Zu Beginn stellte Flesch eine eindrückliche Frage: „Ist jemand im Raum, der keine Vorurteile hat?“ Niemand meldete sich. Damit machte er deutlich, dass Vorurteile ein universelles menschliches Phänomen sind – in einem Rechtsstaat jedoch niemand aufgrund von Herkunft oder Religion benachteiligt werden darf. Anschließend führte er in den Begriff der Arisierung ein, der im Nationalsozialismus die „Entjudung des deutschen Wirtschaftslebens“ bezeichnete. Er verwies darauf, dass der Begriff bereits im späten 19. Jahrhundert in antisemitischen Kreisen verwendet wurde. Unter den Nationalsozialisten wurde er zu einem systematischen, formalrechtlich abgesicherten Vorgang.
Flesch beschrieb, wie die Entrechtung und Enteignung jüdischer Bürgerinnen und Bürger schrittweise in nahezu alle Lebensbereiche vordrang. Erste Maßnahmen reichten von „Judenbänken“ in Parks über Berufs- und Auftrittsverbote bis hin zu Geschäftsschließungen. Ab 1933 verloren jüdische Familien ihr Eigentum: Immobilien, Autos, Radios und Möbel wurden enteignet und an „arische“ Deutsche übertragen. Viele wurden gezwungen, in sogenannte Judenhäuser umzuziehen und lebten fortan mit minimalem Besitz.
Besonders eindrücklich ging Flesch auf den Mythos des angeblichen Nichtwissens ein. Immer wieder sei nach 1945 behauptet worden: „Davon haben wir nichts gewusst.“ Dem widersprach er entschieden. So erinnere sich in Städten wie Gießen beispielsweise kaum jemand an die brennende Synagoge von 1938 – ein Ereignis, das im Zentrum der Stadt stattfand und von der Bevölkerung nicht übersehen werden konnte. Die Vorstellung, man habe die Entrechtung und Enteignung der jüdischen Nachbarn nicht bemerkt, sei daher historisch unhaltbar.
Anhand der sogenannten „M-Aktion“ in Frankreich, Belgien, Luxemburg und den Niederlanden veranschaulichte Flesch das Ausmaß des Raubs. Insgesamt wurden über 69.000 Wohnungen geplündert, knapp 30.000 Güterwaggons mit Möbeln und Hausrat ins Reich transportiert und Werte in Millionenhöhe sichergestellt. Allein in Hamburg erreichten 45 Schiffsladungen und 2.699 Bahnwaggons mit geraubten Einrichtungsgegenständen die Stadt. Schätzungsweise mehr als 100.000 ‘arische‘ Hamburger und ihre Nachfarhen profitierten davon. Das gesamte Volumen des geraubten Eigentums aus den besetzten Westgebieten hätte, so Flesch, zweieinhalb Kölner Dome gefüllt. Selbst Ermordete wurden „arisiert“, indem Männerhaare zu Filz und Hüten und Frauenhaare zu Perücken verarbeitet wurden.
Besonderes Augenmerk legte der Referent auf konkrete Unternehmensbeispiele. So übernahm etwa die Firma Zschirmer & Schwarz das jüdisches Unternehmen Flesch, dessen Eigentümer durch verschiedene Methoden wie beispielsweise Inhaftierung schließlich das Land verließ. Bis heute bestreitet die Firma, dass es sich dabei um eine Arisierung gehandelt habe, und verweist auf kriegsbedingt verlorene Unterlagen. Entschädigungen wurden bis heute nicht gezahlt. Dies verdeutliche, wie unzureichend die Aufarbeitung der Unternehmensgeschichte nach 1945 erfolgt sei. Generell, so Flesch, sei die Arisierung für viele Deutsche sehr lukrativ gewesen, die Nachfrage nach enteigneten Unternehmen habe das Angebot übertroffen.
Flesch stellte die Frage, wer von der Arisierung profitierte – und ob sich bis heute in Familienbesitz Möbel, Immobilien oder Grundstücke mit solcher Herkunft befinden könnten. Flesch regte das Publikum an, über die eigene Familiengeschichte nachzudenken und nachzufragen woher beispielsweise Möbel oder Hausrat in der Familie stammen. Darüber hinaus zog er eine Linie in die Gegenwart, indem er aktuelle Kampagnen wie den Slogan der AfD „Abschieben schafft Wohnraum“ erwähnte, die erschreckende Parallelen aufwiesen.
Zum Ende seines Vortrags kam Flesch zu dem ernüchternden Fazit, dass es bis heute keine umfassende Aufarbeitung der Arisierung gebe und auch nie geben werde. Der nationalsozialistische Staat sei in vielerlei Hinsicht ein „Sozialstaat für arische Bürger“ gewesen, der auf dem Raub an jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern basierte. Die Veranstaltung machte deutlich, dass die Arisierung nicht nur ein historisches Kapitel ist, sondern bis heute in Unternehmensgeschichten, im kollektiven Gedächtnis und in Familienbiografien nachwirkt.
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