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Pubblicazione singola

Margarita Kaufmann: Peru - Paris - Bodensee (1991-2002)

di Margarita Kaufmann

Leseprobe aus "In der Welt und für die Welt"

Die Präsentation ganz persönlicher Erfahrungen als Auslandsmitarbeiterin im Dienste der KAS und deren Bedeutung für die heutige Tätigkeit.

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Rückwärts auf dem Weg in die Zukunft

Wenn nicht alle zwei Jahre mein ehemaliger Chef seine ehemaligen Mitarbeiter zusammenriefe, würden mir die Konrad-Adenauer-Stiftung und die Internationale Zusammenarbeit noch mehr fehlen. Die Ehemaligen der KAS und ihr Freundeskreis folgen zum Glück immer in großer Zahl dem Ruf von Josef Thesing und dem Anruf der Koordinations-Assistentin dieser Treffen, Brigitte Hoffmann, ihres Zeichens Garantin des Markenzeichens "Freundlichkeit" der KAS.

Das letzte Treffen fand im November 2001 in der Europäischen Akademie in Berlin-Grunewald statt und war so wiedersehensselig wie die vorigen. Da ich selbst einen Beitrag zu der Veranstaltung vorzubereiten hatte, war ich schon Tage vorher in Gedanken in eine vergangene Zeit eingetaucht. Mit jeder Seite meines Manuskriptes wurde mir sehnsuchtsschwindeliger: Ich hatte den Rückwärtsgang zu meinen Erinnerungen eingelegt, ohne dass ich es gemerkt hatte.

"Rückwärts auf dem Weg in die Zukunft", so hatte ich in einen Arbeitstitel gefasst, was mir die KAS als Auftrag erteilt hatte: Erfahrungsbericht einer Ehemaligen aus der Kommunalpolitik. Die Präsentation meiner ganz persönlichen Erfahrungen als Auslandsmitarbeiterin im Dienste der KAS und deren Bedeutung für meine heutige Tätigkeit: Darüber gab es schon einiges zu sagen. "Da erzählste einfach, wat et dir jebracht hat, dat de mit uns draußen warst." Bevor Herbert Kölsch endgültig aus den Diensten der KAS ausschied, oblag ihm im Oktober 2001 die Organisation des Treffens der Ehemaligen, zu denen er altershalber ja nun auch bald gehören würde. Was es mir gebracht hat, daß ich mit der Konrad-Adenauer-Stiftung in Lateinamerika war? Vieles und noch viel mehr. "Kannste dat machen?" Klar kann ich. Den "Originalton Kölsch" habe ich immer am meisten vermisst, seit ich die KAS hinter mir gelassen habe.

Das Ausland prägt

So wurde aus einigen Jahren Leben der Rohstoff für einen Bericht, den ich längst schon hätte schreiben wollen. Aber sich rückblickend einer Zeit zuzuwenden, deren Rhythmus unvergleichlich war, birgt manches Risiko. Zum Beispiel das, in den engen vier Wänden meines überladenen Arbeitsalltags die Zeit davonrennen zu sehen, in der ein anderes Leben und Arbeiten noch möglich bleibt. Denn vergessen kann ich diese Jahre nicht, und immer wieder muss die Jetzt-Zeit den Vergleich aushalten. Und oft genug schneidet sie schlecht ab. Die Sehnsucht bleibt, und mitunter sind die geistigen Fluchten die einzigen Auswege. Kleine Freiheiten des Kopfes zum Ausflug dorthin, wo viele noch nie waren. Erfahrungen, Erinnerungen und Schätze aus meiner Zeit als Auslandsmitarbeiterin der Konrad-Adenauer-Stiftung: Stoff für Gespräche, Gedankenreisen und diesen Bericht.

Meine Zeit als Auslandsmitarbeiterin der KAS in Lateinamerika war kurz - vier Jahre vergingen, ohne dass ich Zeit hatte, den Zuwachs an Wissen, an Erfahrung und Einsicht zu bemerken. Erst seit ich wieder in Deutschland bin, weiß ich, wie sehr mich diese Zeit geprägt hat. Und erst seit ich wieder in Deutschland bin, weiß ich, was ich mitgebracht habe, einfach so, wie nebenbei. Unschätzbare Gewinne, einfach so, wie nebenbei.

Im Gegenwind des Fremden schärfte sich die Wahrnehmung meiner selbst und anderer. Im täglichen Gebrauch wuchs meine Liebe zu den Sprachen, und die zum Spanischen ganz besonders. In dem täglichen Versuch, den anderen zu verstehen, zu begreifen und schließlich zu erfahren, warum Dinge so sind, wie sie sind, und eben nicht so, wie wir glauben, dass sie sein müssten, übte ich das ein, was heute als interkulturelle Kompetenz so hoch angesetzt wird und für international tätige Führungskräfte als Schlüsselqualifikation gilt. Eigene und fremde Referenzsysteme immer wieder wahrzunehmen und ihre Verschiedenheit zu erkennen, ohne sie zu werten, das ist mir auch heute als Kultur- und Sozialbürgermeisterin der Stadt Friedrichshafen eine der wichtigsten erworbenen Fähigkeiten.

Darum muss ich an dieser Stelle betonen: Ich wäre heute beruflich nicht da, wo ich jetzt bin, und hätte zwangsläufig keinen Platz in dieser Publikation gefunden, wenn es den Auslandsdienst der KAS nicht für mich gegeben hätte. Und ich wäre vermutlich auch persönlich einen anderen Weg gegangen. Und schließlich wäre ich eine andere Politikerin geworden und sicher eine andere Mutter, wäre ich schließlich nicht jahrelang im Ausland gewesen.

Manchmal wünschte ich sehnlichst, doch noch dort zu sein, wo ich jetzt nicht mehr bin. Dann wäre alles anders, und ich könnte wenigstens daran glauben, dass hier, bei uns, alles ein bisschen besser sei. Denn eines ist sicher: Wäre ich heute nicht wieder in Deutschland, ich wäre sicherlich eine bessere Patriotin. Aus der Ferne und inmitten des peruanischen Chaos erschien mir einst der bundesrepublikanische Alltag überaus glänzend. Zwischen Mexiko und Brasilien im guten Namen der KAS auf die deutschen Erfahrungen und probaten Lösungen für allerhand Probleme hinzuweisen, das war - zumal gut entlohnt - eine komfortable Position.

Das funktionierte übrigens auch später noch ganz gut, als ich bereits von Lima nach Paris gewechselt war und dort vom siebten Stockwerk der UNESCO aus beobachten konnte, wie sich meine Landsleute gleich allen internationalen Beamten komfortabel eingerichtet hatten im internationalen Entwicklungsgeschäft: In der UNESCO, in der OECD oder in einer der UN-Organisationen in Genf, Wien oder Rom stritten sie sich untereinander um die guten Pöstchen und die freundlichen Länder. Notfalls galt auch: Überall ist es gut - in jedem Fall besser als zu Hause, wo auch immer das war.

Wie ich zur UNESCO kam? In Sachen Medien hatte sich die KAS, das habe ich selbst mitgesteuert, in Paris einen durchaus wohlklingenden Namen gemacht. Finanzielle und durchaus großzügige Unterstützung zahlreicher Medienprojekte in Lateinamerika: Im International Program for Development of Communication war die Konrad Adenauer Foundation durchaus ein Begriff. Und ein Synonym für Qualität und finanzielle Potenz. Der Glaube der internationalen Geldsucher an die wundersame Vermehrung des Geldsegens aus Bonn schien damals ungebrochen. Was lag da näher, als eine Mitarbeiterin dieser deutschen Stiftung anzuwerben? Denn wer in der KAS arbeitet, der kann zweifellos mit Geld umgehen und weiß auch, wo es welches zu holen gibt. Also tauschte ich bald meine gute Visitenkarte der KAS gegen die der UNESCO.

Nach vier Jahren KAS und nochmal so vielen als UNESCO-Beamtin war ich auf dem besten Weg, zu jenen zu gehören, die sich jenseits der Grenze Deutschlands alles vorstellen können. Nur nicht den Weg zurück. Fast zwangsläufig hatte die Frage nach der Fortsetzung des Berufsweges nur eine mögliche Antwort: Wieder weg, weiter weg.

Und was war mit dem Zurück? Zurück, nach Hause? Zuhause war schon lange kein Ort mehr, der auf einer Landkarte eingezeichnet war. Also blieb ich in Paris, zunächst jedenfalls, und begann zu vergleichen, zu suchen, zu fragen. Durch meine Tätigkeit in der bilateralen Entwicklungszusammenarbeit der KAS hatte ich eine Vergleichsgröße zur internationalen Kooperation und konnte nicht begreifen, warum all das, war ich dort tat, was wir und Tausende dort taten, so völlig unbedeutend sein sollte. Wir waren kompetent, aber keiner wollte es wissen. In Paris, in Bonn, in Genf, in Berlin - ein internationaler Beamter hat kein Gewicht, und seine Meinung ist nicht gefragt, weil keiner nach denen fragt, die als Deutsche in internationalen Organisationen ihre Lebensarbeitszeit verbringen. Denn krasser hätte der Vergleich in der Post-KAS-Phase nicht ausfallen können: Es war geradezu schmerzhaft zu sehen, wie viel, oder besser: wie wenig Bedeutung die Bundesrepublik der Arbeit in internationalen Organisationen beimaß. Das internationale Feld wurde, so war zu beobachten, eher schlecht als recht bestellt, und eigentlich interessierte es keinen deutschen Politiker und keine Partei, wer seit wann in welcher Organisation und an welcher Schaltstelle sitzt oder zu sitzen käme, wenn ihn die deutsche Politik wenigstens stützte, von aktiver Einflussnahme will ich gar nicht reden. Aber da hielten sich die deutschen Kommissionen der internationalen Organisationen, die von der Bundesrepublik doch eigens dafür eingerichtet wurden, um sozusagen am Pulsschlag eben jener zu sein, vornehm zurück.

Immerhin hat es die Konrad-Adenauer-Stiftung interessiert, was ich in der UNESCO machte, und das gab mir Hoffnung, den Sinn der internationalen Arbeit nicht vollkommen in Frage stellen zu müssen. So wurde ich immer wieder geladen zu Veranstaltungen der KAS-Repräsentanz in Paris. Und es folgte gar ein gemeinsamer Abend mit ehemaligen Kollegen und Chefs irgendwo auf den Champs-Elysées. Dieses Wiedersehen war seinerzeit wie Balsam für meine gelangweilte Beamtenseele. Darum war es mehr als ein Lückenfüller, als die KAS sich schließlich 1996 des Themas "Deutsche in internationalen Organisationen" annahm und seither durch die Auslandsvertretung der KAS in Madrid entsprechende Tagungen in Cadenabbia ausrichtet.

Aber zurück zum deutschen Gold, das nur aus der Ferne glänzt, und zu der besseren Patriotin, die ich wäre, wenn ich nicht nach Deutschland zurückgekehrt wäre: Als ich schließlich nach zehn Jahren Auslandsaufenthalt wieder mitten unter meinen Landsleuten saß, musste ich ernüchtert feststellen: in meinem vielgelobten Land wird auch nur mit Wasser gekocht. Das hatte ich in all den Jahren schlicht vergessen wollen. Theoretische Diskurse und akademische Ergüsse jeglicher Art hatte ich ohne Bedenken aus unserem Land in die Ferne exportieren können, so dass mich der Glaube an die Fortschrittlichkeit in deutschen Landen richtig patriotisch stimmte. Und vollmundig verwies ich auf diese und jene Modelle, die ihre Stichhaltigkeit schon fast allein dadurch unter Beweis gestellt sahen, weil sie made in Germany waren. Ich nutzte sie und verbreitete sie, im besten Glauben, sie wären in Deutschland längst Alltag. Dass wir auch zu Themen wie Populismus, Korruption, Erpressung, Bestechlichkeit, Steuerhinterziehung etc. etwas aus eigener Erfahrung beitragen könnten, das konnte ich mir einfach nicht vorstellen. Vielleicht war das der Grund, warum mir der geschätzte Institutsleiter damals, als es noch so hieß, einmal sagte: "Sie können einfach nicht politisch denken." Nun, habe ich gedacht, das werden wir ja noch sehen.

Vom Schwäbischen zum Spanischen

Nach meiner Rückkehr nach Deutschland konnte ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass die in den 90er Jahren herbeidiskutierte Aufbruchsstimmung noch immer nicht mehr war als die permanente Rede über die Rede von der Reform. Komisch nur, dass sich die Politik bis heute nicht traut, sich auf den Weg der Reform zu machen. Will heißen: Bei näherem Hinsehen schaute der bundesrepublikanische Alltag eben anders aus, und von Reformstau ist ja mittlerweile nicht nur in der Sozialpolitik die Rede.

Seit ich wieder mittendrin stecke, weiß ich: Deutschland ist derzeit veränderungsresistent. Die dynamische Volkswirtschaft mit wegweisender Verfassungsgebung hat sich inzwischen als lahme Ente entpuppt. Und was bleibt nach der Desillusionierung? Immer eine Sehnsucht nach der Ferne! Wer nach ein, zwei Mal vier oder fünf Jahren im Ausland wieder seine Koffer packte, um sie irgendwo in unserem Land wieder auszupacken, der hält noch irgendwo ein Ränzlein bereit: geschnürt und reisefertig, es könnte ja sein, eines Tages packt man es sich wieder auf den Rücken.

Nach den Jahren im Dienst der Konrad-Adenauer-Stiftung, an die sich für mich noch einmal so viele in der Kulturorganisation der Vereinten Nationen anschlossen, war nie mehr etwas so, wie es vorher war. Und am wenigsten ich selbst. Seit ich vor über zwölf Jahren beschlossen hatte, meine gemütliche Lokalredaktion der größten Baden-Württembergischen Zeitung am Bodensee für immer zu verlassen, bestand mein berufliches Leben nur noch aus Herausforderungen. Die erste war nach einem Intermezzo in Spanien zweifellos die, vor dem Trio Bergmann, Krieger und dem Institutsleiter Josef Thesing zu bestehen und in die engere Wahl zu kommen. Und dann natürlich darin, neben all den erfolgreichen Jungunionisten und Juristen und Politologen zu bestehen, zumal die einem ziemlich deutlich zu verstehen gaben, dass sie sich mit einer jungen Dame und gar noch einer aus dem Schwabenland eigentlich nicht messen wollten. Apropos Schwaben und apropos Sprache: Das war immer wieder das Lieblingsthema unter den Ausreisewilligen der KAS. Einmal sagte ein zukünftiger Kollege zu mir, als wir uns aufmachten, in Malaga unser Spanisch zu vervollkommnen: "Also Ihnen sollte man nicht nur einen Spanischkurs bezahlen." Das saß und konnte nur dadurch relativiert werden, dass mir der Hauptgeschäftsführer Dr. Lothar Kraft nach einem gut einstündigen, interessanten Gespräch zum Abschied sagte: "Und wenn Sie mal auf Heimaturlaub sind, schauen Sie doch rein, no könne mr wieder a bissle schwäbisch schwätze." Solche Solidarität tat einer Südländerin auf dem Weg in die Ferne natürlich gut.

Sie werden es nicht glauben, aber inzwischen habe ich mit dieser netten Anekdote im persönlichen Handgepäck zusammen mit Regierungspräsident Hubert Wicker, Professor Hermann Bausinger und vielen namhaften Schwaben und solchen, die es nie lernen (das Schwäbische in diesem Fall) einen Förderverein zur Erhaltung des schwäbischen Dialektes gegründet. Inzwischen zählt er schon über 400 Mitglieder, wobei diese des Schwäbischen nicht mächtig sein, ihm aber eine gewisse Sympathie entgegenbringen müssen. Übrigens bin ich mir sicher, ohne die KAS wäre ich nie auf die Idee gekommen, dass meine Mutterregionalsprache bedroht sein könnte.

Nachdem ich mit Familie und Kinderfrau aus Lateinamerika im Spanisch-Deutschen sprachlich heimisch geworden war und nach Übernahme meiner Funktion in der UNESCO auch noch das Französische zu unserem Alltag gehörte, war klar: Von den Sprachen und der Vielfalt der Sprachen komme ich nie mehr los. "Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt" sagte der österreichische Sprachphilosoph Ludwig Wittgenstein. Für die, die in ihrem Leben nie erfahren haben, dass die Grenzen der Welt eng sind, wenn man nur in einer Sprache zu denken vermag, bleibt der größte Reichtum dieser Welt verschlossen. Und letztlich öffnet sich die Welt nur dem, der versucht, mittels der Sprache in sie Eingang zu finden. Für mich wie wohl für jeden, der für die KAS ins Ausland ging, war es selbstverständlich, die dortige Sprache oder gar mehrere Sprachen zu sprechen und durch sie Zugang zu dem Gastland, zu den Partnern, den Projektmitarbeitern, zur Kultur und zuletzt auch zur Politik zu bekommen. Das sage ich bewußt zuletzt, denn mitunter haben wir ja nur geglaubt, wir hätten Zugang zur Politik. Diese erworbene Fähigkeit, die heute als interkulturelle Kompetenz so elegant umschrieben wird, wurde zumindest für mich zum wichtigsten Schatz, den ich aus der Zeit für die Konrad-Adenauer-Stiftung in Lateinamerika mit nach Europa brachte. Zunächst war diese Kompetenz neben der Visitenkarte KAS wichtigste Voraussetzung für meinen beruflichen Eintritt in die internationale Entwicklungszusammenarbeit und zudem Voraussetzung dafür, in den lähmenden Strukturen der zwischenstaatlichen Organisation nicht vollkommen zu vertrocknen.

Im Nachhinein erscheint mir die Zeit in den Diensten der KAS in strahlendem Licht. Aber sie sind durchaus da, die anderen Erinnerungen, wie das damals war. Weil sie so unglaublich sind, erzähle ich zunächst zwei meiner schönsten Anekdoten: Die erste ereignete sich an meinem ersten Abend in Lima. Die lieben Kollegen Blomeier und Poloczek samt meinem Vorgänger Frank Priess waren dabei, als ich die hoch-verehrten Projektpartner kennen lernte. Ein Klatsch auf meinen Allerwertesten, das war die Begrüßung, die ich nie mehr vergessen werde - dieser Herr aber auch nicht, denn so schnell wurde wohl selten ein Projekt beendet wie sein internationaler Journalistentreff, wobei der Macho-Gruß nicht die Ursache war, damit da keine Missverständnisse aufkommen.

Zweite Anekdote: Wenig später ging ein giftiger Brief in der Zentrale ein, demzufolge die Stiftung, respektive der Leiter der Internationalen Zusammenarbeit, Josef Thesing, allen Grund haben sollte, mich doch bitte hinauszuwerfen, schließlich sei ich einmal ohne Strümpfe und in Jeans gesehen worden und hätte auf der Karibik-Insel San Andrés mit einem schwarzen Mann getanzt. Also habe sie, die Auslandsmitarbeiterin, keine Angst vor diesem und auch nicht vor dem wortgewaltigen Latino gezeigt, was ja so nicht angehen könne. Keine Angst? - unglaublich. Aber diese Angstlosigkeit wurde just zu dem Charakteristikum, das mein Ex-Chef dann auf Anfrage der detailgenauen Bodenseeschwaben als Empfehlung hervorhob, als diese nachfragten, ob ich denn für das Amt einer Bürgermeisterin geeignet sei. Die durch die ortsansässige CDU bei Josef Thesing eingeholte Referenz lautete ungefähr so: Wer mit den Machos Lateinamerikas zurechtkommt, der wird auch mit den Mitarbeitern im schwäbischen Rathaus keine größeren Probleme haben. Kann ich nur sagen: Stimmt!

Kulturelle Vielfalt in Lateinamerika - eine wichtige Lebenserfahrung

Zurück zum Thema: Im bürgerkriegsgebeutelten Peru, ohnehin nie das Lieblingsland unseres verehrten Ex-Chefs, in der Nachfolge ehrwürdiger KAS-Repräsentanten in den Anden-Ländern, in der Verantwortung für gut ein Dutzend Projekte, die ihre Blüte bereits hinter sich hatten, zwischen manchem Pisco und Aquaardiente schlürfenden Projektleiter und einer Hand voll internationalen Projekten, die mich auf Trab hielten, da galt es für mich, einen Weg zu finden.

Eine empathische Grundeinstellung prägte meiner Beobachtung nach unsere Arbeit für die KAS im Ausland: Die Grundlage aller entwicklungspolitischen Ansätze, Projekte und Diskussionen war die Bereitschaft und die Fähigkeit, sich in die Einstellung des Gegenübers einzufühlen, seine Position wahrzunehmen, sie einzuschätzen, vielleicht auch zu verstehen. Dem persönlichen Gespräch ging jeweils eine theoretische Begegnung mit dem Partner voraus. Ob das politische Ziel im Laufe der Kooperation erreicht werden würde oder nicht, war zunächst sekundär, wichtig hingegen war, das Gespräch gelingen zu lassen. Konstruktive Zusammenarbeit zu leisten mit Projekten und Partnern, die einem völlig fremd sind, gute Arbeit zu machen auch unter schwierigsten äußeren Bedingungen: Terroranschläge, Ausgangssperren, Reiseverbot, allgegenwärtige Gefahr, eingeschlagene Türen, Überfälle, Ungewissheiten an allen Enden, das waren die Herausforderungen, denen ich mich täglich zu stellen hatte.

Aus der Rückschau machen selbst schwierige Situationen Sinn: Sich in einer vollkommen fremden Welt, in einem unbekannten Kontext zurechtzufinden und konstruktive Arbeit zu machen, das ist eine Leistung. Und deren Wert werde ich immer zur Verfügung haben. Wem es gelungen ist, sich in Referenzsysteme mit anderem kulturellen Hintergrund einzufinden und sich in ihnen zu bewegen, der reflektiert zwangsläufig das eigene Referenzsystem. Und weiter noch: Dort, wo das eigene Referenzsystem nicht 1 zu 1 übertragbar ist, sind Kreativität, Phantasie und Geduld gefragt. Ich stelle eine Frage, und erhalte eine Antwort. Ja, aber eine Antwort ist nicht die Antwort auf meine Frage. Wer kennt das nicht: Man fragt nach dem Weg, nach einer Minute weiß man viel, aber den Weg kennt man immer noch nicht.

"Margarita tu tienes que comprender nuestra idiosincrasia" (Margarita, Du musst unsere Eigenarten verstehen), diesen Satz hörte ich ein ums andere Mal, und besonders dann, wenn ich zum x-ten Mal fragte, warum denn etwas so sei und nicht anders. Damit die Grundregel der Kommunikation wieder stimmte, musste ich mein Verhalten ändern, mich anpassen, einfinden, Neues erfinden. Dass das auch schief gehen kann, brauche ich Ihnen nicht zu sagen, denn es gibt immer genau zwei Möglichkeiten: Entweder ich sammle die Frustrationen wie faule Äpfel in einem Sack, um schließlich an diesem interkulturellen Zusammentreffen zu scheitern. Oder ich sammle Antworten und versuche, das fremde Referenzsystem mittels Frage und Antwort zu erschließen, trial and error, Erfahrung um Erfahrung zu machen, um gleich einem Mosaik irgendwann ein ganzes Bild zu erhalten, das Sinn macht. Es muss im Laufe der Projektbetreuung gelingen, das Referenzsystem des Partners zu erfassen, ihm und seinen Gedanken zu folgen, seine Hindernisse zu ergründen, um ihn schließlich argumentativ auf den Weg zu bringen. Entweder du gehst dem Ganzen auf den Leim, verstehst es nie und scheiterst schließlich daran, und die Projekte scheitern folglich ebenso. Oder du stellst dich dem Gegenwind des Neuen. Denn im Unbekannten erfahre ich auch etwas über mich, positioniere ich mich, nehme mich wahr und verteidige meinen Standpunkt. Es gibt wohl kaum einen spannenderen Weg der Selbstvergewisserung.

Fazit: Wer gelernt hat, mit Menschen verschiedenster Kulturen und Sprachen erfolgreich zu kommunizieren, dem gelingt auch die Kommunikation mit Vertretern verschiedener Gruppen. Eben diese Fähigkeit, die Empathie, ist aber auch eine der wesentlichsten Kompetenzen in Zeiten wirtschaftlicher und kultureller Globalisierung. Und vielleicht sind Momente der realen Bedrohung, etwa durch Gewalt, letztlich die Momente, in denen die Selbstwahrnehmung am größten ist. Was ich hier jetzt so theoretisch gefasst habe, dem liegen natürlich Erfahrungen zugrunde, die mich und später auch meinen Mann während der Jahre im Dienst der KAS auf Trab hielten. Davon nur zwei: Gleich am ersten Tag seines Peru-Aufenthaltes wurde mein Mann, quasi Gringo, von einer Zivilstreife im weißen klapprigen Käfer gekidnappt und nach erfolgloser Leibesvisitation im Fond des Käfers auf der Suche nach Drogen und Geld nach einem Tag und einer Nacht ausgesetzt. Er: sprachlos, papierlos, orientierungslos und ohne die Adresse in der Hosentasche. Es gäbe noch einiges zu erzählen, von Einbrüchen, bewaffneten Autodiebstählen, Überfällen. Nach einem bewaffneten Überfall mit Schussverletzungen waren mein Mann und ich schließlich abgehärtet. Und dann reisten wir aus. Seither, so scheint es, kann uns wenig schrecken: die Politik mich so wenig wie die Einbrüche an den internationalen Börsen meinen Mann.

Und so gehört auch das zu dem, was eine Auslandsmitarbeiterin der KAS mitbringt: eine fast unerschütterliche Zuversicht, dass jede Situation, auch noch so eine beängstigende, irgendeinen Sinn hat und dass sie irgendwann ein Ende finden wird. Bleibt die Frage, die mir ein sehr geschätzter Kollege der KAS stellte, als ich ihm erzählte, dass ich Paris mit der Zeppelinstadt am Bodensee tauschen würde: "Warum gehst du nach der internationalen Politik zurück in die Niederungen der Lokalpolitik?" Oder andersherum gefragt: eine mehrsprachige Lokalpolitikerin mit interkultureller Kompetenz? Geht gut, kann ich da nur sagen. Nur ein bisschen exotisch bleibt man immer. Und diese Note ist ja auch nicht schlecht, man wird sozusagen zum Experten für alles jenseits der Grenze.

Und man darf immer wieder einen Blick werfen über die Grenze, ohne dass einem das jemand übel nimmt. Immer wieder hole ich meine anderen Referenzsysteme zu Hilfe, wenn die Argumente nicht auszureichen scheinen. Denn gegen das ewige Credo der Bedenkenträger: "Das geht doch nicht, das haben wir schon immer so gemacht", da hilft nur ein klares "Doch, es geht, zum Beispiel dort und dort!" Und wer selbst einmal eben jenseits der Grenzen lebte, dem glaubt man ein Quäntchen mehr, was andererseits aber nicht heißen will, dass damit die Bedenken ausgeräumt wären. Konkret aber heißt das: Durch meine internationale Berufstätigkeit war mir von Anfang an wichtig, diese Stadt, in der ich nun arbeite, zu öffnen. Dass es dafür vielerlei Ansätze gibt, versteht sich. Mein erster war, mich beim Oberschulamt Tübingen heftigst dafür einzusetzen, dass die Kinder in unserem Schulamtsbezirk bereits mit Beginn der Grundschule Englisch lernen können. Ein interkulturelles Lernprojekt mit Englisch habe ich auch in einem katholischen Kindergarten einführen können. Weitere Kindergärten sind diesem Beispiel gefolgt.

Eine Stadt mit rund 58.000 Einwohnern und international tätigen multinationalen Unternehmen wie mtu, zf, ZeppelinGMBH und dornier easd, um nur die wichtigsten zu nennen, ist ein Anziehungspunkt für Menschen aus allen Himmelsrichtungen. Allein in Friedrichshafen leben Menschen aus mehr als 100 Staaten. Wenn Sie bedenken, dass die Zahl der Mitgliedsländer der UNO 186 beträgt, dann bedeutet dies, dass Menschen aus weit mehr als der Hälfte aller Nationen dieser Erde in unserem Zentrum leben. Wir haben inzwischen ein umfangreiches Programm aufgelegt zur Internationalisierung in diesem Sinne, das natürlich besonders und zuerst in den Ausbildungseinrichtungen anfängt.

Eine Öffnung also nach außen, zur Welt hin und gleichzeitig nach innen zu den Vertretern der Länder, Völker und Sprachen, die bei uns eine Heimat gefunden haben. Das Thema der Integration, ob von Aussiedlern und Ausländern oder von deren Nachkommen, die längst den deutschen Pass haben, stellt an die Politik - auch an die lokale - große Herausforderungen. Ich verstehe mich als Motor, als Impulsgeber und als Initiator.

Zum Schluss nur noch eines: Ohne die KAS und den Einsatz in Lateinamerika wäre ich nicht in die UNESCO gegangen und wäre heute, wie zu Anfang gesagt, nicht Bürgermeisterin in Friedrichshafen. Darum an dieser Stelle einmal ganz laut und deutlich meinen Dank an dieses Haus, in dem ich mich immer zu Hause gefühlt habe. Wer weiß, vielleicht klopfe ich mal wieder an.

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