Zu den Parlamentswahlen 2021 hatten sich lediglich 33,6 Prozent der Erstwähler registriert. Die Wahlbeteiligung ist in Marokko nicht nach Altersgruppen aufgeschlüsselt, lag insgesamt jedoch bei ca. 50 Prozent der registrierten Wähler. Die Beteiligung junger Erwachsener an dem Wahlprozess kann daher als gering angenommen werden. Dies zeigt die Notwendigkeit auf, junge Menschen besser in die politischen Prozesse einzubinden.
Die politische Landschaft Marokkos ist seit der Regentschaft Mohammed VI. von einer generellen Ausweitung des demokratischen Partizipationsbereiches geprägt. Seit seiner Thronbesteigung im Jahr 1999 wurden Fortschritte in den Bereichen Menschenrechte und öffentliche Freiheiten erzielt, sowie Reformen bezüglich des Wahlrechts durchgeführt. Im Zuge der Verfassungsreform im Jahr 2011 wurden beispielsweise 30 Sitze auf den nationalen Listen für junge Menschen reserviert. 2021 wurden die Quoten für junge Erwachsene zugunsten einer ausgeweiteten Frauenquote abgeschafft, sie sollen zu den Wahlen 2026 jedoch wieder eingeführt werden. Trotz dieser Initiativen und konkreten Reformen bleibt die Frage der geringen Wahlbeteiligung der Jugend, aber auch das allgemein niedrige Interesse an Politik als generelles Phänomen. Die Mehrheit der jungen Gesellschaft beteiligt sich weder über den etablierten institutionellen Rahmen, wie beispielsweise über politische Parteien, noch über alternative Formen des politischen Handels am öffentlichen Diskurs – bis zu den Protesten der Generation Z Anfang Oktober 2025.
Fehlende Partizipation an politischen institutionellen Prozessen
Aus Umfragen zu den Parlamentswahlen im Jahr 2021 ging hervor, dass jugendliche Nichtwähler hauptsächlich Gründe wie mangelnde Kenntnisse oder fehlendes Interesse an politischen Prozessen nennen. Ein weiterer aussagekräftiger Punkt ist die Kritik der Jugendlichen über eine als unzureichend oder nicht vorhanden wahrgenommene Kommunikation zwischen der politischen Elite und ihnen selbst als Bürger. Doch auch im Bereich des marokkanischen Parteiensystems lassen sich zahlreiche Zusammenhänge mit der geringen jungen Partizipation herstellen, wofür sich ein kurzer Blick in dessen Geschichte lohnt: Seit seiner ersten Verfassung im Jahr 1962 verfügt Marokko über ein Mehrparteiensystem, wobei die ersten politischen Parteien im Kontext des Unabhängigkeitskampfes gegründet wurden. In diesem Zuge konnten viele junge Menschen gegen die Kolonialmächte und für die Einführung demokratischer Institutionen mobilisiert werden. Während der Herrschaft Hassan II. folgte eine Fragmentierung der Parteienlandschaft, die zwar zu einer Pluralität der Parteien, nicht aber zum politischen Pluralismus führte. Unter Hassan II. wurden nur palastnahe Parteien geduldet und vor allem junge Menschen nicht oder nur wenig in den Entscheidungsprozess einbezogen. Zwar sind demokratische Elemente, wie das Mehrparteiensystem und die regelmäßigen Parlamentswahlen, im politischen System Marokkos verankert, der Großteil der Macht ist jedoch weiterhin in der Monarchie zentralisiert. Die Verfassungsreform von 2011 erweiterte die Einflussbereiche des Parlaments (u.a. mitentscheidend beim Haushalt und der Regierungsbildung), doch die Partizipation junger Menschen in den politischen Parteien hat sich dadurch nicht signifikant erhöht.
Außerinstitutionelle Partizipation – Die Gen-Z-Bewegung als Ausdruck gesellschaftlicher Spannungen
Vor allem in den vergangenen Monaten hat sich die politische Stimmung der jungen Marokkaner verändert. Nachdem Mitte September 2025 in einem Krankenhaus in Agadir acht schwangere Frauen unter ungeklärten ums Leben kamen, kam es zunächst zu lokalen Protesten. Die Vorfälle lösten landesweit Bestürzung aus und mündeten Anfang Oktober schlagartig in landesweiten Protesten, dezentral organisiert über die sozialen Medien. Angesichts Milliardeninvestitionen in den Ausbau der Sportinfrastruktur für den Fußball-Afrika-Cup im Dezember 2025 oder der Fußball-Weltmeisterschaft 2030 wurden fehlende Gelder für den Gesundheits- und Bildungssektor bemängelt. Die Protestierenden artikulierten dabei ihren Unmut über soziale Ungleichheit, Korruption sowie Missstände im Bildungs- und Gesundheitswesen. In den Sozialen Medien verbreitete sich das bereits in anderen Ländern (Kenia, Indonesien, Madagaskar, Nepal) genutzte Schlagwort „Gen Z“. Die Gen Z-Proteste entfalteten sich schließlich in täglichen Demonstrationen, welche sich zu den größten Protesten gegen die marokkanische Regierung seit Jahren zählen lassen. Auffällig war die hohe Beteiligung junger Menschen, von denen viele bislang kaum in institutionalisierte politische Prozesse eingebunden waren. Dies deutet auf eine nun zunehmende Bereitschaft hin, politische Anliegen außerhalb formaler Kanäle zum Ausdruck zu bringen. Zudem machen die Ereignisse strukturelle Probleme sichtbar. Während das etablierte Parteiensystem von dem Großteil der Jugend als wenig responsiv wahrgenommen wird, zeigen die Gen Z-Proteste, dass junge Menschen politische Themen durchaus wahrnehmen und aufgreifen. Dies geschieht jedoch überwiegend unter informellen, digital vernetzten Umständen. Die Rolle sozialer Medien als Mobilisierungsinstrument, die schnelle Verbreitung von Informationen sowie die niedrige Eintrittsschwelle für politische Beteiligung tragen hierbei entscheidend zur Partizipation bei.
Strukturelle Anpassungen im Wahlrecht – Politische Inklusion für junge Menschen und Frauen
Besonders vor dem Hintergrund der 2026 anstehenden Parlamentswahlen, werfen die jüngsten Proteste Fragen nach der politischen Repräsentation und der Integration junger Perspektiven in politische Prozesse auf. Im Wahlrecht Marokkos kündigt sich daher ein tiefgreifender Wandel an. Das klare Ziel hierbei ist es, junge Menschen durch die Wiedereinführung von Quoten auf den Wahllisten stärker im parlamentarischen Betrieb zu verankern. Regierungssprecher Mustapha Baitas spricht von einem „neuen Atem, der das politische Leben durchströmen“ werde. Die geplante Reform ist noch nicht verabschiedet, sieht jedoch vor, dass auf den Parteilisten 50 Prozent der Kandidierenden unter 35 Jahren sein sollen. Ergänzend dazu soll die staatliche Wahlkampffinanzierung gezielt jene Parteien unterstützen, die junge Menschen und auf wählbare Listenplätze setzen. Dies gilt insbesondere für ländliche Regionen, in denen politische Partizipation durch die geringe Sichtbarkeit und begrenzten Mobilisierungsmöglichkeiten erschwert wird. Hinzu kommt eine geplante Erstattung von Wahlkampfausgaben für unabhängige Kandidaten unter 35 Jahren. Damit würde politische Partizipation – oder zumindest die Kandidatur – auch außerhalb der etablierten Parteienstrukturen möglich. Sollte sich dieses Modell durchsetzen, könnten junge unabhängige Abgeordnete künftig eine eigene Fraktion im Parlament bilden. Das komplizierte marokkanische Wahlrecht bevorzugt allerdings landesweit aktive Parteien gegenüber Einzelkandidaten, weshalb die Auswirkungen wohl nur begrenzt sichtbar sein werden. Mehrere Parteien, darunter auch die Regierungsparteien RNI und Istiqlal, haben sich positiv zu den Reformvorschlägen geäußert. Die Parteien sehen in der Reform eine Chance zur Förderung neuer politischer Talente. Ob die angestrebte Verjüngung der politischen Vertretung langfristig Wirkung zeigen wird, bleibt mit Hinblick auf die Wahlen 2026 abzuwarten.
Politische Bildung und Informationsbeschaffung
Die mangelnde Einbeziehung von politischer Bildung in das marokkanische Bildungssystem kann als weiterer Grund für die fehlende Partizipation junger Erwachsener am klassischen politischen Willensbildungsprozess betrachtet werden. Knapp über 40 Prozent der Befragten einer Umfrage der Tariq Ibnou Ziyad Initiative (TIZI) unter potenziellen Erstwählern gaben nach den Parlamentswahlen 2021 an, keine ausreichenden Kenntnisse über die politischen Prozesse zu haben und dies folglich ausschlaggebender Grund für ihre Wahlenthaltung gewesen sei. Diese „Apolitisierung“ wird ebenfalls von TIZI analysiert, die sich für politische Bildungsangebote engagiert, um die Beteiligung junger Menschen zu erhöhen. Wie TIZI betont, besteht das Hauptproblem in der Einbeziehung junger Menschen in den Wahlprozess im fehlenden Wissen über die Strukturen. Um daher eine aktive Beteiligung vonseiten der marokkanischen Jugend zu erzielen, muss der Fokus zukünftig auf das Verständnis des politischen Rahmens, wie auch der Rolle und Bedeutung des Parlaments, sowie der Wahlauswirkungen gelegt werden. Der politischen Bildung müsste daher in den Schulen, aber auch insgesamt, mehr Raum eingeräumt werden.
Zusätzlich ist die Diversifizierung der politischen Kommunikation über verschiedene Kanäle, sowie deren Ausweitung über die sozialen Medien von zentraler Bedeutung, wenn viele Menschen aus unterschiedlichen Zielgruppen mit politischen Informationen erreicht werden sollen. König Mohammed VI. hat dies in seiner Rede zur Eröffnung der Herbstsaison des Parlaments Mitte Oktober betont: Nicht nur die Regierung sei zu effektiver Kommunikation und Mitwirkung an den Reformprozessen des Landes aufgefordert, sondern alle Parteien, die Medien sowie die Zivilgesellschaft. Die Rede beendete vorerst die Protestbewegung, da er aufforderte konstruktiv innerhalb des institutionellen Rahmens an der Entwicklung des Landes mitzuwirken. Ob die Teilhabe der jungen Erwachsenen am institutionellen Rahmen bei den nächsten Parlamentswahlen ansteigt, wird sich mit der Rate der Eintragungen der Erstwähler in das Wählerverzeichnis Ende Dezember zeigen.
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