Die Übergabe des Fellowships vom Soziologen Nassehi an den Diplomaten Heusgen bot die Gelegenheit, den Blick exemplarisch auf die Zukunft Deutschlands im Inneren und Äußeren zu richten und hierbei mit vier Vertreterinnen und Vertretern jener jungen Generation ins Gespräch zu kommen, die diese Zukunft am meisten betrifft.
Prof. Dr. Norbert Lammert (Vorsitzender Konrad-Adenauer-Stiftung)
Armin Nassehi relativiert zunächst den Anspruch, über die Zukunft überhaupt reden zu können. Tatsächlich, so Nassehi, sei eine Vergegenwärtigung des Kommenden immer zum Scheitern verurteilt. Sinnvoller sei es daher, über notwendige Veränderungen aus der Perspektive des Jetzt zu sprechen. Die Erfahrung zeige, dass Veränderungen oft träger abliefen als angenommen. Das lag und liegt auch immer an der Komplexität von Gesellschaft. Aber welche Art von Kompetenz braucht es, um komplexer werdende Gesellschaften zu steuern? Im Nachkriegsdeutschland sei diese Steuerungsleistung durch eine Differenzierung von „versäulten Funktionseliten“ relativ erfolgreich erbracht worden. Voraussetzung hierfür waren aber allgemein akzeptierte Institutionen, die den Interessenausgleich zwischen diesen Säulen organisierten. Diese Differenzierung gerate in jüngerer Zeit zunehmend unter Druck, neue Querschnittskompetenzen würden wichtiger. Für die etablierten Parteien werde dies zur Herausforderung. Die Christdemokratie müsse sich der Frage stellen, wie sie den gesellschaftlichen Wandel gleichzeitig moderiert und mitgestaltet. Die CDU sei gut beraten, hierbei konservative Bezüge nicht mit konservativen Inhalten zu verwechseln. Derartige Kompensationen führten zu Populismus und Nationalismus und zur Infragestellung demokratischer Verfahren. Diese Infragestellung, so Nassehi in Überleitung zu seinem Nachfolger Heusgen, werde zunehmend auch von internationalen Akteuren betrieben.
Prof. Dr. Armin Nassehi (KAS-Fellow 2021, Soziologe an der LMU München)
Christoph Heusgen nahm den Ball auf und betonte in seinem Einführungswort, dass der zunehmenden Infragestellung demokratischer und völkerrechtlicher Verfahren weniger durch die abgrenzende Referenz auf den „Westen“, sondern vielmehr durch die Stärkung einer regelbasierten globalen Ordnung zu entgegnen sei. Auch China und Russland hätten sich dem humanitären Völkerrecht verschrieben. Der Einsatz für Demokratie und Menschenrechte sei daher global und nicht westlich. Vor allem in Form des transatlantischen Bündnisses spiele die westliche Wertegemeinschaft aber weiterhin eine wichtige Rolle. Das Bekenntnis zur europäischen Souveränität dürfe daher nicht gegen die Bündnisverpflichtung in der NATO ausgespielt werden. Deutschland habe in der Vergangenheit gezeigt, dass es durchaus bereit und in der Lage sei, die von den NATO-Partnern geforderte größere sicherheitspolitische Verantwortung zu übernehmen. Dies, so Heusgen abschließend, setze aber ein stärkeres sicherheitspolitisches und globales Problemverständnis in der deutschen Bevölkerung voraus.
Prof. Dr. Christoph Heusgen (KAS-Fellow 2022, Vorsitzender des Stiftungsrates der Münchener Sicherheitskonferenz)
Die anschließende Diskussion mit vier jungen Expertinnen und Experten aus unterschiedlichen Fachdisziplinen und Arbeitsbereichen warf zunächst die Frage auf, wie ein solches Problemverständnis angesichts von Desinformationskampagnen und Verschwörungsdenken zu erreichen sei. Für Nassehi sind die Auswirkungen der hierbei katalytisch wirkenden „Medienumstellung“ bei weitem noch nicht erfasst. Angesichts der neuen medialen Unübersichtlichkeiten sei es wichtig, Regeln zu etablieren und einen Konsens über deren Einhaltung herzustellen. Heusgen verwies in diesem Zusammenhang auf die wichtige Rolle des öffentlichen Rundfunks in Deutschland. Im Umgang mit sozialen Medien, so Heusgen weiter, setze er vor allem auf Kompetenzerwerb bei der jungen Generation.
Aber wie lassen sich die Sozialen Medien besser regulieren? Nassehi argumentiert, dass Kontrolle und Verbote oft nicht weiterhelfen und die Diskussion über politische Kategorien für soziale Medien noch am Anfang stünden. Die Schließung des Twitter-Accounts des früheren US-Präsidenten Donald Trump, so Heusgen, zeige aber ein zunehmendes Problembewusstsein. Ein solches Bewusstsein müsse auch im Umgang mit KI-basierten Systemen und teilautonomen Waffensystemen etabliert werden. Nach Ansicht von Heusgen spiele Deutschland hier eine Vorreiterrolle. Das gleiche gelte für den Anspruch einer „werteorietierten Außenpolitik“. Das vermeintliche neue Markenzeichen der Ampel-Koalition, so Heusgen, sei tatsächlich seit Jahrzehnten realer Orientierungspunkt. Auch Nassehi sieht hier eher Kontinuität als Wandel. Wichtiger als moralische Absichtserklärungen seien aus seiner Sicht aber die Stärkung des Rechtsstaates und die Einhaltung der gemeinsam vereinbarten Verfahren. Dies gelte im Inneren für den Umgang mit Verschwörungsdenkern und Antidemokraten, wie im Äußeren für die Auseinandersetzung mit autoritären Regimen. Der Sturm auf das US-Capitol, so Nassehi und Heusgen übereinstimmend, habe deutlich gemacht, wie real die Angriffe auf Ort und Verfahren der Demokratie seien und welchen Herausforderungen die politische Gesellschaft in Zukunft gegenüberstehe, im Inneren wie im Äußeren.
Diskussion mit Vanessa Vohs (Forschungsassistentin Sicherheitspolitik, SWP), Leonie Mader (Referentin für Innovation und Nachhaltigkeit, KAS), Sarah Meyer (Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Bereich Recht und Religion, KAS), Gerdhard Kasneci (Projektassistent für Bildung & Wissenschaft, IT-Beratung) und Prof. Dr. Norbert Lammert (Vorsitzender Konrad-Adenauer-Stiftung)
À propos de cette série
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