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Steuerklassen durch Faktorverfahren ersetzen

Beschäftigung stärken durch Transparenz bei den Lohnsteuerabschlägen.

Die Steuerklassen bei gemeinsam veranlagten Verheirateten bzw. Lebensgemeinschaften (Steuerklassen III und V) und bei zwei Tätigkeiten (Steuerklasse VI) werden abgeschafft. Stattdessen kommt das Faktor-verfahren zur Anwendung, das aufgrund der beiden tatsächlichen Einkommen die zu erwartende Steuerlast konkret bestimmt und entsprechend auf beide Einkommen anteilig anwendet. Damit wird die tatsächliche Steuerlast nicht erst mit der Einkommenssteuererklärung sichtbar, sondern bereits jeden Monat bei der Gehaltsauszahlung. Die Steuerbelastung wird transparent und Barrieren für zusätzliche Beschäftigung durch die falschen Signale der Steuerklassen entfallen.

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Transparente Abschläge auf die Lohnsteuer statt Steuerklassen

Die monatlichen Abschläge auf die Lohnsteuer (der monatliche Lohnsteuerabzug) müssen transparent sein. Nur so wird den Beschäftigten deutlich, welches tatsächliche Nettoeinkommen sie mit ihrer Arbeit erzielen. Die Besteuerung von Zweitbeschäftigungen mit der Lohnsteuerklasse VI und die Besteuerung des geringeren Einkommens beim Ehegattensplitting mit der Steuerklasse V erwecken den Eindruck, diese Tätigkeiten unterliegen einer besonders hohen Steuer. Damit verringert sich die Bereitschaft zu solchen Beschäftigungsverhältnissen.

Dieser Eindruck ist falsch. Die tatsächliche Besteuerung ergibt sich aus dem Jahreseinkommen. Das gilt für eine Person mit zwei Beschäftigungen und es gilt gleichermaßen für gemeinsam Veranlagte beim Ehegattensplitting. Für das Jahreseinkommen in der Gesamtheit berechnet sich ein einheitlicher Steuertarif.

Die Lohnsteuerklassen sind für die tatsächliche Besteuerung nicht relevant. Sie sind allein maßgeblich für den monatlichen Lohnsteuerabzug, also die Abschlagszahlungen. Mit der jährlichen Einkommenssteuererklärung werden dann Abweichungen zwischen den Abschlagszahlungen und der tatsächlichen Steuerlast ausgeglichen. Bei Zweitbeschäftigungen, die der Steuerklasse VI unterliegen, führt dies zu erheblichen Erstattungen. Beim Ehegattensplitting wurde die gemeinsam abzuführende Einkommensteuer auf sehr ungleiche Abschlagszahlungen verteilt.

Es entsteht ein falscher Eindruck der Besteuerung von Tätigkeiten, die in der jährlichen Einkommensteuererklärung demselben Steuertarif unterliegen. Die Lohnsteuerklassen suggerieren eine unterschiedliche Besteuerung. Die tatsächliche Besteuerung und das tatsächliche individuelle Nettoeinkommen werden erst mit großer zeitlicher Verzögerung nach der Einkommensteuererklärung deutlich. Die Zusammenhänge zwischen den Abschlagszahlungen und der Erstattung sind vermutlich nicht sehr geläufig. So werden Entscheidungen über die Aufnahme einer Beschäftigung eines Ehepartners bzw. einer Ehepartnerin oder über die Aufnahme einer Zweitbeschäftigung unter falschen Annahmen getroffen. Der falsche Eindruck der Besteuerung durch Lohnsteuerklassen dürfte nicht selten Menschen davon abhalten, eine Tätigkeit aufzunehmen, was angesichts des Fachkräftemangels zu vermeiden ist.

Das Problem dieses falschen Eindrucks einer hohen Besteuerung des zweiten Einkommens bei gemeinsam Veranlagten oder einer Zweitbeschäftigung lässt sich vermeiden, indem die Steuerklassen abgeschafft und durch das Faktorverfahren ersetzt werden. Das Faktorverfahren kommt bereits jetzt auf Antrag bei der Besteuerung von gemeinsam veranlagten Gemeinschaften (Ehen und eingetragenen Lebensgemeinschaften) zur Anwendung. Dabei wird die zu erwartende Einkommenssteuer aufgrund der tatsächlichen Einkünfte relativ genau berechnet und beide Einkommen werden bei dem monatlichen Lohnsteuerabzug mit diesem Steuersatz belastet.1 Auf diese Weise ist die tatsächliche Besteuerung bereits bei der monatlichen Auszahlung durch den Arbeitgeber sichtbar. Zukünftig sollte das Faktorverfahren grundsätzlich auf gemeinsam veranlagte Personen und bei Zweitbeschäftigungen angewendet werden. Die Steuerklassen entfallen als Instrument, die Einkommensteuerabschläge zu berechnen.2

 

Hinweise auf eine Beschäftigungsbarriere durch die Steuerklassen

Es lässt sich nicht unmittelbar nachweisen, dass die Steuerklassen Menschen davon abhalten, eine Beschäftigung oder Zweitbeschäftigung aufzunehmen. Allerdings gibt es eine Reihe von Hinweisen dafür.

Zweitbeschäftigungen haben über einen längeren Zeitraum deutlich zugenommen. 1993 hatten 1,7 Prozent der Erwerbstätigen eine Zweitbeschäftigung. Dieser Anteil ist bis 2018 auf 5,3 Prozent gestiegen, aber im Zusammenhang mit der Covid-Pandemie auf 4,5 Prozent wieder leicht zurückgegangen. Etwa ein Viertel dieser Beschäftigungen sind selbstständig, die übrigen sind in einem Angestelltenverhältnis.3

Bei den unterschiedlichen Steuersätzen für Eheleute (Steuerklasse III und V) wird davon ausgegangen, dass die weniger Verdienenden (häufig Frauen) durch die Steuerklasse V mit höheren monatlichen Lohnsteuerabzügen sich aufgrund dieser Abzüge gegen eine umfangreichere Beschäftigung entscheiden. So argumentiert beispielsweise ein Papier des Bundesministeriums für Umwelt und Klimaschutz.4 Ebenso argumentiert das Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium der Finanzen: „Der Zweitverdiener hat demgegenüber [im Vergleich zum Erstverdiener] einen deutlich höheren Abzug auf dem Lohnzettel. Es ist daher davon auszugehen, dass die steuerlichen Implikationen des Splittingverfahrens so hervorstechend („salient“) sind, dass die Steuerzahler den Unterschied in der Belastung sehr wohl wahrnehmen und entsprechend stark reagieren.“5 Dieser Effekt wird als ein Einfluss auf die sehr stark unterschiedliche Erwerbsbeteiligung von Frauen und Männern angesehen. Diese Art von Wahrnehmungseffekt müsste auch für die Besteuerung von Zweitbeschäftigungen gelten.

Ein weiterer Hinweis ist der Anteil von Zweitbeschäftigungen, die sich mit einem Minijob für einen sehr geringen Lohnsteuerabzug entscheiden. Der überwiegende Teil der Zweitbeschäftigungen sind geringfügig entlohnte Beschäftigungsverhältnisse.6 Roschan, Schäfer und Schmidt ermitteln auf Basis des Sozioökonomischen Panels einen Anteil von 79 Prozent der abhängig Beschäftigten mit einer Zweitbeschäftigung, die einen Minijob ausüben.7 Gleichzeitig handelt es sich um eine Gruppe mit vergleichsweise niedrigem Einkommen und immerhin 29 Prozent der Personen mit einer Zweitbeschäftigung würden gern mehr arbeiten. Dieser Anteil liegt deutlich höher als bei Personen mit nur einer Beschäftigung (ebenda). So scheint in der Gruppe der Bedarf nach einer Ausweitung der Beschäftigung zu bestehen. Ob die Ausgestaltung der Besteuerung ein wesentlicher Einfluss ist, der Menschen von der Ausweitung ihrer Zweitbeschäftigung abhält, lässt sich mit den vorliegenden Daten nicht klären, wäre aber sehr plausibel.

 

Klar kommunizieren, Wohlstand und Gerechtigkeit stärken

Der monatliche Lohnsteuerabzug ist mehr als eine Abschlagszahlung auf die Einkommensteuer. Mit dem monatlichen Lohnabzug kommuniziert der Staat, welche Lohnsteuer er von dem Bruttogehalt abziehen will. Die Menschen machen auch von dieser Information abhängig, in welcher Weise und welchem Umfang sie arbeiten. Umso wichtiger ist es, an dieser Stelle möglichst präzise die Menschen über die zu erwartenden Abzüge zu informieren. Der monatliche Lohnabzug bei gemeinsam Veranlagten mit der Steuerklasse V und bei Zweitbeschäftigungen mit der Steuerklasse VI wird diesem Anspruch nicht gerecht.

Dieser verbreitete falsche Eindruck hat Effekte. Menschen, die im Grunde gerne arbeiten und mehr Einkommen erzielen würden, sehen davon ab, weil sie glauben, ihnen würde vom Bruttoeinkommen kaum etwas bleiben. Dieser Fehlwahrnehmung entgegenzutreten, dient die Abschaffung der Steuerklassen. Angesichts eines Mangels an Fachkräften ist es ein erhebliches Problem, Menschen durch einen zu hohen monatlichen Lohnabzug von der Aufnahme oder Ausweitung einer Beschäftigung abzuhalten. Im Sinne einer Stärkung des gesellschaftlichen und individuellen Wohlstands ist die Abschaffung der Steuerklassen und die Überführung des Einkommensteuerabzugs in das Faktorverfahren sinnvoll. In Hinblick auf die wahrgenommene Gerechtigkeit bei der Besteuerung ungleich hoher Einkommen ist es eine einfache und gebotene Maßnahme.

 

1 Die Erklärung von Sondertatbeständen in der jährlichen Einkommensteuererklärung bleibt davon unberührt.

2 Es gab bereits den Vorschlag, die Steuerklassen III und V in das Faktorverfahren zu überführen. Siehe Bundestagsdrucksache BT-Drucksache 20/12778, https://dip.bundestag.de/vorgang/gesetz-zur-fortentwicklung-des-steuerrechts-und-zur-anpassung-des-einkommensteuertarifs/314887 (zuletzt abgerufen 24.04.2025). Die ebenso wichtige Überführung der Steuerklasse VI in das Faktorverfahren wurde dabei übersehen.

3 Daten des Statistischen Bundesamtes destatis. https://www.destatis.de/DE/Themen/Arbeit/Arbeitsmarkt/Qualitaet-Arbeit/Dimension-3/zweitjobl.html#:~:text=Anstieg%20der%20Zweitjobquote,in%20mindestens%20einem%20weiteren%20Arbeitsverh%C3%A4ltnis (zuletzt abgerufen 24.04.2025).

4 Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK), 2024: Wachstumsinitiative – neue wirtschaftliche Dynamik für Deutschland. S. 13. https://www.bundesregierung.de/resource/blob/975228/2297962/ab6633b012bf78494426012fd616e828/2024-07-08-wachstumsinitiative-data.pdf?download=1 (zuletzt abgerufen 24.04.2025).

5 Bundesministerium der Finanzen, 2018: Zur Reform der Besteuerung von Ehegatten. Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium der Finanzen. 02/2018. S. 20. https://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Standardartikel/Ministerium/Geschaeftsbereich/Wissenschaftlicher_Beirat/Gutachten_und_Stellungnahmen/Ausgewaehlte_Texte/2018-09-27-Gutachten-Besteuerung-von-Ehegatten-anlage.pdf?__blob=publicationFile&v=1 (zuletzt abgerufen 24.04.2025).

6 Bundesagentur für Arbeit, 2018, Sozialversicherungspflichtig Beschäftigte mit geringfügig entlohntem Nebenjob. Arbeitsmarkt kompakt, Mai 2018, S. 5. https://www.arbeitsagentur.de/datei/arbeitsmarkt-kompakt_ba037804.pdf (zuletzt abgerufen 24.04.2025).

7 Roschan, Monsef/Schäfer, Holger/Schmidt, Jörg, 2021: Der Trend zur Zweitbeschäftigung: Nur eine Frage des Geldes? IW-Trends. Institut der deutschen Wirtschaft (IW) Köln, Band 48(2), 45–67. Zitat S. 52. https://www.iwkoeln.de/studien/roschan-pourkhataei-monsef-holger-schaefer-joerg-schmidt-der-trend-zur-zweitbeschaeftigung-nur-eine-frage-des-geldes-508172.html (zuletzt abgerufen 24.04.2025).

 

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Referent Wahl- und Sozialforschung
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