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"Von der geteilten zur mit-geteilten Erinnerung“ – Der Zweite Weltkrieg in der europäischen Erinnerungskultur

Internationales Symposium der AG Zeitgeschichte

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Seit 2011, als die Europäische Kommission eine Expertengruppe zu der Frage diskutieren ließ, ob und wie sich die zentralen europäischen Erinnerungen des Nationalsozialismus/Holocaust und des Stalinismus miteinander verbinden lassen, wird in unterschiedlichen Zusammenhängen über Aspekte einer europäischen Erinnerungskultur diskutiert. Einer solchen transnationalen europäischen Perspektive wird eine wichtige Funktion für die Herausbildung einer europäischen Integration zugesprochen.

Die AG Zeitgeschichte der Konrad-Adenauer-Stiftung nahm den 70. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkriegs zum Anlass einer Bestandsaufnahme. Am 2./3. November fand in der Berliner Akademie der KAS ein zweiteiliges internationales Symposium mit dem Titel „Das Ende des Zweiten Weltkrieges und die Spaltung Europas. Aspekte einer europäischen Erinnerungskultur“ statt. Im Mittelpunkt stand die Frage nach den Gemeinsamkeiten und Unterschieden in Europa hinsichtlich des Umgangs mit der Vergangenheit und den Chancen einer gemeinsamen europäischen Erinnerungskultur.

Die europäische Idee

In ihrer Begrüßung betonte die stellvertretende Vorsitzende der Konrad-Adenauer-Stiftung, Hildigund Neubert, dass das geeinte Europa mehr sei als ein Instrument zur Wohlstandsmehrung. Gerade angesichts der gegenwärtigen Krisen sei es dringend notwendig, sich neben den materiellen auch immer wieder den ideellen Voraussetzungen des Zusammenlebens der europäischen Völker zu widmen. Dieser Aufgabe fühle sich die Konrad-Adenauer-Stiftung, die sich als Europa-Stiftung verstehe, in besonderer Weise verpflichtet. Einen Beitrag zu einem gemeinsamen europäischen Geschichtsbild wolle auch das in Vorbereitung befindliche und vom Vorsitzenden der KAS, Hans-Gert Pöttering, angeregte Haus der Europäischen Geschichte leisten.

Die Vielfalt der Erinnerungen

Den einleitenden Vortrag zum Tagungsthema hielt Professor Richard Overy (University of Exeter), einer der derzeit renommiertesten Historiker zum Zweiten Weltkrieg, dessen jüngstes Buch „Der Bombenkrieg“ auch in Deutschland für Aufsehen gesorgt hat. Overy führte aus, dass lediglich in Großbritannien die Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg vergleichsweise einheitlich und unzweideutig sei. Hier herrsche nach wie vor eine „triumphalistische Erinnerungskultur“, nach der die Briten Europa von der Tyrannei befreit hätten. In dieses heroische Narrativ passten allerdings nicht die von der Royal Air Force durchgeführten Flächenbombardements in der Endphase des Krieges. Dennoch sei die Erinnerung an den Krieg ein wichtiges Element der nationalen britischen Identität und diene nicht zuletzt als Kompensation für den Verlust des „Empire“. In Russland dominiere heute wieder eine simplifizierende und vor allem glorifizierende Sicht auf den „Großen Vaterländischen Krieg“, aus der die weniger glorreichen Aspekte – der Hitler-Stalin-Pakt, die Angriffe auf Polen und Finnland, das GULAG-System – ausgeblendet würden. In nahezu allen anderen europäischen Ländern sei die Erinnerung an den Krieg und seine politischen Folgen vielfach gebrochen und diversifiziert. Im geteilten Deutschland habe es unterschiedliche Schwerpunkte und Gewichtungen gegeben und nach der Wiedervereinigung habe etwa die Auseinandersetzung um die Wehrmachtsausstellung eine neue Ära der Auseinandersetzung mit der schwierigen Vergangenheit ausgelöst. Frankreich müsse sich zum einen mit der Realität des Vichy-Regimes und der Kollaboration mit den deutschen Besatzern auseinandersetzen, zum anderen mit der gespaltenen Erinnerung an die Résistance, die in kommunistische und nationale Kräfte um de Gaulle geteilt gewesen sei. Neuerdings sei zudem die Tatsache ins Blickfeld gerückt, dass über 60.000 französische Zivilisten bei Bombardements der Alliierten ums Leben gekommen seien, die der Befreiung ihres Landes dienen sollten. All dies gelte es in eine gemeinsame nationale Erinnerung zu integrieren. Angesichts der damit verbundenen Schwierigkeiten – die es in ähnlicher Form in vielen europäischen Ländern gebe – habe sich der anfangs keineswegs im Fokus stehende Holocaust für viele Europäer zu einem wichtigen Bezugspunkt für das Verständnis der Kriegsjahre entwickelt. Dazu habe auch die Offenlegung neuer Quellen nach dem Zusammenbruch der kommunistischen Regime, die dem Holocaust keinen zentralen Platz in der offiziellen Erinnerungskultur eingeräumt hätten, beigetragen. Es sei nun möglich, die Verstrickung der früheren deutschen Verbündeten in Süd- und Mittelosteuropa in den Holocaust zu thematisieren. Auf der anderen Seite rückten nach dem Ende des Ostblocks die Geschichte der kommunistischen Diktaturen und ihre Opfer ins Blickfeld. Gerade in den Staaten des früheren Ostblocks hätte man es daher bisweilen mit einer regelrechten Opferkonkurrenz und großen Differenzen in der Bewertung zu tun. Angesichts so vieler unterschiedlicher Perspektiven falle es schwer sich vorzustellen, dass im Sinne einer gemeinsamen europäischen Erinnerungskultur Konsens darüber hergestellt werden könne, wie, an wen und auf welche Weise erinnert werde solle. Hier gebe es keine einfachen Antworten. Ein falscher Weg wäre es, öffentlichen Auseinandersetzungen aus dem Weg zu gehen. Sie seien vielmehr notwendig und wünschenswert. Im Zentrum jeglicher Erinnerungskultur stünde dabei die unbehagliche Frage „Was hätte ich getan?“

„Shared memories“

Es schloss sich eine von Sven-Felix Kellerhoff (DIE WELT) moderierte Diskussionsrunde an, an der neben Prof. Overy die Professoren Stefan Troebst (Leipzig) und Étienne François (Berlin) teilnahmen. Auch hier kam Skepsis gegenüber der „Machbarkeit“ einer gemeinsamen europäischen Erinnerungskultur zum Ausdruck. Plädiert wurde für eine größere Offenheit gegenüber anders akzentuierter Erinnerung. Notwendig sei im Sinne Dan Diners ein „Abgleich der nationalen Gedächtnisse“, ein „Teilen“ der Erinnerung im Sinne von „Mit-Teilen“.

Europäischer Erfahrungs- und Gedankenaustausch

Den zweiten Teil der Veranstaltung bildete ein ganztägiger Workshop am 3. November. Hier ging es in kleinerer Expertenrunde in vier von Mitgliedern der AG Zeitgeschichte moderierten Sektionen um eine Bestandsaufnahme in den Bereichen Wissenschaft, Schulen, Museen und Öffentlichkeit. Die Beiträge der Expertinnen und Experten zu Polen, Italien, Frankreich, Deutschland, Finnland, der Slowakei, Ungarn und Norwegen verdeutlichten die z. T. immer noch sehr unterschiedlichen nationalen Sicht- und Herangehensweisen, die sich allerdings simplifizierenden Ost-West-Mustern entziehen. Deutlich wurde aber auch, dass es in immer stärkerem Maße internationale Verflechtungen und Perspektiven gibt, v. a. im Bereich der Wissenschaft und der Museumsarbeit, ansatzweise auch im Schulunterricht. Damit sei, wie Dr. Alexander Brakel, stellvertretender Leiter der Hauptabteilung Wissenschaftliche Dienste/Archiv für Christlich-Demokratische Politik und Leiter der AG Zeitgeschichte, abschließend feststellte, ein wichtiger Schritt zu mehr Gemeinsamkeit und gegenseitigem Verständnis vollzogen.

Christopher Beckmann

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