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Ost-Timor auf dem Weg zur Normalität?

Nach mehr als zwei Jahren der Instabilität und Unsicherheit ist in Ost-Timors Hauptstadt Dili erstmals wieder eine positive, in die Zukunft gerichtete Grundstimmung erlebbar. Die Zeiten der bürgerkriegsähnlichen Zustände, der Flüchtlingslager auf allen freien Plätzen der Stadt und der von Jugendbanden terrorisierten Hauptstraßen haben – zumindest vorläufig – ein Ende gefunden. Zum ersten Mal seit dem Beginn der Unruhen im Mai 2006 fühlt sich der Besucher nicht mehr einer latenten persönlichen Bedrohung ausgeliefert.

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Als Landesbeauftragter der Konrad-Adenauer-Stiftung für Indonesien und Ost-Timor mit Sitz in Jakarta haben mich seit 2006 in regelmäßigen Abständen Dienstreisen nach Dili geführt. Bisher waren diese Reisen stets mit einem gewissen Gefühl des Abenteuers, um nicht zu sagen: mit einem unkalkulierbaren Risiko verbunden. Jederzeit konnten gerade zum Reisezeitpunkt Unruhen ausbrechen, Straßen gesperrt oder auch der Flughafen von Dili geschlossen werden. Von nächtlichem Flanieren entlang der Strandpromenade von Dili wurde – trotz der Anwesenheit von ca. 1500 UN-Polizisten und den Soldaten der Internationalen Stabilisierungstruppe ISF – stets eindringlich abgeraten. Nachts ging man nicht aus, sondern blieb im Hotel – und nicht selten hatte ich den Eindruck, dass auch die Sicherheitskräfte der Vereinten Nationen sich brav an diese ungeschriebene Regel hielten.

Doch bei meinem jüngsten Reise nach Ost-Timor im September 2008 stellten sich die Dinge plötzlich ganz anders dar. Ohne zu übertreiben: Ein neuer Geist durchweht spürbar das Land! Erfahrbar wird diese positive Veränderung bereits unmittelbar nach Verlassen des kleinen internationalen Flughafens, der seit kurzem über eine dritte internationale Flugverbindung nach Singapur - neben Denpasar (Bali) und Darwin (Nordaustralien) - verfügt und demnächst dreimal wöchentlich von einer Tochtergesellschaft der Singapore Airlines per Charter angeflogen wird. Das direkt an den Flughafen angrenzende Areal des ehemals größten UNHCR-Flüchtlingslagers in Dili ist nunmehr verwaist. Außer einigen Müllresten weist nahezu nichts mehr darauf hin, dass hier über zwei Jahre mehrere tausend Menschen unter ärmlichsten Bedingungen gehaust hatten. Auch die Hauptstraße vom Flughafen ins Zentrum der kleinen, je nach Quelle zwischen 60.000 und 200.000 Einwohner zählenden Hauptstadt bietet unerwartet Neues: Der kleine Hafen, den nur Küstenschiffe ansteuern können, ist mit Containern angefüllt. Früher standen hier nicht mehr als 5 bis 10 Stück Großfrachtgut herum, diesmal kann ich weit über 50 Container beim Vorbeifahren zählen. Plötzlich ist die Straße durch einen Menschenauflauf blockiert, der ohnehin nur träge fließende Verkehr kommt kurzfristig zum Stillstand. Straßenblockade? Steinewerfen? Mein einheimischer Begleiter klärt mich auf: Unter Zeltplanen wird seit August Englischunterricht erteilt. Wer sich im ersten Monat angemeldet hat, erhält den Unterricht kostenlos, seit September kostet der Kurs 19 US- Dollar. 30.000 (!) Menschen sollen sich bereits eingeschrieben haben. Pro Tag nehmen über Tausend Menschen an Sprachkursen in der kleinen Zeltstadt teil. Beeindruckend! Und schließlich fällt mir dann auch die lange Reihen von Baumsetzlingen an beiden Straßenseiten auf… mit Maßnahmen zur Verbesserung der städtischen Lebensqualität rechnet man in der Tat am allerwenigsten.

Es ist dabei wohl weniger das Grün, das mir ins Auge sticht, sondern vielmehr die Tatsache, dass überhaupt etwas geschieht! Denn mit dem Beginn der bürgerkriegsähnlichen Unruhen im Mai 2006 hatte sich in der Bevölkerung eine enorme Agonie hinsichtlich dies Wiederaufbaus des jungen Staates breitgemacht. Dili machte und macht bis heute den Eindruck einer von der UNO und vielen internationalen Hilfsorganisationen okkupierten, tropischen, verschlafenen Kleinstadt, in keinem Fall aber den der Hauptstadt eines souveränen Landes. Die Omnipräsenz der Vereinten Nationen mit all ihren Unterorganisationen im Rahmen des massiven UNMIT-Einsatzes im Stadtbild sowie die bis vor kurzem noch zu beobachtenden Truppenpanzerbewegungen der ISF auf der Uferpromenade haben mir bei jedem Besuch drastisch die Anomalität der Situation vor Augen geführt. In erschreckendem Zustand präsentiert sich bis heute das Stadtbild: Nahezu alle Gebäude in gutem Zustand sind entweder offizielle Regierungsgebäude, Botschaften und Residenzen, Vertretungen internationaler Hilfsorganisationen oder die wenigen Hotels, die auf das Heer der Dach und Bett suchenden Mitarbeiter der internationalen Hilfsorganisationen mit Freude und drastisch überteuerten Preisen reagierten. Noch im Zentrum und verstärkt in den Vororten und insbesondere im stadtnahen Umland sind nahezu alle Gebäude Ruinen. Anhand der Existenz von Rauchspuren kann man erkennen, ob die Ruinen von den Unruhen im Mai 2006 herrühren oder bereits aus der Zeit des Unabhängigkeitskampfes von 1999 und vorher stammten. Besonders erschütternd erschien mir stets der Umstand, dass an keiner einzigen Ruine auch nur die Spur von Wiederaufbaubemühungen zu finden war.

Dieses ausgesprochen passive Verhalten der Ost-Timoresen im Umgang mit zerstörten Immobilien hatte jedoch weniger mit fehlender Beigeisterung als vielmehr mit fehlender Klarheit über Besitzverhältnisse zu tun. Ein Großteil des Landes wechselte mit den jeweiligen Herrschaftsverhältnissen (von der portugiesischen Kolonie über indonesische Provinz bis zum unabhängigen Staat) auch die jeweiligen Besitzer, und wer investiert schon gerne bei ungeklärten Eigentumsverhältnissen. In diesem Zusammenhang stehen auch die hartnäckigen Gerüchte, dass viele Häuser im Verlauf der Unruhen im Jahr 2006 nicht aufgrund kriegerischer Akte in Feuer aufgingen, sondern bewusst abgefackelt wurden, um die damaligen Bewohner zu vertreiben und damit defacto-Besitzverhältnisse aus vorindonesischen Zeiten wieder zu implementieren.

Beruhigung der Sicherheitslage

Bei meinem jetzigen Besuch konnte ich erstmals Bau- und Sanierungsvorhaben größerer Projekte als auch den Wiederaufbau kleineren Häusern und Familienunterkünften beobachten; in der Regel untrügliche Kennzeichen für eine positive Zukunftsbeurteilung. Ein weiteres Indiz für die Normalisierung der Verhältnisse besteht in der Tatsache, dass die voll bewaffneten Patrouillen der hauptsächlich aus Australiern bestehenden ISF nicht mehr zum üblichen Stadtbild gehören. Stattdessen sind auch ohne militärische Schutzmaßnahmen die Straßen bis in die späte Nacht mit Leben gefüllt, da sich mit dem Verschwinden der Flüchtlingslager auch die Jugendbanden weitgehend aufgelöst haben, die über Monate hinweg die Hauptursache für die Gefährdung der inneren Sicherheit gebildet hatten. So geben sich nun auch die UN-Polizeikräfte weitaus entspannter als noch vor wenigen Monaten. Die Menschen vermitteln nicht mehr den Eindruck der Hoffnungslosigkeit und der Agonie. Vielmehr sind eine neue Tatkraft und der Wille, die Zukunft des Landes wieder in eigene Hände nehmen zu wollen, deutlich spürbar.

Dieser erfreulichen Entwicklung liegen zwei Hauptursachen zugrunde: Zum Einen konnte die aus vier Parteien bestehende und anfangs sehr fragile Regierungskoalition in den vergangenen Monaten ihre Position gegenüber der FRETILIN festigen, die sich wiederum nicht mit ihrer neuen Rolle als demokratische parlamentarische Opposition abfinden kann und will. So hat die FRETILIN-Führung die Regierung immer noch nicht offiziell anerkannt, weil, so die Argumentation, FRETILIN als stärkste Partei aus den Wahlen hervorgegangen sei (jedoch keine Regierungsmehrheit erzielen konnte). Anstatt sich nun auf eine konstruktive Arbeit als parlamentarische Opposition zu konzentrieren, verfolgt FRETILIN eine Taktik des außerparlamentarischen Destruktivismus und der Destabilisierung der jungen Demokratie, auch auf die Gefahr hin, diese damit dauerhaft zu schädigen. Als Instrument hierfür nutzte FRETILIN die Tausenden von Flüchtlingen in Dili, in ihrer großen Mehrheit FRETILIN-Anhänger, um diese im Bedarfsfall gegen die Regierung zu mobilisieren. Auch die bereits erwähnten Jugendbanden galten als verlängerte Arme und Instrumente derjenigen politischen Kräfte, die politische Unruhe und Destabilität erzeugen wollten. Beide Probleme hat die Regierung – gegen die Stimmen der FRETILIN - mit einem finanziellen Sofortprogramm gelöst, das jeder Familie, die ihr Heim verloren hat, bis zu 4500 USD für den Aufbau eines neuen Hauses an ihrem jeweiligen Herkunftsort gewährt. Die gleichzeitige Einstellung der Lebensmittelhilfen hat innerhalb kürzester Zeit dazu geführt, dass über die Hälfte aller Flüchtlingslager geräumt sind und die Straßenbanden sich weitgehend aufgelöst. Nun versucht FRETILIN seit einigen Wochen, mehrere Zigtausend Anhänger zu einem sog. Friedensmarsch nach Dili zu bringen. Dieser Marsch hat aus Sicht FRETILIN-kritischer Timoresen vor allem ein Ziel: die Bevölkerung erneut in Schrecken zu versetzen, die innere Lage erneut zu destabilisieren, die Macht der FRETILIN zu demonstrieren. Damit wird die einstige Befreiungsbewegung zu einer ernstzunehmenden Gefahr für den inneren Frieden und zur größten Belastung für die nachhaltige Entwicklung des demokratischen Systems in Ost-Timor.

Die zweite wichtige Voraussetzung für den positiven Entwicklungstrend wurde am Morgen des 11. Februar 2008 geschaffen, als Präsident Ramos Horta und Premierminister Guzmao Opfer eines Attentats werden sollten (Ramos-Horta überlebte schwerverletzt, Gusmao blieb unverletzt), das vom Rebellenführer Alfredo Reinado geplant und durchgeführt wurde, letztendlich aber fehlschlug. Reinado selbst und mit ihm die Personifizierung der Bürgerkriegssituation seit Mai 2006 wurde dabei von Sicherheitskräften erschossen. Den Schrecken, den Reinado und seine Truppen immer wieder in der Bevölkerung verursachen konnte, wenn allein das Gerücht umging, er nähere sich der Hauptstadt, wurde mir von verschiedenen Seiten bestätigt. Insofern ist sein Tod in weiten Teilen der Bevölkerung mit großer Erleichterung aufgenommen worden, denn mit ihm ist auch ein potenzieller Faktor zur Zerstörung der staatlichen Integrität Ost-Timors ausgelöscht worden.

Als Indikatoren für die gesunde Selbsteinschätzung der Regierung um Ramos Horta und Guzmao können deren jüngste Stellungnahmen hinsichtlich der Rolle der Vereinten Nationen in Ost-Timor erachtet werden. So veröffentlichten timoresische Medien Mitte September Aussagen des Premierministers, der das teils arrogante Auftreten der UN-Polizeikräfte scharf kritisierte, und der Staatspräsident ging sogar soweit, dass er den weiteren Verbleib der UNO zur Diskussion stellte. Möglicherweise steckt hinter diesem doch etwas dick aufgetragenem Selbstbewusstsein eine noch engere Kooperation zwischen der ost-timoresischen und der australischen Regierung, die stets ein großes Interesse an der politischen Stabilität ihres nördlichen kleinen Nachbarn bekundet hat. Zugleich zeichnet sich ab, dass sich viele der ca. 200 internationalen Hilfsorganisationen aus Ost-Timor zurückzuziehen beginnen. Von den vielen US-amerikanischen NRO werden voraussichtlich nur noch zwei Organisation mit eigenen Büros in Ost-Timor verbleiben. Alle anderen schließen ihre Vertretungen bzw. stellen ihr Engagement ein.

Ausblick: Regierungskoalition im Trend?

Mag man diese Tendenz zum Rückzug aus Ost-Timor nun positiv oder negativ bewerten, im Endeffekt kann dies aber nur bedeuten, dass die Ost-Timoresen die künftige Entwicklung ihres jungen Staates wieder verstärkt in die eigenen Hände nehmen, was an sich auf jeden Fall zu begrüßen ist. Die Finanzierung hierzu scheint durch die einfließenden Petrodollars gesichert, da Ost-Timor aufgrund umfangreicher Erdöl- und Gasvorkommen im Süden der Insel nicht zu den globalen Armutskandidaten zählt. Den ehrgeizige Plan, sämtliche Einnahmen aus dem Öl- und Gasgeschäft bis zum Jahr 2025 in einen Petroleum-Fonds einzuzahlen und somit die Existenzgrundlage künftiger Generationen zu sichern, kann die Regierung zwar jetzt schon nicht mehr in vollem Umfang durchhalten. Doch vielleicht ist es gerade ein gesunder Mix aus Sparen einerseits und notwendigen Investitionen andererseits (z.B. in die Verkehrsinfrastruktur sowie in den Bildungssektor und eine flächendeckende medizinische Versorgung), der die Sicherung des inneren Friedens und der sozialen Gerechtigkeit ebenso wie die nachhaltige Entwicklung des Landes hin zu einem demokratischen Rechtsstaat gewährleistet.

Der Regierungskoalition, die sich nur deshalb formierte, weil sie die Mehrheit gegenüber der FRETILIN als der stärksten Partei bildete und sich deshalb aus politisch sehr unterschiedlichen Kräften zusammensetzt, ist dieser Erfolg allein schon im Interesse der jungen Demokratie nur zu wünschen. Denn die von Beginn an fragile Koalition ist schon mehrfach nur knapp um eine Auflösung herumgekommen. Erst die Erfolge der vergangenen Monate, verbunden mit einer neuen Wirtschaftspolitik, die nicht mehr auf internationaler Hilfe basiert, sondern auf internationale Investitionen setzt, haben zu einer gewissen Festigung des Vier-Parteienbündnisses beigetragen. Noch gibt es durchaus Befürchtungen, dass die im kommenden Jahr angesetzten Kommunalwahlen dazu verwendet werden könnten, die Koalition zum Scheitern zu bringen und damit auch nationale Neuwahlen zu erzwingen. Doch wer begeht schon freiwillig politischen Selbstmord, wenn er sich im Gewinnerteam befindet? Und genau mit dieser Frage werden sich die kleineren Partner in einer erfolgreich agierenden Regierungskoalition dann konfrontiert sehen.

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Thomas Yoshimura

Thomas Yoshimura

Leiter des Auslandsbüros Korea Interimsleiter des Auslandsbüros Japan bis Juli 2024

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Sankt Augustin Deutschland