Ergebnisse und Erkenntnisse im Überblick
- Premierminister Luis Montenegro und die von ihm geführte Aliança Democrática (AD), ein Mitte-Rechts-Wahlbündnis, ist zwar gestärkt aus dieser Neuwahl hervorgegangen, verfehlte jedoch bei weitem die absolute Mehrheit. Zugleich gewann die liberale Iniciativa Liberal (IL) so wenig hinzu, dass als einzige realistische Option nur von einer Fortsetzung der seit elf Monaten bestehenden Minderheitsregierung ausgegangen werden kann.
- Die klaren Gewinner sind die rechtspopulistische Chega, die klaren Verlierer die Partido Socialista (PS). Letztere verfügten noch vor drei Jahren über die absolute Mehrheit, verloren diese jedoch schon 2024 und rutschten nun bei dieser Wahl auf 22,83 % und damit sogar auf den dritten Platz ab. Chega, erst 2009 gegründet, verbesserte ihr Ergebnis im Vergleich zur Vorwahl noch einmal um über 4,5 % auf nunmehr 22,76 %.
- Diese Ergebnisse markieren eine Zäsur in der portugiesischen Demokratie. Diese war seit ihrem Bestehen durch einen sogenannten Bipartidismo geprägt. Eine Zwei-Parteien-Dominanz von mitte-rechts und mitte-links, die alternierend die Regierung mit Hilfe kleinerer Partner anführten. Nunmehr schiebt sich mit Chega eine dritte Partei in vergleichbarer Stärke nach vorne. Das bedeutet eine signifikante Veränderung der Machtverhältnisse im Parlament mit noch nicht absehbaren Auswirkungen auf die Regierungsbildung, die Themen, Absprachen und das Oppositionsverhalten.
- Portugiesische Kommentatoren ziehen die Schlussfolgerung, dass „die Rechte“ mehr als die Zweidrittelmehrheit im Parlament auf sich vereinige, während „die Linke“ zusammen kaum mehr als 30% erreiche. Das führte in ausländischen Kommentaren zum Diktum, in Portugal habe es einen „Rechtsruck“ gegeben.
- Portugal hat sich offenbar einem europaweiten Dreifach-Trend angeschlossen: Erstens gelten linke politische Kräfte als verbraucht, gar als Ursache für viele Missstände im Land. Zweitens wird konservativ-liberalen Parteien Regierungsverantwortung übertragen. Drittens verfestigen rechtspopulistische Parteien ihre Position, indem sie von Protestparteien zu strukturell fest verankerten politischen Kräften avancieren.
- Obgleich die sogenannte „Spinumviva-Affäre“ um den Premierminister Luis Montenegro der Anlass für die vorgezogene Neuwahl gewesen ist, war die Debatte um eine möglicherweise unstatthafte Verflechtung seiner privaten Agentur mit öffentlichen Aufträgen nicht wahlentscheidend. Stattdessen dominierten ungelöste Alltagsprobleme der Menschen rund um Wohnen, Gesundheit, illegale Immigration sowohl im Wahlkampf als auch bei Wahlentscheidung.
- Hinsichtlich des Abschneidens von Chega lagen die Umfragen deutlich neben dem tatsächlichen Ergebnis. Erste Detailanalysen zeigen eine wachsende Diskrepanz zwischen den Positionierungen der Opinion-makers in den Leitmedien und der Wahrnehmung in der Wählerschaft. Der sozialistische Kandidat Pedro Nuno Santos wurde medial nach den Debatten am besten bewertet, war aber der große Wahlverlierer. Der Kandidat André Ventura, Vorsitzender der rechtspopulistischen Chega, wurde am schlechtesten bewertet, ging jedoch als der Hauptgewinner aus der Wahl. Analog zur Vorgehensweise anderer rechtspopulistischer und rechtsextremer Parteien liegt eine der Ursachen für den Stimmenzuwachs in einer überdurchschnittlich starken Digitalpräsenz in den Sozialen Medien – weit vor allen anderen konkurrierenden Parteien.
- Nun ist eine komplizierte Regierungsbildung zu erwarten. Vieles hängt davon ab, wie sich die Sozialisten personell und politisch-strategisch unter ihrem wahrscheinlich zukünftigen Generalsekretär José Luís Carneiro neu aufstellen. Suchen sie ihr Heil in einer Fundamental-Opposition oder geben sie Luis Montenegro und der AD durch Enthaltungen die Chance, eine Regierung zu bilden und ein Regierungsprogramm umzusetzen? Offen ist auch, wie sich Chega verhalten wird. Montenegro hat jede institutionelle Zusammenarbeit mit Chega abgelehnt. Er hält damit eine formale Brandmauer nach rechts aufrecht. Das schließt aber taktische Einzelabsprachen beispielsweise bei der Verabschiedung des Haushaltes – einem politischen Schlüsselereignis für den Fortbestand jeder Regierung – nicht aus.
Mandate 2025 | Ergebnis 2025 | Stimmen- differenz 2025 | Gesamt- stimmen 2025 | Mandate 2024 | Ergebnis 2024 | |
Aliança Democrática (PSD &CDS-PP) |
91 (+11) |
31,79 % | +140.995 | 2.008.437 |
80 (+3) |
28,85 % |
CHEGA! (CH) |
60 (+10) |
22,76 % | +268.045 | 1.437.881 |
50 (+38) |
18,07 % |
Partido Socialista (PS) |
58 (-20) |
22,83 % | -370.270 | 1.442.194 |
78 (-42) |
28,00 % |
Iniciativa liberal (IL) |
9 (+1) |
5,36 % | +18.979 | 338.664 |
8 (0) |
4,94 % |
Livre (L) |
6 (+2) |
4,07 % | +52.597 | 257.273 |
4 (+3) |
3,16 % |
Coligação Democrática Unitária (CDU) |
3 (-1) |
2,91 % | -21.695 | 183.741 |
4 (-2) |
3,17 % |
Bloco de Esquerda (BE) |
1 (-4) |
1,99 % | -156.604 | 125.710 |
5 (0) |
4,36 % |
Pessoas-Animais-Na- tureza (PAN) |
1 (0) |
1,38 % | -39.139 | 86.946 |
1 (0) |
1,95 % |
Juntos pelo Povo (JPP) |
1 (+1) |
0,33 % | +20.911 | 20.911 | - | - |
Die Wahlbeteiligung betrug 2025 58,23 % (vgl.: 2024: 59,84 %; 2022: 52,19 %; 2019: 48,57 %; 2015: 55,86 %). Quelle: Expresso.pt; Tabelle: @kas.de.
Wahlbestimmende Faktoren und Themen
Nach nur elf Monaten Minderheitsregierung stellte der amtierende Premierminister Luís Montenegro am 11. März 2025 die Vertrauensfrage im Parlament. Er sah sich zu diesem Schritt durch wachsenden politischen und medialen Druck gezwungen. Hintergrund sind Vorwürfe, er sei unrechtmäßig mit der von ihm gegründeten und formal auf seine Frau überschriebenen Beratungsfirma Spinumviva verbunden. Die Firma erhält unter anderem monatliche Zahlungen für Beratungsleistungen von dem Großunternehmen Solverde, einer Casino- und Hotelkette, die von staatlichen Konzessionen abhängt. Das Thema wurde zum Politikum. Chega und die Kommunisten stellten zwei Misstrauensanträge, die von den Sozialisten jedoch aus Sorge vor unerwünschten Neuwahlen abgelehnt wurden.
Die PS drohte der AD jedoch mit einer parlamentarischen Untersuchungskommission, die den Vorgang für Monate offengehalten hätte, obwohl konkrete Indizien und damit eine mögliche Rechtfertigung einer so weitreichenden Maßnahme auch den Sozialisten unbekannt sind. Luís Montenegro bot Oppositionsführer Pedro Nuno Santos ein bilaterales Treffen an, was dieser jedoch ablehnte. Vielmehr bestand er auf einer Untersuchungskommission, die von allen Portugiesen verfolgt werden könne. Doch Nunos Santos verschätzte sich doppelt: Nicht nur ließ sich Montenegro keine Untersuchungskommission aufzwingen, die seiner Meinung nach keine Rechtfertigung besitzt und bevorzugte es, Neuwahlen auszurufen. Des Weiteren spielte die Spinumviva-Affäre dann im Wahlkampf - und vor allem bei der Wahlentscheidung - nur eine untergeordnete Rolle.
Der AD hat sie offenbar nicht geschadet. Doch trotz der kurzfristig gelungenen „Flucht nach vorne“ dürfte Premierminister Montenegro die Angelegenheit noch weiter begleiten, da die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft gerade erst begonnen haben und noch andauern, wodurch das Thema vorerst Teil der öffentlichen Berichterstattung bleiben wird.
Der portugiesischen Wählerschaft standen unterscheidbare politische Alternativen zur Verfügung. Im Unterschied zur Wahrnehmung in Deutschland, der zufolge Wahlprogramme nicht gelesen würden und deren Erstellung deshalb eher eine Pflichtübung sei, waren die Parteien in Portugal besonders fleißig. Mit 139 Seiten war das Parteiprogramm der liberalen IL vergleichsweise kurz. PS und die AD wiesen Programme mit 236 bzw. 277 Seiten auf, an der quantitativen Spitze steht Chega mit einem 310 Seiten umfassenden Wahlprogramm.
Wenig überraschend bilanzierte die regierende AD umfänglich ihre Leistungen und Ergebnisse in nur 11 Monaten Regierungstätigkeit. Sie verwies auf 19 Sozialabkommen in den Bereichen Rente, Gehälter für Lehrkräfte, Maßnahmen zur Verbesserung des Gesundheitswesens oder der Linderung der Wohnungsnot. Dass die makroökonomischen Zahlen noch keine Wende reflektierten, wird auf das lange politische Erbe sozialistischer Regierungen zurückgeführt, deren Überwindung Zeit bräuchten. Deshalb bestand die zentrale Leitbotschaft des Wahlkampfes in der Bitte an das Elektorat, den eingeschlagenen Weg fortsetzen zu können: „Portugal darf nicht stehen bleiben“.
Die PS warb mit der Leitbotschaft: „Ein neuer Impuls für Portugal“. Es dürfte auch, aber nicht nur am umstrittenen Spitzenkandidaten Pedro Nuno Santos gelegen haben, dass dieses Leitmotiv die Wählerschaft nicht überzeugte. Selbstredend wäre es für keinen Spitzenkandidaten leicht gewesen, in die großen Fußstapfen des erfolgreichen früheren Regierungschefs Antonio Costa zu treten. Die PS hat in der Opposition keine klare Linie zwischen Kooperation und Konfrontation gefunden. Zudem sehen viele in der Sozialistischen Partei die Partei, die aufgrund ihrer langen Regierungszeit – sogar mit absoluter Mehrheit – für die als desolat empfundenen Zustände im Bildungswesen, bei der öffentlichen Gesundheitsversorgung oder im Wohnungsbau verantwortlich sind. Pedro Nuno Santos trat noch am Wahlabend von seinen Ämtern zurück.
Die IL hat im Vergleich zur letzten Wahl zwar leicht hinzugewonnen, doch deutlich weniger als erwartet. Sie präsentierte sich als Alternative zu den „Systemparteien“ PS und AD, die sie als verkrustet und behäbig bezeichnete. Unter dem Leitmotiv: „Portugal beschleunigen“, plädierte sie für eine konsequent marktwirtschaftliche, angebotsorientierte Politik. Der Staat müsse nicht nur modernisiert, sondern auf seine Kernaufgaben in den Bereichen Verteidigung, Sicherheit, Justiz, Infrastruktur, Gesundheit und Bildung zurückgeführt werden. Man sehe in Portugal kein Marktversagen, sondern ein Staatsversagen. Die große Mehrheit der portugiesischen Wählerschaft ist jedoch politisch so sozialisiert, dass sie dem Staat eine größere Rolle zuweist. Entsprechend wenig verfingen die Wahlbotschaften der Liberalen.
Chega formulierte ein Wahlprogramm, das sich weniger radikal liest als ihre Repräsentanten in aggressiver Rhetorik öffentlich kundtaten. Mit der Leitbotschaft „Portugal retten“ intoniert das Wahlprogramm das Narrativ, Portugal stünde am Abgrund und könne deshalb nur von Chega „gerettet“ werden. Portugal werde von schlechten Regierungen, Migranten, dem Ausland und dem vermeintlichen Werteverfall bedroht. Portugals Regierung müsse wieder den Portugiesen dienen, so die polemische Zuspitzung. Unbefriedigende Daten zu Lebenshaltungs- und Wohnungskosten, lange Wartezeiten für Operationen und Verteilungskonflikte zwischen Migranten und örtlicher Bevölkerung alimentierten diese Attacken. Es ist kein Zufall, dass Chega vor allem in den Wahlkreisen des Südens nicht nur erheblich an Stimmen gewonnen, sondern diese unmittelbar von den Sozialisten als stärkste Kraft erobert hat. In diesen durch Landwirtschaft und Tourismus dominierten Gegenden sind die Probleme real. Hinzu kommt das Gefühl, bei Investitionen übersehen zu werden, gar abgehängt zu sein.
Die Regionalpartei JPP („Zusammen für das Volk“) aus Madeira gewann erstmals einen Sitz im nationalen Parlament. Ursprünglich als lokale Protestbewegung entstanden, strebt sie mehr Transparenz, soziale Gerechtigkeit und die Stärkung der Autonomie Madeiras an. Sollte es ihr gelingen, auch in anderen autonomen Regionen Fuß zu fassen oder sich als Stimme regionaler Interessen im Parlament zu etablieren – was ihrem politischen Ziel entspricht –, könnte sie langfristig an nationaler Relevanz gewinnen.
Von den kleineren, links bzw. linksaußen von der PS stehenden Parteien Livre, Linker Block (BE) und der kommunistischen Demokratischen Einheitskoalition (CDU) konnte nur Livre, die Partei des bis in Teile der politischen Mitte hinein respektierten Spitzenkandidaten Rui Tavares, zwei Mandate hinzugewinnen, die restlichen Kräfte verloren teils bedeutende Stimmenanteile (siehe Tabelle).
Wie weit ist Portugal „nach rechts“ gerückt?
Unbestreitbar signalisiert das Erstarken von Chega und der Einbruch der Sozialisten einen grundlegenden Wandel in den politischen Haltungen der Wählerschaft, die mit anderen europäischen Ländern vergleichbar ist. Vergleichbar bedeutet indes nicht, gleich zu sein. Der vorrangig in deutschen Medien verwendete Begriff „Rechtsruck“ verdeckt mehr als er erhellt. Das Wort „Ruck“ insinuiert etwas Plötzliches, wenig Erwartbares. Und der Begriff „Rechts-“ verweist auf eine ideologische Debattenebene. Beides trifft indes auf den jüngsten Wahlkampf in Portugal nicht zu.
Seit mehreren Wahlen ist ein kontinuierliches Wachsen der Rechtspopulisten zu beobachten. Deren steigende Zustimmungsraten speisen sich aus zahlreichen Korruptionsfällen der Regierungsparteien, die dem Chega-Narrativ vom „maroden, korrupten System“ immer wieder neue Nahrung gibt. Die objektiv schwierigen Bedingungen vieler Menschen, die eine bezahlbare Wohnung, Zugang zur ärztlichen Versorgung oder eine adäquate Bildung erwarten, verweisen auf ein ernstes Effektivitäts- und Effizienzproblem staatlichen Handelns. Im Wahlkampf wurden unzählige Beispiele wie das der studierten Lehrerin oder des Krankenpflegers bekannt, die als Mittelschicht nicht nur subjektive Abstiegsängste verspüren, sondern tatsächlich verarmen und beispielsweise an die Peripherie Lissabons umziehen müssen.
Auch das Migrationsthema hat in erster Linie eine ökonomische und erst in zweiter Linie eine kulturelle Dimension. In den neuen Hochburgen von Chega, den ehemaligen Hochburgen der Sozialisten, konkurrieren eine hohe Anzahl von Migranten mit der ansässigen Bevölkerung um die begrenzt vorhandenen Jobs, Wohnungen und Zugänge zu öffentlichen Dienstleistungen. Dass Chega in populistischer Manier Pauschalverurteilungen und -verdächtigungen formuliert, nicht haltbare Assoziationen von Migration und Kriminalität herstellt oder in Trump‘scher Manier „Portugal-first“-Botschaften artikuliert, ist offenkundig. Ihre Vereinfachungen tragen nicht zur Lösung bei. Im Unterschied beispielsweise zur AfD hat Chega indes keinen Anti-Europa- und keinen Anti-System-Wahlkampf geführt.
Es bedarf tiefergehender Analysen, inwieweit sich auch Chega analog zu anderen rechtspopulistischen Parteien von einer Protestbewegung zu einer strukturell gefestigten Partei entwickelt hat. Die Regierung Montenegro widersteht der Versuchung, zusammen mit Chega institutionell zu koalieren und dadurch mit einer komfortablen absoluten Mehrheit „durchzuregieren“. Formal steht eine Brandmauer. Zugleich ist den Akteuren von AD bewusst, dass sich die moderaten Parteien nur über eine sichtbare Verbesserung der Lage in den skizzierten Alltagsthemen stabilisieren und dadurch Wähler von Chega zurückgewinnen lassen. Selbstbewusst lässt sich die AD kein politisches Problem zu einem de-facto-Tabu erklären, nur weil auch Chega das gleiche Thema „hochzieht“. Bringt die Regierung Montenegro einen Parlamentsbeschluss ein, wird auch eine punktuelle Zustimmung von Chega akzeptiert, wenn es der eigenen Lösung zum Durchbruch verhilft.
Nächste Schritte auf dem Weg zu einer neuen Regierung
Seit dem ersten Tag nach der Wahl begannen der AD-Fraktionsvorsitzende Hugo Soares und der Präsidialamtsminister António Leitão, sowohl mit der PS als auch mit Chega die Voraussetzungen für die baldige Schaffung einer stabilen Minderheitsregierung der AD zu verhandeln. Die Begriffskombination „stabil“ und „Minderheitsregierung“ erscheint als Widerspruch in sich, wird jedoch in Portugal gelassener als in Deutschland bewertet und gelebt. Die AD wird jedoch in Erfüllung ihres Wahlversprechens keine formale Regierung mit der rechtspopulistischen Chega bilden. Das schließt aber ausdrücklich nicht aus, mit allen politischen Kräften „Gesetz um Gesetz“ (im eigenen Sinne) zu verhandeln und Kompromisse zu suchen. Auf Seiten der PS wurde schnell bekanntgegeben, dass sich Carneiro als neuer und einziger Kandidat für eine „Direktwahl zum Vorsitzenden durch die Basis“ präsentieren werde. Für die Regierungsbildung ist die Einschätzung Carneiros relevant, dass sich die PS strukturell und organisatorisch neu aufbauen müsse. Im Umkehrschluss bliebe ihr deshalb keine andere Wahl, als zur politischen Stabilität Portugals beizutragen und die Regierungsbildung Montenegros konstruktiv zu begleiten. Noch ist offen, welchen politischen Preis die PS von Montenegro verlangen wird.
Die Arbeitsweise einer Minderheitsregierung in Portugal
Auf der iberischen Halbinsel hat sich das Modell der Minderheitsregierungen aufgrund fehlender Mehrheiten, der Schwäche der Volksparteien und der daraus resultierenden Zersplitterung des Parteiensystems mittlerweile sowohl in Spanien als auch in Portugal „etabliert“. Das politische Tagesgeschäft und kleinere administrative Reformen können weitgehend in Form von Regierungsdekreten implementiert werden. Gesetzesdekrete kann die Regierung ebenfalls verabschieden. Diese sind dann sofort wirksam und bedürfen in Portugal nicht zwingend – im Gegensatz zu Spanien – einer Bestätigung durch das Parlament nach 30 Tagen. Durch diese Art der „Duldung“ behalten die Gesetze dann ihre Gültigkeit. Zudem kann die Regierung im Zuge von umfangreicheren Gesetzgebungsvorhaben, bspw. der Vorlage eines Haushaltsentwurfes, punktuelle Enthaltungen von Oppositionsfraktionen im Parlament verhandeln, indem deren Kernanliegen zumindest partiell in den entsprechenden Gesetzesentwürfen berücksichtigt werden. Dafür reicht nach portugiesischem Recht eine einfache Mehrheit.
Die Grenzen dieses Vorgehens liegen bei Organisationsgesetzen (leis orgânicas), die in die grundlegenden Strukturen des Staates eingreifen und die einer absoluten Mehrheit bedürfen, sowie bei Verfassungsänderungen (revisões constitucionais), die einer Zweidrittelmehrheit bedürfen. Folglich ist das Modell der Minderheitsregierung in Portugal auf den ersten Blick handlungsfähiger, als man zuerst annehmen könnte, ersetzt jedoch keinesfalls die Vorzüge einer stabilen Mehrheitskoalition, die auch tiefgreifende Strukturreformen durchführen kann.
AD, IL und Chega vereinen zusammengenommen erstmals in der portugiesischen Geschichte eine Zweidrittelmehrheit auf sich. Der Verlust der bisherigen Zweidrittelmehrheit von AD und PS und das Erstarken von Chega könnten künftig Auswirkungen auf die Ernennung von Richtern am Verfassungsgericht und auf weitere Personalentscheidungen in der Justiz und der Staatsanwaltschaft haben. Bei aller Ablehnung einer formellen Koalition ist nicht ausgeschlossen, dass zwischen AD, IL und Chega eine punktuelle Reform einiger Verfassungsartikel stattfinden könnte, die unter der linken Vorherrschaft der vergangenen fünf Jahrzehnte bisher in dieser Art unmöglich war.
Regionale Unterschiede bei den Wahlen 2025 - Norden vs. Süden
Die Parlamentswahl 2025 hat die politischen und gesellschaftlichen Bruchlinien zwischen Nord- und Südportugal besonders deutlich hervortreten lassen. Während die AD den Norden und große Teile des Zentrums mit Siegen in 215 von 308 Concelhos (Gemeinden) für sich gewinnen konnte, erzielte Chega im Süden einen unerwartet starken Durchbruch in Regionen, die über Jahrzehnte als Hochburgen der Sozialisten galten und traditionell linke Mehrheiten aufwiesen.
Dieser Wandel lässt sich vor allem durch tiefgreifende strukturelle Probleme im Süden erklären. Die dortige Wirtschaft ist stark von Landwirtschaft und Tourismus abhängig - Sektoren, die durch den Klimawandel, niedrige Löhne, prekäre Arbeitsverhältnisse und eine hohe Dichte migrantischer Arbeitskräfte zunehmend unter Druck geraten sind. Der direkte Wechsel vieler Wählerinnen und Wähler von den Sozialisten zu den Rechtspopulisten zeigt zweierlei: Die Sozialisten werden nicht mehr als die Anwälte der „kleinen Leute“ und der Arbeiterschaft angesehen. Und die AD wird nicht als die angemessene Alternative aus der Mitte des politischen Spektrums bewertet.
Bedeutung der Wahl für Europa und die NATO
Portugals Wirtschaft wächst um die 2%, unterstützt durch Investitionen im Rahmen des Wiederaufbau- und Resilienzplans der EU. Die öffentliche Verschuldung konnte weiter reduziert werden und lag Ende 2024 bei 95,3 % des BIP. Die Inflation sank von 4,3 % im Jahr 2023 auf 2,4 % im Jahr 2024 und wird für 2025 auf 2,1 % geschätzt. Diese Entwicklung ist auf moderatere Lohnkosten und stabile externe Preise zurückzuführen. Insofern bleibt Portugal analog zu den übrigen wachsenden Volkswirtschaften im Süden Europas gerade für Deutschland ein interessanter Handelspartner.
Die Arbeitslosenquote betrug im ersten Quartal 2025 6,6 %, wobei die Jugendarbeitslosigkeit weiterhin bei über 21 % liegt. Portugal leidet unter einem signifikanten Brain-Drain vor allem junger qualifizierter Menschen. Dies ist u.a. auf das niedrige allgemeine Lohnniveau zurückzuführen (Pro-Kopf-Einkommen Portugals liegt bei 82% des EU-Durchschnitts). In Kombination mit den hohen Lebenshaltungs- und Wohnkosten und den immer noch schwierigen Bedingungen in den Bereichen Bildung und Gesundheit ergibt sich der Druck, sein berufliches Glück im Ausland zu suchen.
Die Europapolitik war kein entscheidendes Wahlkampfthema. Die Zustimmung der portugiesischen Bevölkerung zur EU ist heute höher als zu Zeiten der portugiesischen Wirtschafts- und Finanzkrise. Laut dem European Policy Barometer der Fundação Francisco Manuel dos Santos vom Mai 2024 vertrauen die Portugiesen zu 65,5% in die Europäische Kommission, glauben zu 85 %, dass die Teilnahme an den EU-Wahlen ihnen eine Stimme gibt. Bei einem hypothetischen Referendum würden 84,5 % der Befragten für den Verbleib Portugals in der EU stimmen.
Offenbar erkennen die Portugiesen an, dass die EU-Fonds erheblich zur wirtschaftlichen Erholung Portugals insbesondere nach der COVID-19 Pandemie beigetragen haben. Zudem wird die EU im Zeichen internationaler Herausforderungen als stabilisierende Kraft in Zeiten globaler Unsicherheiten wahrgenommen.
Die AD unter dem Regierungschef Montenegro verfolgt eine pro-europäische Agenda mit Schwerpunkt auf wirtschaftlicher Wettbewerbsfähigkeit und Integration. Sie befürwortet eine stärkere Integration und gemeinsame EU- Finanzierungsmechanismen für Verteidigungsausgaben. Dies wurde durch den Aufruf des portugiesischen Finanzministers im Dezember 2024 deutlich, der eine koordinierte europäische Reaktion auf die gestiegenen Verteidigungsausgaben forderte.
Das Thema Verteidigung spielte im Wahlkampf ebenfalls keine maßgebliche Rolle. Laut Umfragedaten von Statista aus dem Jahr 2024 befürworten 87 % der Portugiesen den Verbleib ihres Landes in der NATO, was einen der höchsten Werte unter den Mitgliedstaaten darstellt. Lediglich 12 % sprechen sich für einen Austritt aus. Zudem befürworten 77 % der Befragten eine Beibehaltung (34 %) oder Erhöhung (43 %) der Verteidigungsausgaben; lediglich 9 % sprechen sich für Kürzungen aus.
Die AD setzt auf eine verstärkte Integration in die europäische Verteidigungspolitik. Im Wahlkampf vertrat die AD die Position, dass Portugal bis 2029 das NATO-Ziel von 2 % des BIP für Verteidigungsausgaben erreichen wolle und dieser Zeitplan nicht beschleunigt werden könne. Nach den Wahlen räumte Außenminister Paulo Rangel im Zuge der Vorbereitungen zum NATO-Gipfel in Den Haag jedoch ein, dass Portugal mindestens 3,5 %, vielleicht sogar mittelfristig 5 % erreichen könnte, falls man die Verteidigungsausgaben mit Investitionen in die kritische Infrastruktur zusammendenke. Zudem plant die Regierung die Schaffung eines „Verteidigungsclusters“ in der Wirtschaft, um die nationale Rüstungsindustrie zu stärken und Innovationen zu fördern. Bis vor kurzem ließ die AD nicht erkennen, dass sie die Erreichung des 2 %-Ziels vorziehen möchte. Das hätte Portugal auf dem anstehenden NATO-Gipfel in eine Außenseiterrolle bringen und die Regierung Montenegro unter Handlungsdruck setzen können.
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