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"Nicht allein beten"

kohta Sonja Haase

Literatursymposium der Adenauer-Stiftung über Religion und Gewalt am 7.11.2003 in Berlin

Das Verhältnis zwischen Religion und Gewalt ist ein ebenso bedrängendes wie aktuelles Problem unserer Zeit. Die Frage, ob der islamische Fundamentalismus für den 11. September 2001 eine moti-vierende Rolle gespielt hat, Schlagworte wie das vom „Kreuzzug gegen den Terrorismus“ und der vielbeschworene „Kampf der Kulturen“ weisen auf die komplexen Zusammenhänge von Religion, Gewalt und Politik hin, die auch von Literatur und Theater in vielfältiger Weise aufgegriffen werden. Vor diesem Hintergrund fand das achte Literarische Symposium der Konrad-Adenauer-Stiftung in Berlin statt, zu dem Literaturwissenschaftler, Politiker, Theologen und Autoren eingeladen waren.

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In seiner Einführung sprach der Vizepräsident des Bundestages und stellvertretende Vorsitzende der Konrad-Adenauer-Stiftung, Norbert Lammert, mit Blick auf den 11. September von einer (un)heimlichen Verbindung von Politik und Religion. Die Welt stehe seit den Terroranschlägen einer neuen Unmittelbarkeit der Gewalt gegenüber. „Man kennt die Opfer erst, wenn sie Opfer geworden sind,“ sagte Lammert. Gewalt an sich sei hingegen auch in der Religion nicht neu. Schon mit der Ermordung Abels durch Kain sei sie in die Menschheitsgeschichte eingetreten. Andererseits, so Lammert, sei Religion aber nicht nur negativ mit Gewalt verknüpft, sondern, wie auch Politik, ein Versuch der Domestizierung der Gewalt durch Sinngebung, durch Vermittlung zeitlos bindender Werte, Strukturen und Institutionen. Mit der daraus resultierenden Definition von Wahrheitsansprüchen vollbringe Religion eine integrierende und eine desintegrierende Leistung, da Wahrheit keine Mehrheitsentscheidungen zulasse.

Mit Politik, Religion, Literatur, Gewalt waren die zentralen Begriffe des Symposiums genannt, die, wie Moderator Günther Rüther hervorhob, in die Zielvorstellung des Friedens mündeten.

Der Genfer Theologe Albert de Pury unterstrich in seinem Einführungsvortrag die Notwendigkeit der Selbstanalyse und -kritik der drei großen Religionen: Judentum, Christentum und Islam. Im Westen richte sich die Frage, in wie weit Religion Gewalt entfesselt und entfesseln kann, derzeit nur an den Islam. Probleme, sagte de Pury, kämen in Kulturen auf, in denen Religion gesellschaftliche Autorität ist. Dort würde Gott Legitimator und Träger von Gewalt, und Kriege könnten als von Gott geführte „Heilige Kriege“ angesehen werden.

Als Legitimationsgrundlage für Gewalt im Namen Gottes werden und wurden in allen monotheistischen Religionen die kanonischen Texte genutzt. So lasse sich zum Beispiel der Märtyrergedanke mit seiner Disposition zur Selbstanwendung von Gewalt durch alle Religionen und Zeitalter zurück verfolgen, sagte de Pury. In bezug auf den Koran verwies er darauf, dass es sich bei dem Islam von Anfang an auch um ein Gesellschaftsprojekt mit staatlichem Autoritätsanspruch handle. In vielen Teilen der Erde habe sich zwar eine versöhnlichere Weltsicht breit gemacht, so de Pury, doch eine wörtliche Leseweise sei weiterhin möglich.

Heute sei es zunächst notwendig, sagte de Pury, dass man die Texte nicht ignoriere, sonst gewinne die der Gewalt zugeneigte Seite einen Argumentationsvorsprung. Da man die Texte nicht verändern kann, müsse man mit ihnen ringen und sie uminterpretieren, etwa im Sinne ihrer historisch-kritischen Erfassung. Keine Weltreligion dürfe sich heute mehr der Verantwortung entziehen, Traditionen weiterzudenken, denn genau dieses Vorgehen werde von den Fundamentalisten verneint. Angesichts eigener Iran-Aufenthalte und bibelkritischer Gespräche mit jungen Iranern empfahl de Pury, vor allem junge Menschen an die Kritik an religiösen Texten heranzuführen.

Anschließend ließ Hans-Rüdiger Schwab, Professor für Ästhetik und Kommunikation an der katholischen Fachhochschule Nordrhein-Westfalen, „Fünf kurze Kapitel über Religion und Gewalt in der (Welt)Literatur der Gegenwart“ Revue passieren. Die Frage, ob Monotheismus die Ursache von Gewalt sei, fand Schwab in Allan Ginsbergs Schlacht zwischen Jahwe und Allah (1974) positiv beantwortet, da Gewalt hier zu Gewalt führe, indem alle darum kämpften, dass ihr Gott als der einzig wahre anerkannt werde. Interessanterweise werde der Buddhismus, der nicht monotheistisch sei, in der Diskussion nicht erwähnt, weil keine Gewaltanwendung im Namen des Buddhismus bekannt ist. Wie sich in Elias Canettis Studien zu Masse und Macht (1960) zeige, zähme Religion einerseits exklusive Massenbedürfnisse durch Riten und Gottesbilder, um eine Verbindung zur Macht herzustellen. Andererseits werde Gott so zur Selbstinszenierung des Machtgedankens. In Christian Friedrich Delius‘ Erzählung Der Sonntag an dem ich Weltmeister wurde (1994), die Schwab als Beispiel für „Psychoterror und Selbstunterwerfung“ besprach, wird Gott in den Augen des jugendlichen Erzählers zu einem absolutistischen Willkürbild, dem er sich zu entziehen versucht. Schließlich wird die Fußballweltmeisterschaft 1954 zum Sinnbild des Sieges über einen scheinbar unbesiegbaren Gegner. In Christian Krachts Kultbuch 1979 (2001) werde die Faszination aggressiver religiöser Selbstkasteiung auf die liberal erzogenen Jugendlichen der späten neunziger Jahre sichtbar.

Sodann betrachtete Schwab das Verhältnis von Religion und Politik im Spiegel der Anthologie Tohuwabohu. Heiliges und Profanes, gelesen und wiedergelesen von Arnold Stadler nach dem 11. September 2001 (2002) und Norman Mailers aktuellem Werk Heiliger Krieg. Amerikas Kreuzzug (2003). Stadler mache deutlich, dass der biblische Deutungshorizont von Gewalt nur gewählt werde, um etwas Unbegreifliches wie den 11. September begreifbar zu machen. Mailer hebe hervor, dass die Religionen ihre Fundamente verloren hätten und alle organisierten Religionen als Zerrbild ihrer selbst endeten.

In der anschließenden Diskussion unterstrich de Pury noch einmal, dass nicht immer die bekanntesten Texte das Wichtigste enthielten. Wenn man den biblischen Kanon als einen Literaturkanon betrachte, in dem die religiöse Gemeinschaft eine literarische Heimat finden kann, sei er nicht gleich Gottes Werk und somit keine Doktrin, die Gewalt herausfordern kann. Verständnis und Verständigung würden gewinnen, wenn Angehörige aller drei Religionen die kanonischen Texte der anderen lesen würden. Auch Schwab betonte, dass man die andere Religion erst verstehen müsse, um ihr Verhältnis zur eigenen Religion und zur Gewalt diskutieren zu können.

Der zweite Teil des Symposiums wurde durch einen Vortrag des Münchner Theaterwissenschaftlers Hans-Peter Bayerdörfer über „Szenen der Gewalt auf dem Theater der Gegenwart“ eingeleitet. Lange Zeit sei es unüblich gewesen, Gewaltakte jeglicher Art im Theater zu zeigen, sagte er. Edward Bonds sozialutopischen Impulsen und Artauds Konzept eines „grausamen Theaters“ folgend, sei man aber dazu übergegangen, zunächst Gewaltschilderungen und dann auch Gewaltakte und schließlich auch Tote zu inszenieren, um zu zeigen, wie Menschen Gewalt erfahren und internalisieren.

An Bayerdörfers Vortrag schloss sich eine lebhafte Diskussion mit dem Publikum an, vor allem im Blick auf die Medienwirkung von Gewaltdarstellungen auf junge Zuschauer. Bayerdörfer widersprach der These, die Darstellung von Gewalt auf der Bühne könne Jugendliche zu Gewalt im Alltag anstiften. Theater sei eine Möglichkeit, Menschen direkt mit Problemen zu konfrontieren, wie es kein anderes Medium könne. Einigkeit herrschte zudem darüber, dass Eltern eine entscheidende Rolle bei dem Prozess der kindlichen Gewaltwahrnehmung spielen.

In der Frage, wie weit Theater bei der Interpretation von Stücken gehen dürfe, gab es Dissens. Angesichts von Vorwürfen, Gewalt würde kontextlos in alte Stücke eingefügt, verwahrte sich Bayerdörfer dagegen, den Inszenierenden einen „Maulkorb“ umzubinden; Aufgabe des Theaters sei es, zu produzieren und zu provozieren, aber nicht zu reproduzieren. Jedes literarische Werk sei ein Diskursangebot, und die eine Interpretation könne es nicht geben.

Von literarischer Seite aus näherte sich Josef Winkler dem Thema Religion und Gewalt. Der 1953 in Kärnten geborene Autor wuchs, wie Birgit Lermen, Professorin für Neuere Deutsche Literatur an der Universität Köln einführend erläuterte, als Außenseiter in einem stark durch Religion und Tradition geprägten Kärntner Bergbauerndorf auf. Seine Romane Friedhof der bitteren Orangen (1990) und Wenn es soweit ist 1998), aus denen er Auszüge las, sind, so Lermen, ein „autobiografisch motivierter Existenzschrei“.

Bei der abschließenden Podiumsdiskussion, die von Hans-Rüdiger Schwab moderiert wurde, diskutierten Michael Albus, ZDF-Journalist und Theologieprofessor an der Universität Freiburg, der Autor Durs Grünbein, Christine Lieberknecht, Theologin und Präsidentin des Thüringischen Landtages und Hans Dieter Zimmermann, Professor für Literaturwissenschaft an der Technischen Universität Berlin.

Lieberknecht wandte sich gegen die pauschale These, Religion erzeuge Gewalt, und fragte, inwieweit inakzeptable Unterschiede in Lebensverhältnissen, in denen Menschen einander Gewalt zufügten, dabei eine wichtige Rolle spielten. Gewalt im Namen von Religion sei grundsätzlich abzulehnen. Es gebe Möglichkeiten, dagegen zu agieren, etwa die Mittel der Aufklärung über religiöse Überlieferungen und die Einbettung einzelner Zitate aus der Bibel bzw. dem Koran in den historischen und zeitgeschichtlichen Kontext durch die Exegese, sagte Lieberknecht. Auf diesem Wege könne es eine „wissende Versöhnung“ der Religionen geben.

Michael Albus sah die Grenze der Aufklärung beim Gläubigen selbst. Im letzten bleibe Religion eine Kraft, die im Menschen gegeben sei; und irgendwann scheitere jede Aufklärung an diesem Felsen. Die „Doppelschichtigkeit“ (de Pury) von Religion und auch Gewalt gehörten konstitutiv zum Menschsein, sagte Albus. Mit dem 11. September hätten sich die zwei Gesichter von Religion einmal mehr gezeigt. Die Aussage, die Anschläge seien die Tat von Fanatikern und Fundamentalisten gewesen, sei eine „Verharmlosung des Zusammenhangs mit Religion“. Albus sagte, es sei notwendig, dass sich Anhänger aller Religionen aktiv der Geschichte der Gewalt in ihrer Religion stellen: „Wenn ich glaube, dass Gott Erde und Mensch geschaffen hat, könnte der Ursprung der Gewalt in Gott selber liegen,“ sagte er. Ohne den Frieden innerhalb der Religionen und untereinander könne es keinen Weltfrieden geben.

Hans Dieter Zimmermann sagte, er sehe im Neuen Testament keine Anzeichen für Gewaltanwendung, die von Gläubigen eingefordert werde. Angesichts der religionslosen, von atheistischen, anti-religiösen Bewegungen getragenen und gegen christlich-jüdische Traditionen gerichteten Gewalt seit der Französischen Revolution in Europa sollten die Europäer heute jedoch „nicht hochmütig“ gegenüber anderen Länder sein. Aus dem Rest der Welt komme, verglichen mit dieser europäischen Gewaltgeschichte, wenig Grausamkeit. Gewalt sei jedoch oft politisch und sozial motiviert; nur die Rechtfertigung werde in der Religion gesucht.

Durs Grünbein unterstrich, dass zu jeder Religion ein Gründungsgewaltakt und eine starke kriegerische Metaphorik gehörten. So sei es den Propheten, die es in allen Religionen gebe, gelungen, ihre Botschaft schließlich mit Hilfe der Androhung von Gewalt durchzusetzen. Das große Problem des Islam sah Grünbein darin, dass diese Religion in den Reformprozess noch gar nicht eingetreten und damit gegenüber Juden- und Christentum noch weit zurückgeblieben sei.

Einigkeit herrschte in der Diskussion darüber, dass Vertreter aller Religionen ihren Dialog intensivieren und sich deshalb noch stärker mit gegenseitigem Wissen und der Bereitschaft zur Selbstkritik ausstatten müssen. Zu diesem Dialog kann auch die Literatur einen erheblichen Beitrag leisten – im Sinne von Martin Buber, der abschließend von Günther Rüther zitiert wurde: „Ich habe keine Lehre, ich suche das Gespräch“.

Sonja Haase studiert Nordamerikastudien, Politik und Publizistik an der Freien Uni-versität Berlin u. ist Stipendiatin der Journalistischen Nachwuchsförderung der KAS.

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Kontaktisikud

Prof. Dr. Michael Braun

Prof. Dr

Referent Literatur

michael.braun@kas.de +49 30 26996-2544

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