UN-Rahmen für eine Nachkriegsordnung
Die vom Sicherheitsrat verabschiedete Resolution 2803 (2025) zur Zukunft des Gazastreifens markiert den bislang weitreichendsten Versuch, einen umfassenden, international koordinierten Rahmen für eine mögliche Nachkriegsordnung in dem Küstengebiet festzulegen. Herzstück der Resolution ist Präsident Trumps sogenannter 20-Punkte-Plan („Comprehensive Plan to End the Gaza Conflict“) vom 29. September, der der Resolution als Anhang beigefügt ist, sowie die vom Sicherheitsrat als historisch bezeichnete „Trump Declaration for Enduring Peace and Prosperity“ vom 13. Oktober, die die Zustimmung von Ägypten, Katar und der Türkei für den politischen Überbau des Trump-Plans zementierte.
Die Frage nach palästinensischer Selbstbestimmung und einem Weg hin zu Staatlichkeit wird dabei nur bedingt beantwortet. Erst wenn die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) ihr Reformprogramm erfolgreich abgeschlossen habe und der Wiederaufbau des Gazastreifens hinreichend vorangeschritten sei, könnten die Bedingungen hierfür gegeben sein. Die USA verpflichten sich außerdem, den politischen Dialog zwischen Israel und den Palästinensern wieder aufzunehmen, um einen politischen Horizont für ein friedliches Zusammenleben zu schaffen.
Das „Board of Peace“ und eine palästinensische Übergangsverwaltung
Im Zentrum der operativen Umsetzung steht die Schaffung eines „Board of Peace“ (BoP), das als internationale Übergangsverwaltung eingesetzt werden soll. Dieses Gremium soll den strukturellen Rahmen für den politischen Übergang sowie die Koordinierung und Finanzierung des Wiederaufbaus setzen. Dem BoP wird ein „apolitisches“, technokratisches Komitee von Palästinensern aus dem Gazastreifen – unterstützt von der Arabischen Liga – unterstellt, welches für die Erbringung von Dienstleistungen und die lokale Verwaltung zuständig sein soll. Das Mandat des BoP ist formal bis Ende 2027 befristet. Alle sechs Monate soll das BoP dem Sicherheitsrat zu Fortschritten berichten, was den politischen Druck hoch halten und die Anbindung an den Sicherheitsrat gewährleisten soll.
Internationale Stabilisierungstruppe (ISF) und Sicherheitsarchitektur
Parallel dazu autorisiert die Resolution die temporäre Einrichtung einer International Stabilization Force (ISF). Diese Truppe soll unter einem für das BoP akzeptablen einheitlichen Kommando stehen, welches sich eng mit Ägypten und Israel abstimmt. Die ISF soll die Sicherheitslage im Gazastreifen stabilisieren und das Küstengebiet demilitarisieren. Ihr Mandat umfasst – gemeinsam mit einer neu aufgebauten palästinensischen Polizei, deren Kräfte vorher einzeln sicherheitsüberprüft werden sollen – die Sicherung der Grenzen, die Zerstörung militärischer und terroristischer Infrastruktur, die Entwaffnung nichtstaatlicher bewaffneter Gruppen, den Schutz der Zivilbevölkerung und humanitärer Operationen sowie das Training der palästinensischen Sicherheitskräfte. Sobald die ISF die Kontrolle über Teile des Gazastreifens hergestellt hat, sollen sich die israelischen Streitkräfte in Koordination mit der ISF, den regionalen Vermittlern und den USA weiter schrittweise aus dem Küstengebiet zurückziehen. Israel behält das Recht, eine Sicherheitspräsenz aufrecht zu erhalten, bis vom Gazastreifen keine weitere Gefahr mehr ausgehen kann. Die ISF soll das BoP bei der Umsetzung und Überwachung des Waffenstillstands unterstützen und sich durch freiwillige Beiträge von UN-Mitgliedstaaten finanzieren und zusammensetzen.
Humanitäre Versorgung, Wiederaufbau und wirtschaftliche Erholung
Mit Blick auf die humanitäre Versorgung setzt die Resolution auf eine vollständige Wiederaufnahme der Hilfslieferungen durch die Vereinten Nationen, das Internationale Komitee des Roten Kreuzes und den Roten Halbmond, die sicherstellen sollen, dass eine Umleitung von Hilfsgütern für andere Zwecke ausgeschlossen werden kann. Die Resolution ruft zudem die Weltbank dazu auf, einen Treuhandfonds einzurichten, der die Mittel für den Wiederaufbau und die wirtschaftliche Erholung bündelt und verwaltet.
Offene Fragen und vorsichtige Zustimmung aus Ramallah…
Die Sicherheitsratsresolution adressiert die drei großen Kernelemente aller bisherigen Nachkriegsüberlegungen: Sicherheitsarchitektur, Mechanismen für eine Übergangsregierung sowie humanitäre Hilfe und Wiederaufbau. Dennoch bleiben wesentliche Fragen ungeklärt, wie beispielsweise die Kompetenzverteilung zwischen BoP, ISF, dem palästinensischen Technokratenkomitee und der Beziehung zur palästinensischen Führung im Westjordanland.
Die PA hat die Resolution des Sicherheitsrats dennoch begrüßt und sicherte ihre Unterstützung zu. In einer offiziellen Erklärung betonte die palästinensische Führung die dringende Notwendigkeit einer sofortigen Umsetzung der Resolution, um die Zivilbevölkerung im Gazastreifen zu schützen, Vertreibung zu verhindern und den Wiederaufbau zu ermöglichen.
Die PA unterstreicht ihre Bereitschaft, eine zentrale operative Rolle bei der Umsetzung der Resolution gemeinsam mit internationalen Partnern zu übernehmen – trotz des weiterhin bestehenden israelischen Vetos gegen jede bedeutende Rolle der Behörde vor Ort. PA-Vertreter räumen ein, dass zentrale Fragen ungelöst bleiben, darunter die detaillierten Mechanismen zur Einrichtung des BoP und der ISF sowie die Mechanismen des Entwaffnungs-prozesses und der Integration palästinensischer Institutionen. Während die PA bisher immer darauf bestand, dass das technokratische Komitee zur Verwaltung Gazas von einem PA-Minister geleitet wird, der direkt Premierminister Mustafa unterstellt ist, bleibt ein Konsens hierzu schwer greifbar – insbesondere angesichts der klaren Ablehnung Israels. Die PA hofft dennoch, durch Reformbereitschaft Zugang zu Wiederaufbau, politischem Einfluss und internationaler Unterstützung zu erhalten. Die US-Zusage, einen neuen politischen Dialog zwischen Israel und den Palästinensern zu eröffnen, wird als diplomatischer Erfolg gewertet.
Gleichzeitig fehlt es bislang auch an einem Umsetzungsplan für die Entwaffnung der Terrororganisation Hamas und anderer bewaffneter Gruppen in Gaza – einer Grundvoraussetzung für die Etablierung einer neuen Sicherheitsordnung.
… Ablehnung von Hamas und der palästinensischen Opposition
Insbesondere linke Fraktionen innerhalb der PLO warnen davor, dass die Resolution zentrale völkerrechtliche Errungenschaften der Palästinenser verwässere und in einen von den USA bestimmten Rahmen zwänge. So werden vorherige Resolutionen im Text zwar grundsätzlich angesprochen, aber nicht namentlich referenziert. Damit breche sie mit bisherigen VN- und Sicherheitsratsbeschlüssen sowie früheren israelisch-palästinensischen Abkommen und schaffe eine Art „Sonderregime“ jenseits des bisherigen internationalen Rechtsrahmens und mit der Handschrift einer US-zentrierten Sicherheitsordnung. Vorherige Entwürfe hatten das bestehende völkerrechtliche Fundament deutlicher in den Mittelpunkt gestellt.
Am schärfsten fällt die Reaktion von Hamas und dem Islamischen Dschihad aus, die die Resolution vollständig ablehnen und als eine „internationale Fremdverwaltung“ bewerten, die die Kontrolle des Gazastreifens in ausländische Hände legt und palästinensische Institutionen entmachtet. Die ISF wird als Besatzung mit internationalem Anstrich wahrgenommen. Die Demilitarisierung und Entwaffnung nichtstaatlicher Gruppen wird als Versuch gewertet, das international verbriefte Recht auf Widerstand auszuhebeln. Hamas erklärte, ein Ablegen der „Waffen des Widerstands“ sei an einen politischen Prozess gebunden, der die Besatzung beende und palästinensische Staatlichkeit garantiere – eine Kritik, die missachtet, dass ohne grundlegende sicherheitspolitische Veränderungen weder internationale noch regionale Akteure bereit sind, Wiederaufbau- und Governance-Prozesse ernsthaft zu unterstützen.
Wenn auch erheblich geschwächt, stellen Hamas und andere bewaffnete Fraktionen in Abwesenheit funktionsfähiger alternativer palästinensischer Sicherheitskräfte in Gaza eine der größten Herausforderung für die Umsetzung der Resolution dar. Es wird bislang nicht erwartet, dass die Hamas-Führung beabsichtigt, ihre politische Ablehnung unmittelbar in einen bewaffneten Widerstand gegen internationale Truppen zu übersetzen, auch wenn sie versuchen könnte, den Umsetzungsprozess zu behindern.„Sollte die ISF jedoch versuchen, eine Entwaffnung mit Gewalt durchzusetzen, könnte die Situation zu einer Konfrontation eskalieren,“ meint Ibrahim Dalalsha, Direktor des Horizon Center in Ramallah. „Die Rhetorik der Hamas und anderer Fraktionen bereitet eindeutig den Boden für ein solches Szenario.“
Regionales Interessensgefüge
Hinter der Verabschiedung stehen auch strategische Interessen der beteiligten Staaten. Die USA wollen ein (sicherheits)politisches Ordnungsmodell etablieren, das sowohl israelische Sicherheitsbedürfnisse adressiert als auch den Weg zu einem regional akzeptierten Wiederaufbau des Gazastreifens ebnet. Ersteres erfordert, dass lokale Akteure wie die Hamas und andere bewaffnete Gruppen keine eigenen militärischen Strukturen wiederaufbauen können. Zudem sichert der Text Washington eine zentrale Rolle in einem zukünftigen politischen Prozess über eine Lösung des Nahostkonflikts. Europa unterstützt den Vorschlag aus Stabilitäts- und humanitären Erwägungen, um Sicherheit für Israel zu gewährleisten, eine weitere Verschlechterung der humanitären Lage zu verhindern sowie die Eskalationsgefahr in der Region zu vermindern.
Die arabischen Staaten, allen voran Ägypten und Katar, aber auch Jordanien, Saudi-Arabien und die VAE, verfolgen eine doppelte Logik. Einerseits wollen sie langfristig eine Wiederherstellung der palästinensischen Institutionen im Gazastreifen, der PA, und gleichzeitig verhindern, dass die Hamas als De-Facto-Machthaber im Küstengebiet zurückkehrt. Parallel sind sie darum bemüht, zu verhindern, dass Gaza dauerhaft in ein israelisches Sicherheitsmodell integriert und langfristig besetzt wird, ohne dass die palästinensischen Ansprüche zumindest perspektivisch mitgedacht werden. Für Ägypten ist Stabilität an der Grenze zum Gazastreifen auch vor dem Hintergrund möglicher Fluchtbewegungen bedeutend.
Im Vergleich zur „Kairo-Erklärung“ der arabischen Staaten aus dem März 2025 ist eine reformierte PA nicht länger der primäre politische Akteur in der Zukunft des Gazastreifens und das Gebiet bleibt nicht länger integraler Bestandteil des palästinensischen Territoriums unter Verantwortung nationaler Institutionen. Die arabischen Staaten wollten internationale Unterstützung, aber keine direkte internationale Verwaltung. Auch spielen regionale Akteure in der Gestaltung der Übergangsphase nur noch eine geringere Rolle und ein verbindlicher, vollständiger israelischer Rückzug ist an Bedingungen geknüpft.
Die arabischen Staaten werden insgesamt eher widerwillig zugestimmt und genaustens kalkuliert haben, welche politischen oder materiellen Gegenleistungen sie von Präsident Trump erwarten könnten. Ein erstes Signal könnte die Ankündigung im Zuge des Besuchs des saudischen Kronprinz Mohammad bin Salman im Weißen Haus sein, amerikanische F-35-Kampfjets nach Saudi-Arabien zu liefern. Saudi-Arabien strebt gegenüber den USA stärkere Sicherheitsgarantien an. Angesichts der Enthaltungen von Russland und China im Sicherheitsrat bleibt abzuwarten, welche Zugeständnisse Moskau und Peking im Gegenzug dafür ausgehandelt haben könnten, kein Veto einzulegen.
Zukunftsordnung unter Vorbehalt
Die Resolution setzt laut internationalen Beobachtern mehrere Präzedenzfälle. Sie entpolitisiert den Gazastreifen und löst ihn aus seinem historischen Kontext, indem sie das Küstengebiet für die nächsten zwei Jahre de facto unter die Kontrolle von US-Präsident Trump und seinem Friedensrat mit umfassenden Vollmachten über Gaza stellt. Die international anerkannte Führung der Palästinenser wird, zumindest zu Beginn, an den politischen Spielfeldrand gedrängt und die administrative Trennung zwischen Gazastreifen und Westjordanland weiter aufrechterhalten. Die Formulierung über eine langfristige politische Perspektive bleibt sehr vage ebenso wie die Bedingungen für eine Rückkehr der PA nach Gaza.
Das Ziel der Resolution, den Gazastreifen durch das Zusammenspiel einer internationalen Sicherungstruppe und politischen Übersicht sowie einer lokal eingebetteten Übergangsverwaltung zu stabilisieren, ist sehr ambitioniert. Entscheidend wird sein, ob der Plan nicht nur eine neue Sicherheitsordnung etablieren und den Wiederaufbau voranbringen, sondern auch einen politischen Horizont und Legitimität schaffen kann, sodass eine zukünftige Ordnung im Gazastreifen perspektivisch wieder unter vollständiger und eigenständiger palästinensischer Verantwortung stehen kann. Die Gefahr eines institutionellen Vakuums besteht, da das BoP und die ISF zwar eine internationale, aber bisher kaum nationale Legitimation besitzt. Die Frage, inwieweit zumindest ein Teil der de-facto-Machtakteure im Gazastreifen in ein Übergangsmodell eingebunden oder bereit sein wird, die Logik des Zukunftsplans zu akzeptieren, bleibt unbeantwortet.
Internationale Beobachter befürchten, dass die Hamas faktisch die Kontrolle über etwa die Hälfte des Gazastreifens und ihren Einfluss auf die 2,3 Millionen Einwohner des Küstengebiets beibehalten wird, während parallel von den USA, Israel und den regionalen Staaten über die konkrete Ausgestaltung der Zukunftsordnung verhandelt werden wird. Gleichzeitig wird sich international eine Koalition der Willingen zusammenfinden, die sich bereit erklärt, eigene Truppen zur Stabilisierungstruppe ISF beizusteuern und die US-Regierung wird den Friedensrat/ BoP ernennen und in Abstimmung mit den arabischen Staaten ein palästinensisches Technokratenkomitee zusammensetzen.
Auch mit einem Sicherheitsratsmandat steht eine stabile Zukunftsordnung weiter auf wackeligen Beinen, auch wenn der politische Druck nun deutlich erhöht wurde. Dennoch gibt es für die Menschen im Gazastreifen nach zwei Jahren Kämpfen nun immerhin die Aussicht auf ein Ende des Krieges, stabile Verhältnisse und einen Wiederaufbau.
18. November 2025, Ramallah
Konular
Sağlayan taraf:
Auslandsbüro Palästinensische GebieteYayın sırası hakkında
Konrad Adenauer Vakfı, beş kıtada yaklaşık 70 ülkede ofise sahip bulunmaktadır. Bölgedeki yurtdışı elemanları bulundukları ülkedeki güncel olaylar ve uzun vadedeki gelişmeler hakkında ilk elden bilgi verebilmektedir. "Ülkelerden haberler"de Konrad Adenauer Vakfı web sayfası kullanıcılarına özel analizler, bilgi birikimleri ve tahminler sunarlar.