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Konrad-Adenauer-Stiftung e. V.

Länderberichte mal anders

Digitale Lösungen für mehr Inklusion in Rumänien

Inklusion weltweit – Aktueller Stand aus Rumänien

2010 ratifizierte Rumänien das UNÜbereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen. Zweck des Übereinkommens ist die gleichberechtigte Teilhabe aller Menschen mit Behinderungen zu sichern, zu schützen, zu gewährleisten und die Achtung der ihnen innewohnenden Würde zu fördern. Leider ist die Inklusion von Menschen mit Behinderung in Rumänien noch keine Realität. Barrierefreiheit im Alltag, Teilhabe von behinderten Kindern am Schulunterricht, Integration Behinderter in den Arbeitsmarkt, effiziente medizinische, pflegende und betreuende Unterstützung, etc.: Wohin man blickt, gibt es schwere Defizite in Rumänien. Aber es gibt auch Menschen, die aktiv werden und Lösungen suchen. Auch digitale Lösungen.

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Das UN-Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen aus dem Jahr 2006 definiert: „Zu den Menschen mit Behinderungen zählen Menschen, die langfristige körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, welche sie in Wechselwirkung mit verschiedenen Barrieren an der vollen, wirksamen und gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft hindern können.“ Laut der rumänischen Agentur für die Rechte von Menschen mit Behinderungen (ANPDPD) lebten Ende 2022 rund 860.000 Rumäninnen und Rumänen mit einer anerkannten Behinderung. Dies entspricht 3,9 % der Bevölkerung. Allerdings lassen in Rumänien bei weitem nicht alle, die einen Anspruch darauf hätten, ihre Behinderung anerkennen. Eine Studie der Weltbank aus dem Jahr 2021 schätzt den tatsächlichen Prozentsatz von Menschen mit Behinderung für Rumänien auf 4,7 %. Würde bei der gesetzlichen Anerkennung ein weiter Begriff von Behinderung zugrunde gelegt und würden beispielsweise auch chronische Schmerzen, Lernbehinderungen wie Legasthenie, Dysgraphie oder andere Einschränkungen als Behinderung anerkannt, läge der Prozentsatz der Menschen mit Behinderungen in Rumänien noch deutlich höher.

Das rumänische Gesetz klassifiziert Behinderungen nach medizinischen Kriterien in mehrere Kategorien: physisch, visuell, auditiv, Taubblindheit, somatisch, geistig, psychisch, HIV/AIDS und seltene Krankheiten. Laut dem vierteljährlichen Bulletin des ANPDPD hatten in Rumänien Ende 2022 die meisten Menschen mit einem Behindertenausweis eine physische (25 %), somatische (20 %) oder geistige (15 %) Behinderung. In Bezug auf die Schwere der Erkrankung gibt es in Rumänien mehrere Grade: leicht, mittel, schwer und schwerwiegend. Wie in den meisten Ländern wird die Art und der Grad der Behinderung auch in Rumänien in einem Behindertenausweis bescheinigt. Rumänien verfügt zudem auch über ein System für Invalidenrenten, das von Personen in Anspruch genommen werden kann, die das Rentenalter noch nicht erreicht haben, aber ihre Arbeitsfähigkeit ganz oder teilweise verloren haben. Im Jahr 2020 erhielten rund 458.000 Personen eine Invalidenrente.

Der staatliche Umgang mit Behinderungen verweist darauf: In Rumänien wurden Behinderungen lange als ein „medizinisches Problem“ wahrgenommen. Damit war eine Behinderung primär das Problem des betroffenen Individuums und gegebenenfalls der involvierten Angehörigen. Ganz allmählich verschiebt sich der Diskurs jedoch in Richtung Inklusion. Die Frage lautet jetzt also zunehmend: Welche Barrieren gibt es in der rumänischen Gesellschaft für eine spezifische Person, dieselben Grundrechte wie alle anderen Menschen zu genießen und aktiv am sozialen Leben teilzunehmen?

Es rückt ins Bewusstsein, dass fast jeder im Laufe seines Lebens hochwahrscheinlich einmal eine (zumindest vorübergehende) Reduzierung seiner Fähigkeiten erleben wird. Man muss nur einen Kinderwagen schieben, um wahrzunehmen, in welch schlechtem Zustand rumänische Gehwege sind. Ein gebrochener Fuß reicht aus, um barrierefrei erreichbare Büroräume schätzen zu lernen. Fähigkeit und Behinderung liegen auf einem Kontinuum, auf dem wir uns alle bewegen. Entsprechend wichtig ist es, Infrastruktur, Dienstleistungen, Produkte, aber auch die Art und Weise, wie wir kommunizieren, von Anfang an inklusiv zu gestalten.

 

Mit digitaler Innovation zu mehr Inklusion

Den öffentlichen Raum sowie auch Büro- und Wohnraum inklusiv umzugestalten, ist ein langfristiger Prozess, der in Rumänien leider noch viel Zeit in Anspruch nehmen wird. In anderen Bereichen aber lässt sich schneller Abhilfe schaffen. Das dachte sich wohl auch der rumänische TechTank Code4Romania, der es sich zum Ziel setzt, gesellschaftliche Probleme mit Hilfe von digitalen Angeboten zu lösen oder mindestens zu verringern. Seine Entwicklungen stellt das Team von Code4Romania öffentlichen Institutionen aber auch der Zivilgesellschaft zur Verfügung. Code4Romania hat sich nun einige Monate lang intensiv mit der Frage beschäftigt, wie sich die Inklusion von Menschen mit Behinderung in Rumänien verbessern lässt und wie die staatliche Unterstützung effizienter und barrierefreier organisiert werden kann.

"Wir sind stolz darauf, nun unseren Forschungsbericht zur Chancengleichheit für Menschen mit Behinderungen vorzustellen, der im Rahmen des Programms Civic Labs entwickelt wurde. Wir wollen mit unserer Arbeit einen wichtigen Beitrag zur Verbesserung der Zugänglichkeit und der Lebensqualität einer großen Zahl von Menschen leisten. Wir haben 25 digitale Lösungen identifiziert, die sowohl Menschen mit Behinderungen als auch ihrem Umfeld, sei es Familie, Freunde oder Menschen, mit denen sie in der Ausbildung oder im Beruf zu tun haben, echte und wirksame Unterstützung bieten können. Wir möchten, dass diese Lösungen so schnell wie möglich angenommen und umgesetzt werden und so dazu beitragen, die Stigmatisierung zu verringern und eine Gesellschaft zu schaffen, in der alle Bürger aktiv und sichtbar sind", sagt Olivia Vereha, die als Vizepräsidentin die Produktentwicklung bei Code4Romania/Commit Global verantwortet.

 

Vereinfachte Antragsstellung und digitaler Behindertenausweis

Ein Produkt von Code4Romania ist eine digitale Plattform, über die jede Person mit einer Behinderung, deren Familienangehörige oder Betreuer online den Behindertenausweis beantragen können. Das Antragsverfahren für Behindertenausweise wird Schritt für Schritt erklärt, je nachdem, in welcher Situationdie Person mit einer Behinderung (Erwachsener oder Kind, Erstantrag oder Verlängerungsantrag) sich befindet. Vorgesehen ist, dass jeder Person, die einen Antrag stellt, ein Ansprechpartner zugewiesen wird, der bei Bedarf persönlich per Chat oder am Telefon beraten kann. Die Dokumente können sowohl vom Antragsteller als auch von den ihn begutachtenden Ärzten und anderen Fachleuten online hochgeladen werden. Die Sozialerhebung, die von einem Sozialarbeiter des Rathauses durchgeführt wird, kann direkt digital eingespeist werden. Wenn alle Dokumente hochgeladen sind, kann der zuständige Fallbearbeiter das Dossier prüfen und angeben, ob weitere Änderungen oder Ergänzungen an den Dokumenten erforderlich sind. Die Terminvereinbarung für das Beurteilungsgespräch kann ebenfalls über die Anwendung erfolgen. Das Ergebnis wird über die Anwendung mitgeteilt, und die Schritte, die im Falle eines Einspruchs gegen die Entscheidung einzuhalten sind, werden ebenfalls klar erläutert. Auch weitere digitale Lösungen gehen in diese Richtung: Eine App zum interdisziplinären Fallmanagement soll die Berichte von betreutem Wohnen oder Arbeiten, kommunalen Unterstützungsdiensten, Medizinischen Dienstleistungen, Sozialarbeit, Krankenpflege, Sprachtherapie, etc.dokumentieren und so ermöglichen, effizient gemeinsam zusammen zu arbeiten.

Die Vorteile, die Code4Romania für die vorgeschlagenen digitalen Anwendungen herausstreicht, zeigen genau auf, was heute noch nicht funktioniert in Rumänien: Administrative Prozesse werden aktuell noch nicht klar verständlich vermittelt; Verantwortlichkeiten sind undurchsichtig und es ist schwierig herauszufinden, welche Dokumente für einen Antrag benötigt werden; Es gibt unnötige Wege, die für Personen mit Behinderung oftmals besonders mühselig sind; Der Fortschritt der Fallbearbeitung ist nach wie vor oft intransparent und langwierig. Es ist ganz einfach: Auch eine effizient funktionierende digitale Verwaltung trägt zur Inklusion bei.

 

Transparenz in der rechtlichen Betreuung

Einige Menschen mit Behinderungen, insbesondere mit geistigen oder psychischen Behinderungen, benötigen eine rechtliche Betreuung, wenn sie nicht oder nur eingeschränkt geschäftsfähig sind. Im Rahmen dieser Praxis – in Rumänien nach wie vor oft als „Vormundschaft“ bekannt – wird vom Gericht eine andere Person, als rechtlicher Betreuer bzw. rechtliche Betreuerin ernannt. Die rechtlich Betreuenden fällen rechtswirksam Entscheidungen für die zu betreuende Person und verwalten beispielsweise auch deren Vermögen.

Die Praxis der jährlichen Berichterstattung ist ein Verfahren, bei dem der rechtlich Betreuende verpflichtet ist, einen Jahresbericht an die „Vormundschaftsbehörde“ (rum. „Serviciul de Autoritate Tutelară“, SAT) zu senden, in dem erklärt wird, wie das Einkommen und das Vermögen der zu betreuenden Person zu deren Gunsten verwendet wurde. Laut einer Analyse der Weltbank wurden im Jahr 2019 nur für 39 % der rechtlich betreuten Personen Berichte vorgelegt.

Code4Romania hat nun eine digitale Anwendung entwickelt, die ein national einheitliches Instrument mit vordefinierten und messbaren Schlüsselindikatoren für die materielle Situation, aber auch für das allgemeine Wohlbefinden der rechtlich betreuten Personen vorgibt. Die Informationen können für die Überwachung durch die Vormundschaftsbehörde verwendet werden und die aggregierten Daten können auch auf der Ebene der zentralen Einrichtungen eingesehen werden. Das den Vormundschaftsbehörden gewidmete Modul soll dabei auch die Eingabe von Informationen aus Hausbesuchen ermöglichen.

Mehr Transparenz in der rechtlichen Betreuung ist ein wichtiger Schritt zur vollen Implementierung des UN-Übereinkommens über die Rechte von Menschen mit Behinderungen in Rumänien.

 

Fehlende Inklusion führt zu fehlender Sichtbarkeit

In Rumänien gibt es rund 860.000 Menschen mit Behinderung. Darunter rund 75.000 Kinder. Im Alltag sieht man jedoch kaum Behinderte: Weder auf der Straße, noch in der Schule, bei der Arbeit, im Fernsehen oder im Parlament. Code4Romania schlägt hier digitale Anwendungen wie Leitlinien für die barrierefreie Zugänglichkeit von Gebäuden, einen Leitfaden für barrierefreie digitale Produkte, Anwendungen für lernbehinderte Kinder und deren Lehrer, eine App zum Erlernen von Zeichensprache oder eine KI-Anwendung zur Übersetzung von Zeichensprache vor. Lässt man sich auf digitale Lösungsansätze ein, zeigt sich ein ganzes Feld von Möglichkeiten für eine stärkere Inklusion von Menschen mit Behinderung.

Nicht nur im realen Leben sind Behinderte in Rumänien unsichtbar, sondern auch in den Daten: Es gibt bei weitem nicht genug Studien über Menschen mit Behinderung, ihre Lebensumstände und Bedarfe. Und die wenigen Studien, die es gibt, sind nicht präzise genug. Zudem werden existierende Daten weder von zentraler noch lokaler Ebene aggregiert und systematisch genutzt. Daten sind aber sowohl für die politische Entscheidungsfindung als auch für die Planung der Bereitstellung von öffentlichen, sozialen und Rehabilitationsdiensten unerlässlich. Code4Romania schlägt daher „Data Ally“ vor, eine Anwendung für Umfragen. Menschen mit Behinderungen oder deren Eltern oder rechtliche Betreuer können ein Konto erstellen und ihre Behinderung und andere demografische Informationen angeben. Wann immer eine Organisation Informationen über die Situation von Menschen mit Behinderungen in einem bestimmten geografischen Gebiet benötigt, werden die registrierten Personen benachrichtigt. Die Fragebögen werden auch an Hausärzte, Sozialarbeiter, Gemeindehelfer oder spezielle NRO geschickt, die denjenigen helfen können, die nicht auf der Plattform registriert sind oder nicht wissen, wie man die Technologie benutzt. Man hofft, auf diese Weise mittelfristig einen besseren Überblick über die Bedarfe Behinderter in Rumänien zu erhalten und so die Inklusion voran zu bringen.

 

Fazit: Gute Ideen brauchen politischen Mut

In Rumänien gibt es noch sehr große gesellschaftliche Herausforderungen zu meistern, um die Inklusion von Menschen mit Behinderung herzustellen. Die aktuell vorgestellten 25 digitalen Projektideen von Code4Romania sind dabei natürlich nicht die einzigen Lösungsansätze. Eines wird aber deutlich: Digitale Ansätze können helfen, sehr komplexe Probleme auch mit beschränktem Budget anzugehen. Entscheidend sind der politische Wille und die Bereitschaft, auf Innovation zu setzen, um mehr Inklusion zu schaffen. Und dann braucht Inklusion auch ganz klassisch good governance, um die politischen Entscheidungen effizient in Verwaltungshandeln umzusetzen. Los geht‘s, Rumänien!

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Ilgili kişi

Katja Christina Plate

Katja Christina Plate

Leiterin des Auslandsbüros Rumänien

katja.plate@kas.de + 40 21 302 02 61
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Barbara Bergmann

Barbara Bergmann bild

Referentin für Inklusionsfragen in der Europäischen und Internationalen Zusammenarbeit

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