Ausgabe: 1/2025
In den politischen Leitlinien für die neu installierte EU-Kommission, die unter ihrer Präsidentin Ursula von der Leyen am 1. Dezember 2024 ihre Arbeit aufgenommen hat, dominieren die großen Themen Sicherheit, Wettbewerbsfähigkeit, Umsetzung des Green Deal, Verteidigung und Ukraine. Aus ihnen wird aber ebenfalls deutlich: Auch „Wasser“ ist ein Querschnittsthema von hoher Relevanz. Der Umgang mit der knappen Ressource Wasser wird innerhalb der EU in den kommenden Jahren ein bedeutendes Thema sein. Doch auch in der Außenpolitik kann die EU beim Thema Wasser vielfach eine wichtige Rolle spielen.
Zunehmender Wasserstress auch in der EU
Der Zugang zu sauberem Trinkwasser und zu Sanitärversorgung ist ein Menschenrecht, das die Generalversammlung der Vereinten Nationen 2010 mit der Resolution 64/292 ausdrücklich anerkannt hat. In der Resolution werden Staaten und internationale Organisationen aufgefordert, den Kapazitätsaufbau und Technologietransfer zu fördern, um Entwicklungsländer bei der Wasserversorgung ihrer Bevölkerung zu unterstützen und eine robuste Wasserinfrastruktur zu verwirklichen. Bereits im Kontext der UN-Nachhaltigkeitsagenda hat die EU eine Reihe von ehrgeizigen Zielen formuliert: Dazu gehört der verbesserte Zugang von 70 Millionen Menschen zu Trinkwasser und Sanitätseinrichtungen bis zum Jahr 2050.
Der globale Wasserbedarf wächst stetig. Die Hälfte der Weltbevölkerung erlebt Wasserknappheit für zumindest einen Teil des Jahres. Wasser ist in vielen Regionen ein rares Gut: Insgesamt haben 2,2 Milliarden Menschen keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser. Vergleicht man die Lage in der EU mit dem Wasserstress in anderen Weltregionen, so ist sie zwar weniger dramatisch, sowohl was den Zugang zu sauberem (Trink-)Wasser (liegt bei nahezu 100 Prozent) als auch Wassermanagement und -knappheit angeht. Doch einige der besorgniserregenden globalen Trends werden zunehmend auch in der EU sichtbar, wie etwa der Verlust der Biodiversität in Gewässern.
Bereits jetzt leiden einige EU-Länder und -Regionen zumindest saisonal unter Wasserknappheit. So sind laut dem jüngsten Bericht der Europäischen Umweltagentur (European Environment Agency, EEA) rund 20 Prozent des EU-Territoriums und 30 Prozent der Bevölkerung inzwischen (zumindest saisonal) von „Wasserstress“ betroffen. Durch Chemikalien, kohlebasierte Energiegewinnung und schwer abbaubare, für die Gesundheit von Menschen aber sehr gefährliche per- und polyfluorierte Alkylsubstanzen (PFAS) verschmutztes Wasser ist eine weitere große Herausforderung für die EU. Immerhin haben noch 77 Prozent des Grundwasserraums in der EU einen guten chemischen Status, Verschmutzung erfolgt hier vor allem durch Nitrate und Pestizide. Der größte Verschmutzungsdruck auf Oberflächen- wie Grundwasser resultiert aus landwirtschaftlicher Nutzung. Insgesamt warnt der EEA-Bericht vor wachsendem Druck auf den Wassersektor, unter anderem durch den Klimawandel. Projektionen weisen darauf hin, dass die Lücke zwischen Angebot und Nachfrage im Bereich Wasser weiterwachsen wird. Die EU, so der alarmierende Befund des Berichts, sei nicht gut gewappnet. Das Papier identifiziert drei zentrale Herausforderungen: Schutz und Wiederherstellung aquatischer Ökosysteme; Ziel der Nullverschmutzung; Anpassung an Wasserknappheit, Trockenheit und mögliche Überflutungen.
Wasserknappheit und Wasserstress sind zudem ein wachsender Kostenfaktor in der EU: Die Dürre von 2022 verursachte Kosten von insgesamt 40 Milliarden Euro, die Flut von 2021, welche neben Deutschland auch Belgien und die Niederlande massiv betraf, führte zu einem Schaden von 44 Milliarden Euro. Die Kommission schätzt, dass die Kosten ohne Bemühungen im Bereich des Klimaschutzes oder der Klimaanpassung bis zum Ende des Jahrhunderts auf das Sechsfache steigen könnten. Dürren betreffen nicht nur die Landwirtschaft, sondern haben auch für den Wassertransport wesentliche Auswirkungen: Am Rhein sorgte Niedrigwasser beispielsweise 2018 für einen Schaden von fast fünf Milliarden Euro. Durch Hochwasser beschädigte Infrastruktur ist ebenfalls ein wachsendes Problem.
Breiter Konsens für Wasser als Priorität der neuen Europäischen Kommission
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat mit Blick auf die sich zuspitzende Lage dem Thema Wasser nicht nur in ihren politischen Leitlinien einen besonderen Stellenwert beschieden, sondern auch einen wichtigen Platz in den Portfolios gleich mehrerer Kommissare eingeräumt:
- So wurde der neue EU-Kommissar für Fischerei und Ozeane, Costas Kadis (parteilos) aus Zypern, damit beauftragt, bis 2030 eine Forschungs- und Innovationsstrategie für Ozeane zu lancieren, um das 2021 formulierte Ziel, Ozeane und Wasser zu regenerieren, zu erfüllen.
- Auch der Landwirtschaftskommissar Christophe Hansen (Europäische Volkspartei, EVP) wird in seinem Portfolio mit Wasserfragen befasst sein; immerhin ist die Landwirtschaft mit einem Anteil von 59 Prozent der wichtigste Wassernutzer in der EU. Noch als Abgeordneter war der Luxemburger Berichterstatter zur Trinkwasserrichtlinie der EU.
- Hauptsächlich ist das Wasser-Portfolio bei der schwedischen EU-Kommissarin Jessika Roswall (EVP) angesiedelt. So ist sie für die Europäische Wasserresilienz-Initiative zuständig, die zur Stärkung der Wasserversorgung in der EU beitragen soll. Die umfassende Strategie soll Wassereffizienz, Wasserknappheit, Verschmutzung und Wasser als Risikofaktor adressieren. Gleichzeitig sollen die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wasserwirtschaft (also unter anderem Wasserversorgung und Abwasserentsorgung), digitales Wassermanagement und die grenzüberschreitende Wasserinfrastruktur der EU gestärkt werden. International soll Roswall die globale Führungsrolle der EU beim Thema Wasser ausbauen, unter anderem durch die Lancierung von Global-Gateway-Projekten in Partnerländern. Die EU soll auch weiterhin aktiv zur G7-Wasserkoalition beitragen, die das Ziel hat, durch die Identifizierung gemeinsamer Ziele und Strategien die Bewältigung der globalen Wasserkrise zu fördern.
Angesichts der Verortung des Themas in verschiedenen Portfolios wird es auch auf eine gute Zusammenarbeit zwischen den Kommissaren beim Thema Wasser ankommen.
Grundsätzlich gibt es in der EU und zwischen den Mitgliedstaaten beim Thema Wasser (und der Dringlichkeit, das Problem auch auf europäischer Ebene anzugehen) einen vergleichsweise breiten Konsens. Die im Jahr 2000 vorgeschlagene Wasserrahmenrichtlinie erhielt damals eine sehr große Unterstützung im Europäischen Parlament (EP). Auch der Vorschlag der Europäischen Kommission zum Schutz von Grundwasser gegen Verschmutzung und zu Qualitätsstandards im Bereich der Wasserpolitik fand breite Zustimmung bei den vier traditionell pro-europäischen Fraktionen (EVP, S&D, Liberale und Grüne) im EP. Zudem hat das EP eine informelle Wasser-Gruppe geschaffen, deren Vorsitzende die deutsche Abgeordnete Hildegard Bentele (CDU) ist. Zum Ende der vergangenen EU-Legislaturperiode unterzeichneten knapp 40 Europaabgeordnete verschiedener Fraktionen, angeführt von der dänischen EP-Abgeordneten Pernille Weiss (EVP), zudem einen Brief, in dem sie ergänzend zum Green Deal einen „EU Blue Deal“ fordern, also eine umfassende, sektorübergreifende Wasserstrategie. Auch unter den Mitgliedstaaten gibt es einen starken Konsens, Wasser in den kommenden Jahren zu einer Priorität der EU zu machen, wie ein am 17. Juli 2024 von 21 EU-Mitgliedstaaten signierter Brief an die Europäische Kommission zeigt.
Neue Dynamik bei einem altbekannten Thema
Zentrales Instrument der EU zur Sicherung der Wasserqualität ist die Wasserrahmenrichtlinie (Water Framework Directive). Zu den übergeordneten Zielen zählen der Schutz und die Verbesserung aquatischer Ökosysteme und des Grundwassers einschließlich von Landökosystemen, die direkt vom Wasser abhängen; die Förderung einer nachhaltigen Nutzung der Wasserressourcen; eine Reduzierung der Verschmutzung des Grundwassers und der Kampf gegen die Folgen von Überschwemmungen und Dürren. Zentrales Ziel der Richtlinie war es, innerhalb von 15 Jahren bei oberirdischen Gewässern einen guten ökologischen und chemischen Zustand sowie ein gutes ökologisches Potenzial und einen guten chemischen Zustand bei erheblich veränderten oder künstlichen Gewässern zu erreichen. Die Frist wurde seitdem bis 2020 beziehungsweise 2027 verlängert. Die Richtlinie erkennt Wasser als fundamentalen Teil des europäischen Erbes an, das es zu schützen gilt.
Weitere Instrumente zum Wasserschutz sind unter anderem die 2024 verabschiedete Verordnung über die Wiederherstellung der Natur, die Biodiversitätsstrategie für 2030 und der Null-Schadstoff-Aktionsplan (Zero Pollution Action Plan). Hinzu kommen die Grundwasserschutz- sowie die Flutrichtlinie. Eine wichtige Maßnahme war auch die Trinkwasserrichtlinie von 2019, mit der die Qualitätsstandards für Trinkwasser auf den neuesten Stand gebracht wurden: Schwellenwerte für bestimmte Schadstoffe wie Blei und Bakterien wurden verschärft. Für Materialien wie Leitungen oder Wasserhähne, die mit dem Wasser in Berührung kommen, wurden Mindesthygieneanforderungen festgelegt.
Im Jahr 2025, möglichst noch vor dem Sommer, will die Kommission nun die mehrfach verschobene Wasserresilienzstrategie vorstellen, die einen neuen Impuls setzen und als umfassende sektorübergreifende Strategie dienen soll. Insgesamt soll sie die folgenden Schwerpunkte setzen:
- Aufrechterhaltung einer hohen Wasserqualität in der EU und weltweit;
- Reparatur des gestörten Wasserzyklus;
- Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der Wasserwirtschaft;
- Schaffung einer ehrgeizigen Vision für eine „wasserresiliente“ Gesellschaft;
- Stärkung von Innovation.
Stärken und Schwächen der EU im Wasserbereich
Gleich in mehrerlei Hinsicht hat die EU im Wasserbereich nach wie vor einige bemerkenswerte Stärken aufzuweisen. Die Wasserwirtschaft spielt in der EU eine bedeutende Rolle und trägt erheblich zur EU-Wirtschaftsleistung bei. Der vom Europäischen Rat in Auftrag gegebene Letta-Bericht des ehemaligen italienischen Ministerpräsidenten spricht von 107 Milliarden Euro Wertschöpfung und 1,7 Millionen Arbeitsplätzen in rund 80.000 Unternehmen. Zudem verfügt keine andere Region weltweit über ein derart dichtes Netz an Kooperationsinitiativen und einen ähnlich robusten rechtlichen Rahmen wie die EU. Grenzüberschreitende Nutzung wird so vereinfacht, Konflikte um diese zunehmend knappe Ressource sind weniger virulent als in vielen anderen Weltregionen.
Im Bereich des Wassermanagements ist die EU global sogar Innovationsführerin, zumindest was die Patente anbetrifft: So kamen laut Europäischem Patentamt zwischen 1992 und 2021 etwa 32 Prozent der Patente im Bereich des Wassermanagements aus EU-Mitgliedstaaten (der Anteil aller Mitgliedstaaten der Europäischen Patentorganisation, zu denen auch das Vereinigte Königreich gehört, lag sogar bei 40 Prozent), allein 12 Prozent aus Deutschland. Damit lag die EU in diesem Zeitraum deutlich vor den USA, Japan und China. Anders als im Falle kritischer Rohstoffe verfügt die EU über Wasserressourcen, ist also hier nicht auf andere – geopolitisch unsichere – Partner angewiesen. Die EU verfügt zudem über ein dichtes Netz an schiffbaren Wasserwegen, die durch 25 Mitgliedstaaten gehen und 13 von ihnen verbinden, und damit noch mehr als die Vereinigten Staaten.
Gleichwohl hat die EU auch mit Defiziten zu kämpfen: Obwohl sie im Bereich des Wassermanagements zu den globalen Innovationsführern zählt, gab es in den vergangenen Jahren wachsende Innovationslücken. Auch deshalb sieht das Forschungsrahmenprogramm der EU Horizon Europe 1,3 Milliarden Euro für Forschungs- und Innovationsprojekte im Wasserbereich vor. Experten sowie Vertreter der Wirtschaft beklagen zudem, dass Innovationen viel zu spät umgesetzt werden können. Dies liegt unter anderem am regulatorischen Umfeld: Im Vergleich zu anderen Weltregionen oder Ländern braucht es in der EU zu viel Zeit, um Innovationen tatsächlich auch auf den Markt zu bringen.
Mag die Vernetzung in der EU auch weiter sein als in anderen Weltregionen, so gibt es selbst im Wasserbinnenmarkt der EU noch erheblichen Ausbaubedarf, unter anderem bei der Standardisierung von Normen, bei der Zusammenarbeit von Inlandwasserhäfen in unterschiedlichen EU-Ländern, aber auch bei der Harmonisierung von Arbeitsnormen im Wassersektor. Bei der Nutzung von Wasserwegen für den Transport besteht ebenfalls noch Verbesserungspotenzial. Ein besseres Wasserinfrastrukturnetzwerk könnte auch als Wachstumsmotor dienen und Straßen entlasten. Im Jahr 2020 erfolgte der Gütertransport in der EU lediglich zu sechs Prozent über Wasserstraßen (leichter Rückgang seit 2015). Größtes Manko: So beeindruckend der regulatorische Rahmen der EU ist, so defizitär ist bei vielen Richtlinien die Umsetzung. Auch bei den Zielwerten der Wasserrahmenrichtlinie hinkt die EU deutlich hinterher, nur etwa 37 Prozent der EU-Gewässer werden ökologisch als gut oder sehr gut eingestuft, die Werte stagnieren seit 2010 weitgehend und sind von den Vorgaben der Richtlinie noch weit entfernt. Die Europäische Kommission kündigte im Februar 2025 daher an, einerseits den konstruktiven Dialog mit den Mitgliedstaaten hierzu zu verstärken, andererseits aber an den Vertragsverletzungsverfahren gegen säumige Mitgliedstaaten festzuhalten.
Sehr diverse Erwartungen
Über „Wasser“ als Priorität und die von der Kommission bereits angedeuteten groben Ziele der Resilienzinitiative besteht weitgehender Konsens – ebenso über die Bedeutung der Bewusstseinsschärfung für das Thema Wasser, weniger jedoch über die Wahl der Mittel.
In Brüssel herrscht bei vielen Experten die Überzeugung, dass es im Wasserbereich nicht primär an Gesetzgebung mangelt, sondern vor allem an der Umsetzung. Entsprechend gibt es auch bei einigen Parlamentariern Skepsis gegenüber der Notwendigkeit komplett neuer Gesetze. Deutliche Rufe gibt es jedoch nach einer Revision der Wasserrahmenrichtlinie – der 2024 veröffentlichte Draghi-Bericht beispielsweise fordert eine zielgerichtete Anpassung, auch wegen der großen Lücke zwischen der Qualität der EU-Gewässer und den in der Richtlinie postulierten Zielwerten.
Für diese Diskrepanz gibt es mehrere Gründe: Einer ist schlicht, dass Gewässer für eine Erholung erhebliche Zeit brauchen. Eine weitere Ursache ist laut der EEA die zu langsame Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie, was auch an unzureichender finanzieller Ausstattung und ungenügender Berücksichtigung von wasserrelevanten Aspekten in anderen Politikfeldern liegt. Wiederum andere Stimmen (etwa aus der Industrie) fordern eine umfassende Überarbeitung der Richtlinie, um Umwelt- und Nachhaltigkeitsziele besser mit der wirtschaftlichen Wassernutzung in Einklang zu bringen. Zwar mahnen Vertreter aus Zivilgesellschaft, Politik und Industrie bessere Wassereffizienz an und fordern ein stärkeres Bewusstsein in der Gesellschaft und auch in der Wirtschaft, dass es sich bei Wasser um eine endliche Ressource handelt. Allerdings gibt es auch Befürchtungen unter anderem bei der Industrie, dass im Zuge einer Wasserresilienz-Initiative der Wassernutzung durch die Industrie eine nachrangige Bedeutung eingeräumt werden könnte.
Mehrere Elemente tauchen dabei wiederholt in der Diskussion auf: einerseits die Stärkung wirtschaftlicher Anreize auch im Privatsektor durch Wasserbepreisung, andererseits die stärkere Nutzung von Wasser mit verminderter Qualität für bestimmte Tätigkeiten. So wird nach wie vor EU-weit viel zu häufig qualitativ hochwertiges Trinkwasser für Nutzungen ver(sch)wendet, bei denen auch Wasser minderer Qualität ausreichen würde.
Eine – im wahrsten Sinne des Wortes – weitere Baustelle sind zum einen Erneuerung und Ausbau der Wasserinfrastruktur in der EU, zum anderen aber auch eine stärkere Anpassung des Wasserverkehrs an Niedrigwasserstände, die es künftig voraussichtlich immer wieder geben wird. Der Investitionsbedarf – insbesondere im Infrastrukturbereich – ist erheblich, daher drängen Experten und das Europäische Parlament auf eine entsprechende Schwerpunktsetzung für den nächsten mehrjährigen Finanzrahmen der EU (MFR) für 2028 bis 2035, der bereits ab Mitte 2025 in Brüssel verhandelt werden wird. Unterstützung erhofft sich die europäische Wirtschaft nicht nur durch massive Investitionen, sondern auch durch beschleunigte Genehmigungsverfahren der EU, wie es sie im Bereich der erneuerbaren Energien gibt, und durch einen Abbau bürokratischer Hemmnisse zur schnelleren Marktzulassung von Innovationen.
Oftmals gehen die Forderungen naturgemäß in verschiedene – nicht immer kompatible – Richtungen. Zwar wird in öffentlichen Runden gern wiederholt, dass im Wasserbereich Nachhaltigkeit und Wettbewerbsfähigkeit keinen Widerspruch darstellen. Doch ist zu erwarten, dass es bei zahlreichen Fragen zu schwierigen Abwägungen kommen wird – wenn beispielsweise nicht nur eine konsequente Umsetzung, sondern auch eine deutliche Verschärfung von Richtlinien gefordert wird. Das auf EU-Ebene kontrovers diskutierte Verbot von PFAS ist hier nur ein Beispiel: Diese tragen zwar wesentlich zur Wasserverschmutzung bei, sind aber alternativlos in für die Energiewende benötigten Schlüsseltechnologien.
Wasser als zentraler Aspekt in den EU-Außenbeziehungen
Weniger Kontroversen dürfte es hingegen über die Bedeutung der Wasserdimension in den EU-Außenbeziehungen geben. Die EU kann hier nicht nur zu einem besseren Wassermanagement weltweit, sondern auch zur eigenen Sicherheit beitragen. Ein starker Einbezug der Wasserdimension in der EU-Außenpolitik könnte langfristig möglicherweise sogar eine geopolitische Dividende abwerfen.
Wasserknappheit oder ein unsicherer Zugang zu Wasser sind wesentliche Ursachen, die zu Instabilität in Ländern in der unmittelbaren wie in der erweiterten Nachbarschaft der EU führen können – was wiederum wachsenden Migrationsdruck auf die EU nach sich ziehen kann. Der Klimawandel hat in mehreren Regionen Afrikas Dschihadisten gestärkt: Das Beispiel Somalia zeigt, dass Terrorgruppen wie Al-Shabaab klimabedingte Ressourcenknappheit gezielt ausnutzen, um ihren Einfluss und ihre Kontrolle auf lokaler wie regionaler Ebene zu stärken. Diese Gruppen beschränken den Zugang zu humanitärer Hilfe und manipulieren die Verteilung von Ressourcen strategisch so, dass sie lokale Unterstützung erhalten.
Experten betonen, dass internationale Akteure wie die EU beispielsweise am Horn von Afrika selbst durch weiche Maßnahmen wie die Unterstützung von Kapazitätsaufbau auf lokaler Ebene (sei es zu besserem Wassermanagement oder für verbesserte Frühwarnsysteme) einen Beitrag zur Resilienz fragiler Regionen oder Staaten leisten können – und damit auch zur Sicherheit der gesamten EU. Ergänzend können EU-Mitgliedstaaten mit erheblicher Expertise im Wasserbereich, wie Dänemark oder Deutschland, auch bilaterale Partnerschaften zur gezielten Klimaanpassungsfinanzierung abschließen. Weiterzuführen ist die Förderung regionaler Zusammenarbeit (wie etwa in Zentralasien) und die in den vergangenen Jahren intensivierten Bemühungen im Bereich der Wasserdiplomatie. Durch Wasserzusammenarbeit könnte die EU in der Zukunft möglicherweise auch im Nahen Osten eine stärkere Rolle spielen, gerade bei den Plänen für einen Korridor für erneuerbare Energien zwischen der EU und der Region. Eine wichtige Dimension bei der Schaffung des Korridors ist für viele Länder in der Region der Kampf gegen Wasserknappheit: Die EU könnte etwa durch die Unterstützung im Rahmen des Programms Horizon Europe ein besseres Wassermanagement in einigen der betroffenen Länder unterstützen und dabei Erfahrungen aus Südeuropa einfließen lassen.
Auch innerhalb der Global-Gateway-Initiative kann die EU durch Projekte zur Stärkung der Wasserinfrastruktur von Partnerländern, aber auch durch Beratung bei der Schaffung eines Rechtsrahmens für Wassermanagement einen wichtigen Beitrag zur Entwicklung leisten. Bereits jetzt haben mehrere Global-Gateway-Projekte in Afrika und Lateinamerika einen Wasserschwerpunkt, sind in ihrem (finanziellen) Umfang selbst jedoch noch überschaubar und reichen von Entsalzungsprojekten (wie etwa in Dschibuti) über Wasserreinigungsmaßnahmen bis hin zu Flutbekämpfungsinitiativen.
Angesichts der oben beschriebenen starken Expertise der EU im Bereich des Wassermanagements wäre sie hier wohl auch verglichen mit anderen globalen Schwergewichten wie China oder auch den USA mindestens konkurrenzfähig. Global Gateway setzt zudem vor allem auf den Einbezug privatwirtschaftlicher Akteure: Angesichts der starken europäischen Wasserwirtschaft könnte sich ein stärkerer Wasser-Schwerpunkt der Initiative sowohl politisch wie auch wirtschaftlich für die EU auszahlen. Gleichzeitig wird die EU sorgfältig prüfen müssen, welche Prioritäten sie setzt und ob sie sich nicht überhebt. So fällt beispielsweise bei einer der Flaggschiffinitiativen von Global Gateway im Bereich Wasser – die mit 700 Millionen Euro ausgestattete Team-Europe-Initiative zu Wasser, Energie und Klimawandel in Zentralasien – der sehr breit angelegte Fokus auf: Dieser reicht von der Verbesserung der regionalen Zusammenarbeit für nachhaltige Entwicklung über die Unterstützung für ein in der Region nicht unumstrittenes Mammut-Wasserinfrastrukturprojekt (Rogun-Staudamm) bis zur Stärkung des Investments in eine regionale Energiewende. Es darf bezweifelt werden, ob die EU mit begrenzten diplomatischen wie finanziellen Ressourcen allen Zielen gerecht werden kann.
Wasserpartnerschaften mit Drittländern können ein weiteres Instrument sein. Eine solche Partnerschaft hat die EU 2016 mit Indien ins Leben gerufen, wenngleich sich diese bislang eher auf Forschungsprojekte konzentriert. Fragen des Wassermanagements können aber auch Dialoge mit schwierigen Partnern ermöglichen, mit denen die Schnittmengen in anderen Bereichen abnehmen. So hat die EU bereits seit 2006 eine Kooperation im Bereich Wasser mit China, die mit einem Projekt im Bereich des Flussbeckenmanagements ihren Anfang fand. 2012 wurde die gemeinsame EU-China-Plattform für Wasserkooperation lanciert, seit 2017 gibt es zudem einen EU-China-Dialog im Bereich der Wasserdiplomatie sowie eine finanziell von der EU unterstützte China-EU-Wasserplattform, im Rahmen derer unter anderem ein jährliches Ministertreffen stattfindet. Wasserpartnerschaften können nach Ansicht einiger Beobachter zudem als vertrauensbildende Maßnahme und Türöffner für eine Zusammenarbeit mit Staaten dienen, mit denen „normale“ diplomatische Beziehungen aktuell nicht möglich oder nicht gewollt sind. Einige Stimmen in Brüssel sehen einen Wasserdialog beispielsweise als vordiplomatische Kooperationsebene der EU mit Afghanistan. Die von den Taliban geführte Nationale Umweltschutzbehörde hat die schwerwiegenden Auswirkungen des Klimawandels auf Afghanistan anerkannt und internationale Hilfe eingefordert.
Auf multilateraler Ebene wird von der EU nach wie vor Führung im Wasserbereich erwartet, sei es im Rahmen der G7, sei es in verschiedenen UN-Gremien. Eine ausgeprägte Sensibilität der EU für den Wasserstress, unter dem zahlreiche Länder auf anderen Kontinenten in sehr unterschiedlicher Hinsicht leiden, ist wichtig für die internationale Glaubwürdigkeit der EU.
Die Europäische Union ist zudem ein bedeutender Akteur im Bereich der maritimen Sicherheit und wird dies voraussichtlich auch in der neuen Legislaturperiode bleiben. Im Oktober 2023 hat die EU ihre ursprünglich 2014 verabschiedete Strategie für maritime Sicherheit aktualisiert. Diese hat insgesamt sechs Ziele: Verstärkung von Tätigkeiten auf See (inklusive jährlicher Übungen), mehr Zusammenarbeit mit gleichgesinnten und strategischen Partnern (nicht zuletzt der NATO), Übernahme der Führungsrolle im Bereich der maritimen Lageerfassung, Bewältigung von Risiken und Bedrohungen (etwa beim Schutz kritischer Infrastruktur), Verbesserung von Fähigkeiten sowie Stärkung von Aus- und Weiterbildung.
Ganz konkret führt die EU derzeit auch mehrere maritime Militärmissionen durch, darunter seit Februar 2024 die Operation Aspides, um die Freiheit der Schifffahrt im Roten Meer und im Golf von Aden zu wahren. Diese hat allerdings geringere Befugnisse als die entsprechende US-geführte Mission. Aspides wird eng abgestimmt mit der etwa 600 Personen starken und bereits seit 2008 laufenden EU-Antipiraterie-Mission Atalanta. Darüber hinaus führt die EU die Irini-Mission im Mittelmeer zur Durchsetzung des UN-Waffenembargos gegenüber Libyen durch. Aus eigenen Sicherheits- wie Handelsinteressen wird hier auch künftig ein starkes – und womöglich auch robusteres – EU-Engagement notwendig sein.
Ein zentrales Thema für die europäischen Christdemokraten
Schließlich werden die europäischen Christdemokraten und Konservativen der EVP für das Wasserthema künftig aus mehreren Gründen eine besondere Verantwortung tragen: Erstens haben Vertreter aus der EVP-Familie Schlüsselpositionen in der EU inne, sei es die hauptverantwortliche EU-Kommissarin Roswall, sei es Landwirtschaftskommissar Hansen, sei es die Vorsitzende der Wassergruppe im EP Bentele. Zweitens sollte die Anforderungsstruktur in diesem Themenbereich gut zum Eigenanspruch von Konservativen und Christdemokraten passen. In der Natur des Konservatismus liegt die Bewahrung, im Wesen der (politischen) Christdemokratie die Suche nach Ausgleich und nach schwierigen Kompromissen zwischen verschiedenen Zielen. Zur wirksamen Erreichung des Ziels, die wertvolle Ressource Wasser dauerhaft zu bewahren, wird es eines ebensolchen Ausgleichs zwischen verschiedenen Zielen, aber auch zwischen sehr unterschiedlichen politischen Instrumenten bedürfen. Schutz und Management von Wasser erfordern mithin ein umfassendes Nachhaltigkeitsverständnis, welches nicht nur offensichtliche ökologische, sondern auch soziale, wirtschaftliche und finanzielle Aspekte berücksichtigt und eine ausgewogene Balance zwischen den Interessen jetziger und künftiger Generationen findet.
Einige Beispiele: So wichtig eine Bewusstseinsschärfung für einen sorgsamen Umgang mit der knappen Ressource Wasser ist, so bedeutend ist auch preisgünstiger Zugang zu Wasser für alle. So wichtig eine neue Initiative zur verbesserten Wassereffizienz ist, so bedeutend ist, dass allen Sektoren und Verbrauchergruppen angemessene, aber nicht überfordernde Lasten aufgebürdet werden.
Aus ordnungspolitischer Perspektive bedarf es zudem nicht nur einer Abwägung bei den Zielen, sondern auch bei den Instrumenten. Braucht es wirklich neue Regelungen oder eher deren Überarbeitung und, bei Bedarf, mehr Unterstützung, Anreize und Druck bei der Umsetzung? Ebenso wird es auf einen guten Mix zwischen dringend nötigen Investitionen in Infrastruktur, aber auch kostengünstigeren Maßnahmen zur Stärkung von Wettbewerbsfähigkeit und Innovation ankommen, wie eine schnellere Marktzulassung und einen deutlichen Bürokratieabbau zur Förderung von Forschung, Innovation und Wasserwirtschaft.
Gelingt es der EU in den kommenden Jahren, einen Ausgleich zwischen den verschiedenen Zielen und Instrumenten zu finden, kann sie neben einer Stärkung der Wasserresilienz auch wesentlich zu ihrer eigenen Wettbewerbsfähigkeit und zur Sicherheit ihrer Bürger beitragen.
Dr. Olaf Wientzek ist Leiter des Programms Multinationaler Entwicklungsdialog Brüssel der Konrad-Adenauer-Stiftung.
Nicole Linsenbold ist Programm-Managerin für Entwicklungs- und Klimapolitik im Programm Multinationaler Entwicklungsdialog Brüssel.
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