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Baz Ratner, Reuters

Auslandsinformationen

COVID-19 als Beschleuniger einer globalen Machtverschiebung?

von Anna Wasserfall, Tom Bayes

Chinas wachsende ideologische Einflussnahme in Afrika

Der Kampf gegen die ­COVID-19-Pandemie ist nicht nur ein Kampf gegen ­SARS-CoV-2, sondern auch Teil des Wettbewerbs um globale Deutungshoheit und politische und wirtschaftliche Einflussnahme. Besonders vor dem Hintergrund der sich verschlechternden Beziehungen zwischen China und den ­USA wird das jeweilige Krisenmanagement und dessen (Miss-)Erfolg dabei zum Politikum. Die Kommunistische Partei Chinas (­KPCh) nutzt die Pandemie dementsprechend auch auf ideologischer Ebene, um eine globale Machtverschiebung voranzutreiben – und der afrikanische Kontinent steht dabei besonders im Fokus.

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Während Peking zu Beginn der Pandemie vor allem damit beschäftigt war, Imageschäden zu beheben, wendete sich das Blatt mit der erfolgreichen Eindämmung des Virus innerhalb der eigenen Staatsgrenzen und der Verlagerung des Pandemiegeschehens. Schnell erkannte Staatschef Xi Jinping die sich daraus ergebende Chance, China im Wettbewerb der Systeme als Sieger zu inszenieren – einem Wettbewerb, den die KPCh seit Xi Jinpings Machtübernahme mit einer Zielstrebigkeit und Entschlossenheit vorantreibt, welche die seiner jüngsten Vorgänger bei weitem übertrifft. Wie China auf die COVID-19-bedingten Herausforderungen reagiert und wie es die daraus entstehenden Chancen strategisch zu seinen Gunsten nutzt, sagt viel darüber aus, welche Ziele die KPCh verfolgt und wie sie ihren Einfluss – in Afrika, aber auch in anderen Teilen der Welt – auszubauen sucht.

 

Die Pandemie als Wendepunkt im globalen Wettbewerb?

Die COVID-19-Pandemie fällt in eine Zeit bedeutender ideologischer und politischer Veränderungen in China. Seit seiner Machtübernahme in den Jahren 2012/2013 hat Xi Jinping eine persönliche Machtfülle erlangt, mit der sich keiner seiner jüngeren Vorgänger messen kann. Im Mittelpunkt seiner Herrschaft stehen seitdem vielfältige Bemühungen, sowohl die ideologische Disziplin innerhalb der KPCh als auch die Macht und den Einfluss der Partei in allen Bereichen der chinesischen Gesellschaft wiederherzustellen. Dies wird als eine bewusste Korrektur des „ideologischen Abdriftens“ unter seinen unmittelbaren Vorgängern gewertet. Das Kommuniqué über den aktuellen Stand der ideologischen Sphäre, besser bekannt als „Dokument Nummer 9“, macht seine Entschlossenheit deutlich, der ideologischen Bedrohung zu widerstehen, welche seiner Einschätzung nach vom Westen ausgeht. Diese Bedrohung setzt sich laut Kommuniqué vor allem aus einer Förderung der „westlichen verfassungsgemäßen Demokratie“, „universeller Werte“, der Zivilgesellschaft sowie dem westlichen Verständnis des Journalismus als vierte Macht im Staat zusammen.

In Xi Jinpings „neuer Ära“ soll die KPCh aber nicht nur innerhalb der Volksrepublik wieder ideologisch selbstbewusster auftreten, sondern ihre politische Überzeugung auch nach außen stärker ausstrahlen. In einem der Schlüsselmomente seiner bisherigen Herrschaft erklärte Xi Jinping auf dem 19. Parteitag der KPCh im Jahr 2017, dass das Modell des „Sozialismus mit chinesischen Merkmalen für eine neue Ära“ Chinas Beitrag „zum politischen Fortschritt der Menschheit“ darstelle und anderen Ländern eine „neue Option“ biete, sich unter Wahrung ihrer Unabhängigkeit zügig zu entwickeln. Unter Xi Jinping haben Ideologie und Nationalismus in der Politik und allen Lebensbereichen wieder an Bedeutung gewonnen, während sich Chinas Macht parallel dazu vervielfacht hat. Als Konsequenz hat sich in manchen Partei- und Intellektuellenkreisen bereits die Lesart durchgesetzt, dass sich die USA nun im Prozess ihres finalen Niedergangs befänden und China dazu bestimmt sei, sie als führende Weltmacht abzulösen. Die unterschiedlichen Erfolge beider Nationen in der Pandemiebekämpfung haben diese Wahrnehmung in China enorm angeheizt, und die Pandemie wird teilweise bereits als entscheidender Wendepunkt in einem ideologisch geprägten, strategischen Wettbewerb um die dominierende Stellung in der Welt gesehen.

Afrika ist in diesem Wettbewerb ein wichtiger Akteur. Der Kontinent hat nicht nur wirtschaftliche Bedeutung für Chinas Aufstieg, seine anerkannten 54 Staaten werden von Peking auch als wertvolle Stütze in globalen Angelegenheiten betrachtet. So betont Peking denn auch stets die historischen Verbindungen und Parallelen, welche China und Afrika aufweisen – als Opfer des Imperialismus und, in vielen Fällen, auch als Mitstreiter in den antikolonialen Befreiungskämpfen. In der Rhetorik der KPCh sind beide natürliche Partner in einer sogenannten chinesisch-afrikanischen Schicksalsgemeinschaft. Darüber hinaus sind die Nationen Afrikas eine naheliegende Zielgruppe, wenn autoritäre Herrschaft und staatszentrierte Wirtschaft im Stil der KPCh als Entwicklungsmodell propagiert werden. Vor diesem Hintergrund war und bleibt der gesamte afrikanische Kontinent von besonderer Bedeutung für Pekings Narrative und den gezielten Aufbau von Einfluss während der Coronapandemie.

 

Kampf der Narrative

Auch Josep Borrell, Hoher Vertreter der Europäischen Union für Außen- und Sicherheitspolitik, schien sich der politischen Tragweite der Pandemie schon früh bewusst, als er am 24. März 2020 betonte, dass „COVID-19 […] unsere Welt verändern [wird]. Wir wissen […] noch nicht, wann die Krise enden wird. Aber wir können uns sicher sein, dass, wenn sie es tut, die Welt sehr anders aussehen wird.“ Borrell sprach außerdem von einem globalen Kampf der Narrative und hob hervor, dass der Kampf gegen die Pandemie auch eine geopolitische Komponente habe, welche das Streben nach mehr Einfluss durch eine „Politik der Großzügigkeit“ beinhalte. Diese „Politik der Großzügigkeit“ ist dabei nur ein Beispiel dafür, wie China seine sogenannte „Maskendiplomatie“ nutzt, um Erzählungen zu manipulieren und der Welt seine Lesart der Pandemie aufzuzwingen.

In Afrika wurde wahrgenommen, dass das europäische Krisenmanagement durch einen Mangel an kohärenten Maßnahmen und Strategien gekennzeichnet war.

Dass der Westen es in den Augen vieler ausländischer Partner verpasst hat, im Kampf gegen COVID-19 eine führende Rolle zu übernehmen und seine Verlässlichkeit unter Beweis zu stellen, spielt Peking dabei in die Hände. Während Barack Obama noch 2014 im Zuge des Ebola-Ausbruchs in Westafrika mehr als 60 Nationen zum gemeinsamen Handeln gegen die Seuche bewegen konnte, setzten die USA im Zuge der COVID-19-Pandemie lange auf eine Strategie des Relativierens und der Abschottung sowie eine America first-Mentalität. Gleichzeitig präsentierte sich Peking durch die Abhaltung des außerordentlichen „China-Afrika-Gipfels zur Solidarität gegen COVID-19“ im Juni 2020 sichtbar in einer führenden Rolle. Auch die Europäische Union schien in der Außenwahrnehmung zeitweise so mit sich selbst beschäftigt, dass selbst einige Mitgliedstaaten und europäische Nachbarn den Eindruck hatten, das Staatenbündnis bringe ihnen nicht genug Solidarität und Unterstützung entgegen. So erklärte zum Beispiel der serbische Präsident Aleksandar Vučić, dass „er seinem Bruder und Freund Xi Jinping vertraue“, während die vielbeschworene europäische Solidarität hingegen nur ein Märchen sei. Auch auf dem afrikanischen Kontinent wurde wahrgenommen, dass das europäische Krisenmanagement gerade zu Beginn durch einen Mangel an kohärenten Maßnahmen und Strategien gekennzeichnet war und dass der Diskurs zeitweise stark durch interne Uneinigkeit und gegenseitige Kritik dominiert wurde.

Dieses scheinbare Versagen der westlichen Mächte, die coronabedingten Herausforderungen innerhalb der eigenen Grenzen zu überwinden und ihren Partnern im Ausland substanzielle Unterstützung und Führung zu bieten, hat der KPCh einen fruchtbaren Boden für ihre Narrative und die Umsetzung strategischer Ansätze in Afrika bereitet, die nun beweisen sollen, dass China Afrikas wahrhaftigster und großzügigster Freund und sogar ein Vorbild sei, dem zu folgen sich lohne.

 

Chinas Narrative

Während der COVID-19-Pandemie hat der chinesische Parteistaat seine umfangreichen Netzwerke und Verbindungen in Afrika genutzt, um verschiedene strategische Ansätze koordiniert und aufeinander abgestimmt umzusetzen und ausgewählte Schlüsselnarrative bezüglich der Pandemie zu fördern – einige von ihnen eher defensiv, andere hingegen proaktiv oder aggressiv. Diese Narrative und ihre Bedeutung haben sich im Laufe der Zeit weiterentwickelt, vor allem aufgrund der sich verändernden Pandemiesituation in China, Afrika und weltweit.

Peking sammelte proaktiv afrikanische Stimmen, welche den chinesischen Umgang mit der Krise lobten.

 

1. Die Ablenkung von Kritik und die Förderung alternativer Erklärungen für den Ursprung des Virus

 

Bei vielen afrikanischen Zielgruppen schadete der Status Chinas als SARS-CoV-2-Ursprungsland massiv der Reputation des Staats. Für die KPCh wurde diese Herausforderung durch die Auffassung verschärft, dass das frühe Stadium des Ausbruchs in der Provinz Hubei von den Behörden falsch gehandhabt wurde und dass wichtige Informationen bewusst zurückgehalten wurden, wodurch sich das Virus überhaupt erst ausbreiten konnte. Als Reaktion darauf sammelte Peking proaktiv afrikanische Stimmen, welche den chinesischen Umgang mit der Krise lobten, und sendete diese verstärkt in die Welt. Dazu gehörte unter anderem auch die direkte Ansprache von politischen Parteien, die aufgefordert wurden, Briefe zu unterzeichnen, die Pekings Leistung in der Pandemiebekämpfung priesen. Peking hat aber auch radikalere Narrative gefördert, um sich von der Schuld an der Ausbreitung des Virus freizusprechen: So wird immer wieder behauptet, das Virus sei in Wirklichkeit außerhalb Chinas entstanden – oder sogar, dass China Opfer eines gezielten Angriffs wurde. Über Monate hinweg verbreiteten chinesische Offizielle eigene Theorien, in denen etwa darüber spekuliert wurde, ob das amerikanische Militär das Virus nach Wuhan gebracht haben könnte.

 

2. Der Umgang mit der PR-Krise

 

Eine für die chinesisch-afrikanischen Beziehungen besonders schädliche Episode war die Diskriminierung afrikanischer Staatsbürger in Guangzhou. Nachdem der ursprüngliche Ausbruch in Wuhan unter Kontrolle gebracht war, verbreiteten sich Gerüchte in den chinesischen sozialen Medien, dass die afrikanische Bevölkerung von Guangzhou eine zweite Welle des Coronavirus verbreite. Als Reaktion wurden zahlreiche afrikanische Einwohner Guangzhous Ziel von Zwangsmaßnahmen und -räumungen. Geschäfte, Hotels und Restaurants verweigerten afrikanischen Kunden teilweise den Zugang. Über diese Ereignisse wurde in den sozialen Medien in Afrika breit berichtet und diskutiert, bis der Protest seinen Weg schließlich in die offiziellen Kanäle der Diplomatie fand. Botschafter afrikanischer Staaten in Peking legten bei den chinesischen Behörden Beschwerde ein, und afrikanische Politiker sprachen sich ungewohnt deutlich gegen die Diskriminierung aus. In einem in sozialen Medien veröffentlichten Video kritisierte zum Beispiel Femi Gbajabiamila, der Sprecher des nigerianischen Repräsentantenhauses, Chinas Botschafter in Abuja scharf.

Im Rahmen der COVID-19-Pandemie hat die Health Silk Road eine nie dagewesene Bedeutung gewonnen.

Chinas gezielte Abwehrreaktion bestand im Folgenden aus Berichten, in denen die diskrimi-nierende Behandlung geleugnet oder herunter-gespielt wurde, sowie Erklärungen, dass es sich um eine lokale Angelegenheit und das Verhalten von Einzelpersonen handele. Auch Erklärungen prominenter Afrikaner, wie zum Beispiel des nigerianischen Außenministers Geoffrey Onyeama, der sagte, dass es keine Belege für Diskriminierungen gebe, wurden proaktiv über chinesisch-afrikanische Medienkanäle verbreitet. Dieser Krisenmoment für die chinesisch-afrikanischen Beziehungen war allerdings nicht der erste Fall von antiafrikanischer Diskriminierung durch chinesische Medien, Behörden oder Einzelpersonen. Der Vorfall macht erneut deutlich, vor welchen Herausforderungen Peking steht, wenn es darum geht, die kulturelle Fremdheit und bestehende Vorurteile zwischen Chinesen und Afrikanern zu überwinden und die Rhetorik glaubhaft zu untermauern, dass die chinesisch-afrikanischen Beziehungen eine brüderliche Begegnung von sich gegenseitig respektierenden und in einer Schicksalsgemeinschaft vereinten Partnern sind.

 

3. China als Responsible Great Power und Afrikas großzügigster Partner? Die Health Silk Road

 

Die Förderung anderer, positiver Narrative hat Peking hingegen eine vielversprechende Möglichkeit geboten, den Diskurs in seinem Sinne zu verändern und zu steuern. Im Mittelpunkt steht dabei die Darstellung Chinas als Afrikas verlässlichster und großzügigster Partner. In erster Linie wurde diese Darstellung durch die weit verbreitete Berichterstattung über Chinas Bereitstellung von Masken und anderer medizinischer Ausrüstung gepflegt sowie zu einem späteren Zeitpunkt durch das Versprechen, den afrikanischen Nationen privilegierten Zugang zu den von China entwickelten Impfstoffen zu gewähren. Die begleitenden Werbekampagnen zielten darauf ab, China als „verantwortungsvolle Großmacht“ zu porträtieren, die Afrika in einer Zeit der Not helfe. Die offizielle Reaktion von afrikanischer Seite war überwiegend positiv, wie etwa die öffentlich geäußerte Dankbarkeit des südafrikanischen Gesundheitsministers Zweli Mkhize für Chinas „helfende Hand“ belegt. Auf der anderen Seite zeigten negative Reaktionen, dass es für Peking aber auch immer wieder mit Herausforderungen verbunden ist, dieses positive Narrativ effektiv durchzusetzen. Als Beispiel lässt sich hier die zum Teil empörte Reaktion afrikanischer Bürger auf Berichte nennen, dass die chinesische Ausrüstung von minderer Qualität sei und nicht nur Spenden, sondern auch Verkäufe umfasse, die nicht immer transparent voneinander abgegrenzt würden.

Um positive Perzeptionen weiter zu stärken, bedient sich Peking darüber hinaus auch spezifischer Brandingstrategien. Nachdem bereits die Marke Belt and Road Initiative China beim Erlangen internationaler Aufmerksamkeit und Anerkennung gute Dienste geleistet hatte, verpackte Peking auch seine medizinische Unterstützung in das Konzept einer Health Silk Road. Die Idee an sich ist dabei nicht neu und geht ursprünglich auf das Jahr 2015 zurück. In den internationalen Medien findet der Begriff Verwendung, seitdem Xi Jinping ihn im März 2020 in einem Gespräch mit dem damaligen italienischen Premierminister Giuseppe Conte erwähnte. Im Rahmen der COVID-19-Pandemie hat die Health Silk Road eine nie dagewesene Bedeutung gewonnen. Was das Konzept dabei konkret umfasst, ist allerdings nicht klar definiert. Nach einer Interpretation der chinesischen Medien beinhaltet die Health Silk Road sowohl die gegenwärtigen Coronahilfen als auch alle weiteren Aktivitäten, welche zu Chinas Vision einer globalen Public Health Governance beitragen.

Pekings zielgerichtete Reaktion wird explizit mit dem Krisenmanagement des Westens kontrastiert.

 

4. China als überlegener Krisenmanager und Vorbild

 

Chinas positive Narrative enden allerdings nicht mit der Bekanntmachung von Pekings Großzügigkeit und entsprechendem Branding. Sie präsentieren den chinesischen Weg vielmehr aktiv als das erfolgreichste Modell der Pandemiebekämpfung – und das dazugehörige politische System als eine praktikable Alternative zum westlichen Regierungsmodell. So haben zum Beispiel staatliche Medien eine umfassende Berichterstattung über den schnellen Aufbau von Notfallkrankenhäusern in Wuhan lanciert. Im Juni 2020 veröffentlichte das Informationsbüro des Staatsrates einen langen englischsprachigen Bericht mit dem Titel „Fighting COVID-19: China in Action“, in dem Pekings Reaktion detailliert beschrieben wird, während chinesische Beamte öffentlich anboten, ihre Erfahrung im Kampf gegen COVID-19 mit afrikanischen Kollegen zu teilen. Pekings zielgerichtete Reaktion wird dabei explizit mit dem Krisenmanagement des Westens kontrastiert – und vor allem auch mit den Turbulenzen am Ende der Amtszeit Donald Trumps –, um zu suggerieren, dass der Autoritarismus im Stil der KPCh inhärente Vorteile gegenüber der liberalen Demokratie habe, wenn es um die Mobilisierung von Ressourcen gehe. Der führende Parteifunktionär Guo Shengkun drückte es so aus: „Während der Pandemie haben wir innerhalb kurzer Zeit wichtige Erfolge errungen und den großen Gegensatz zwischen Chinas Ordnung und dem Chaos des Westens herausgestellt.“ Die Pandemie hat den Bemühungen Xi Jinpings, die KPCh-Herrschaft als ein Modell zu präsentieren, dem andere Länder folgen sollten, mächtigen Auftrieb gegeben – und einen überzeugenden Demonstrationsfall.

 

Das Instrumentarium der chinesischen Einflussnahme in Afrika

Der Erfolg bei der Verbreitung von Pekings Narrativen lässt sich dabei aber nicht nur auf eine geschickte Erzählweise zurückführen, sondern auch auf die umfangreiche Infrastruktur und die Netzwerke, auf die für diese Zwecke zurückgegriffen werden kann und die im Rahmen eines multidimensionalen Ansatzes koordiniert genutzt werden. Dazu gehören unter anderem die Ausweitung der chinesischen Präsenz in der afrikanischen Medienlandschaft und die Vertiefung von Pekings Beziehungen zu afrikanischen politischen Parteien.

 

1. Ausbau der chinesischen Medienpräsenz in Afrika

 

Die Medien waren von Beginn an ein Kerninstrument in Xi Jinpings Bemühungen, den Einfluss der Partei in allen Aspekten des Lebens in China zu bekräftigen, und seitdem hat er zusätzliche Schritte unternommen, um die Loyalität der Medien zur Partei zu stärken. Diese Entwicklung hat auch eine internationale Dimension: Xi Jinping hat die chinesischen Medien wiederholt aufgefordert, dem ausländischen Publikum „Chinas Geschichte gut zu erzählen“ und ihre internationale Präsenz zu erhöhen. Analysten haben unter Xi Jinping einen Wandel in Pekings Einstellung zu Zensur und Informationsmanagement festgestellt – von einem eher defensiven Ansatz, der das Eindringen unerwünschter Informationen nach China verhindern soll, hin zu einer Strategie, die versucht, das Informationsumfeld im Ausland proaktiv im eigenen Sinne umzugestalten.

Dies geschieht unter anderem durch die Expansion der chinesischen Staatsmedien. Afrika galt im Rahmen dieser Bemühungen als erster Zielkontinent und Testfall für diesen Vorstoß und bleibt bis heute die Zielregion mit den umfangreichsten Bestrebungen in dieser Hinsicht, was auch die aktuelle Studie des KAS-Medienprogramms Subsahara-Afrika „It is about their story – How China, Turkey and Russia influence the media in Africa“ thematisiert. Als wichtigste Eckpfeiler lassen sich hier das China Global Television Network Africa nennen oder das Monatsmagazin ChinAfrica, das seine Zielgruppe als „hochkarätige Leserschaft“ beschreibt, darunter „Regierungsvertreter, wichtige politische Parteien und Führungskräfte aus der Wirtschaft in Afrika“. Auch China Daily, Chinas auflagenstärkstes englischsprachiges Organ der staatlichen Presse, erscheint mit einer afrikanischen Ausgabe und der Sonderbeilage African Weekly. Peking hat ebenfalls den Sendebetrieb von China Radio International in Afrika ausgeweitet, sowohl direkt als auch durch die Lizenzierung seiner Inhalte. Zusätzlich zur Expansion der führenden staatlichen Medienorganisationen in Afrika hat Peking staatliche Gelder und Partnerschaften mit staatseigenen Unternehmen genutzt, um auch die Expansion privater chinesischer Medienunternehmen auf dem Kontinent zu unterstützen. Durch die kombinierte Reichweite staatlicher und privater chinesischer Medienorganisationen konnte das afrikanische Publikum in den vergangenen Jahren erheblich vergrößert werden – wobei das wahre Ausmaß des Erfolges und Einflusses Gegenstand von Forschung und Debatte bleibt.

 

2. Die Nutzung der sozialen Medien

 

Ein weiteres Instrument, das seit einigen Jahren vermehrt an Bedeutung gewonnen und bei der Verbreitung der genannten Narrative eine maßgebliche Rolle gespielt hat, sind die sozialen Medien. Obwohl zahlreiche Websites und Social-Media-Plattformen in China verboten sind, spielen sie in der Präsentation Chinas im Ausland bereits seit einigen Jahren eine große Rolle. Insbesondere seit 2019 haben sich zahlreiche chinesische Beamte auf Plattformen wie Twitter und Facebook registriert, und eine beträchtliche Anzahl offizieller chinesischer Organisationen und Institutionen sind mittlerweile ebenfalls auf Social-Media-Plattformen aktiv, darunter das Informationsbüro des Staatsrates, das Büro des Sprechers des Außenministeriums und sogar Qiushi, die Ideologiezeitschrift der KPCh. Darüber hinaus haben sich bisher mehr als 40 chinesische Botschaften, Botschafter und Diplomaten in Afrika Twitter- und Facebook-Profile zugelegt und nutzen diese aktiv, um ihre Botschaften zu teilen.

Die meisten der diplomatischen Twitterer Chinas in Afrika beschränken sich zwar auf eher unauffällige Posts und teilen und bewerben hauptsächlich Artikel von chinesischen Staatsmedien. Allerdings hat sich eine Reihe von Akteuren hier besonders hervorgetan. Diese sind in Anlehnung an die bekannten chinesischen Actionfilme als „Wolfskrieger-Diplomaten“ bekannt geworden. Dieser Trend steht im Einklang mit der Aufforderung von Außenminister Wang Yi an Chinas Diplomaten, „Kampfgeist“ an den Tag zu legen. Einige von Chinas Afrika-Diplomaten haben bereits bewiesen, dass sie über diesen verfügen. So machte zum Beispiel Ende 2019 Chinas damaliger Botschafter in Südafrika, Lin Songtian, mit Tweets auf sich aufmerksam, in denen er die USA aggressiv herausforderte. Lins bald folgende Beförderung in eine höhere Position in Peking zeigt eindrucksvoll die Karrierevorteile, die es mit sich bringt, in den sozialen Medien in Übersee Kriegsgeist zu beweisen.

 

3. Ausbildung von afrikanischen Journalisten

 

Pekings Fähigkeit, seine bevorzugten Narrative „an den Mann zu bringen“, ist unter anderem auch auf großzügig finanzierte Trainingsprogramme für afrikanische Journalisten zurückzuführen. Seit 2012 hat China etwa 1.000 afrikanische Journalisten pro Jahr in kurz- und längerfristigen Kursen und Seminaren ausgebildet. Das Herzstück dieses Programms, das China-Africa Press Centre, bringt jährlich etwa 30 afrikanische Journalisten für mehrmonatige Schulungen und Seminare, Touren durch China sowie Praktika bei Chinas wichtigsten Medienorganisationen ins Land.

 

4. Kooperation mit politischen Parteien

 

Unter Xi Jinping hat die KPCh auch ihr Engagement für afrikanische politische Parteien erheblich verstärkt, und zwar durch den parteiinternen diplomatischen Dienst, die Internationale Abteilung des Zentralkomitees der KPCh. Diese ist nicht neu, hat aber unter Xi Jinping an Bedeutung und Statur gewonnen. 2013 markiert dabei einen deutlichen Aufschwung in ihrem internationalen Engagement. Gegenwärtig unterhält die KPCh Beziehungen zu mehr als 60 afrikanischen Parteien, die von alten Verbindungen zu ehemaligen Befreiungsbewegungen mit sozialistischen, marxistischen oder maoistischen Wurzeln – wie Tansanias Chama Cha Mapinduzi (CCM) oder die Kommunistische Partei Südafrikas – bis hin zu neueren, pragmatischen Verbindungen zu Regierungsparteien quer durch das politische Spektrum reichen. Während die KPCh weiterhin besonders tiefe Beziehungen zu ihren ältesten afrikanischen Freunden pflegt – viele davon im südlichen Afrika –, erstreckt sich ihr Netzwerk der überparteilichen Diplomatie aber mittlerweile auf alle Regionen Afrikas, egal ob anglophon, frankophon oder lusophon, und umfasst dabei sowohl Demokratien als auch die eher autoritär geführten Staaten des Kontinents.

Der Erfolg bei der Bekämpfung des Coronavirus wird Chinas Glaubwürdigkeit in der politischen Zusammenarbeit erhöhen.

Die Internationale Abteilung führt unter anderem auch ein umfangreiches Schulungsprogramm für Kader und Funktionäre afrikanischer politischer Parteien durch. Diese Programme und Seminare finden sowohl in Afrika als auch in China statt – während der Pandemie auch online – und sind ein wichtiges Instrument, um die Sichtweise der KPCh in den Bereichen Regierungsführung und Entwicklung zu teilen und zu streuen. Ihr konkreter Erfolg ist zwar nur schwer abzuschätzen, aber Entwicklungen wie die wachsende Zahl afrikanischer politischer Parteien, die Parteischulen nach dem ausdrücklichen Vorbild der KPCh einrichten, oder die Entscheidung Namibias regierender SWAPO, im Jahr 2018 ihre Verfassung zu ändern, um ihre Ideologie als „Sozialismus mit namibischen Merkmalen“ zu bezeichnen, deuten darauf hin, dass zumindest einige Parteien dafür empfänglich sind. Der Erfolg bei der Bekämpfung des Coronavirus wird Chinas Glaubwürdigkeit in der politischen Zusammenarbeit erhöhen – und das Engagement der Internationalen Abteilung beinhaltet konsequent auch die Unterweisung in das Epidemie-Reaktionsmodell der KPCh. Generell schafft die Pflege der Beziehungen der KPCh zu ihren afrikanischen Partnern ein empfängliches Publikum für die Erzählungen – wie die Unterzeichnung von Briefen durch afrikanische Parteien, welche die Reaktion der KPCh auf das Coronavirus unterstützen, deutlich zeigt.

 

Europa muss ein verlässlicher und sichtbarer Partner sein

Bei einer genauen Betrachtung der Faktenlage scheinen alle Zeichen darauf hinzudeuten, dass China seine Narrative und sein verfügbares Instrumentarium im Zuge der Pandemie effektiv genutzt hat, um den Westen in vielerlei Hinsicht zu überflügeln. Vor diesem Hintergrund könnten die langfristigen politischen Auswirkungen von SARS-CoV-2 am Ende umso tiefgreifender sein, eben da sie mit einer Periode eines sich verschärfenden internationalen Wettbewerbs zusammenfallen. Politische Trends, die bereits vorher sichtbar waren, haben sich weiter verstärkt. Mehr als ein Jahr nach dem Ausbruch der Pandemie lässt sich feststellen, dass sich COVID-19 in diesem Sinne tatsächlich als Beschleuniger eines sich verschiebenden globalen Machtgefüges erwiesen hat.

Dieser Schluss führt zu der Frage: Was hat der Westen dieser Entwicklung konkret entgegenzusetzen? Denn es ist schließlich nicht so, dass nicht sowohl die USA als auch die Europäische Union bereits einen maßgeblichen Beitrag im globalen Kampf gegen das Virus leisteten, auch auf dem afrikanischen Kontinent. Als größte Herausforderung präsentiert sich in diesem Zusammenhang vielmehr die oft deutlich geringere Sichtbarkeit und mangelnde öffentliche Reichweite der westlichen Unterstützung. Dies lässt sich vor allem auch auf die Tatsache zurückführen, dass weder die USA noch die EU der multidimensionalen und stark koordinierten Kommunikations- und Handlungsweise Pekings ein vergleichbar strategisches und umfassendes Konzept entgegenzusetzen haben. Auch die Tatsache, dass ein erheblicher Teil der europäischen Hilfen in Regionalorganisationen wie die Afrikanische Union (AU) oder in multilaterale Organisationen wie die Weltgesundheitsorganisation fließen, mindert deren Sichtbarkeit – denn Unterstützung dieser Art lässt sich deutlich schwieriger in ein griffiges und medial nutzbares Narrativ übertragen. Ähnliches gilt für das häufig bediente Narrativ, dass ein autoritär ausgerichtetes Regierungssystem mit einem „starken Mann“ an der Spitze in Krisenzeiten in puncto Handlungsfähigkeit überlegen sei. Dieser Ansatz lässt sich im Vergleich mit einem komplexen politischen Geflecht wie der Europäischen Union deutlich einfacher darstellen und kommunizieren und steht gleichzeitig der politischen Kultur vieler afrikanischer Partnerstaaten näher.

Die liberale Demokratie wird durch ein alternatives Modell herausgefordert, das in der Pandemie für viele Partner an Glaubwürdigkeit gewonnen hat.

Für die europäisch-afrikanischen Beziehungen hätte das Jahr 2020 mit der neuen EU-Afrika-Strategie und einer entsprechenden Schwerpunktsetzung im Rahmen der deutschen EU-Ratspräsidentschaft der Beginn einer noch stärkeren Partnerschaft werden sollen. Das teilweise schwächelnde europäische Krisenmanagement und die Tatsache, dass es der EU anders als China beispielsweise nicht gelungen ist, (digitale) Alternativen für essenzielle Austauschplattformen wie den verschobenen EU-AU-Gipfel anzubieten, stärken hingegen das afrikanische Empfinden in Bezug auf eine neue Vulnerabilität der Europäischen Union. Angesichts dessen ist zu fragen: Welche Lehren sollten europäische Akteure aus Chinas gezieltem Aufbau von Einfluss und der Narrativförderung in Afrika ziehen? Und wie könnten mögliche Handlungsansätze aussehen?

 

  • Das Modell der liberalen Demokratie wird durch ein alternatives Modell herausgefordert, das nun im Rahmen der Pandemie für viele Partner an Glaubwürdigkeit gewonnen hat. Europäische Akteure müssen die Vorzüge demokratischer Gesellschaften deswegen noch stärker fördern und vor allem auch sichtbar machen – gemeinsam mit ihren vielen afrikanischen Partnern, die diese Werte teilen.
  • Europäische Akteure sollten genau verfolgen, wie China die Mechanismen zur Verbreitung alternativer Narrative in Afrika auf- und ausbaut und entsprechende Schritte einleiten, um diesen entgegenzuwirken. Zu diesen Schritten könnte es gehören, die Budgets unabhängiger, staatlich finanzierter europäischer Medien, die bereits einen hohen Publikumsanteil in Afrika haben (wie Radio France Internationale, BBC und Deutsche Welle) aufrechtzuerhalten und aufzustocken. Auch sollte es afrikanischen Journalisten verstärkt ermöglicht werden, Partnerschaften mit europäischen Medienorganisationen einzugehen, einschließlich Arbeitsaustausch und Ausbildung.
  • Europäische politische Parteien sollten ihren Austausch mit afrikanischen politischen Parteien vertiefen, um eine effektive demokratische Kultur zu unterstützen – inklusive einer verstärkten Nutzung von Einrichtungen wie Parteischulen durch europäische Parteien.
  • Relevante europäische Akteure sollten Anstrengungen unternehmen, um eine sichtbar gerechte Verteilung von COVID-19-Impfstoffen in Afrika und anderen Entwicklungsregionen zu unterstützen. Der Europäischen Union wird zwar der generelle Wille zur Unterstützung zugesprochen, allerdings werden gleichzeitig Zweifel geäußert, ob diese angesichts des bisherigen Krisenmanagements auch geleistet werden kann. Vor diesem Hintergrund ist es essenziell, ein Narrativ der Solidarität zu fördern und dieses aktiv der von Peking forcierten Darstellung von China als „Afrikas einzigem wahren Freund“ entgegenzustellen.
  • Die EU-Afrika-Strategie sollte trotz aller Verzögerungen und Hindernisse im Rahmen der Pandemie wieder stärker in den Fokus rücken und ein wichtiger Teil der Gespräche und Verhandlungen zwischen Europa und Afrika bleiben. Die Strategie sollte außerdem um eine Gesundheitskomponente ergänzt werden und konkrete Handlungsvorschläge beinhalten, die auf zusammenhängende Weise an afrikanische Partner und die afrikanische Öffentlichkeit kommuniziert werden. Es bietet sich der EU eine Chance, sich auch bei der Bewältigung der zu antizipierenden ökonomischen Herausforderungen, welche der Krise folgen werden, als verlässlicher Partner zu präsentieren, etwa durch mehr Investitionen in das afrikanische Gesundheitswesen.

 

Für Europa und den Westen wird es wesentlich sein, sich seinen afrikanischen und internationalen Partnern als verlässlicher und vor allem auch sichtbarer Akteur zu präsentieren und eigene Narrative und Netzwerke proaktiv zu stärken – während der verbleibenden Dauer der Pandemie, aber auch weit darüber hinaus.

 


 

 

Anna Lena Sabroso-Wasserfall ist Referentin für Westafrika und Digitale Formate im Regionalteam Afrika südlich der Sahara der Konrad-Adenauer-Stiftung.


 

 

Tom Bayes ist unabhängiger China-Afrika-Researcher und Autor der kommenden Studie „Wielding influence in the age of coronavirus: How the Chinese Communist Party shapes narratives and builds influence in Africa“.

 

 


 

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