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Lokalberichterstattung - die Chance, die in der Nähe liegt.

de Dr. Wolfgang Schäuble

Rede zum Lokaljournalistenpreis 2003 in Trier

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Als mich Henry Kissinger im Herbst 1992 besuchte, fragte ich ihn nach dem Ausgang der in Kürze bevorstehenden amerikanischen Präsidentenwahl zwischen George Bush und Bill Clinton. Er könne das nicht vorhersagen, war die Antwort. Er glaube zwar zu wissen, wie seine Generation wählen werde, aber er habe keine Vorstellung vom Wahlverhalten der Generation seiner Kinder. Die Medien, aus denen sie ihre Informationen bezögen, seien im fremd, eigentlich unzugänglich. Die Gesellschaft sei als Folge der rasanten Entwicklung der Kommunikationstechnologie viel stärker fragmentiert.

Das war, wohlgemerkt, noch bevor das Internet seinen weltweiten Siegeszug angetreten hat. In der Antrittsrede von Bill Clinton im Januar 1993 tauchte das Wort Internet gar nicht auf. Es gab damals nur etwa 26.000 Domain-Adressen und drei Millionen Nutzer weltweit. Beim Amtsantritt seines unmittelbaren Nachfolgers acht Jahre später waren es eine halbe Milliarde.

Die Atem raubenden Fortschritte von Wissenschaft, Technologien und Kommunikation korrelieren mit dem Wandel von gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Strukturen. Zeitungen, Verleger und Journalisten erfahren das ganz unmittelbar. Die elektronischen Medien haben die Werbemärkte verändert, und das Internet hat das Geschäft mit Klein- und Stellenanzeigen teilweise fast schon zum Erliegen gebracht.

Das sind nicht nur wirtschaftliche Probleme und Prozesse, sondern das hat auch Auswirkungen auf politische Strukturen und demokratische Verhaltensweisen. Politik baut auf Öffentlichkeit, und Öffentlichkeit bedeutet Kommunikation. Die setzt an Bestand an gemeinsamen Informationen voraus.

An Informationen herrscht alles andere als Mangel. Weltweit sind sie in real time praktisch unbegrenzt verfügbar. Die Medien vermehren sich entsprechend. Aber nicht nur Mangel, auch Überfluss kann Probleme schaffen. Zeit und Aufnahmefähigkeit für Informationen bleiben begrenzt. Uwe Jean Häuser hat darüber geschrieben, „Das Unbehagen im Kapitalismus“: die unendliche Vielfalt von Angeboten und Optionen überfordere den Einzelnen zunehmend. Also, auch Aufmerksamkeit ist ein knappes Gut, und der Wettbewerb um dieses knappe Gut wird dementsprechend härter.

In der Politik nennt man das beispielsweise „agenda setting“, und das ist noch die zivilere Form. Der internationale Terrorismus setzt auf die in jedem Sinne durchschlagende Wirkung großer Katastrophen und Opferzahlen, und umgekehrt sucht etwa die amerikanische Regierung die Berichterstattung über heimgekehrte tote Soldaten aus dem Irak möglichst klein zu halten.

Jedenfalls hat in dieser Konkurrenz um das knappe Gut „Aufmerksamkeit“ die sensationsträchtigere Information im Zweifel bessere Chancen und die skandalträchtigere auch. „Bad news are good news“, die journalistische Regel ist nicht neu. So fördert dieser Wettbewerb die Skandalisierung in der Medienberichterstattung.

Aber auch Konformität oder Monotonie nehmen zu. In der Konsumgüterbranche erleben wir, dass Werbung zu einer Konzentration auf wenige Angebote und Marken mit kurzfristig hohen Nachfrageeffekten und mit rasch wechselnden Moden führt. Pädagogen beklagen Konsumzwang bei Schülern im Bezug auf Bekleidung oder Sportartikel. Und die Verbreitung von Coca Cola oder McDonald hat nicht nur symbolische Bedeutung in globalen Debatten über kulturelle Identitäten und Vielfalt. Jede Buchmesse beweist, wie stark dieser Effekt auch im Verlagsgeschäft wirkt – immer mehr Titel und gleichzeitig immer mehr Konzentration auf wenige Bestseller. In unserer öffentlichen Kommunikation ist das genauso. Von der Fußball-Europameisterschaft bis zu einer Naturkatastrophe – in der Zeiteinheit setzen sich immer weniger Informationen immer stärker durch, auch mit der Folge eines schnelleren Wechsels, weil die Übersteigerung der Informationsflut zu einem Thema wiederum baldigen Überdruss an diesem Thema mit sich bringt und so schnelleren Wechsel zum nächsten Gegenstand öffentlicher Erregung erfordert.

Die Flut von Medien und Informationen führt also, fast paradox, eher zu einer geringeren Differenzierung im von einer breiten Öffentlichkeit wahrgenommenen Nachrichtenangebot. Und zusätzlich leidet das öffentliche Gedächtnis angesichts der Kurzatmigkeit medialer Themenkonzentration. Auch von daher ist die Gefahr, dass die Substanz öffentlicher Debatten abnimmt, schwerlich von der Hand zu weisen. Günter Gaus hat das nicht lange vor seinem Tod zu dem Aufschrei veranlasst, weil ihn die Substanzlosigkeit öffentlicher Debatten und ihre mediale Inszenierung abstoße, sei er kein Demokrat mehr.

Die demographische Entwicklung kommt hinzu. Der beachtliche Anstieg der statistischen Lebenserwartung führt zu einer weiteren Spreizung der Erfahrungs- und Erlebniswelten zwischen den Generationen. Lesegewohnheiten differenzieren ganz entsprechend wie die in Anspruch genommenen Medien. Jüngere lesen signifikant weniger Tageszeitungen als Ältere, was Medienforscher zu der Schlussfolgerung bringt, dass die Zeitung von einem weitgehend alterslosen Medium zu einem altersgebundenen werde. Noch beunruhigender ist für die Verlage, dass die weit verbreitete Überzeugung, dass Haushalts- und Familiengründung bisher abstinente junge Leute – spät aber doch – zu regelmäßigen Zeitungslesern und Abonnenten werden lasse, nicht mehr zuzutreffen scheint. Die Untersuchung von Alterskohorten hat ergeben, dass die Zahl jugendlicher Leser zwischen 14 und 19 Jahren, die 1980 zur Zeitung griffen, zehn Jahre später wenig verändert in der Gruppe der 20- bis 29-Jährigen und wieder wenig verändert 2003 in der Gruppe der 30- bis 39-Jährigen auftaucht.

Noch einmal: funktionsfähige, stabile demokratische Strukturen erfordern Kommunikation. Die Pressefreiheit ist in der Geschichte der Demokratie nicht ohne Grund konstitutiv. Das ist auch im Ringen um eine europäische Verfassung von aktueller Bedeutung. Die Akzeptanz des Mehrheitsprinzips setzt Zugehörigkeit der Menschen, Identität voraus, und für die ist eine gemeinsame Öffentlichkeit geradezu conditio sine qua non. Da wir die in der Europäischen Union, trotz beachtlicher Integrationserfolge, allenfalls unzureichend haben, liegen die Widerstände gegen wirklich demokratische Entscheidungsstrukturen in der Europäischen Union nicht nur im Widerwillen der Regierenden begründet, sondern vor allem in der noch nicht ausreichenden Identifizierung der Menschen mit einer politischen Einheit Europa.

Die geringe Beteiligung bei der Wahl zum Europäischen Parlament belegt das. Die Wahlergebnisse in Deutschland sprechen darüber hinaus auch für eine geringer werdende Bindekraft etablierter Parteien und Institutionen. Das könnte mit wachsender Verunsicherung und Orientierungsverlusten zusammenhängen. Zu denen tragen beschleunigte Veränderungen ebenso bei wie der Prozess der Globalisierung. Nähe und Vertrautheit können dagegen helfen. Nicht umsonst setzen viele Überlegungen zu Reform unserer politischen Strukturen und Entscheidungsprozesse bei Subsidiarität und Dezentralisierung an. Viele Erfahrungen belegen, dass in Zeiten von globaler Offenheit und Information zugleich die Bemühungen um lokale und regionale Kultur und Geschichte zunehmen. Oft sind es übrigens gerade Menschen, die neu in eine Gemeinde zugezogen sind, die sich dabei besonders engagieren, was die alte Erfahrung bestätigt, dass man das am meisten begehrt, was man vermisst oder dessen man sich nicht sicher zu sein scheint.

Damit bin ich bei der Bedeutung von Lokaljournalismus. Lokalberichterstattung spannend zu machen, das Allgemeine im Konkreten erfahrbar, das kann eine Chance bieten, unsere demokratischen Prozesse zu revitalisieren. Nachrichten nicht als etwas Abstraktes erfahren, weit entfernt und letztlich irgendwie anonym oder unpersönlich, sondern wirtschaftliche, soziale, kulturelle, politische Ereignisse, Strukturen, Entwicklungen aus der Erfahrung von Nähe und Betroffenheit mitzuerleben, das bietet bessere Voraussetzungen für Beteiligung.

Und die wird gebraucht, damit unsere Freiheitsordnung sich nicht in Beziehungs- und Teilnahmslosigkeit verliert. Nähe, Vertrautheit, auch Betroffenheit fördern Zugehörigkeit, Identität genauso wie Engagement und Mitmenschlichkeit. Beim Elbe-Hochwasser hat sich wieder bestätigt, in welch großem Maße die Menschen zu Hilfe und Einsatz bereit sind, wenn sie konkret spüren, dass sie gebraucht werden und etwas tun können. Zur Revitalisierung unserer politischen und wirtschaftlichen Ordnung sollten wir unsere Institutionen und Verfahren so reformieren, dass Betroffenheit, aktiv und passiv, für die Menschen besser erfahrbar wird.

Vor Jahren hatte ich über Pater Delp zu sprechen an einer Schule, die seinen Namen trägt. Ich habe meine 14-jährigen Zuhörer dabei an Hanna Ahrendt’s Ausführungen über die Banalität des Bösen erinnert, die sie nach der Beobachtung des Eichmann- Prozesses schrieb. Auch das Gute kommt oft ganz alltäglich daher, und manchmal wirkt es fast zufällig, ob einer sich zum Guten oder zum Bösen entscheidet. Den Unterschied macht, ob man den anderen ansieht, als Mitmenschen zur Kenntnis nimmt oder nur als anonymes Objekt, als abstrakte Größenordnung. Das ist die Chance, die in Nähe liegt. Das habe ich bei dem Film „Der Pianist“ so empfunden. Der Wehrmachtsoffizier, blond, blauäugig, groß gewachsen, der im zerstörten Warschau auf das Elendsbündel trifft, das aus dem Ghetto geflohen ist und sich unter unsäglichen Umständen über Monate hinweg vor der tödlichen Bedrohung versteckt hat, folgt einer Laune des Augenblicks, als er auf die Aussage des Juden, er sei Pianist gewesen, einen Konzertflügel in der halb zerstörten Villa sieht und den Verängstigten auffordert zu spielen. Und in genau diesem Moment ist der Verfolgte nicht mehr ein abstraktes Objekt, sondern ein Mensch, und aus dem Wehrmachtsoffizier wird auch ein Mensch, der unter Inkaufnahme größer persönlicher Gefahr dem Verfolgten hilft. In Yad Vashem hat mir der Museumsleiter vor kurzem die Umbauarbeiten erläutert und gesagt, man wolle anstelle der großen Zahlen in Zukunft mehr auf das Schicksal einzelner Opfer in den pädagogischen Bemühungen abstellen.

Aus Nähe, Vertrautheit, zwischenmenschlicher Kommunikation wächst auch Lebensfreude. Verglichen mit der Armseeligkeit mancher Prominentenparty, wo es letztlich nur um mediale Aufmerksamkeit geht und jede Unterhaltung abgebrochen wird, wenn ein publicityträchtigerer Gesprächspartner winkt, ist jedes Lagerfeuer von Pfadfindern kommunikativer. Dass das Bedürfnis gerade im Zeitalter der elektronischen Medien und des Internets wächst, kann man sogar in der aktuellen Krise der Fussball-Bundesliga entdecken: während die Einnahmen aus Fernsehübertragungsrechten zurückgehen, boomen die Zuschauerzahlen in den Stadien. Unmittelbares persönliches Erleben ist offensichtlich durch nichts gleichwertig zu ersetzen. Lokalberichterstattung kann darauf bauen.

Im persönlich überschaubaren Rahmen gewinnt man auch eher Maßstäbe für realitätsbezogenes Handeln und Entscheiden. Wir erliegen ja gelegentlich der Versuchung, Nächstenliebe durch Fernstenliebe zu ersetzen, was die Gesinnungsethik fördern mag. Dagegen spricht wenig, solange nicht der Mangel an Verantwortungsethik dazu führt, dass die Not der konkreten Entscheidung und ihre Notwendigkeit nicht mehr verstanden werden. Wo das verloren geht, wachsen die Gefahr von Populismus und die Chancen für Demagogen. Die verschweigen ja Begrenztheit aller Mittel im Vergleich zur Unendlichkeit aller Ansprüche und Interessen, und sie können deshalb selbst nie wirklich leisten, was sie an anderen so wirkungsvoll kritisieren. Erwartungs- und Anspruchshaltungen, die nicht in der Realität verankert sind, tragen auch zu Politikmüdigkeit und Politikerverdruss bei. Aber bessere Politik und Politiker gewinnen wir nicht durch Resignation, sondern allenfalls durch Engagement.

Hier in Trier, im Vierländereck Deutschland – Luxemburg – Frankreich – Belgien, lässt sich die Bedeutung von lokaler und regionaler Berichterstattung auch anhand der Notwendigkeit grenzüberschreitender Zusammenarbeit belegen. Wenn der Prozess der europäischen Einigung seine noch vorhandenen Defizite an Transparenz und demokratischer Legitimation überwinden soll, muss Europa für die Menschen möglichst konkret erfahrbar werden. Und das geht nirgends besser als in Grenzregionen. Ich kenne das aus meiner Heimat am Oberrhein. Und es ist wohl auch nicht nur Zufall, dass die großen Europäer zumindest der Anfangszeit alle aus Grenzregionen stammten, Robert Schumann aus Lothringen, de Gasperi aus dem Trentino und Adenauer aus dem Rheinland. Die grenzüberschreitende Zusammenarbeit setzt voraus, dass die Menschen ihre Region als gemeinsame erfahren. Dazu muss man voneinander wissen und dazu muss man miteinander erleben, was diesseits und jenseits der Grenze geschieht und sich entwickelt. Je besser das gelingt, umso mehr wächst nicht nur grenzüberschreitende, sondern auch europäische Identität. Dazu gehört auch sprachliche Kommunikationsfähigkeit. Auch wenn das Englisch zur commonlanguage geworden ist, sogar noch mehr werden sollte, damit wir uns nicht in der Unendlichkeit von Simultanübersetzungen in Europa verlieren - das Erlernen von Fremdsprachen darf sich nicht auf Bad-English beschränken, schon weil das Verständnis der eigenen Sprache durch die Erfahrung mit einer anderen Grammatik wächst und weil der Reichtum an kultureller Vielfalt nicht verloren gehen darf. Die Dramatik des Artenverlusts ist uns aus der ökologischen Debatte bekannt; die Gefahr des Verlustes kultureller Vielfalt ist weltweit nicht geringer. Dem wirkt entgegen, wenn man die Sprache des Nachbarn lernt, und je mehr Erfolg wir dabei haben, umso mehr können sich Grenzregionen auch zweisprachig entwickeln. Warum sollen das nur die Schweizer können?

Ich habe mit der Bedeutung von Öffentlichkeit für stabile demokratische Strukturen begonnen. Viele beklagen heute einen Verlust an demokratischem Engagement. Vielleicht macht Erfolg auch müde. Schwindende Wahlbeteiligung in Gesellschaften, die noch vor anderthalb Jahrzehnten kaum eine dringendere Forderung als die nach freien Wahlen kannten, könnten dafür sprechen. Und materieller Wohlstand macht satt. Verglichen mit Hunger ist das gewiss nicht nur schlecht. Aber ein voller Bauch studiert nicht gern, weiß der Volksmund, und wer rastet, rostet. Das können wir uns nicht leisten. Dafür sind die Herausforderungen in der Welt der Globalisierung zu groß und die schnellen Veränderungen zu tiefgreifend. Also müssen wir uns kümmern, um die Welt und um die Zukunft, und das eben nicht nur abstrakt, sondern konkret.

Introvertiertheit hängt mit Stagnation zusammen. Wer sich nur mit sich selbst beschäftigt, bringt es nicht weit und wird am Ende noch wehleidig. Verglichen mit anderen Zeiten und anderen Gegenden haben wir nicht zuviel zu klagen. Realis tische Maßstäbe tun Not, und sie können Zufriedenheit, Zuversicht und Engagement fördern.

Global denken – lokal handeln, das ist nicht nur im Umweltschutz kein schlechtes Prinzip. Auch die längste Reise beginnt man mit dem ersten Schritt, immer wieder. Ohne den geschieht gar nichts. Im Konkreten kann sich das Allgemeine erschließen und bewähren. Ohne Kommunikation ist demokratisch verfasste Gemeinschaft nicht denkbar, und ohne Engagement in und für die Demokratie genauso wenig. Weil Kommunikation im Lokalen am konkretesten ist, deshalb trägt Lokalberichterstattung für die Zukunftsfähigkeit unserer Demokratie eine hohe Verantwortung.

Der Lokal-Journalistenpreis der Konrad Adenauer Stiftung will genau das im Bewusstsein halten. Ermutigung und Anerkennung, konkret und vor Ort, Bausteine für eine gute Zukunft, in Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität.

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Fundaţia Konrad-Adenauer, atelierele sale de formare, centrele de formare şi birourile din străinătate oferă anual mai multe mii de manifestări pe diverse teme. Conferinţele, evenimentele, simpozioanele etc. sunt prezentate pentru Dvs. într-o manieră actuală şi exclusivă pe adresa www.kas.de. Pe lângă rezumatele manifestărilor, aici puteţi găsi materiale suplimentare cum ar fi fotografii, manuscrise ale discursurilor, înregistrări video sau audio.

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Sankt Augustin Deutschland