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Interviews

„Die Befreiung von deutschen Geiseln im Iran muss Chefsache werden“

Gazelle Sharmahd im Gespräch mit der KAS

Vor zweieinhalb Jahren wurde Jamshid Sharmahd in Dubai vom iranischen Geheimdienst entführt und wegen angeblichen Terrorverdachts zum Tode verurteilt. Seitdem sitzt er ohne Kontakt zu seiner Familie oder einem Anwalt in Isolationshaft. Seine Tochter Gazelle Sharmahd ist nach Berlin gereist, um auf die Lage ihres Vaters aufmerksam zu machen und von der Bundesregierung politische Konsequenzen zu fordern – so auch bei einem Gespräch in der Konrad-Adenauer-Stiftung.

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v.l.n.r. Valerio Krüger (Internationale Gesellschaft für Menschenrechte), Ulrike Becker (Mideast Freedom Forum Berlin), Gazelle Sharmahd, Dr. Canan Atilgan (Leiterin der Abteilung Naher Osten und Nordafrika), Rebecca Schönenbach (Frauen für Freiheit), Simon Engelkes (Referent Naher Osten und Nordafrika) KAS
v.l.n.r. Valerio Krüger (Internationale Gesellschaft für Menschenrechte), Ulrike Becker (Mideast Freedom Forum Berlin), Gazelle Sharmahd, Dr. Canan Atilgan (Leiterin der Abteilung Naher Osten und Nordafrika), Rebecca Schönenbach (Frauen für Freiheit), Simon Engelkes (Referent Naher Osten und Nordafrika)

Frau Sharmahd, wann haben Sie zuletzt von Ihrem Vater gehört?

Ich darf seit fast zwei Jahren nicht mehr mit meinem Vater telefonieren. Und selbst als ich noch mit ihm sprechen durfte, wollte das Regime mich zwingen, falsche Dokumente auszustellen, die meinen Vater als Kriminellen darstellen, um diese in dem Schauprozess gegen ihn zu verwenden. Als ich mich weigerte, haben sie den Kontakt zu uns für neun Monate komplett abgebrochen. Danach durfte mein Vater nur noch meine Mutter anrufen und auch das nur zweimal im Jahr – umgeben von Agenten, die kontrollieren, was er sagt. Daher kann er uns nur kodierte Botschaften zukommen lassen. Wenn er erzählt, dass er viel Brei isst, weil er ohne Zähne nicht kauen kann, dann wissen wir, dass ihm vermutlich die Zähne ausgeschlagen wurden. Mein Vater wird nun seit mehr als 970 Tagen in Isolationshaft gehalten. Er weiß nicht mehr, wann Tag und wann Nacht ist und bekommt dringend notwendige Medikamente gegen Parkinson nicht, zumindest nicht in der richtigen Dosierung und regelmäßig. Das kann ich als Krankenschwester auf den wenigen Aufnahmen erkennen, die während des Schauprozesses gegen meinen Vater aufgenommen und vom Regime öffentlich gemacht wurden. Um es klar zu sagen: Er wird seit seiner Entführung gefoltert.

Die deutsche Botschaft hat keinen Zugang zu ihm, obwohl er deutscher Staatsbürger ist, was das Regime betont, indem es seinen deutschen Pass im Schauprozess an die Wand projiziert. Bis heute weiß meine Familie nicht, an welchem Ort Jimmy, wie er von uns genannt wird, gefangen gehalten wird. Er hat keinen Anwalt, denn auch der von uns ausgesuchte Anwalt wird nicht zu ihm vorgelassen. Stattdessen ist er dem Regimeagenten ausgesetzt, der als Anwalt posiert, um die Scharade des Regimes aufrechtzuerhalten. Er sieht nur diejenigen, die ihm Böses wollen.


Seit Jahren werden EU-Bürgerinnen und -Bürger wie ihr Vater in iranischen Gefängnissen festgehalten und vom Regime als Druckmittel gegen Europa eingesetzt. Besteht auf europäischer Ebene denn eine Koordinierung zwischen EU-Mitgliedsstaaten, deren Staatsbürger von der Islamischen Republik als politische Geiseln verschleppt und zum Tode verurteilt wurden?

Davon weiß ich leider nichts. Uns Angehörigen werden kaum Informationen mitgeteilt. Mein Vater ist der dritte Europäer, der im Iran die Todesstrafe bekommen hat. Einer von vielen, die mit Gewalt aus dem Ausland in den Iran verschleppt wurden. Er ist also kein Einzelfall. Dennoch gibt es keine europäische Lösung für dieses Problem. Wir Angehörigen organisieren uns selbst und haben Kontakt zu allen Familien, die sich öffentlich zur Geiselnahme ihrer Angehörigen durch das Islamische Regime im Iran geäußert haben. Da wir so wenig Hilfe vom Auswärtigen Amt erhalten haben, war ich froh, andere Familien fragen zu können: Was jetzt? Ich habe von der Entführung meines Vaters durch das Staatsfernsehen des Islamischen Regimes erfahren, wo er vor den Kameras mit Augenbinde, Hand und Fußfesseln und deutlichen Spuren von Folter zu Geständnissen gezwungen wurde. Erst eine Woche später hat sich jemand vom Auswärtigen Amt bei uns gemeldet. In unserer Panik haben wir versucht, alle anzurufen, sogar Interpol. Da war es eine große Hilfe, die Unterstützung der anderen Familien zu haben.

Bis heute ist eine meiner größten Hilfen die Tochter von Nahid Taghavi, Mariam Claren. Mariams Mutter Nahid wird im berüchtigten Evin-Gefängnis gefangen gehalten. Mit Mariam zusammen kämpfen wir für die Freilassung ihrer Mutter und meines Vaters. Dafür haben wir die Kampagnen #FreeNahid und #SaveSharmahd ins Leben gerufen und sprechen mit Entscheidungsträgern, um sie über die Situation unserer Eltern zu informieren und Möglichkeiten zu erfahren, wie mein Vater vor der Hinrichtung gerettet werden kann.

Wir möchten, dass eine Arbeitsgruppe gebildet wird, mit Experten, Regierungsmitarbeitern und internationalen Spezialisten, die auch die Familien einbinden, ähnlich wie dies in den USA bereits praktiziert wird. Die Befreiung von deutschen Geiseln muss Chefsache werden. Die Entführung meines Vaters ist kein persönliches Problem meiner Familie, wie die Inhaftierung von Evan Gershkovich durch Russland erneut zeigt. Geiselnahme ist ein politisches Erpressungsmittel, das speziell das Islamische Regime Iran seit über 40 Jahren erfolgreich anwendet. Jeder Deutsche kann Opfer einer Entführung werden, wenn dagegen keine Strategie entwickelt wird.


Was erwarten Sie von Deutschland und der deutschen Bundesregierung?

Zunächst einmal erwarte ich, dass die Bundesregierung endlich Druck ausübt, um ihre Staatsbürger vor dem Terrorregime zu beschützen. Als mein Vater entführt wurde, gab es überhaupt keine öffentliche Reaktion. Mein Vater hat nur die deutsche Staatsbürgerschaft. Er war auf dem Weg von Deutschland nach Indien für eine Geschäftsreise, als er bei einer Zwischenlandung in Dubai gekidnappt und vermutlich über Oman nach Iran verschleppt wurde. Da man die iranische Staatsbürgerschaft nicht ablegen kann, wird er vom Regime als Iraner angesehen. Dass die deutsche Bundesregierung nach einem solchen Verbrechen an einem ihrer Staatsbürger nicht reagiert, hat mich schockiert. Erst jetzt, als nach zweieinhalb Jahren Folter ein Todesurteil ausgesprochen wurde, wurden zwei Diplomaten des Regimes ausgewiesen. Dieser Schritt war zwar richtig, aber viel zu spät. Außenministerin Baerbock hat erst nach der „Urteilsverkündung“ Konsequenzen angedroht, sollte mein Vater hingerichtet werden. Wenn aber Konsequenzen möglich sind, warum dann nicht jetzt? Wenn mein Vater an einem Kran erhängt wird, ist es zu spät für Konsequenzen. Richtig wäre, zu handeln, bevor es zu spät ist.

Es ist nicht Aufgabe der Angehörigen, der Politik zu sagen, wie sie zu handeln hat. Aber dass sie handelt, ist ihre Pflicht. Der erste Schritt wäre meiner Meinung nach, klar auszusprechen, dass es sich um eine Geiselnahme handelt. Unser politischer Pate Friedrich Merz und viele weitere Abgeordnete haben vorgemacht, dass dies geht. Außerdem ist die von der Bundesregierung geäußerte Forderung nach einem fairen Prozess unsinnig. Das Kidnapping war nicht fair. Der Prozess ist kein Prozess, sondern die politische Inszenierung eines Terrorregimes. Innerhalb eines Unrechtsstaates gibt es keine fairen Prozesse. Das muss die Bundesregierung begreifen und das Vorgehen des Regimes mit aller Klarheit verurteilen. Sie sollten nicht einen neuen Prozess fordern, sondern die sofortige Freilassung meines Vaters.

Die bisherige Strategie der Bundesregierung hat keine sichtbare Verbesserung gebracht. Was auch immer getan wurde, hat weder die Folter gestoppt, noch den Schauprozess aufgehalten, geschweige denn die Drohung mit einer Hinrichtung verhindert. Sollte es eine Strategie geben, dann muss diese dringend überdacht werden. Der Ansprechpartner für die Familien im Auswärtigen Amt ist immer für uns da, aber er kann uns nichts Inhaltliches mitteilen. Daher muss ein Krisenstab eingerichtet werden, denn die Situation meines Vaters ist äußerst dringend. Er könnte von allen Terrorregimen wie im Iran, Russland und vielen mehr als Präzedenzfall gesehen werden. Diese Unrechtsregime lernen alle voneinander und können jetzt ohne jegliche Konsequenzen Jagd auf Europäer als politisches Faustpfand machen. Wenn mein Vater nicht gerettet wird, dann senden wir den Terrorstaaten die Nachricht, dass es völlig in Ordnung ist, Deutsche aus dem Ausland zu verschleppen, zu foltern, durch Schauprozesse zu ziehen und sie letztlich zu ermorden. Wenn wir das zulassen, dann ist keiner von uns jemals mehr sicher.


Haben Sie Sorge, dass die weltweite Aufmerksamkeit für die Situation im Iran immer weiter durch andere Themen überlagert wird - und das iranische Regime genau auf diesen Gewöhnungseffekt setzt? Was kann die Zivilgesellschaft in Deutschland und Europa dagegen tun?

Die Sorge habe ich nicht nur in Bezug auf meinen Vater, sondern für alle Inhaftierten im Iran. Sobald die Aufmerksamkeit nachlässt, wird sich das Regime an den politischen Gefangenen rächen. Internationale Aufmerksamkeit ist eine Lebensversicherung für die verhafteten Regimegegner innerhalb des Iran, genauso, wie sie auch Nahid Taghavi und meinem Vater Jimmy Sharmahd hilft. Um die Aufmerksamkeit aufrecht zu erhalten, können wir alle über soziale Medien Posts teilen, weiter Interesse zeigen, Journalistinnen und Journalisten können die Lügen des Regimes entlarven. Jede und jeder kann den Bundestagsabgeordneten seines Wahlkreises auf die Situation meines Vaters aufmerksam machen. Dafür wäre ich sehr dankbar.

Im Übrigen habe nicht ich den Fall meines Vaters öffentlich gemacht, sondern das Regime selbst durch die Inszenierung eines Schauprozesses; durch Videos über ihn, die mittlerweile jeden Tag im Staatsfernsehen gezeigt werden, um die Bevölkerung auf seine Hinrichtung vorzubereiten. Je mehr der Bundestag Rechenschaft von der Bundesregierung fordert, je mehr Aufmerksamkeit das Leben eines deutschen Staatsbürgers bekommt, desto eher wird gehandelt. Es geht mir nicht darum, das Auswärtige Amt oder Außenministerin Baerbock zu verunglimpfen – im Gegenteil. Ich möchte lediglich, dass endlich etwas getan wird, um meinen Vater zu retten und das Thema der Geiseldiplomatie zu beenden; um eine Zukunft zu bauen, in der wir in Europa und weltweit nicht unter dem Terror von Tyrannen leben müssen; eine Zukunft, in der wir Presse- und Meinungsfreiheit haben, ohne uns vor Terroranschlägen zu fürchten, die durch Agenten des Regimes geplant werden, die in den größten Städten in Deutschland ein- und ausgehen. Ich möchte, dass unsere Regierung ihre Schutzverantwortung gegenüber ihren Bürgerinnen und Bürgern ernst genug nimmt, um zu verhindern, dass weiteren Menschen passiert, was meinem Vater angetan wird. Unsere Regierung hat erst verstanden, was für eine Bedrohung Russland für uns ist, als Russland ins Herz von Europa einmarschiert ist. Diesen Fehler dürfen wir mit dem Islamischen Regime nicht machen. Wir müssen uns europaweit und weltweit verbünden, Diplomatie und Druckmittel wie Deutschlands Wirtschaftsmacht nutzen, um klar zu zeigen, dass Menschenrechte nicht nur ein Schlagwort sind, sondern unantastbare Grundrechte jedes Menschen. Wenn wir daran nicht festhalten und unsere rote Linie ziehen, dann können wir alle aufhören, über weitergeleitete Politik, feministische oder selbst humanistische Außenpolitik zu sprechen.


Jamshid Sharmahd wurde Angaben seiner Familie zufolge wegen regimekritischer Aussagen im Juli 2020 während einer Reise nach Dubai vom iranischen Geheimdienst entführt. Im Iran wurde der 67 Jahre Exil-Oppositionelle daraufhin angeklagt, einen Bombenanschlag geplant zu haben. Am 21. Februar 2023 wurde er zum Tode verurteilt. Seine Tochter Gazelle Sharmahd lebt heute in den USA.

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