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Виступи на заходах

„Freiheit ich will dich“

з Andre Kagelmann

X. Berliner Fachtagung der Konrad-Adenauer-Stiftung für europäische Germanisten

Was ist die Freiheit, wie wir wollen? 25mal taucht sie im Grundgesetz auf, allein in der Präambel und den 19 Grundrechtsartikeln. Im Namen von Freiheit und Befreiung fanden Revolutionen statt, so im Februar und Oktober 1917 in Russland. Doch entfesselt wurde dabei auch oft Gewalt, gebotene Gewalt im Widerstand, verbotene als Terror, so im „Deutschen Herbst“ 1977. Um diesem diffizilen Verhältnis von Freiheit und Gewalt auf die Spur zu kommen, trafen sich über 60 Germanisten aus 16 europäischen Ländern in der Akademie der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) zur jährlichen Europakonferenz.

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v.l.n.r.: Rabea Conrad, Universität München; Anna Braun, Universität Koblenz-Landau; Dr. Heike Kreutz-Arnold, Moderation; Thomas Scholz, Universität St. Louis/USA; Jana Dusek Prazakova, Universität Prag; Ioana-Olimpia Ene, Universität Bukarest.

„Die Kunst ist eine Tochter der Freiheit, und von der Notwendigkeit der Geister, nicht von der Notdurft der Materie will sie ihre Vorschrift empfangen.“ (Friedrich Schiller)

Im Anschluss an Friedrich Schillers im Zweiten Brief seiner Abhandlung Über die ästhetische Erziehung des Menschen (1794) formuliertes idealistisches Diktum diskutierten die Professoren und Studierenden die im Grundgesetz garantierten Freiheitsrechte in ihren literarischen Perspektivierungen und Brechungen. Ausgehend von einer konzeptionellen Rahmung des Leiters des Referats Literatur der KAS, Prof. Dr. Michael Braun, und im Anschluss an die Grußworte von Dr. Susanna Schmidt, der Leiterin für Begabtenförderung und Kultur, fokussierte die Tagung also einen Themenkomplex, der vor dem Hintergrund aktueller terroristischer Anschläge bzw. Strategien asymmetrischer Kriegsführung gewissermaßen zum Lackmustest einer offenen demokratischen Gesellschaft wird. Gerahmt wurde die wissenschaftliche Auseinandersetzung in den einzelnen Sektionen durch eine Lesung des irakisch-deutschen Schriftstellers Najem Wali und eine Diskussion von Uli Edels Film „Der Baader Meinhof Komplex“ (2008).

Die erste Sektion der Tagung REVOLUTIONEN UND FREIHEIT: RUSSLAND 1917 UND DIE FOLGEN FÜR DIE EUROPÄISCHE KULTUR eröffnete Prof. Dr. Oliver Jahraus (LMU München) mit seinem Vortrag „1917, 1977, 2017 – Lenins Zug und die Erfindung des Bürgerkrieges“. Dabei betrachtete er in einem luziden historischen Rückblick zunächst die eigentümliche Konvergenz zwischen der politischen Destabilisierungsstrategie der Obersten Heeresleitung und Lenin, der den revolutionären Bürgerkrieg im Zarenreich vorbereiten wollte, doch im Schweizer Exil festsaß. Das führte bekanntlich zu der berühmten, u.a. in Stefan Zweigs Sternstunden der Menschheit (1943) erzählten sowie in Christian Krachts Ich werde hier sein im Sonnenschein und im Schatten (2008) ‚systemisch-dystopisch konterkarierten‘ Fahrt Lenins in einem versiegelten Zug von Zürich nach Russland. Jahraus‘ These einer hier erstmalig erfolgten revolutionären Aufhebung der Grenzen zwischen Krieg und Bürgerkrieg machte er semiotisch an der Kreidelinie fest, die innerhalb des Zuges einen extraterritorialen Raum etablierte und es Lenin ermöglicht habe, sozusagen kollaborationsfrei durch Europa zu reisen. In einem weiteren Schritt erweiterte Jahraus seine Argumentationslinie auf den ‚Deutschen Herbst‘, dessen Terrorismus sich mit Giorgio Agamben als „Form des Bürgerkriegs“ lesen lasse. Insofern konstatierte er in beiden Phänomen Formen der Entgrenzung des Krieges.

Daran anschließend stellte Dr. Rebecca Unterberger (Universität Klagenfurt) unter dem an einen Reisebericht Arthur Rundts (1926) angelehnten Titel „Ford – Trotzki, nur Nuancen!“ Überlegungen zur Strahlkraft der Oktoberrevolution 1917 auf die Konzeptionen von Freiheit, Gewalt und Individuum zwischen Ost und West an. Deren utopische Strahlkraft wirkte sich in der Zwischenkriegszeit nicht nur systematisch auf ‚die Linke‘ aus, sondern weit bis ins bürgerliche Establishment hinein, wie sie u.a. am Beispiel Robert Musils zu zeigen vermochte. Unterberger betonte in ihren Ausführungen, wie sich aus diesem von der russischen Revolution ausgehenden ‚welthistorischen Rauschen‘ eine Kakophonie politischer, soziologischer, ästhetischer etc. Stimmen entwickelte, die sich insgesamt zwischen den ‚systemischen Gegenpolen‘ Russland und Amerika orientierten. In einem zweiten Schritt spürte sie literarisch-ästhetischen Synthetisierungsversuchen nach, die zwischen der amerikanischen „Welle der Einförmigkeit“ und dem „russischen Willen zur Monotonie“ (Stefan Zweig) oszillierten.

Die zweite Sektion DEUTSCHER HERBST UND DAS ENDE DER HEROISCHEN GESELLSCHAFT? DAS JAHR 1977 IN LITERATUR UND FILM wurde eröffnet mit dem Vortrag von Prof. Dr. Vahidin Preljevic (Universität Sarajevo) über Terror und Literatur und Imaginationen der politisch motivierten Gewalt in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur. Am Beispiel von Uwe Timms Romanen Heißer Sommer (1974), Kerbels Flucht (1984), Rot (2001) und Der Freund und der Fremde (2005) untersuchte Preljevic zunächst Unterschiede zwischen dokumentarischen und subjektivierten Erzählmodi, die sich allerdings in der Folge immer stärker überlagerten. Insofern las er die formale Entwicklung des politischen Schriftstellers Uwe Timm, der in seinen Werken das Psychogramm des terroristischen Subjekts zeichne, als ästhetische Spiegelung einer sich zusehends monolithisierenden Programmatik der 1968er, in der die Grenzen zwischen politischem und Privatem fließend wurden.

Im Anschluss daran betrachtete Prof. Dr. Peter Hanenberg (Katholische Universität Lissabon) exemplarisch (De-)Konstruktionen des Terrors anhand von Reinald Goetz‘ Roman Kontrolliert (1988), die er in Beziehung setzte zum ‚Deutschen Herbst‘. Aus einer Vielfalt von Texten und Perspektiven in der Auseinandersetzung mit dem Terrorismus der RAF konzentrierte er sich also auf einen der formbewusstesten und reflektiertesten Autoren der deutschen Gegenwartsliteratur, der seine „Geschichte“ (so der Untertitel) durch eine Vielzahl an avancierten Erzählverfahren, Perspektiven und theoretischen Rekursen darbietet. Diese Überlegungen konturierte Hanenberg kritisch mit den Romanen Tanja Kinkels Schlaf der Vernunft (2015) und Gerhard Falkners Apollokalypse (2016), wobei er bei letzterem einen vom Politischen entkleidenden „Terroristen-Kitsch“ konstatierte.

Die dritte und letzte Sektion der Tagung FREIHEIT ANGESICHTS VON TERRORISMUS IN EUROPA wurde von Prof. Dr. Gertrud Maria Rösch (Universität Heidelberg) mit einem Vortrag unter dem Titel „Morden für ein Fahrrad. Zur Typologie des Terrors in der Gegenwartsliteratur“ eröffnet. Im Zentrum ihrer Überlegungen standen Darstellungen von Terrorismus zwischen Faktizität und Fiktionalität in den Romanen Hundert Tage von Lukas Bärfuss(2008) und Der letzte Ort von Sherko Fatha (2014). Rösch ging den Erzählungen von der Auflösung sozialer Ordnungen im Bürgerkrieg nach und stellte fest, dass diese Geschichten durch die Übertragung der eigenen Semantiken auf das Fremde zugleich ‚koloniale Blicke‘ inszenierten. Als Kontrapunkt dazu setzte sie die Lektüre von Michel Houellebecqs ästhetisch überformtem Dystopie-Roman Unterwerfung (2015).

Im Anschluss daran reflektierte Dr. Mirjam Gebauer (Universität Aalborg) Grenzen, Gewalten und Polarisierungen in der Literatur der Postmigration, womit sie einen Begriff wählte, der eine veränderte analytische Perspektive auf eine Gesellschaft nach erfolgter Migration bezeichnet. Ihre Überlegungen strukturierte Gebauer durch das Leitmotiv der Widerfahrnis, das im Sinne der Anthropologie Wilhelm Kamlahs verstanden werden kann als ein prägendes, jedoch kontingentes Ereignis, das einen Menschen also schuldlos und unvorbereitet trifft und daher eine Gegenkategorie zur Handlung bildet. Ihre theoretischen Ausführungen führte sie durch eine differenzierte Analyse von Bodo Kirchhoffs Novelle Widerfahrnis und Michael Köhlmeiers Roman Das Mädchen mit dem Fingerhut (beide 2016) zusammen, wobei Kirchhoffs Werk einer postmodernen Poetik folge, während Köhlmeier eine minimalistische Schreibweise vorweise.

In den dritten und letzten Konferenztag führte die belated keynote über Freiheit und Gewalt in der Literatur des 20. und 21. Jahrhunderts von Prof. Dr. Stefan Neuhaus (Universität Koblenz-Landau) ein. Einen Einblick in das Spannungsfeld bot er zunächst mit einer Tour d‘ Horizon durch die Philosophiegeschichte, die schlaglichtartig u.a. so unterschiedliche Denker wie Nietzsche und Arendt beleuchtete, um dann am Beispiel von Franz Kafkas Das Urteil (1913) die Kippfigur von radikaler Un-/Freiheit zu illustrieren. In einem weiteren Schritt lotete er anhand der berühmten Lyriksammlung Menschheitsdämmerung von Kurt Pinthus (1919) und Bertolt Brechts Hauspostille (1927) Momente individueller Unfreiheit und kollektiver Zwänge aus, wobei Freiheit durch die Reflexion ihrer Bedingungen entstehe, womit eine der zentralen Aufgaben der Literatur als eines Möglichkeits- und Simulationsraums bezeichnete. In einem letzten Schritt zeigte er in den Werken von Christian Kracht – 1979 (2001), Ich werde hier sein im Sonnenschein und im Schatten (2008) sowie Imperium (2012) –, wie hier mit ironischem Gestus fundamentalistische Denkfiguren inszeniert werden.

In der Abschlussdiskussion mit Rabea Conrad (Universität München), Ioana-Olimpia Ene (Universität Bukarest), Anna Braun (Universität Koblenz-Landau), Jana Dusek Prazakova (Universität Prag) und Thomas Scholz (St. Louis/Frankfurt a.M.) unter der Moderation von Dr. Heike Kreutz-Arnold (Lissabon/Berlin) kam ein überraschendes Ergebnis heraus: als Hauptfundament der Freiheit sahen die Studierenden weniger die christlichen Werte an, noch eine für alles offene Mitleidsethik, noch Neugierde, sondern Vernunft und Toleranz. Das wiederum ist der Rahmen, in dem sich die Werte europäischer Literatur herausgebildet haben. Insofern ist die Kunst in Schillers Sinne tatsächlich eine Tochter der Freiheit. Literatur ist das Medium, dass von den Möglichkeiten und Grenzen unserer Freiheit zu erzählen und diese zugleich zu reflektieren vermag.

Dr. Andre Kagelmann (Universität Köln)

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