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Indonesien im Superwahljahr 2024

Indonesien steht 2024 vor den größten Wahlen seiner Geschichte.

Indonesien steht 2024 vor den größten Wahlen seiner Geschichte. In der drittgrößten Demokratie der Welt werden mehr als 204 Mio. Wahlberechtigte nicht nur über einen neuen Präsidenten und die Zusammensetzung des nationalen Parlaments bestimmen, sondern auch die Gouverneure und Regionalparlamente in allen 38 Provinzen sowie sämtliche Landräte und Bürgermeister des Landes neu wählen. Der amtierende Präsident, Joko Widodo, darf nach zwei Amtszeiten nicht mehr antreten. Doch auch wenn der Wahlkampf um seine Nachfolge erbittert geführt wird, stehen alle Zeichen auf Kontinuität. Für Deutschland und die EU bedeutet das, dass Indonesien weiterhin ein wichtiger, wenn auch nicht immer einfacher Partner bleiben wird.

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Ein neuer Präsident verspricht politische Kontinuität

Am 14. Februar stehen die erste Runde der Präsidentschaftswahlen sowie die Parlaments-wahlen auf nationaler und regionaler Ebene an. Insgesamt bewerben sich Kandidaten von 17 Parteien um Sitze im Nationalparlament DPR RI sowie den 38 Provinzparlamenten. Doch der Hauptfokus der Wahlkampagnen liegt auf der Präsidentschaftswahl. Schließlich nimmt der Präsident im politischen System Indonesiens eine herausragende Rolle ein. Amtsinhaber Joko Widodo, genannt Jokowi, darf nach zwei Amtszeiten nicht wieder antreten. Aufgrund seiner enormen Beliebtheit – Umfragen bescheinigen ihm Zustimmungswerte von über 70 Prozent – spielt er im Wahlkampf allerdings weiterhin eine herausragende Rolle. Die Frage, welchen der drei Kandidaten Jokowi unterstützt, kann wahlentscheidend sein.

Die beiden aus dem Regierungslager stammenden Kandidaten, Verteidigungsminister Prabowo Subianto und Ganjar Pranowo, Gouverneur der Provinz Zentral Java, gerieren sich denn auch als Wiedergänger Jokowis. Beide versuchen im Wahlkampf mit dem Versprechen zu punkten, die erfolgreiche, auf die wirtschaftliche Entwicklung des Landes ausgerichtete Politik des Präsidenten weiterzuführen. Doch selbst Anies Baswedan, Ex-Gouverneur von Jakarta, ehemaliger Bildungsminister und der einzige „Oppositionskandidat“ im Rennen um das Präsidentenamt, verspricht zwar eine Rekalibrierung der Politik, hält sich aber mit offener Kritik am Amtsinhaber zurück.

Verteidigungsminister Prabowo führt in den Umfragen derzeit deutlich vor seinen beiden Mitbewerbern. Doch mit mehr als 20 Prozent unentschiedenen Wahlberechtigten und einer wahrscheinlichen Stichwahl um das Präsidentenamt am 26. Juni ist die Frage, wer Präsident Jokowi nachfolgen wird, weiterhin offen. Wer auch immer am Ende das Rennen macht, ein echter Politikwechsel ist nicht zu erwarten. Jokowi hat in seiner Amtszeit die gesamte Außen- und Innenpolitik Indonesiens dem Primat der wirtschaftlichen Entwicklung unterworfen. Rund fünf Prozent jährliches Wirtschaftswachstum, steigende Einkommen, ein massiver Rückgang der Armut und die enorme Beliebtheit seiner Politik scheinen dem Präsidenten Recht zu geben. Im Parlament wird Jokowi noch immer von einer Mehrparteienkoalition getragen, die mehr als 80 Prozent der Sitze auf sich vereint. Zwar unterstützen die Parteien dieser Koalition unterschiedliche Kandidaten, doch wird keiner der drei Bewerber nach einem Wahlsieg auf eine eigene Mehrheit seiner Unterstützer im Parlament zurückgreifen können. Eine erneute, vergleichsweise große Koalition im DPR RI ist damit absehbar – und damit auch politische Kontinuität.

 

Junge Wähler, alte Eliten und die Geburt einer neuen Dynastie

Wie schon 2022 in den Philippinen ist auch der indonesische Wahlkampf 2024 in erster Linie ein Social Media Wahlkampf. Insbesondere Prabowo hat von der äußerst erfolgreichen Social Media Strategie des philippinischen Präsidenten Marcos gelernt. Dank sympathischer Auftritte auf Tik Tok, Instagram, Facebook und Co. sowie viral gehender Tanzeinlagen im Rahmen seiner Wahlkampftermine, ist der 72-jährige zum beliebtesten Kandidaten bei den jungen Wählern in Indonesien geworden.  Und diese Gruppe gilt als wahlentscheidend. Schließlich machen Millennials und GenZ mehr als 50 Prozent der Wahlberechtigten in Indonesien aus.

Doch auch wenn die Jungen die Wahl entscheiden, die politische Macht wird nach 2024 weiter in der Hand der alten politischen Eliten liegen. Denn die indonesische Politik ist vor allem geprägt von mächtigen Familiendynastien. Verteidigungs-minister Prabowo stammt aus einer der bekanntesten politischen Familien des Landes und war nicht nur General unter dem autoritären Machthaber Suharto, sondern sogar dessen Schwiegersohn. Auch Anies kommt aus einer solchen Familie (wenn auch weniger schillernd). Ganjar Pranowo stammt zwar selbst aus relativ einfachen Verhältnissen, vertritt aber die größte Partei des Landes PDI-P, deren mächtige Vorsitzende, Megawati Sukarnoputri, ehemalige Präsidentin und Tochter des Staatsgründers und ersten Präsidenten Indonesiens Sukarno ist (Megawatis Tochter Puan ist wiederum Parlamentspräsidentin). 

Präsident Jokowis eigene Popularität ist auch der Tatsache geschuldet, dass er sich als politischer Außenseiter aus bescheidenem Elternhaus vom Amt des Bürgermeisters seiner mittelgroßen Heimatstadt Surakarta, über das Gouverneursamt der Hauptstadt Jakarta bis in den Präsidentenpalast gekämpft hat. Damit verkörperte Jokowi die Antithese zur politischen Elite des Landes. Doch heute wird Jokowi selbst vorgeworfen, seine eigene Familiendynastie aufbauen zu wollen und hierfür nicht nur seine Beliebtheit, sondern auch seinen Zugriff auf die staatlichen Institutionen zu missbrauchen. So tritt Jokowis Sohn, Gibran Rakabuming, an der Seite von Verteidigungsminister Prabowo als Kandidat für das Vizepräsidentenamt an. Auch wenn Jokowi selbst sich öffentlich für keinen der drei Präsidentschaftsbewerber ausgesprochen hat, wird die Kandidatur seines Sohnes als implizite Unterstützung Prabowos gewertet.

Der 36-jährige Gibran ist allerdings ein eher ungewöhnlicher Kandidat. Zum einen blickt er auf eine erst drei Jahre währende politische Karriere als Bürgermeister von Surakarta (das Amt, das auch sein Vater inne hatte) zurück. Zum anderen sieht die indonesische Verfassung für Vizepräsidentenkandidaten eigentlich ein Mindestalter von 40 Jahren vor. Diese Regelung wurde allerdings vom Verfassungsgericht kurz vor der Nominierungsfrist für die Kandidaten im November 2023 aufgehoben. Pikantes Detail: Die entscheidende Stimme kam vom damaligen Vorsitzenden des Verfassungsgerichts Anwar Usman, dem Schwager Jokowis und damit Gibrans Onkel. Anwar wurde daraufhin zwar vom Ethikrat des Verfassungsgerichts seines Amtes enthoben, das Urteil blieb aber weiter bestehen. Auch mit Blick auf andere staatliche Institutionen wird dem Präsidenten eine Politisierung vorgeworfen, etwa bei der Antikorruptionsbehörde oder dem nationalen Wahlkomitee.

Zudem drängen auch weitere Verwandte Jokowis in die Politik. Sein jüngster Sohn, Kaesang Pangarep (29), wurde ohne politische Vorerfahrung und nur zwei Tage nach seinem Parteieintritt von der jungen Partei PSI zum Vorsitzenden gewählt (die PSI unterstützt das Kandidatenteam Prabowo/Gibran). Seinem Schwiegersohn, Bobby Nasution (32), dem derzeitigen Bürgermeister von Medan, einer der größten Städte Indonesiens, werden Ambitionen auf das Amt des Gouverneurs von Nord Sumatra nachgesagt. Damit ist klar, wie auch immer die Wahlen 2024 ausgehen, der Einfluss Jokowis wird auch noch lange nach seiner Präsidentschaft die indonesische Politik mitbestimmen.

 

Indonesien bleibt außenpolitisch neutral

Auch außenpolitisch stehen die Zeichen auf Kontinuität. Als Gründungsstaat der Blockfreien Bewegung verfolgt Indonesien traditionell eine vorwiegend neutrale Außenpolitik nach dem Motto „Bebas dan Aktif“ (frei und aktiv). Dabei nimmt Indonesien regelmäßig die Rolle eines Vermittlers ein, so etwa im Rahmen seiner G20-Präsidentschaft 2022 und dem russischen Überfall auf die Ukraine oder hinsichtlich seines ASEAN-Vorsitzes 2023, als Indonesien die diplomatischen Bemühungen zur Lösung des Konflikts in Myanmar oder die Verhandlungen eines Code of Conduct zwischen China und den ASEAN-Staaten im Südchinesischen Meer vorantrieb. Auch mit Blick auf die sich zuspitzende Rivalität zwischen China und den USA (und ihren Verbündeten in der Region) verhält sich Indonesien neutral und pflegt gute Beziehungen zu beiden Ländern. Diese neutrale Haltung korrespondiert mit dem innenpolitischen, auf wirtschaftliche Entwicklung ausgerichteten Primat über die Außenpolitik unter Jokowi. Dem Präsidenten wird ein geringes persönliches Interesse an außenpolitischen Themen nachgesagt. Die indonesischen Diplomaten agieren im Ausland vorwiegend als wirtschaftliche Vertreter ihres Landes, die neue Märkte erschließen und um Investitionen werben sollen. Über die eigenen Interessen hinaus außenpolitisch aktiv wurde Indonesien nur selten, etwa im Rahmen seiner G20-Präsidentschaft oder seines ASEAN-Vorsitzes – und auch dann immer darum bemüht, auch eigene wirtschaftliche Vorteile zu ziehen.

Eine grundsätzliche Abkehr von dieser außenpolitischen Doktrin ist unter einem neuen Präsidenten nicht zu erwarten. Der „Geist von Bandung“ (in Anspielung auf die Gründungskonferenz der Blockfreien Bewegung 1956 in Indonesien) ist tief in der außenpolitischen Tradition Indonesiens verwurzelt und hat sich aus indonesischer Sicht bewährt. Das Land wird daher auch in Zukunft an seiner neutralen Politik insb. mit Blick auf die Großmachtrivalität zwischen China und den USA festhalten. Allerdings fordert Anies Baswedan im Rahmen seiner Wahlkampagne eine „wertebasierte“ Außenpolitik, die über die enge, auf eigene wirtschaftliche Interessen orientierte Politik Jokowis hinausgeht. Insbesondere will Anies Indonesiens aktive Partizipation in internationalen Organisationen stärken (Jokowi etwa ist in seiner Amtszeit nicht ein einziges Mal zur UN-Vollversammlung gereist). Auch Verteidigungsminister Prabowo wird aufgrund seiner Vita (er wuchs teilweise im Ausland auf und spricht mehrere Sprachen u.a. Deutsch) ein größeres Interesse an Außenpolitik nachgesagt. Es ist also nicht ausgeschlossen, dass Indonesien nach den Wahlen international eine aktivere und sichtbarere Rolle einnimmt – eine Veränderung im Stil zwar, aber nicht hinsichtlich grundsätzlicher außenpolitischer Positionen.

 

Weniger Zeigefinger, mehr ausgestreckte Hand – Europa sollte die Wahlen in Indonesien für einen Reset der Beziehungen nutzen

Für Deutschland und Europa wird Indonesien ein wichtiger, aber sicher nicht einfacher Partner bleiben. Zwar steht Deutschland noch immer hoch in der Gunst der indonesischen Politik und Öffentlichkeit, doch das Image der Europäischen Union hat in den vergangenen Jahren deutlich Schaden genommen. In Indonesien werden die Klage der EU bei der WTO gegen das indonesische Nickelexportverbot sowie die europäischen Einschränkungen der Einfuhr von Palmöl als Angriff auf die indonesischen Interessen bewertet. Auch mit Blick auf die sich schon seit Jahren hinziehenden Verhandlungen zu einem Handelsabkommen wachsen in Indonesien die Ungeduld mit der EU und das Unverständnis über manche europäischen Forderungen.

Der führende Präsidentschaftskandidat Prabowo hat in einer viel beachteten außenpolitischen Grundsatzrede denn auch betont „Wir brauchen Europa nicht“. Damit nimmt er eine sich verstärkende politische Stimmung in der indonesischen Elite auf, die Präsident Jokowi bereits im Rahmen seiner Rede beim EU-ASEAN Gipfel 2022 deutlich machte: „Wenn wir eine stabile Beziehung aufbauen wollen, dann muss diese Beziehung auf Gleichberechtigung basieren“.

Indonesien strotzt angesichts seiner wirtschaftlichen Entwicklung und seiner Führungsrolle innerhalb der ASEAN vor Selbstbewusstsein. Seine geopolitische und wirtschaftliche Bedeutung ist enorm und wird in den kommenden Jahren noch weiter zunehmen. Indonesien ist nicht nur die drittgrößte Demokratie, sondern auf dem Weg, eine der größten Volkswirtschaften der Welt zu werden. China, die USA, aber auch zahlreiche asiatische Staaten wie Singapur, Japan, Südkorea oder andere ASEAN-Mitglieder stärken derzeit ihre politischen und wirtschaftlichen Beziehungen zu Indonesien. Zudem ist das Land Mitglied der Regional Comprehensive Economic Partnership (RCEP), der größten Freihandelszone der Welt. Europa wird für Indonesien zunehmend ein Partner unter vielen.

Eine Politik auf Augenhöhe darf deshalb von europäischer Seite aus nicht nur Rhetorik bleiben. Zu erwarten, dass Indonesien am Ende schlicht den Vorstellungen der EU etwa in der Handels- oder Klimapolitik folgt, wäre naiv. Die EU muss ihre Handelspolitik mit Blick auf Indonesien endlich als Instrument der Geopolitik verstehen. Ein schneller und erfolgreicher Abschluss der Handelsverhandlungen mit Indonesien würde nicht nur die Rolle Europas in der Region deutlich stärken, sondern wäre ein wichtiger Schritt im Rahmen der europäischen Strategie eines De-Risiking von China. Gleiches gilt für die Unterstützung der derzeit laufenden Bewerbung Indonesiens um einen Beitritt zur OECD. Ein neuer Präsident und eine neue Regierung in Indonesien bieten eine gute Gelegenheit für einen Reset in den europäisch-indonesischen Beziehungen: Weniger Zeigefinger und mehr ausgestreckte Hand. Denn Indonesien wartet nicht auf Europa – hinter uns stehen genug andere Handelspartner in der Schlange.

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Dr. Denis Suarsana

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Leiter des Auslandsbüros Indonesien / Timor Leste

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