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Dafür verantwortlich ist vor allem die veränderte Ausgangslage
in der Sicherheits- und Außenpolitik seit
dem Ende des Kalten Krieges, insbesondere aber seit
dem 11. September 2001. Gerade letzteres Ereignis
hat deutlich werden lassen, dass die Gefahr für die
Sicherheit Europas, der Vereinigten Staaten und der
gemeinsamen Alliierten inzwischen von zerfallenen
Staaten (Somalia), Staaten versagender Staatlichkeit
(Irak), schwachen Staaten (Afghanistan) und Staaten,
die sich den Normen der internationalen Gemeinschaft
entziehen (Iran/Nordkorea), ausgeht. Insbesondere
Länder, in denen die Staaten ihre zentrale Ordnungsfunktion
nicht mehr wahrnehmen können, bieten terroristischen
Gruppen wie Al-Qaida die Möglichkeit,
sichere Rückzugsräume einzurichten und von dort aus
Angriffe auf den Westen zu koordinieren. Vor diesem
Hintergrund wird im Rahmen internationaler Interventionen
der Wiederaufbau staatlicher Institutionen
und daraus resultierend die Wiederherstellung staatlicher
Grundleistungen zur eigentlichen Strategie für
die intervenierenden Allianzen. Vor diesem Hintergrund
rückt die Frage, was das Militär auf der einen
Seite und ‚konventionelle EZ’ auf der anderen Seite
bzw. beide gemeinsam in solchen Fällen an Wiederaufbauarbeit
leisten können, zu Recht vermehrt in
den Fokus der deutschen Politik.
Generell hat ein breiter aufgestelltes Sicherheitsverständnis,
das neben den klassischen Ideen harter
Sicherheit auch die Einhaltung bestimmter Normen
und – wo nötig – Reformen im Justiz-, Militär- und
Polizeiwesen beinhaltet, sowie ein größerer Stellenwert
für menschliche Sicherheit, zu einem Bedeutungsgewinn
der EZ im sicherheitspolitischen Gesamtverständnis
beigetragen. Dies spiegelt sich in
der größeren Rolle von Themen wider, die bislang im
sicherheitspolitischen Kontext vernachlässigt worden
sind: diese beinhalten die Umweltsicherheit oder die
Versorgungssicherheit ebenso, wie die Räumung von
Landminen oder den Handel mit Kleinwaffen. Am
sichtbarsten wird dieser Wandel aber an der Rolle der
menschlichen Sicherheit, die im Prinzip der so genannten
Responsibility to Protect ihren deutlichsten
Ausdruck findet. Wie genau sich dieses erweiterte
Sicherheitsverständnis aber in den Aufgaben der
Streitkräfte niederschlägt, und welche Fähigkeiten
diese besitzen müssen, um den Anforderungen gerecht
zu werden, ist bisher kaum erforscht. Das liegt
nicht zuletzt daran, dass dieser Wandel in der Rolle
der Streitkräfte eine jüngere Entwicklung und als Antwort
auf die gestiegene Bedrohung aus Afrika, dem
Mittleren Osten und Zentralasien zu verstehen ist.
Dabei wird insbesondere schwachen und zerfallenen
Staaten als möglicher Bedrohungsquelle eine größere
Rolle als bisher eingeräumt. Bisherige Erfahrungen
und Forschungsergebnisse legen nahe, dass bei der
Stabilisierung fragiler Staaten und beim Wiederaufbau
von Staaten in Nachkriegssituationen die Reform
staatlicher Systeme und Instrumente wichtig und die Reform des Sicherheitssektors von zentraler Bedeutung
ist. Dabei geht es sowohl um die Verbesserung
der Leistungsfähigkeit staatlicher Sicherheitsorgane
und damit letztlich um die Durchsetzung des staatlichen
Gewaltmonopols, als auch um die Verbesserung
der parlamentarischen, beziehungsweise zivilen Kontrolle
der Sicherheitsorgane, um das oftmals latente
Misstrauen der Bürger gegen den Staat und dessen
Organe abbauen zu können. Diese Reformen im sicherheitspolitischen
Bereich können aber nur erfolgreich
sein, wenn gleichzeitig der Wiederaufbau der
staatlichen Infrastruktur im zivilen Bereich gelingt,
d.h. der Staat in die Lage versetzt wird, ein Mindestmaß
seiner Aufgaben wahrzunehmen. Das bedeutet,
dass sicherheits- und entwicklungspolitische Maßnahmen
Hand in Hand gehen müssen.
Gerade der komplexe und aufgrund der erst geringen
Erfahrung in diesem Bereich kaum erforschte Zusammenhang
zwischen Entwicklungszusammenarbeit und
Sicherheitspolitik impliziert jedoch eine Reihe von Fragen
für die praktische Politik in Bezug auf die Ausgestaltung
eines solchen Miteinanders; u.a. wie Timing,
Aufgabenverteilung und Kausalitäten von gemeinsam
Maßnahmen zu sehen sind. Konkret interessiert besonders,
wann und ob sich Erfolge von Entwicklungszusammenarbeit
in „Post-Conflict” Situationen tatsächlich
niederschlagen und damit den begleitenden
Sicherheitskräften die Möglichkeit zum Rückzug eröffnen
bzw. inwieweit die Anwesenheit bspw. einer Bundeswehrmission
die Arbeit der Entwicklungszusammenarbeit
erleichtert. So ist etwa in Nordafghanistan
nach wie vor schwer einzuschätzen, inwieweit die Sicherheitslage
durch die EZ und hier besonders durch
die Provincial Reconstruction Teams (PRTs) verbessert
worden ist, oder inwiefern die gespannte Sicherheitslage
eine effektive Arbeit der EZ überhaupt zulässt.
Das vorliegende Papier versucht, auf diese Fragen –
insbesondere aus sicherheitspolitischer Sicht – einige
Antworten zu geben und will gleichzeitig auf bestehende
Forschungsdesiderate hinweisen. Dabei sollen
sowohl zentrale Fragen nach der Rolle, die die Bundeswehr
und andere sicherheitspolitische Akteure
einnehmen könnten, als auch mögliche Formen der
zukünftigen Gestaltung der Kooperation mit der Entwicklungszusammenarbeit
im Kontext erhöhter Sicherheitsanforderungen
sowie die Voraussetzungen für
eine solche Kooperation und die damit verbundenen
Schwierigkeiten angesprochen werden.
Im zweiten Kapitel werden zunächst die veränderten
Herausforderungen dargestellt, der sowohl Entwicklungs-
als auch Sicherheitspolitik gegenüberstehen
und dabei ein besonderes Augenmerk auf die Überschneidungen
der Handlungsfelder gelegt, die sich
daraus ergeben. Anschließend sollen im dritten Kapitel
einige einzelne Instrumente insbesondere der sicherheitspolitischen
Arbeit näher untersucht werden und
im vierten Kapitel auf konkrete Problemfelder eingegangen
werden. Im Hintergrund steht dabei ein sicherheitspolitischer
Fragenkatalog, zu dessen Beantwortung
das vorliegende Papier beitragen will: Was
kann die Bundeswehr tun, um die Sicherheitslage so
zu beeinflussen, dass die EZ wirksam arbeiten kann?
Besteht die Möglichkeit, dass die Bundeswehr selbst
zum Instrument der EZ wird (Stichwort „Entwicklungshelfer
in Uniform”)? Ist eine solche Entwicklung
überhaupt sinnvoll und erstrebenswert? Inwiefern
müssen in instabilen Sicherheitssituationen Leistungen
und Erfolge der EZ durch die Bundeswehr geschützt
werden, damit die Nachhaltigkeit der Maßnahmen
gewährleistet werden kann? Inwiefern garantiert
die bisherige Beschaffenheit der Mandate bei Bundeswehreinsätzen,
dass überhaupt Dauerhaftigkeit bzw.
Nachhaltigkeit erreicht werden kann? Welche Schlussfolgerungen
sind für die institutionelle Kooperation
zwischen den verschiedenen Akteuren zu ziehen?
Und letztlich: Wenn die Bundeswehr als Instrument
zur Gewährleistung der EZ immer wichtiger wird,
sollte sich dann dieser zivil-militärische Einsatz der
Bundeswehr in der Berechnung der ODA-Quote niederschlagen?