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Interviews

"Es geht um totalitäre Gesellschaften gegen offene Gesellschaften"

Düzen Tekkal im Interview zu den andauernden Protesten im Iran

Die Proteste gegen das iranische Mullah-Regime halten weiter an. Mit der Journalistin und Autorin Düzen Tekkal haben wir darüber gesprochen, warum das nicht nur eine Angelegenheit der mutigen Menschen im Iran ist, was sie von uns erwarten - und wie Deutschland und Europa sie noch stärker in ihrem Freiheitskampf unterstützen können.

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Warum sollten die Proteste im Iran uns alle etwas angehen? 

Es ist wichtig die Proteste, die seit Wochen landesweit jeden Tag stattfinden, ernst zu nehmen. Wenn im Iran Kinder, Frauen und Männer getötet werden, wenn sie für ihre Grundrechte auf die Straße gehen, dann müssen wir uns dafür interessieren, denn diese Grundrechte und der Einsatz für universelle Menschenrechte und Frauenrechte ist ja das, worauf das Friedensprojekt Europa basiert. Und gerade zu Europa bzw. Deutschland bestehen bedeutende Verstrickungen, weshalb wir uns hier nicht heraushalten können. Es ist Fakt, dass Deutschland einer der wichtigsten Handelspartner dieses islamistischen Regimes ist. Es kann nicht in unserem Interesse sein, wenn das Regime seine eigene Bevölkerung massakriert, weil sie für ihre Grundrechte auf die Straße geht. Es geht um Frauenrechte, um Menschenrechte und Grundrechte, um Selbstbestimmung und Freiheit. Die Gefahr, die von diesem Regime ausgeht, besteht nicht nur für die Menschen im Iran, sondern auch weltweit – einem Regime, das nachweislich religiös extremistische und terroristische Bewegungen, wie beispielsweise die libanesische Hisbollah finanziert, und das eine militärische Bedrohung für Israel darstellt. Das muss uns beunruhigen, und insofern ist es wichtig, dass diese Sanktionen und eine „Iranwende“ eingeläutet werden, denn der verlängerte Arm des Regimes ist weltweit tätig. In den letzten 20 Jahren sind 180 Oppositionelle im Iran zu Tode gekommen. Die Menschen im Iran sind in Geiselhaft, aber auch die der Rest der Welt ist bedroht. Wir werden angegriffen, als offene Gesellschaften, als Demokratien, unsere liberalen Werte, die ja auch nicht „westlich“ sind, sondern universell. Ein Weiter-so kann es nicht geben, und insofern ist es wichtig, dass wir die Sensibilität dafür herstellen, dass die Proteste uns alle etwas angehen müssen. De facto ist es schon so, dass die Proteste, diese Hilferufe, weltweit angekommen sind. Weil die Menschen ihr Leben aufs Spiel setzen, um uns diese Informationen zukommen zu lassen. Bisher war der Iran eine Blackbox, was auch mit der nicht vorhandenen Pressefreiheit zu tun hat und dass dort keine Auslandsberichterstattung erwünscht ist. Der Mut der Menschen, die für ihre Grundrechte auf die Straße gehen und die uns unter Einsatz ihres Lebens diese Videos zukommen lassen, dieser Mut muss belohnt und darf nicht ignoriert oder sogar bestraft werden. Sonst sind wir nicht Teil der Lösung, sondern Teil des Problems und wir müssen anfangen, darüber nachzudenken, wie wir diese Protestbewegung insofern unterstützen können als dass wir uns ihr nicht in den Weg stellen. Und das ist genau das was die Menschen dort unten sagen, wir erledigen das selber, wir brauchen keine Militärinterventionen. Was wir von Euch verlangen ist: „Be our voice“!

 

Warum gibt es keinen Aufschrei in Deutschland?

Diese Frage habe ich mir auch gestellt, warum es keinen Aufschrei gibt. Und das ist das Grundprinzip unseres Engagements mit unserer Menschenrechtsorganisation Hawar Help, als Schallverstärker den Aufschrei aus dem Iran zu übersetzen in diese Welt. Deswegen haben wir die Petition ins Leben gerufen, mit den 11 Forderungen, die Sie auch auf der Bundestagsseite nachlesen können und zu Kundgebungen aufgerufen, 120.000 Menschen haben demonstriert im Herzen der Demokratie Deutschlands in Berlin, an der Siegessäule. Die lügen nicht, die können nicht lügen. Das sind alles Menschen, die diesen Aufschrei übersetzen. Darum geht es. Nichts ist schlimmer als Krieg und Entmenschlichung, an die wir uns gewöhnen. Jeder Krieg, an den wir uns gewöhnt haben, ist einer zu viel. Es geht um den Einsatz für universelle Menschenrechte. Und noch mal, diese unheilvolle Achse, die sich auftut, zwischen Russland, dem Iran und zwischen der Führung in der Türkei, die muss uns beunruhigen, da wir die Zielscheibe sind, am Ende des Tages. Es geht um totalitäre Gesellschaften gegen offene Gesellschaften, diese Sicherheitsarchitektur wird in Frage gestellt. Und ähnlich wie wir bei Putin und Russland agieren, müssen wir uns auch beim Iran verhalten. Wir können die Regime nicht dafür belohnen, dass sie ihre Bevölkerungen massakrieren, und wir auch in der Mediennutzung und im Medienverhalten müssen wir nacharbeiten bzw. nachbessern. Und diese Gefahr des Irans, zum Beispiel durch die Bereitstellung der Drohnen für Russland, zeigt ja auch, dass auch ukrainische Menschen gefährdet sind. Und zu Tode kommen. Und deswegen könnte der Aufschrei nicht größer sein. Warum ich noch einen Aufschrei vermisse: Dort ist eine Revolution im Gange ist, die wir nicht mehr ignorieren können. In den ersten Tagen wurden wir abgetan, nach dem Motto, „Ihr übertreibt“.  Aber wir haben die Informationen bekommen, uns haben sich die Betroffenen mitgeteilt, und es hört und hört nicht auf. Dem sollten wir Respekt zollen, da ist eine Generation, die bereit ist für ihre Freiheit zu sterben, und wir, die auf Freiheit basieren und aufgebaut sind, wollen den Kopf in den Sand stecken und so tun als hätte das nichts mit uns zu tun. Das ist der Grund, warum wir vehement dagegenhalten und warum wir versuchen, Schallverstärker zu sein und zu Kundgebungen und Demonstrationen aufzurufen. Denn nur so wir Druck erzeugt. Wir versuchen auch die politischen Entscheidungsträger mit diesem Leid, aber auch der Hoffnung zu konfrontieren. Und dass es ein „Weiter so“ nicht geben kann. Das wurde ja jetzt auch bestätigt seitens des Auswärtigen Amtes. Das sind schon einmal erste Schritte, aber das reicht natürlich nicht.

 

Was sollte die Politik unternehmen, um der Protestbewegung den Rücken zu stärken? 

Die Politik sollte sich an die Seite der Zivilbevölkerung stellen und maximalen Druck auf das Regime ausüben. Die Sanktionen müssen das Regime treffen und nicht die Zivilbevölkerung ausbluten lassen. Da gibt es unterschiedliche Wege, wie beispielsweise die Revolutionsgarden auf die Terrorliste zu setzen oder safe spaces für die iranische Diaspora zu schaffen. Sanktionen müssen viel weitergehen, damit sie nicht als Sanktiönchen bezeichnet werden. Auch Institutionen wie die KAS, gerade auch durch die Vernetzung und weltweiten Büros, denen kommt hier eine wichtige Rolle zuteil. Und es geht darum, dass die Ohren und Augen des Irans, die hier ihr Unwesen betreiben, sanktioniert werden müssen. Diejenigen, die  Angst und Schrecken verbreiten, die hier schalten und walten - diese Angstmacher müssen unter Druck gesetzt werden. Wir müssen unterbinden, was hier passiert. Ich will es noch einmal zusammenfassen: Es ist nicht das erste Mal, dass Frauen- und Menschenrechte im Iran mit den Füßen getreten werden, aber es ist das erste Mal, dass wir Zeugen werden. Und deswegen können und dürfen wir nicht wegsehen. Die Menschen haben den Mut aufgebracht, viele zum ersten Mal, ihr Schweigen zu brechen, weltweit. Dieses Brechen des Schweigens muss belohnt werden. Und deswegen müssen wir den Weg weiterhin begleiten. Damit wir uns nicht falsch verstehen: wir können hier keine Revolution starten, aber wir können die Zustände dort begleiten und uns wohlwollend an die Seite der Zivilgesellschaft und der Menschlichkeit stellen und versuchen, dieses Unrechtsregime maximal unter Druck zu setzen, und da haben wir viele Mittel. 

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