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Anna Logue
Interviews

„Viele sind nicht immer kategorisch für eine liberale oder restriktive Politik”

Interview mit Prof. Marc Helbling

Prof. Dr. Marc Helbling, Professor für Soziologie an der Universität Mannheim, zeigt auf, inwiefern Einstellungen zu Migration nuancierter sind als angenommen und wo trotz grundsätzlicher Differenzen Raum für Kompromisse besteht.

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Wenn man die deutsche Debatte um Migration verfolgt, entsteht häufig der Eindruck, dass sich zwei Lager unversöhnlich gegenüberstehen: Auf der einen Seite ein Lager, das sich für eine Zuwanderungspolitik möglichst ohne Einreisebeschränkungen ausspricht, und auf der anderen Seite ein Lager, das jede Form von Zuwanderung begrenzen möchte. Wird diese Wahrnehmung durch die Empirie gestützt?

Natürlich gibt es Gruppen, die grundsätzlich immer sehr positive Einstellungen zu Migration haben und andere Gruppen, die gegen jegliche Form von Migration sind. Gleichzeitig müssen wir davon ausgehen, dass es viele Menschen gibt, deren Präferenzen zwischen diesen Extremen liegen und die gegenüber gewissen Gruppen oder Regulierungen eher positiv und gegenüber anderen eher negativ eingestellt sind. So ganz genau wissen wir das aber häufig gar nicht, da in Meinungsumfragen nicht immer ausreichend differenziert bzw. genauer untersucht wird, unter welchen Umständen Menschen für oder gegen Migration sind oder welche Aspekte von Zuwanderung sie eher befürworten oder ablehnen. Teilweise wird differenziert, wenn beispielsweise nach unterschiedlichen Gruppen von Migrantinnen und Migranten oder deren Charakteristika gefragt wird. So wissen wir, dass politische Flüchtlinge positiver gesehen werden als Menschen, die aus wirtschaftlichen Gründen kommen oder gut Gebildete gegenüber weniger Gebildeten bevorzugt werden. Die Frage, welche Migrationspolitik Zustimmung findet, wurde aber noch nicht ausreichend untersucht.

 

In Ihren Studien gehen Sie genau dieser Frage nach. Ihre Untersuchungen legen nahe, dass die gesellschaftlichen Einstellungen zu verschiedenen migrationspolitischen Maßnahmen trotz gegensätzlicher Grundpositionen nuancierter sind, als häufig angenommen. Woran machen Sie das fest?

Zunächst haben wir in einer Studie für eine Reihe verschiedener Regulierungen spezifischer abgefragt, ob deren Umsetzung unterstützt wird oder nicht. Dabei zeigt sich, dass viele nicht immer kategorisch für eine liberale oder restriktive Politik sind. Vielmehr lassen sich bestimmte Prinzipien identifizieren, die den verschiedenen Lagern besonders wichtig sind. So ist für Menschen im rechten Spektrum vor allem die Kontrolle der Grenzen und Selektivität beim Zutritt wichtig, während im linken Spektrum Aspekte wie Teilhaberechte und Chancengleichheit eine hohe Bedeutung haben. Diese Gewichtung spielt eine entscheidende Rolle für die Bewertung politischer Maßnahmen.

 

Inwiefern eröffnet dies Raum für Kompromisse?

Beispielsweise sind Menschen im rechten Spektrum bereit, mehr Zuwanderung zuzulassen, wenn dabei stärker kontrolliert wird, wer unter welchen Umständen einreist – während Menschen im linken Spektrum bereit sind, Zuwanderung einzuschränken, wenn im Gegenzug Teilhaberechte gestärkt werden. Konsens besteht vor allem mit Blick auf Anforderungen bei der Integration. Sowohl im linken als auch im rechten Lager finden klare Richtlinien zum Spracherwerb oder zur Teilnahme an Integrationskursen Zuspruch. Auch bei der Integration ins Erwerbsleben besteht dahingehend Einigkeit, dass Zugewanderten mit Bleibeperspektive entsprechende Chancen auf dem Arbeitsmarkt eröffnet werden sollten.

 

Unter dem Eindruck einer erneuten Aufnahme sehr vieler Flüchtlinge sorgen sich immer mehr Menschen in Deutschland um die Auswirkungen auf den Sozialstaat, den Wohnungsmarkt und das Bildungssystem. Dabei haben die Vorbehalte auch bei Menschen zugenommen, die Zuwanderung grundsätzlich positiv gegenüberstehen. Aus verschiedenen Meinungserhebungen wissen wir, dass eine Mehrheit mehr Ordnung und Kontrolle in der Zuwanderungspolitik fordert.

Wir wissen, dass Zuwanderung vor allem dann als Problem gesehen wird, wenn sehr viele Menschen innerhalb sehr kurzer Zeit kommen. Es entsteht dann ein Gefühl der Überforderung sowohl auf persönlicher Ebene als auch mit Blick auf die Infrastruktur. Das haben wir vor zehn Jahren nach der Flüchtlingskrise 2015 gesehen und auch zuletzt wieder im Zuge des russischen Angriffskrieges und der Fluchtbewegung aus der Ukraine. Das System ist dann zumindest kurzfristig stark überfordert. Es ist nachvollziehbar, dass eine angespannte Situation auf dem Arbeits- und Wohnungsmarkt zu veränderten Einstellungen führen kann. Zuwanderung wirkt hier wie ein Brennglas und kann Probleme verschärfen, auch wenn sie nicht die Ursache ist. Diese Sorgen sollten ernst genommen werden. Verstärkte Forderungen nach mehr Begrenzung und Kontrolle bei den Einreisen müssen aber nicht zwangsläufig bedeuten, dass Menschen bei allen Aspekten von Migration und Integration restriktiver eingestellt sind. Eine große Gruppe von Menschen ist nach wie vor grundsätzlich positiv gegenüber Zuwanderung eingestellt und sich darüber bewusst, dass zentrale Infrastrukturbereiche wie Bau oder Pflege nicht ohne Zuwanderung funktionieren würden. Es ist daher nicht immer eindeutig, ob es darum geht, insgesamt weniger Einreisen zuzulassen oder vielmehr darum, besser zu kontrollieren, wer unter welchen Umständen einreist.

 

Findet diese Differenzierung Ihrer Wahrnehmung nach ausreichend Berücksichtigung in der öffentlichen Debatte?

Wenn man sich kritisch mit dem öffentlichen Diskurs auseinandersetzt, muss man leider feststellen, dass viel zu oft verallgemeinert wird und vor allem in der politischen Debatte die verschiedenen Arten von Zuwanderung ständig in einen Topf geworfen werden. Das erleben wir insbesondere in der Asyldebatte der letzten Jahre, in der beispielweise nicht ausreichend zwischen Schutzsuchenden und Personen, die sich irregulär im Land aufhalten, differenziert wird, obwohl Menschen zu den jeweiligen Gruppen völlig unterschiedliche Einstellungen haben können. Es entsteht dann schnell der Eindruck einer einfachen Einordnung in ein Für- oder Wider-Lager. Dies entspricht allerdings nicht immer der Realität. Beispielsweise ist die Akzeptanz politisch Verfolgte aufzunehmen weiterhin groß. Krieg und Vertreibung werden als legitime Einreisegründe bewertet, während wirtschaftliche Gründe als weniger legitim erachtet werden. Gleichzeitig kann die auf abstrakter Ebene vorhandene Unterstützung aber auch abnehmen, wenn sehr viele Menschen auf einmal kommen.

 

Welche Schlüsse lassen sich für die Ausrichtung einer konsensorientierten Migrationspolitik ziehen?

Zunächst einmal ist es wichtig zu erkennen, dass es differenzierte Meinungen gibt und man zwischen verschiedenen Formen von Zuwanderung und Dimensionen von Migrationspolitik unterscheiden muss. Über die letzten zehn Jahre kamen sehr viele Menschen aus humanitären Gründen von außerhalb der EU. Das prägt das Bild und verstärkt den Eindruck, dass Zuwanderung unkontrolliert abläuft. Die Gruppe der Geflüchteten wird zudem am stärksten politisiert. Die Einstellungen zu Migration sind jedoch stark kontextabhängig. Wenn nach Ereignissen wie den Anschlägen in Solingen oder Aschaffenburg verstärkt Rufe nach Restriktionen und Abschiebungen laut werden, müssen sich diese Forderungen nicht immer auf alle Aspekte der Migrationspolitik beziehen. Geltende Gesetze können als ausreichend restriktiv erachtet werden und Defizite vor allem in deren Umsetzung gesehen werden. Gleichzeitig können Liberalisierungen in anderen Bereichen wie beispielsweise bei der Fachkräftezuwanderung weiterhin Zustimmung finden. Gerade diese positiv besetzen Aspekte von Migration, die von großer Bedeutung für Wirtschaft und Gesellschaft sind und bei denen es einen grundlegenden Konsens gibt, sollten stärker betont werden.

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İletişim Caroline Schmidt
Portrait
Referentin Flucht und Migration
caroline.schmidt@kas.de +49 30 26996-3539

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