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Zehn Jahre danach: die Ukraine feiert ihre Unabhängigkeit

kohta Dr. Manfred Lohmann, Juri Durkot
Die Feierlichkeiten aus Anlass des 10. Jahrestages der Unabhängigkeit wurden mit großem Prunk begangen. Eine Militärparade auf der Kiewer Hauptstraße Chreschtschatyk mit 6.000 Mann, Panzern, Kampf- und Transportflugzeugen und schweren Raketen - aber auch Militärparaden in Lemberg, Odessa, Winnyzja, Tschernihiw und Sewastopol - ließen Erinnerungen an die alten kommunistischen Zeiten aufkommen.

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Kiews Innenstadt wurde aufwendig renoviert und an der Stelle eines früheren Lenin-Denkmals das neue Nationaldenkmal "Ruhm der Ukraine" enthüllt, welches der Berliner Siegessäule nicht unähnlich sieht. Dabei bietet die gegenwärtige innenpolitische, wirtschaftliche und soziale Situation wenig Anlass zur Freude. Getrübt waren die Feierlichkeiten auch durch das schwere Grubenunglück in Donezk, bei dem wenige Tage zuvor über 50 Bergleute ums Leben kamen.

Die Mehrheit der Ukrainer würde wieder für die Unabhängigkeit votieren

Trotz einer erheblichen Minderung des Lebensstandards für den Großteil der Bevölkerung würden die meisten Ukrainer auch heute ihre Stimme für die Unabhängigkeit des Landes abgeben. Allerdings würde das Votum zehn Jahre nach dem Referendum von 1991, als sich über 90 Prozent der Bevölkerung für eine unabhängige Ukraine ausgesprochen haben, heute nicht mehr so überzeugend ausfallen.

Immerhin: zwei Drittel würden laut Umfragen des Zentrums für wirtschaftliche und politische Studien (Kiew) auch heute für die Souveränität stimmen. Kritische Stimmen sind aber unüberhörbar. Rund die Hälfte der Befragten sind der Meinung, dass die Ukraine in zehn Jahren immer noch nicht wirklich unabhängig geworden ist. Und für 15 Prozent der Bevölkerung bleibt der 24. August ein Tag, an dem "ein großer Staat", nämlich die Sowjetunion, zugrunde gegangen ist.

Die Meinungsumfragen, wenn auch nicht immer zuverlässig, belegen erneut die Spaltung der ukrainischen Gesellschaft. Obwohl der Aufbau eines unabhängigen Staates in den letzten Jahren - ohne ein klares staatstragendes Konzept - immer stärker bei den politischen und wirtschaftlichen Eliten zur politischen Dominante geworden ist, bleibt der Anteil derjenigen, die der "guten alten Sowjetzeit" nachtrauern, immer noch beträchtlich.

Erfolgen in der Außenpolitik stehen innenpolitische Wirren gegenüber

In seiner Rede zum 10. Jahrestag der Unabhängigkeit bezeichnete Präsident Kutschma die "unumkehrbare Festigung der staatlichen Souveränität" und das Ausbleiben gewalttätiger Konflikte in der ukrainischen Gesellschaft als größte Erfolge des vergangenen Jahrzehnts. In der Tat ist es im Lande - trotz nicht übersehbarer sozialer und ethnischer Spannungen (es sei insbesondere an den Krim-Konflikt in der ersten Hälfte der 90er Jahre hingewiesen, als die Halbinsel einen Versuch machte, sich von der Ukraine loszulösen) - hierüber niemals zu Blutvergießen gekommen.

Die im Lande unbestreitbar vorhandenen gesellschaftlichen Probleme: Verarmung breiter Bevölkerungsschichten einerseits, Bereicherung von alt-neuer Nomenklatura andererseits, die Aufteilung politisch-administrativer Macht zwischen den führenden Eliten, der ukrainisch-russische Sprachenkonflikt (um nur einige zu nennen) wurden nicht mittels konsequenter politischer und wirtschaftlicher Reformen behandelt, sondern eher durch politisches Lavieren und kurzfristige Kompromißfindung. Der Preis für eine solche Politik war hoch - sie führte zum Stillstand in vielen Bereichen des öffentlichen Lebens.

Als ausgewogen und erfolgreich wird generell die ukrainische Außenpolitik gesehen. Dabei wird mit Recht darauf hingewiesen, dass die Ukraine heute in aller Welt als souveräner Staat anerkannt wird und gute Beziehungen mit allen Nachbarstaaten unterhält. Auch für die vorsichtige Annäherung an den Westen und seine Sicherheitsstrukturen wurde Kiew bereits des öfteren gelobt. Lavieren war ohne Zweifel nötig - nicht nur des großen nördlichen Nachbarn Russland, sondern auch der innenpolitischen Konstellationen wegen. Doch die größten außenpolitischen Erfolge - zuletzt etwa die Freundschaftsverträge mit Moskau und Bukarest oder die Charta mit der Nato - liegen bereits einige Jahre zurück. Auch das erklärte "strategische" Ziel - langfristig Mitglied in der Europäischen Union zu werden - ist im Moment nicht mehr als Wunschdenken. Besonders in den letzten Jahren öffnete sich die Schere zwischen den artikulierten Zielen des Anschlusses an Europa und der innenpolitischen Realität immer weiter.

Spätestens seit Putins Amtsantritt in Russland und dem neuen "pragmatischen Kurs" der russischen Außenpolitik kann in Kiew - trotz anhaltender proeuropäischer Rhetorik - ein deutlicher Schwenk nach Osten registriert werden. Das erste klare Zeichen dafür war die Absetzung des Außenministers Tarasjuk im September 2000. Der wenige Wochen später ausgebrochene "Kassettenskandal" (nach der Veröffentlichung heimlich mitgeschnittener Gespräche im Amtszimmer des Präsidenten durch einen Sicherheitsbeamten wirft die Opposition dem Staatsoberhaupt vor, den Mord an einem regimekritischen Journalisten in Auftrag gegeben zu haben, in zahlreiche Korruptionsaffären verwickelt zu sein sowie unliebsame Medien unterdrücken zu wollen) spielte den Russen zusätzlich in die Hände.

Präsident Kutschma sah sich danach offenbar gezwungen, für eine Rückendeckung politische und wirtschaftliche Zugeständnisse an Moskau zu machen. So wurde bei einem Treffen von Kutschma und Putin in Dnipropetrowsk im Februar dieses Jahres eine verstärkte Zusammenarbeit im militärischen und Energiebereich vereinbart.

Doch auch seinen früheren prowestlichen Kurs möchte Kiew am liebsten fortsetzen - in der ukrainischen Diplomatensprache nennt man dies eine "multivektorale Politik". In diesem Sinne symptomatisch war die Anwesenheit von Kwasniewski und Putin bei den Feierlichkeiten zum 10. Jahrestag der Unabhängigkeit - Präsidenten zweier Nachbarländer, die zwar unterschiedliche Strategien gegenüber der Ukraine verfolgen, für die nächste Zukunft jedoch zu den wichtigsten Partnern von Kiew gehören werden.

Innenpolitisch konnten die nach wie vor schwachen und zersplitterten Parteien sowie das zerstrittene Parlament nicht verhindern, dass das Machtzentrum des Landes in den letzten Jahren mehr und mehr in Richtung Präsidialverwaltung verschoben wurde. Die Beeinflussung der Wahlen durch die staatliche Verwaltung auf allen Ebenen wurde insbesondere bei der Präsidentschaftswahl 1999 und beim Referendum über die Ausweitung der Präsidialbefugnisse deutlich. Diese beunruhigenden Tendenzen wurden im Westen mit wachsender Besorgnis wahrgenommen.

Die innenpolitische Situation, die im vergangenen Jahrzehnt durch den Konflikt zwischen Exekutive und Legislative gekennzeichnet war, spitzte sich nach dem als "Kutschma-Gate" bezeichneten Kassettenskandal weiter zu. Die im Februar vergangenen Jahres unter großen Schwierigkeiten zusammengeschmiedete Parlamentsmehrheit war im Laufe der innenpolitischen Krise wieder auseinandergefallen. Die Absetzung der Reformregierung von Ministerpräsident Juschtschenko im April dieses Jahres - ermöglicht durch das situationsbedingte Paktieren zwischen den Kommunisten und den sogenannten "Oligarchen-Fraktionen" - zeigte eine weitere Verhärtung der Fronten.

Parteien und Wahlblöcke zu Beginn des Wahlkampfs

In dieser Situation werden die für Ende März 2002 festgelegten Parlamentswahlen zweifellos eine schicksalstragende Bedeutung für die zukünftige Entwicklung der Ukraine haben. Dabei ist immer noch nicht absehbar, in welchem Verhältnis zwischen Parteilisten und Direktkandidaten die neue Werchowna Rada gewählt werden wird. Das vom Parlament am 7.06.2001 verabschiedete neue Wahlgesetz sieht vor, dass zukünftig drei Viertel der Abgeordneten nach Parteilisten und nur noch 25% nach dem Mehrheitsprinzip direkt gewählt werden.

Präsident Kutschma, der sich mehrmals für die Beibehaltung des bisherigen Verhältnisses 50:50 ausgesprochen hatte, legte jedoch erneut sein Veto gegen das Gesetz ein, das die Werchowna Rada nach der Sommerpause nur mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit überstimmen könnte.

Obwohl der offizielle Wahlkampf erst sechs Monate vor dem Wahltermin beginnt, sind bereits heute die Wahlvorbereitungen im vollen Gange. Noch sind die möglichen Wahlblöcke nicht endgültig formiert; aus heutiger Sicht lassen sich jedoch bereits mindestens vier große politische Gruppierungen ausmachen. Dabei sollte berücksichtigt werden, dass mit Ausnahme der Nationaldemokraten die anderen Wahlblöcke weniger auf programmatischer Basis gebildet werden, sondern eher auf situationsbedingten Koalitionen basieren.

  1. Die Kommunisten. Wie bereits bei früheren Wahlen werden die Kommunisten wohl allein antreten. Sie verfügen über eine ziemlich kompakte Anhängerschaft, in erster Linie unter den älteren Bevölkerungsschichten und in den industrialisierten, von ethnischen Russen dominierten östlichen und südlichen Regionen. Das Wahlpotential der Kommunisten blieb über die Jahre mehr oder weniger konstant und wird laut verschiedener Umfragen auf 20 bis 25% der Stimmen geschätzt.
  2. Nationaldemokraten und reformorientierte Parteien. Hierzu können in erster Linie die beiden Rukh-Parteien, die Partei "Reformen und Ordnung" und der Kongress Ukrainischer Nationalisten gezählt werden. Der Block ist noch offen für weitere Gruppierungen; doch die wirkliche Hoffnung der Reformer ist mit der Popularität des Ex-Premiers Viktor Juschtschenko verbunden. Juschtschenko, der die Bildung einer breiten Wahlkoalition unter dem Namen ´Unsere Ukraine´ angekündigt hat, zögerte bisher jedoch, weitere Koalitionspartner zu nennen. Politische Beobachter weisen darauf hin, dass es für Juschtschenko, den immer noch ca. 30% der Bevölkerung unterstützen und dessen Rating damit weit vor allen anderen Politikern liegt, zu unsicher wäre, auf die dünne Basis der Nationaldemokraten zu setzen. Damit allein würde er nur geringe Chancen im Osten und im Süden des Landes haben.

    Deswegen erwartet man, dass der Ex-Premier nach weiteren Verbündeten Ausschau halten wird. Auch Gespräche mit den Parteien, deren Vertreter zu den schärfsten Kutschma-Gegnern gehören und im ´Forum der Nationalen Rettung´ sitzen - etwa mit "Batkiwschina" (Vaterland) um Julia Timoschenko - werden nicht ausgeschlossen. Insgesamt aber könnte der bisher noch "virtuelle" Juschtschenko-Block bis zu 25 Prozent der Wählerstimmen erreichen - in erster Linie dank anhaltend hoher Popularitätswerte des ehemaligen Regierungschefs.

  3. Der Block Partei der Regionen (PdR) - Werktätige Ukraine (WU) - Demokratische Volkspartei (NDP). Dieser mit dem Akronym Tundra bezeichnete Block, zu dem politische Schwergewichte wie der Chef der Steuerbehörde Mykola Asarow (PdR), der Ex-Vizepremier Serhij Tigipko (WU) oder der heutige Verkehrsminister und Ex-Premier Walerij Pustowojtenko (NDP) gehören, könnte nach Umfragen ebenso mit 20% Stimmen rechnen. In seiner Wahlkampfstrategie wird sich der Block sowohl auf seine finanzstarken Führungskräfte als auch auf die Einflussnahme auf regionale Verwaltungen stützen können. Manche Mitglieder der teils "oligarchennahen" Parteien - etwa Viktor Pintschuk (WU) oder Walerij Pustowojtenko - stehen Präsident Kutschma besonders nahe.
  4. Sozialdemokratische Partei (vereinigte). Die - neben der Demokratischen Union von Alexander Wolkow - als Oligarchen-Partei schlechthin bezeichnete Partei wird möglicherweise mit ihrer kleineren Schwester - der Partei "Jabluko" - paktieren. Ohne weitere Verbündete kann sie jedoch in dieser Konstellation kaum mit mehr als 10 bis 12% der Wählerstimmen rechnen.
Die Perspektiven anderer Parteien bleiben im Moment noch unklar. Außerhalb eines Wahlblocks können wohl nur die Agrarpartei des Lemberger Gouverneurs Mychajlo Hladij (mit wohlwollender Unterstützung des Präsidialamtes), die Sozialistische Partei von Alexander Moros und möglicherweise "Batkiwschina" von Julia Timoschenko die Vier-Prozent-Hürde überwinden. Ob eine breitere Koalition auf der Basis des oppositionellen "Forums der Nationalen Rettung" zustande kommt, ist heute ebenfalls nicht abzusehen. Fest steht jedoch nach Meinung fast aller Beobachter, dass der bevorstehende Wahlkampf durch besondere Härte - verbunden mit Verleumdungskampagnen in den Medien - in die Geschichte eingehen wird.

Wirtschaftswachstum bei ungelösten Strukturproblemen

Neun lange Jahre ging es mit der ukrainischen Wirtschaft bergab. Das offizielle BIP im Jahre 1999 betrug lediglich 40,8 Prozent des Niveaus von 1990 - des letzten Jahres der Sowjetunion. Laut Angaben des Amtes für Statistik ist die Industrieproduktion in demselben Zeitraum um 48,9%, die Landwirtschaft sogar um 51,5% zurückgegangen. Hierbei ist jedoch die Schattenwirtschaft (geschätzt auf 50% des Wirtschaftsvolumens) nicht berücksichtigt.

Erst im vergangenen Jahr ist es erstmals gelungen, Wachstumseffekte zu erzielen - es wurde ein BIP-Wachstum von sechs Prozent verzeichnet. Der positive Trend setzte sich im ersten Halbjahr 2001 fort - das Bruttoinlandsprodukt hat um 9,1 Prozent zugenommen, die Industrieproduktion lag sogar 18 Prozent höher als im Vorjahreszeitraum. Die Grundlage für wirtschaftliche Stabilisierung und allmähliches Wachstum wurde durch die Wirtschaftspolitik der Juschtschenko-Regierung mit der Liberalisierung der Märkte, dem Abbau von Subventionen, einem breitangelegten Privatisierungsprogramm, konsequenter Bekämpfung der Bartergeschäfte und strikter Haushaltspolitik geschaffen.

Dennoch bleibt die ukrainische Wirtschaft von einer modernen Marktwirtschaft noch weit entfernt. Viele Reformvorhaben der Regierung Juschtschenko sind Stückwerk geblieben - wie etwa die Reform des Energiesektors, die unter seinem Nachfolger wieder auf Eis gelegt wurde. Die zunächst transparenten Privatisierungsverfahren wurden später nicht selten durch Druck der Regionalverwaltungen auf den Staatsvermögensfonds verzögert. Weiterhin lastet die schwere Hand der Beamten auf dem marktwirtschaftlichen Wettbewerb. Somit ist es um eine funktionsfähige Marktwirtschaft auch bei einem ca. 75-% Anteil der Privatunternehmen am BIP weiterhin schlecht bestellt. Denn immer noch können Beamte Aufträge erteilen oder zumindest beeinflussen, Tarife festlegen, Lizenzen vergeben, Kontrollen durchführen sowie Vergünstigungen zuteilen oder streichen und somit über den Erfolg des einzelnen Marktteilnehmers entscheiden.

Kein Wunder, dass westliches Kapital unter diesen Bedingungen die Ukraine eher meidet. Die kumulierten ausländischen Direktinvestitionen fallen mit 4,1 Mrd. US-Dollar in einem Zeitraum von zehn Jahren und knapp über 80 Dollar pro Einwohner mehr als bescheiden aus. Russische Unternehmen zeigen in der letzten Zeit hingegen verstärktes Interesse an der ukrainischen Wirtschaft. Mittlerweile werden bereits einige Branchen wie beispielsweise die Erdölverarbeitung vom russischen Kapital beherrscht. Und die Liste der von Russen kontrollierten ukrainischen Unternehmen wird immer länger. Das Interesse der russischen Investoren gilt in erster Linie den Betrieben aus traditionell wichtigen Branchen wie Metallurgie, Chemie, Energieversorgung aber auch den Medien. Offenkundig fühlen sich die russischen Investoren bei de n undurchsichtigen Marktbedingungen recht wohl - schließlich kennen sie diese Situation nur zu gut aus ihrem eigenen Land.

Nachdem der neue Premier Anatolij Kinach seine ersten hundert Tage im Amt absolviert hat, scheinen sich die ersten Prognosen zu bestätigen: er wird wohl über die Rolle eines Übergangspremiers nicht hinauswachsen. Die Wirtschaft wächst zwar weiter, die Landwirtschaft kann sich über eine seit Jahren nicht mehr gesehene Ernte freuen. Doch mit der Wirtschaftspolitik der Regierung hat all dies wenig zu tun. Es sind im Moment weder neue Ansätze noch ein Gesamtkonzept zu erkennen, dafür wurden die Reformen im Energiesektor gestoppt und teilweise zurückgenommen.

Zum Wahlkampf erklärte Kinach, dass er und seine Regierung politische Neutralität wahren und keine Gruppierung begünstigen werde.

Zivilgesellschaft noch am Anfang

Trotz der offiziellen Rhetorik über erforderliche Demokratisierung ist die Ukraine in der letzten Zeit immer wieder in das Kreuzfeuer der internationalen Kritik geraten. Der Grund dafür waren zahlreiche Verletzungen der Menschenrechte und Verstöße gegen die Medienfreiheit. Zu den Kritikpunkten des Europarates gehörten in den letzten Jahren nicht nur das Weiterbestehen der Todesstrafe, die erst im Februar 2000 durch das Parlament endgültig abgeschafft wurde, sondern auch das umstrittene Referendum, das Präsident Kutschma zu Lasten des Parlaments mehr Macht einräumen sollte sowie die schleppende Justizreform. Moniert wurde zudem die mehrmals aufgeschobene Verabschiedung des Parteiengesetzes (das neue Parteiengesetz trat erst im April d. J. in Kraft) und der Konvention zum Schutz der Minderheitensprachen.

Doch insbesondere die Ermordung des regimekritischen Internet-Journalisten Georgij Gongadse im Herbst vergangenen Jahres hat die internationale Gemeinschaft aufgeschreckt. Für eine besondere Brisanz sorgten die vom ehemaligen Parlamentspräsidenten und Sozialistenchef Alexander Moros wenige Wochen später veröffentlichten Tonbänder, deren Inhalt auf Präsident Kutschma als Auftraggeber des Mordes hindeuteten. Präsidialverwaltung und Generalstaatsanwaltschaft wiesen jedoch alle Verdächtigungen als Manipulationen zurück. Mehrere Appelle verschiedener internationaler Organisationen, eine umfassende Ermittlung zu gewährleisten, blieben ungehört. Weder die Auftraggeber noch die Mörder von Gongadse konnten bisher ermittelt werden.

Ein weiterer Journalistenmord wurde am 7. Juli gemeldet - der Direktor des Fernsehsenders TOR (Region Donezk) Igor Alexandrow erlag seinen Verletzungen, nachdem er wenige Tage zuvor von Unbekannten zusammengeschlagen wurde. Er hatte kritisch über Korruption und organisierte Kriminalität berichtet. Die Organisation "Reporter ohne Grenzen" wandte sich danach an Ministerpräsident Kinach mit dem Appell, alles zu tun, um einer in Europa beispiellosen Gewaltanwendung gegenüber Journalisten ein Ende zu setzen.

Auf kritische Journalisten lauern noch weitere Gefahren. Die Möglichkeiten des Staates, auf unbotmäßige Medien Druck auszuüben - etwa durch ständige Steuerinspektionen oder Verweigerung, Zeitungen in einer staatlichen Druckerei zu drucken - bleiben groß. Auch Klagen wegen Verleumdung können die wirtschaftliche Existenz von Zeitungen aufs Spiel setzen - sie werden nämlich nicht selten in Millionenhöhe angesetzt.

Die Justiz trägt noch schwer an ihrem sowjetischen Erbe. Zwar ist das neue Strafgesetzbuch am 1. Juni dieses Jahres in Kraft getreten, in dem die Todesstrafe durch lebenslängliche Haft ersetzt wurde. Die Verabschiedung des Bürgerlichen Gesetzbuches und der Strafprozessordnung steht allerdings immer noch aus. Die sogenannte "kleine Gerichtsreform" - als Notlösung konzipiert - konnte die Probleme der Gerichte nicht lösen. Dennoch zeigen einige ukrainische Richter - unerwartet - ein größeres Maß von Unabhängigkeit und haben in spektakulären Fällen - z.B. mit der Freilassung von Julia Timoschenko - gegen den Druck der allmächtigen Staatsanwaltschaft entschieden.

Um weitere Fortschritte beim Aufbau des Rechtsstaats und einer Zivilgesellschaft zu erzielen, muss die Ukraine noch viele Hausaufgaben erledigen. Dass grundlegende politische und wirtschaftliche Reformen sieben Monate vor der Parlamentswahl durchgesetzt werden können, ist kaum zu erwarten. Somit werden erst die Wahlen für die Werchowna Rada, deren Ausgang aus heutiger Sicht noch völlig offen ist, ein Test dafür sein, ob Kiew die europäischen Werte, zu denen es sich wortreich bekennt, zur Grundlage des gesellschaftlichen Lebens im Lande machen wird.

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Gabriele Baumann

Gabriele Baumann

Leiterin des Projekts Nordische Länder

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