Normalisierung zu verspielen scheint.

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Olaf Jacob

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Leiter des Auslandsbüros Chile

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