Demokratie und Widerstand als bleibender Auftrag
Prof. Dr. Norbert Lammert, Vorsitzender der Konrad-Adenauer-Stiftung, eröffnete die Veranstaltung mit einem grundlegenden Hinweis auf Artikel 20 des Grundgesetzes, insbesondere auf Absatz 4, der das Recht zum Widerstand gegen jeden gewährt, der die demokratische Ordnung zu beseitigen versucht. Dieser Verfassungsartikel sei Ausdruck eines „spezifisch deutschen Verhältnisses zur Demokratie“, geprägt durch die historische Erfahrung der nationalsozialistischen Diktatur. Anhand eindrücklicher Zitate, etwa von Kurt Tucholsky, der schrieb: „Nichts ist schwerer und nichts erfordert mehr Charakter, als sich in offenem Gegensatz zu seiner Zeit zu befinden und laut zu sagen: Nein.“, unterstrich Lammert die Notwendigkeit, sich entschieden gegen Unrecht zu stellen. Demokratie, so seine Mahnung, sei keine Selbstverständlichkeit, sondern bedürfe stetiger Verteidigung – gerade angesichts der Herausforderungen unserer Gegenwart. Die Erinnerung an den Widerstand gegen den Nationalsozialismus, insbesondere an den oft übersehenen Beitrag von Frauen, bleibe daher auch heute ein bleibender Auftrag.
Ein gerechter Staat – Forderung und Vermächtnis
Dr. Felor Badenberg, Senatorin für Justiz und Verbraucherschutz in Berlin, griff in ihrer Keynote das dritte Flugblatt der „Weißen Rose“ auf, das einen „brauchbaren und gerechten Staat“ forderte – eine Forderung, die im NS-Regime lebensgefährlich war. Sie hob hervor, dass das kollektive Gedächtnis den Widerstand gegen das NS-Unrecht oft auf wenige prominente Persönlichkeiten wie Sophie Scholl, Claus Schenk Graf von Stauffenberg und Dietrich Bonhoeffer beschränkt. Diese Fokussierung greife jedoch zu kurz und verkenne die Vielfalt des Widerstands und die Netzwerke, die ihn erst ermöglichten. Trotz unterschiedlicher Motive einte alle der Wille, das NS-Unrecht nicht tatenlos hinzunehmen – auch zahlreiche Frauen waren daran aktiv beteiligt: „Deren Widerstand war so vielfältig wie sie selbst“. Badenberg erinnerte an Persönlichkeiten wie Elisabeth Gloeden und Marion Gräfin Yorck von Wartenburg, deren Leben beispielhaft für den Übergang vom Widerstand zur demokratischen Erneuerung Deutschlands stehen. Die öffentliche Anerkennung des Widerstands – insbesondere des weiblichen – verlief langwierig und konfliktreich. Während die DDR den kommunistischen Widerstand politisch nutzte, dauerte es in der Bundesrepublik bis in die 1980er Jahre, bis ziviler Widerstand umfassender gewürdigt wurde. Abschließend betonte Badenberg, dass die historische Leistung der Widerständlerinnen und Widerständler heute die Verpflichtung mit sich bringe, „Demokratie nicht als Besitzstand, sondern als fortwährenden Auftrag“ zu verstehen. Die Forderung der „Weißen Rose“ nach einem gerechten Staat bleibe auch heute politisch und moralisch richtungsweisend.
Formen, Deutung und Vermächtnis weiblichen Widerstands
Im anschließenden Podiumsgespräch unter der Moderation von Sven Felix Kellerhoff, Journalist „Die Welt“, diskutierten Dr. Felor Badenberg, Dr. Frauke Geyken, Historikerin, und Prof. Dr. Johannes Tuchel, Leiter der Gedenkstätte Deutscher Widerstand, über die Vielfalt und Bedeutung des weiblichen Widerstands gegen den Nationalsozialismus sowie dessen lange vernachlässigte Anerkennung.
Zu Beginn stand die Frage im Raum, ob es spezifisch weibliche Widerstandsformen gegeben habe. Frauke Geyken stellte dabei besonders den Rettungswiderstand heraus – Frauen, die Verfolgte versteckten, unterstützten und mit Informationen versorgten. Johannes Tuchel ergänzte, dass „Frauen in nahezu allen Widerstandsgruppen aktiv gewesen“ seien, vom kommunistischen bis zum christlich-konservativen Widerstand, mit Ausnahme des militärischen. Ihre Rolle sei jedoch lange unterschätzt worden, nicht zuletzt, weil sie in der Erinnerungskultur nach 1945 kaum Beachtung fand.
Die unterstützenden Rollen von Frauen, insbesondere im Umfeld des militärischen Widerstands, wurden differenziert beleuchtet. Frauke Geyken hob das „gemeinsame Handeln“ innerhalb von Familien hervor, etwa bei Freya von Moltke oder Clarita von Trott, das eine bewusste Mitverantwortung und Verbundenheit ausdrückte. Briefe zwischen Widerstandskämpfern und ihren Ehefrauen zeugen demnach von dieser tiefen moralischen Unterstützung. Johannes Tuchel ergänzte, dass viele Frauen sich selbst über lange Zeit „nicht als Teil des Widerstands begriffen“ hätten, was auch auf die gesellschaftliche Abwertung ihrer Rolle zurückzuführen sei. Diese Umstände erschwerten eine offene und ehrliche Auseinandersetzung mit dem Beitrag der Frauen im Widerstand über viele Jahre hinweg.
Rettungswiderstand und Alltag
Sven Felix Kellerhoff machte darauf aufmerksam, dass zwei Drittel der deutschen „Gerechten unter den Völkern“ Frauen seien, ein Befund, der sich auf die gesellschaftlichen und demografischen Bedingungen der NS-Zeit zurückführen lasse, so Frauke Geyken. Der Frauenüberschuss und die „Volksgemeinschaft“, habe Frauen stark in traditionelle Rollen gedrängt und dazu geführt, dass diese vorwiegend im privaten Umfeld aktiv wurden. Öffentliches Widerstandshandeln war durch Überwachung und Denunziation kaum möglich, weshalb sie vor allem heimlich und mit großem persönlichem Risiko halfen und damit den Rettungswiderstand entscheidend prägten.
Der Wille zum Widerstand
Das Schicksal Margot Friedländers, die sich dem Vernichtungswillen des NS-Regimes durch das bewusste Streben nach Überleben entzog, wurde vom Podium als Anlass genommen, die Grenzen und Formen von Widerstand zu definieren. Frauke Geyken sprach sich für einen weiten Widerstandsbegriff aus. Es sei der „bewusste Wille“, dem faschistischen Staat auf irgendeine Weise zu schaden, in dem Maße, wie es im jeweiligen Kontext möglich war. Selbst bei einem stark eingeschränkten Handlungsspielraum, könne daher von Widerstand gesprochen werden. Widerstand sei kein „monolithischer Block“, sondern ein breites Spektrum unterschiedlicher Formen, von aktiver Sabotage bis hin zu zivilgesellschaftlichem Nonkonformismus. Auch Handlungen, die nicht kämpferisch im klassischen Sinne waren, können Teil des Widerstands gewesen sein, sofern sie aus einer bewussten Gegnerschaft zum Regime hervorgingen. Felor Badenberg betonte in diesem Zusammenhang, dass der demokratische Rechtsstaat heute anerkenne, dass Widerstand auch in individueller Verweigerung und Zivilcourage seinen Ausdruck finden könne, insbesondere mit Blick auf die Erfahrungen der NS-Zeit. Johannes Tuchel ergänzte, entscheidend sei der innere Entschluss, sich dem Unrecht zu widersetzen. Selbst das bloße Überleben unter den Bedingungen eines mörderischen Regimes könne daher als Ausdruck eines bewussten widerständigen Handelns gewertet werden.
Widerstand als demokratischer Zukunftsauftrag
Zum Abschluss betonte das Podium die bleibende Bedeutung des Widerstands für Gegenwart und Zukunft. Frauke Geyken unterstrich das Ermutigungspotenzial, das von vielen Biografien ausgehe, während Felor Badenberg zu Wachsamkeit gegenüber heutigen autoritären Tendenzen aufrief. Geschichte sei Verpflichtung. Die Menschenwürde sei universal, sie zu verteidigen bleibe Auftrag für jede Generation.
Das Stauffenberg-Attentat auf Hitler und der Widerstand gegen das NS-Regime
Prof. Dr. Johannes Tuchel, der Leiter der Gedenkstätte Deutscher Widerstand, spricht über Motivation und Ziele der Beteiligten sowie den Ablauf und die Folgen des Umsturzversuchs.
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