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Riikide raportid

Uribes Kampf an doppelter Front

kohta Dr. Carsten Wieland

Neben der schwersten innenpolitischen Krise seiner Amtszeit muss der Präsident erste Risse im Verhältnis zur USA kitten

Seit dem Sieg der Demokraten im US-Congress muss Kolumbien um die Früchte seiner treuen Allianz mit US-Präsident Bush bangen. Uribe sieht sich zudem immer stärker Anschuldigungen ausgesetzt, nicht nur viele Politiker in seinem engen Umkreis, sondern auch er habe Verbindungen zu den Paramilitärs gehabt.

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Der Irak-Krieg ist nun auch zum Bumerang für Alvaro Uribe geworden. Nach George W. Bush, Tony Blair, Silvio Berlusconi und José Maria Aznar bekommt nun Kolumbiens Präsident indirekt die politische Quittung für das Desaster in Euphrat und Tigris—allerdings nicht von seinen eigenen Bürgern, sondern durch die geänderten Machtverhältnissen in Washington. Uribe hatte als einziger treuer Vasall Washingtons in Südamerika die Invasion des Irak unterstützt. Nicht weil er den Ereignissen im Nahen und Mittleren Osten besondere Bedeutung zumaß (ebenso wenig die Kolumbianer), sondern weil der Krieg ihm als willkommenes Instrument diente, seine Allianz mit dem Weißen Haus zu bekräftigen. Schließlich ist Kolumbien weltweit der drittgrößte Empfänger von US-Hilfe nach Israel und Ägypten.

Es knirscht im US-kolumbianischen Verhältnis

Doch durch das politische und militärische Debakel, das die USA durch den Irak-Krieg erleiden, kamen Anfang des Jahres die Demokraten an die Hebel der legislativen Macht im Kapitol. Möglicherweise wird auch ein Demokrat ab 2008 die USA regieren. Das hatte Uribe nicht im Kalkül. Zum ersten Mal seit einem Jahrzehnt knirscht es im US-kolumbianischen Verhältnis, und das zu einem denkbar ungelegenen Moment für den kolumbianischen Staats- und Regierungschef.

Bisher war die wirtschaftliche und militärische Unterstützung Kolumbiens im Kampf gegen Drogenmafia und Guerilla Konsens in Washington. Unter dem demokratischen US-Präsidenten Bill Clinton und seinem konservativen Amtskollegen Andrés Pastrana (1998-2002) blühte das bilaterale Verhältnis auf. Es war Clinton, der Ende der 1990er Jahre den ersten Plan Colombia auf die Beine stellte, ein üppiges jährliches Hilfspaket, das im Jahr 2006 mehr als 733 Millionen US-Dollar schwer war. In den vergangenen Jahren waren stets rund 80 Prozent der Mittel für Militär und Polizei vorgesehen und der Rest für wirtschaftliche und soziale Projekte.

Doch der Washingtoner Konsens (bipartisan support) für eine bedingungslose Unterstützung Kolumbiens bröckelt seit der jüngsten Demokratischen Mehrheit im Repräsentantenhaus und im Senat. Dies geschieht zu einer Zeit, in der das US-kolumbianische Freihandelsabkommen (TLC) vom Congress endlich ratifiziert werden soll und in Washington gerade darüber entschieden wird, mit welcher Summe die USA Kolumbien im nächsten Jahr unterstützen wollen. Außerdem haben die Demokraten jüngst 55,2 Millionen US-Dollar für das kolumbianische Militär blockiert, um Zeit zu gewinnen, um Menschenrechtsverletzungen zu prüfen.

Im Mai zeigten die Demokraten Alvaro Uribe die kalte Schulter, als er versuchte, in Washington Mitglieder des Congress von seiner Politik zu überzeugen. Analysten in Bogotá halten die angespannte Atmosphäre für ein Ergebnis von Uribes einseitiger Ausrichtung auf Republikanische Politik und Rhetorik. Die kolumbianische Regierung und die Demokraten in den USA trennen inzwischen mehrere wichtige Positionen, die substanziellen Charakter haben.

Freihandelsabkommen mit den USA muss vielleicht nachverhandelt werden

Zum einen droht das gesamte Freihandels-Paket wieder aufgeschnürt zu werden. Das ist besonders demütigend für die kolumbianische Regierung, da sie zuvor viele Zugeständnisse gemacht hatte, starken innenpolitischen Widerstand überwinden musste, und möglicherweise sogar Peru und Panama vor Kolumbien in den Genuss des Abkommens kommen könnten. Kolumbien ist verschnupft und fühlt sich nicht mehr ausreichend wertgeschätzt als treuer Partner der USA, auch wenn George W. Bush seine Rückendeckung für Uribe ungebrochen betont. Kolumbiens Vize-Präsident Francisco Santos provozierte im Mai gar mit der Feststellung: Falls das Freihandelsabkommen im US-Congress abgelehnt werde, müsse man die Beziehungen zu den USA grundsätzlich überdenken.

In dem Abkommen beharren die Demokraten auf mehr Umweltschutz und Arbeitnehmerrechte. Besonderen Anstoß nehmen Uribes Kritiker in Washington daran, dass in Kolumbien weiterhin zahlreiche Gewerkschaftsvertreter ermordet werden. In den vergangenen sechs Jahren wurden mehr als 800 Gewerkschafter Opfer von Anschlägen skrupelloser Unternehmer, Krimineller oder paramilitärischer Gruppen. Diese Forderungen sind im Prinzip vernünftig. Doch die Umstände dieses „Nachlegens“ nach 22 Monaten Diskussion um das Abkommen haben kolumbianische Journalisten zu dem Schluss geführt, nicht Uribe solle damit bestraft werden, sondern US-Präsident Bush. Denn es gelte die Maxime: „Bushs Freund ist unser Feind.“ Uribe sei zwischen die Mühlsteine des internen Machtkampfes in den USA geraten.

Demokraten wollen andere Drogenbekämpfung

Diese Vermutung ist nicht abwegig. Dennoch sind die Gräben tiefer. Was die Neuausgabe des Plan Colombia im kommenden Jahr angeht, wünschen die Demokraten eine stärkere Berücksichtigung sozialer und wirtschaftlicher Belange. Außerdem sind sie unzufrieden mit den Ergebnissen der Drogenbekämpfung. Millionen Dollar scheinen in den Sand gesetzt, wenn selbst die kolumbianische Regierung feststellen muss, dass der Drogenexport nicht reduziert werden konnte. Die Drogen-Preise sind in den USA sogar rückgängig. Abgenommen hat in Kolumbien lediglich die Anbaufläche, aber bessere Anbaumethoden und Vertriebswege haben am Endergebnis nicht viel geändert. Vizepräsident Francisco Santos verglich die Anstrengung mit dem Treten der Pedale eines Hometrainers. Einige Demokraten in Washington haben sich zudem der Kritik von Umweltschützern angeschlossen, welche die Besprühungen von Kokafeldern mit dem Pestizit Glifosat als für Mensch und Natur gefährlich verurteilen. Damit greifen sie einen Hauptpfeiler des bisherigen Plan Colombia an, zu dem Besprühungen und die Lieferung von Kampfhubschraubern an die Anti-Drogen-Einheiten gehören. Die Versetzung des US-Botschafters William Wood von Kolumbien nach Afghanistan ist ein Signal, dass die Bush-Regierung die bisherige Drogenbekämpfung in Kolumbien nicht nur als Erfolg, sondern auch als Exportmodell versteht.

Angriffsfläche bietet der kolumbianische Präsident den Demokraten auch an einer zweiten Front: der Innenpolitik. Das Land steckt in einer der schwersten politischen Krisen seit Jahren und in der bedrohlichsten seit Uribes Amtsantritt 2002. Der Skandal der „Parapolitik“ wirft einen Schatten auf die Anstrengungen Uribes, den seit fünf Jahrzehnten dauernden Binnenkonflikt mit harter Hand gegenüber der Guerilla und Verhandlungen mit den Paramilitärs zu lösen. Immer mehr hochrangige Politiker, so kommt seit Dezember vergangenen Jahres dank der investigativen Medien des Landes ans Tageslicht, sind in Kungeleien, Pakte und sogar politische Allianzen mit Paramilitärs verstrickt oder verstrickt gewesen.

Waffe Wahrheit

„Die Wahrheit, nichts als die Wahrheit!“ Das ist die häufigste Forderung der Kolumbianer in diesen Monaten. Sie ist gerichtet an die mehr als 31 000 Paramilitärs, die zumindest nach offiziellen Angaben unter dem umstrittenen Gesetz „Gerechtigkeit und Frieden“ seit 2003 die Waffen abgegeben haben. Besonders die Köpfe der einst gefürchteten Todesschwadronen haben nun eine neue Waffe — die Wahrheit, oder das, was sie als solche darstellen. Fürchten müssen sie viele Politiker des Landes.

Bis kurz vor Jahresende 2006 war es nur ein politisches Gespinst gewesen: Knapp ein Drittel der Abgeordneten im Repräsentantenhaus und im Senat hätten mit den Paramilitärs gemeinsame Sache gemacht oder wurden gar mit deren Hilfe gewählt. Damit brüstete sich vor zwei Jahren Salvatore Mancuso, einer der Großen aus der Riege der ehemaligen Selbstverteidigungsgruppen Kolumbiens (AUC), der sich nun in Medellín vor Gericht verantwortet. AUC-Chef Vicente Castaño legte nach und gab an, mehr als 35 Prozent der nationalen Amtsträger seien Freunde der Paramilitärs.

Hinzu kommen zahlreiche regionale und lokale Politiker. Ein Gouverneur sitzt hinter Gittern, ein weiterer ist flüchtig und gegen zwei weitere wird ermittelt. Selbst dem ehemaligen Direktor des Kolumbianischen Geheimdienstes (DAS) wird vorgeworfen, Ermittlungen gegen Paramilitärs aus den Archiven gelöscht zu haben. Er wurde von seinem Botschafterposten aus Mailand abberufen und muss sich nun der Justiz stellen. Ein politisches Erdbeben verursachte die Entlassung der Außenministerin Maria Consuelo Araújo am 19. Februar. Sie war für Uribe nicht mehr zu halten, nachdem der Oberste Gerichtshof Ermittlungen gegen ihren Bruder wegen Verbindungen zu den Paramilitärs aufgenommen und seine Festnahme angeordnet hatte.

Konrad Adenauer Stiftung unterstützt Bürgerinitiativen zur Wahlbeobachtung

Heute ist offensichtlich: Viele Amtsträger kamen mit Hilfe der Selbstverteidigungstruppen auf ihre Posten. Manche von ihnen sitzen heute im Gefängnis. Das auch einen Schatten auf die Kommunal- und Regionalwahlen im Oktober dieses Jahres. Die Kolumbianer befürchten, dass sich das Muster wiederholt. Wenigstens wird jetzt aber offen darüber gesprochen und internationale Organisationen wie die Konrad Adenauer Stiftung unterstützen Bürgerinitiativen zur Wahlbeobachtung.

„Jetzt wird der Deckel langsam angehoben und der Gestank dringt heraus“ und „nun wird unsere schmutzige Wäsche gewaschen“, so lassen sich die bissigen Kommentare in den Medien des Landes zusammenfassen.

Denn die Wahrheit schmerzt: Inzwischen wird gegen 21 aktive Kongressabgeordnete wegen Verbindungen zu Paramilitärs ermittelt. Das sind fast zehn Prozent des Kongresses. 14 von ihnen sitzen bereits in Untersuchungshaft. Hinzu kommen 7 Ex-Parlamentarier, die hinter Gittern sitzen. Alle stammen aus dem heterogenen Lager von versprengten ehemaligen Liberalen und Konservativen, das Präsident Uribe unterstützt. Einige wurden aus den Parteilisten der Uribe-Treuen inzwischen ausgeschlossen. Insgesamt sollen 60 zum Teil prominente Politiker vor dem Obersten Gericht aussagen. Das Wort von den „Paramentariern“ macht die Runde. Der Skandal weitet sich aus, ohne dass die Kolumbianer besonders überrascht reagieren.

Glaubwürdigkeitsproblem des Kongresses

Dennoch ist der Kongress in der öffentlichen Meinung abgestürzt: Nach Angaben der Zeitung Nuevo Siglo hielten zu Jahresanfang nur noch 37 Prozent der Kolumbianer die Institution für glaubwürdig; die Hälfte hat allgemein ein negatives Bild von den Volksvertretern. Die Erwartungen lasten nun auf dem Obersten Gerichtshof und auf der Generalstaatsanwaltschaft, das Vertrauen in die staatlichen Institutionen aufrecht zu erhalten.

Der Skandal weitet sich jedoch täglich aus. Vizepräsident Santos verursachte im Mai großen Wirbel, als er in einem TV-Interview behauptete, 30 bis 40 Kongress-Abgeordnete würden wahrscheinlich wegen des Parapolitik-Skandals demnächst ins Gefängnis wandern. Wutentbrannt zog Uribe Stunden später seinen Vizepräsidenten zur Rechenschaft. Auch wenn Santos’ düstere Einschätzung der Lage durchaus realistisch sein mag, war sie Wasser auf die Mühlen der Kritiker im In- und Ausland, welche die Politik der Regierung und Uribe selbst diskreditiert sehen. Denn die Demokraten in Washington kritisieren zunehmend die Menschenrechtspolitik Uribes und beäugen skeptisch das Gesetz „Gerechtigkeit und Frieden“, das für freiwillig entwaffnete Paramilitärs eine Höchststrafe von acht Jahren vorsieht. Uribe, so die Kritik zusammengefasst, gehe zu sanft mit den Paramilitärs um.

In Kolumbien ist es ein offenes Geheimnis, dass die Paramilitärs die Wahl 2002 von Präsident Uribe unterstützten. Doch Uribe selbst, dem Mann mit der harten Hand, der das Sicherheitsgefühl der Kolumbianer in den vergangenen vier Jahren deutlich erhöhen und die Mordraten drastisch senken konnte, konnten bisher keine direkten Verbindungen zu den Paramilitärs nachgewiesen werden.

Attacken nehmen zu

Doch der Skandal der Parapolitik rückt immer näher an Uribe selbst heran. Ende April warf der sozialdemokratische Senator Gustavo Petro dem Präsidenten vor, während seiner Zeit als Gouverneur von Antioquia (1995-1997) Selbstverteidigungsgruppen gefördert zu haben, aus denen sich die Paramilitärs entwickelten. Anwesen der Familie Uribe seien Treffpunkte dieser Gruppen gewesen und von ihnen geschützt worden. Tatsächlich weiteten sich die Todesschwadronen als Gegenwehr zu Massakern und Entführungen der Guerilla in jener Zeit stark aus. Es waren Jahre, in denen der schwache Staat in den meisten Regionen Kolumbiens ein gefährliches Vakuum hinterließ und sich besonders große Landbesitzer zur Gegenwehr formierten. Zum Leidwesen der kolumbianischen Bevölkerung haben sich diese Selbstwehrgruppen bald zu kriminellen Banden entwickelt, die der Guerilla in Massakern, Entführungen, Erpressungen und Drogenhandel in keiner Weise nachstehen oder sie manchmal gar übertrafen.

Senator Petro, der selbst ehemaliger Guerilla-Kämpfer aus der Gruppe M-19 ist, forderte in seiner Attacke, Uribes Familie unter die Lupe zu nehmen. Uribes Bruder Santiago habe mit Paramilitärs und Drogenhändlern kooperiert. Diese Attacken aus der Opposition schlugen auch international Wellen. Der ehemalige US-Vizepräsident Al Gore sagte daraufhin seine Teilnahme an einer Umweltkonferenz in Miami ab, um mit Uribe nicht an einem Tisch sitzen zu müssen. Der Demokrat verwarf zudem eine geplante Reise nach Kolumbien. Dies traf Uribe an einem wunden Punkt. Anders als manche Europäer hatten die US-Amerikaner stets Verständnis für Uribes harte Hand gegenüber der Guerilla und dem Friedensprozess mit den Paramilitärs gezeigt. Nun ist auch dies keine Selbstverständlichkeit mehr.

Uribe bestritt die Vorwürfe der linken Opposition energisch, aber ohne neue Fakten zu nennen. Auch Mitarbeiter des ehemaligen US-Präsidenten Bill Clinton kritisierten, der kolumbianische Präsident werde zu Unrecht gescholten und erhalte nicht genügend Unterstützung für seinen Kampf gegen die bewaffneten Gruppen im Land. Die Zeitung Washington Post sprang für Uribe mit dem Kommentar „Angriff auf einen Alliierten“ in die Bresche. Darin bezeichnet der Autor Uribe als „womöglich derzeit populärsten demokratisch gewählten Präsidenten.“ Mit dieser Brüskierung entfremdeten die USA ihren wichtigsten Verbündeten in Lateinamerika, zudem einen liberalen Politiker, nachdem im Super-Wahljahr 2006 populistische linke und damit US-kritische Regierungen auf dem Vormarsch seien.

„Teflon-Effekt“ Uribes

In der Tat klafft die Innen- und Außenwahrnehmung Uribes fundamental auseinander. In den ersten fünf Monaten des Jahres 2007 konnte der Präsident seine anhaltend hohen Sympathie-Werte sogar noch ausbauen—trotz des Parapolitik-Skandals. Seine Beliebtheit stieg im Land um 6,2 Punkte auf 73,4 Prozent. Dahinter steckt diesmal mehr als der berüchtigte „Teflon-Effekt“, nach dem, wie die Kolumbianer sagen, alle Angriffe und Skandale an Uribe abprallen.

Auch namhafte Unternehmer haben sich demonstrativ hinter den Präsidenten gestellt. Die neue Sicherheit im Land hat die Wirtschaft angekurbelt und die Kapitalflucht ins Auslan d gestoppt.

Dank Uribe ist das Gewaltmonopol des Staates in Kolumbien heute weitaus stärker als noch vor wenigen Jahren, in denen Kolumbianer nicht einmal ihre Landstraßen benutzen konnten, ohne Gefahr zu laufen, überfallen oder entführt zu werden. Uribes Anhänger verweisen auf sein Verdienst, dass er den rechten Schwadronen Vertrauen abringen konnte und damit die größte Demobilisierung in der Geschichte des 50-jährigen Konflikts möglich gemacht hat. AUC-Anführer Castaño erklärte die Bereitschaft der Paramilitärs zur Entwaffnung so: „Die Demokratische Sicherheit (von Uribe) hat funktioniert und hat uns die Existenzberechtigung genommen. Die Selbstverteidigungsgruppen hatten sich gegründet, weil uns der Staat nicht verteidigen konnte. Aber inzwischen hat der Staat die Fähigkeit erlangt, seine Bürger zu verteidigen.“ Allerdings hat sich ausgerechnet Castaño bis heute nicht den Behörden gestellt.

Falls der Entwaffnungsprozess erfolgreich verläuft, was derzeit auf der Kippe steht, würde Uribes Strategie aufgehen: Aus drei Konfliktparteien—dem Militär, den Paramilitärs und den Guerillagruppen—werden zwei. Dem erstarkten Staat als legitime Gewalt stünden dann nur noch „kriminelle“ Gruppen gegenüber. Darunter wären vor allem die Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens (FARC), die ihr selbst gepflegtes Image als marxistische Gegenkraft zum neoliberalen Establishment und Robin Hood der entrechteten Bauern durch Drogenhandel, Massaker und Entführungen selbst im linken Lager der Bevölkerung längst eingebüßt hat.

Etablierung einer sozialdemokratischen Opposition

Je deutlicher die illegalen Konfliktparteien ihre historischen politischen Rollen verlieren, desto mehr steigt die Glaubwürdigkeit des Staates. Das ist zumindest das Szenario, auf das Uribe setzt. Es wird durch einen Umstand unterstützt, der für Uribe eine bittere Ironie birgt: Erstmals in der Geschichte Kolumbiens hat sich eine sozialdemokratische Opposition etabliert. Der Kandidat der Sammelbewegung Polo Democratico Alternativo, Carlos Gaviria, erstritt bei den Wahlen vergangenen Mai mit 23 Prozent den zweiten Platz, noch vor den Liberalen. Die Partei macht eine gute Basisarbeit, stellt bereits wichtige Bürgermeister und hat ernst zu nehmende Chancen, den nächsten Präsidenten zu stellen, da eine Wiederwahl Uribes nach dem derzeitigen Stand der Verfassung nicht möglich ist und die traditionellen Parteien, Liberale und Konservative, Profil und Geschlossenheit vermissen lassen. Mit seiner programmatisch sozialen Agenda unterhöhlt der Polo den Anspruch der FARC, die linke Alternative im Staat zu sein.

Uribe reagiert zunehmend gereizt auf die sozialdemokratische Opposition. In mehreren Tiraden in kolumbianischen Radiosendern Anfang Februar bezeichnete Uribe Polo-Politiker als „Terroristen in Zivil“ und heizte damit die innenpolitische Stimmung auf. Einige Oppositionelle wurden von der nationalen Polizei illegal abgehört, was Uribe harsche Kritik einbrachte. Der Präsident jedoch reagierte prompt: Er betonte die Notwendigkeit des Rechtsstaats und entließ den Direktor der Nationalen Polizei. Doch Oppositionspolitiker haben auch Morddrohungen von Seiten der noch aktiven Paramilitärs erhalten. Zwar hat Uribe bekräftigt, dass der Schutz des Staates auch für die politische Opposition gilt, doch viele Beobachter kritisieren die Rhetorik des Präsidenten als zu emotional und gefährlich.

Kritiker vermuten, Uribe möchte von Untersuchungen über seine eigenen Verbindungen zu den Paramilitärs ablenken. Der Präsident wirke zunehmend nervös. Symptome der Einsamkeit zeichneten den temperamentvollen Präsidenten, schrieb die Wochenzeitschrift Semana.

Allerdings hat Uribe nach seiner überwältigenden Wiederwahl im Mai mit fast zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen seine Unterstützung in der Bevölkerung ausbauen und seine Unabhängigkeit auch gegenüber den Paramilitärs stärken können. Im Dezember ließ Uribe keinen Zweifel daran, dass er sich weder von der Guerilla noch von den Paramilitärs einschüchtern lässt. In einem Überraschungscoup ließ er 57 führende AUC-Mitglieder, die sich dem Entwaffnungsprozess unterworfen haben, von einem ehemaligen Urlaubsressort ins Hochsicherheitsgefängnis nach Medellín, bringen. Die Paras protestierten gegen den Wortbruch und kündigten den Friedensprozess auf, allerdings aus einer denkbar schwachen Position heraus. Uribe drohte ihnen, die umstrittenen Privilegien—wie maximal acht Jahre Haft—unter dem Gesetz „Gerechtigkeit und Frieden“ zu verlieren und an die USA ausgeliefert zu werden, falls sie die Verhandlungen abbrechen.

Keine der noch existierenden Einheiten startete eine Offensive, um den Kampf innerhalb der alten Befehlsstrukturen fortzusetzen. Auch die demobilisierten Kämpfer, von denen viele ein Studium aufgenommen haben, solidarisierten sich nicht. Die Entscheidung Uribes wird von der Bevölkerung unterstützt und war zugleich ein Befreiungsschlag mitten im Para-Skandal des Parlaments. Präsident Uribe hätte stark an Glaubwürdigkeit eingebüßt, wäre ihm der Prozess in diesem entscheidenden Moment aus der Hand geglitten und hätten die Ex-AUC-Chefs die Flucht ergriffen, wie manche befürchteten.

Doch die kritische Phase hat längst begonnen, in der immer mehr Ex-Paramilitärs in die Kriminalität zurück fallen oder neue Banden gründen, die erpressen, entführen und massakrieren. Nach dem Auslaufen eines einjährigen Regierungsstipendiums finden viele Ex-Paramilitärs keine Arbeit oder keine Motivation im zivilen Leben, oder sie werden von neuen kriminellen Gruppen abgeworben und unter Druck gesetzt, wieder eine Waffe in die Hand zu nehmen. Andere werden ermordet, entweder durch Racheakte der Rebellen oder durch ehemalige Weggefährten, die ein zu viel an Wahrheit fürchten. So wurde Ende Dezember ein enger Weggefährte Mancusos erschossen. Spekulationen verdichteten sich, dass der Mordbefehl direkt aus dem Hochsicherheitsgefängnis in Medellín stammte. Aufnahmen aus illegalen Abhöraktionen aus dem Gefängnis bestätigen die Vermutung, dass kriminelle Aktionen bis hin zur Wiederbewaffnung von den Ex-AUC-Chefs hinter Gittern gesteuert werden.

Insgesamt verloren bisher mehr als 600 entwaffnete Paramilitärs ihr Leben. Das erinnert an den Teufelskreis der 80er und 90er Jahre, als Mitglieder der FARC den bewaffneten Kampf aufgaben und es wagten, mit einer neuen Partei, der Union Patriotica, in die legale Politik zu gehen. Seither wurden mehr als 3000 von ihnen als Lokalpolitiker oder Bürgermeisterkandidaten ermordet, zwei davon waren sogar Präsidentschaftskandidaten. Diese Erfahrung führen die FARC gern als Begründung an, um ihren Kampf fortzusetzen. Allerdings verliert dieses Argument an Wirkung, sollte die Demobilisierung der Paramilitärs nachhaltigen Erfolg haben und der Staat sein Gewaltmonopol durchsetzen.

Defizite im Justizsystem

Doch bis dahin ist es noch ein weiter Weg, auch mit Blick auf starke Defizite im Justizsystem. Skeptiker weisen zudem darauf hin, dass in viele Zonen, in denen zuvor die Paramilitärs herrschten, nicht das Militär sondern die Guerilla vorrückt. In das Vakuum stoßen auch neue Banden vor, wie die Schwarzen Adler (Aguilas Negras), die vor allem an der Küste an der Grenze zu Venezuela operieren, in Drogenhandel, Mord und Erpressung verwickelt sind. Nach der Entwaffnung der traditionellen Paramilitärs wird die Lage unübersichtlicher. Nach Angaben der Organisation Amerikanischer Staaten haben sich inzwischen 22 neue gewalttätige Gruppen formiert. Dennoch sind viele Gemeinden heute frei von paramilitärischen Strukturen, die früher unter den Todesschwadronen zu leiden hatten. Allerdings sind wiederum andere neu von diesem Problem betroffen. Insgesamt ergibt sich trotz allem ein positives Bild: Früher waren die AUC in 711 Gemeinden präsent, heute sind die neuen Gruppen in 102 Gemeinden und 16 von 32 Provinzen aktiv.

Die Zahl der neuen Bewaffneten schwankt stark nach Schätzungen zwischen 3000 und 9000. Sie stellen eine ernsthafte Bedrohung des Demobilisierungs- und Integrationsprozesses der Regierung dar. Die Gefahr wird von Uribe nach Ansicht von internationalen Beobachtern wie der International Crisis Group unterschätzt. Allein mit Methoden zur Kriminalitätsbekämpfung sei dieser zerstörerischen Macht nicht Herr zu werden.

Auch mit Blick auf die traditionellen Konfliktparteien gehen die Meinungen auseinander, ob sie „nur“ krimineller Natur sind. Der renommierte Analyst Alfredo Rangel spricht von einer Lebenslüge, sie lediglich als kriminelle Gruppen zu betrachten. Erstmals haben sich rund zehntausend Händler, Unternehmer, Viehzüchter, Lokalpolitiker und Bürger in der Region Antioquia im Westen Kolumbiens in einer Unterschriftenaktion dazu bekannt, freiwillig paramilitärische Gruppen unterstützt zu haben. Das sei ein gesellschaftliches und politisches Phänomen, kein kriminelles, unterstreicht Rangel.

Sorge vor sozialer Kluft immer größer

Diesen Eindruck bestärkt eine Meinungsumfrage, die von der Zeitschrift Semana in Auftrag gegeben und am 6. Mai veröffentlicht wurde. Danach haben ein Viertel der Kolumbianer eine Neigung zu Gunsten der Paramilitärs. Die Mehrheit der Kolumbianer betrachtet den Paramilitarismus nicht als das Hauptproblem des Landes. Seit dem Amtsantritt Uribes ist stattdessen die Sorge um die soziale Kluft in der Gesellschaft gewachsen; Themen wie Armut, Erziehung, Gesundheitsfürsorge stehen für 92 Prozent der Kolumbianer an erster Stelle. Vor fünf Jahren waren es noch 51 Prozent. Die Gewalt im Land stellt nur noch für 76 Prozent eine große Sorge da (statt 92 Prozent vor fünf Jahren). Das ist ein klarer Erfolg für Uribes Sicherheitspolitik, die nun den politischen Freiraum schafft, sich endlich mit den anderen drängenden Themen des Landes auseinanderzusetzen, die bisher von keiner Regierung gelöst wurden. Glaubten vor fünf Jahren noch 89 Prozent der Kolumbianer, mit dem Land gehe es bergab, finden das heute nur noch 42 Prozent. Dagegen blicken heute 53 Prozent optimistisch in die Zukunft im Vergleich zu mageren 9 Prozent vor einem halben Jahrzehnt.

Dass sich so viele Kolumbianer heute offen zu einer Sympathie oder gar Kooperation mit Paramilitärs bekennen, ist Teil der gesellschaftlichen und politischen Katharsis, die das gebeutelte Land durchläuft. Eigentlich haben es alle vermutet, aber jetzt kann man darüber reden. Journalisten dürfen Politikern Para-Verbindungen ankreiden, ohne dass sie um ihr Leben fürchten oder auswandern müssen. Die Scheinheiligkeit ist vorbei. Das ist ein Fortschritt, ein Etappensieg der kolumbianischen Demokratie, so schmutzig und schmerzhaft er sein mag. Die Institutionen der kolumbianischen Demokratie sind im Großen und Ganzen weiterhin intakt und stabiler als in Nachbarländern wie Venezuela, Ekuador oder Bolivien, wo der linke Populismus diese erodiert, ohne die drängende soziale Frage nachhaltig zu lösen.

Ob diese schmerzhafte Reinigung der kolumbianischen Politik zu einem Frieden in Kolumbien beitragen kann, wird davon abhängen, ob nicht nur der Präsident, sondern auch die staatlichen Institutionen wie Parteien und Volksvertreter ihre Glaubwürdigkeit stärken, ob der Staat das Sicherheitsvakuum der Paramilitärs und die etablierten politischen Akteure das soziale Vakuum in der kolumbianischen Politik füllen können.

Die meisten Kolumbianer fühlen sich sicherer und die Wirtschaft läuft rund. Jetzt verlangen sie mehr: Reformen gegen soziale Ungleichheit und politische Verhandlungen mit der FARC. Es ist Uribes Verdienst, dass diese aus einer Position der Stärke heraus geführt werden können, anders als bei seinem gescheiterten Vorgänger Andrés Pastrana.

Zwar weiß der Präsident, dass er in seiner zweiten Amtszeit nicht mehr nur mit einer starken Hand wird punkten können. Dennoch lässt er keine Chance ungenutzt, Zeichen der Unnachgiebigkeit gegenüber den illegalen bewaffneten Gruppen zu setzen anstatt sich auf vorschnelle Verhandlungen einzulassen. Als Nachfolger der über den Para-Skandal gestürzten Außenministerin ernannte er im März Fernando Araújo (der nicht mit seiner Vorgängerin, Maria Consuelo Araújo, verwandt ist). Der ehemalige Minister für Außenhandel war sechs Jahre lang von der FARC entführt und konnte sich über Sylvester aus dem Dschungel im Norden Kolumbiens befreien. Dank eines Luftangriffs der Armee auf das Lager der Rebellen.

Die Ernennung eines sechs Jahre lang von der Außenwelt abgeschnittenen Mannes an die Spitze der kolumbianischen Diplomatie sollte auch eine Botschaft an die Europäer und die Demokraten in den USA senden: Nicht die Regierung ist für Gewalt und Entführungen verantwortlich, sondern Menschenrechtsverletzungen gehören zum alltäglichen Schicksal aller Kolumbianer und gehen vor allem aufs Konto der Guerilla. Ob diese Symbolik jedoch ausreicht, um den wachsenden Gegenwind aus Washington abzuschwächen, ist fraglich. Uribe muss sicher noch häufiger nach Washington reisen und dort skeptischen Abgeordneten und einer wachsenden Zahl von Demonstranten auf Washingtons Straßen die Stirn bieten.

Davor scheut Uribe in seiner forschen Art auch nicht zurück. Auf seiner Werbetour in der US-Hauptstadt im Mai ging er gegen den dringenden Rat seiner Bodyguards vor die Tür und konfrontierte die Demonstranten, die unter anderem „Uribe—Mörder!“ auf ihren Bannern stehen hatten. „Das ist Demokratie“, brüllte Uribe inmitten der Pfiffe. „Ich bin Demokrat. Mir macht sozialer Protest nichts aus. Mich beunruhigt der Terrorismus.” Im wachsenden Geräuschpegel fügte der Präsident hinzu: “Vielleicht muss ich mich für Fehler entschuldigen. Aber niemals für Verbrechen!“

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Sankt Augustin Deutschland