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Essay

USA: Politische Polarisierung entlang der Parteilinien

Identitätspolitik in den Vereinigten Staaten von Amerika

Die Identitätspolitik prägt die Debatten in den USA und spaltet die Nation. Ursache der politischen Polarisierung ist auch das Wahlsystem und wie die Parteien damit umgehen.

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Identitätspolitik existiert seit der Gründung der Vereinigten Staaten. Der Begriff selbst kam erst Ende der 1970er-Jahre auf. Mit ihren Forderungen nach Gleichberechtigung wollten prominente Bürgerrechtlerinnen und Bürgerrechtler damals die (identitätspolitischen) Lager eigentlich zusammenbringen. So hob Martin Luther King Jr. auf die Verfassung und die Unabhängigkeitserklärung ab, als er vom unveräußerlichen Recht aller Menschen („yes, black men as well as white men“) auf Leben, Freiheit und das Streben nach Glück sprach. Noch 2004 versicherte auch Barack Obama: “There’s not a black America and white America and Latino America and Asian America; there’s the United States of America.

 

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Progressive Akademikerinnen und Akademiker, Aktivistinnen und Aktivisten sahen dies aber längst anders: Zunehmend warfen sie den Republikanern, der Grand Old Party (GOP), nicht mehr nur vor, sich „farbenblind“ allen Initiativen zur Unterstützung der schwarzen Bevölkerungsminderheit zu verstellen, sondern auch „gruppenblind“ zu sein. Rassismus, Ungleichheit und Benachteiligung seien nur dadurch zu überwinden, dass Bevölkerungsgruppen mit ihren jeweiligen Identitäten, Strukturen und Bedürfnissen in ihrer Unterschiedlichkeit anerkannt und entsprechend behandelt werden. Übergreifende, um Ausgleich und Gemeinsamkeiten bemühte Ansätze konnten schon in den späten 1990er-Jahren gerade unter jungen Progressiven nicht mehr verfangen.

 

Debatten um Privilegien und „Balkanisierung“

Weiße konservative US-Amerikanerinnen und -Amerikaner, vor allem diejenigen ohne College-Abschluss und mit niedrigerem Einkommen, fühlen sich, da nach eigener Überzeugung keineswegs „privilegiert“, von den identitätspolitischen Positionen progressiver Aktivistinnen und Aktivisten zu Unrecht an den Pranger gestellt. Zwangsläufig rücken die Forderungen nach einem Primat der Gruppenidentität aber nicht nur die Republikaner ins Rampenlicht: Weiße protestantische Männer haben auch bei den Demokraten seit der Gründung der USA den Ton angegeben. Selbst Bernie Sanders musste sich wegen seines Parkas und seiner farbenfrohen Fäustlinge bei der Inauguration von Präsident Biden „white privilege, male privilege and class privilege“ vorwerfen lassen.

Was hätte Martin Luther King Jr. wohl dazu gesagt, dass Studentinnen und Studenten – auf deren eigenen Wunsch hin! – heute in mehreren Universitäten der USA wieder getrennt nach Hautfarbe in den Studierendenheimen untergebracht werden. Mindestens 75 Colleges veranstalten für weiße und schwarze Studentinnen und Studenten getrennte Abschlussfeiern. Auch Angehörige der LGBTQ-Community, „Latinx“-Studentinnen und -Studenten sowie andere Gruppen wollen bei der feierlichen Zeugnisübergabe vielerorts lieber unter sich bleiben. Kritikerinnen und Kritiker befürchten inzwischen eine „Balkanisierung“ der Campus-Landschaft. Hier soll es aber nicht um die unzähligen, fast täglich an immer neuen Fronten ausgefochtenen identitätspolitischen Scharmützel gehen, sondern um die Frage, auf welchen gesellschaftlichen und politischen Boden der Kulturkampf (culture war) fällt und wie die Parteien damit umgehen.

 

Geschärfte Parteiprofile und Wähleridentitäten

Heute kann man sich fast nicht mehr vorstellen, dass bis in die 1950er-Jahre des letzten Jahrhunderts die Hälfte aller weißen Stimmberechtigten die Republikaner und die andere Hälfte die Demokraten wählte. Für Schwarze, Männer, Katholikinnen und Katholiken sowie Gewerkschaftsmitglieder galt dies analog. Politikwissenschaftlerinnen und Politikwissenschaftler forderten damals, dass sich die beiden Parteien dringend um ein schärferes, für die Wählerinnen und Wähler klar abgrenzbares Profil bemühen sollten. Dann kamen die Frauenbewegung, die Bürgerrechtsbewegung, Präsident Nixon mit seiner Southern Strategy (einer parteipolitischen Fokussierung auf weiße konservative Wählerinnen und Wähler in den Südstaaten), die Debatte um das Recht auf Abtreibung sowie der War on Drugs. Bereits im Zuge der damit einhergehenden Debatten und parteipolitischen Positionierungen zeigten sich Polarisierungstendenzen. Schließlich konnte in den 1990er-Jahren eine deutliche Abgrenzung beider Parteien festgestellt werden: Die GOP und ihr Wahlvolk wurden, grob gesagt, weißer, (seit Reagan) religiöser, älter, ländlicher, männlicher, weniger wohlhabend und gewannen im Süden. Bei den Demokraten war die Entwicklung hingegen hin zu weiblicher, jünger, diverser, akademischer und weniger religiös. Sie gewannen zudem zunehmend in den Städten.

Wenn man so will, konnte die Republikanische Partei nach diesen Verschiebungen ihre Ideologie festigen, während die Demokratische Partei ihre Vorstellungen verteidigen musste. Dabei hatten die Republikaner schon aufgrund des Wahlsystems (allen voran für den Senat) mehr Möglichkeiten, sich mit ihren Forderungen deutlich rechts von der Mitte zu positionieren (Tea-Party-Bewegung). Stattdessen mussten sich die Demokraten in viel stärkerem Maße immer auch um die moderaten Stimmen rechts und links der Mitte bemühen.

 

Tiefe und breite Gräben entlang der parteipolitischen Linien

Egal, wonach die Demoskopinnen und Demoskopen fragen: Nirgendwo verlaufen zwischen den Meinungsspektren innerhalb der US-amerikanischen Gesellschaft tiefere und breitere Gräben als entlang der parteipolitischen Linien. Zwar bestehen bei Wertvorstellungen, in der Innen-, Außen-, Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik unterschiedliche Meinungen auch zwischen Jung und Alt, Schwarz und Weiß, Arm und Reich et cetera. Umfragen belegen aber seit Jahren, dass die verschiedenen Positionen besonders weit voneinander abweichen, wenn nach Anhängerinnen und Anhängern der Republikaner und der Demokraten unterschieden wird. Nur bei sehr wenigen Themen (zum Beispiel China, Terrorismus) vertreten die Bürgerinnen und Bürger unabhängig davon, welche Partei sie wählen, weitgehend übereinstimmende Positionen.

Die „soziale Sortierung“ (social sorting) und das Auseinanderdriften der moving mountains mit der Folge, dass zwischen Konservativen und Liberalen immer weniger Überlappung besteht, ist keine neue Entwicklung. Sie hat nach der Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten aber deutlich an Fahrt aufgenommen. Bei der Festlegung auf eine geeignete Schule und beim Kauf eines Hauses fragen demokratische wie republikanische Eltern die Schuldirektorinnen und -direktoren, die Immobilienmaklerinnen und -makler mittlerweile, wie in den betreffenden Wohnvierteln gewählt wird, damit weder für die Kinder noch mit der Nachbarschaft wegen abweichender politischer Überzeugungen Probleme drohen.

In den umkämpften Wahlkreisen, in denen Donald Trump 2020 entweder knapp gewonnen oder verloren hatte, wo mithin Demokraten und Republikaner „nebeneinander“ leben, ist die Zahl der Vorfälle, bei denen sich Eltern aus politischen Gründen über Unterrichtsmaterialien in den Schulen beschwerten, zwischen 2018 und 2022 um 23 Prozent gestiegen und nahmen Vorfälle, bei denen LGBTQ-Schülerinnen und -Schüler von ihren Mitschülerinnen und Mitschülern verbal angegangen wurden, um 22 Prozent zu. In sicher demokratischen beziehungsweise republikanischen Wahlkreisen gab es zwar auch mehr Konflikte mit den Eltern oder zwischen den Schülerinnen und Schülern, aber längst nicht in diesem Ausmaß.

 

Parteizugehörigkeit als „Mega-Identität“

Die ideologischen Blasen und politisch homogenen Freundschaftskreise (auch in den sozialen Medien) verfestigen die Polarisierung und den tribalism. Parteipolitische Überzeugungen sind für die registrierten Wählerinnen und Wähler die neue „Mega-Identität“. Nur 16 Wahlkreise stimmten 2020 mehrheitlich für den Präsidentschaftskandidaten der einen Partei und gleichzeitig bei der Wahl zum Repräsentantenhaus für eine Kandidatin oder einen Kandidaten der Gegenpartei.

Für das Abstimmungsergebnis im Repräsentantenhaus waren bei den Zwischenwahlen im letzten Jahr nur wenige tausend Stimmen in besonders umkämpften Wahlkreisen ausschlaggebend. In nicht mehr als 30 der 435 Wahlkreise gewann eine Kandidatin oder ein Kandidat der Parteien mit weniger als vier Prozent Vorsprung. Nur neun Abgeordnete verpassten bei den midterms ihre Wiederwahl und mussten ihr Mandat an die Gegenkandidatin oder den Gegenkandidaten der anderen Partei abtreten. In den meisten Wahlkreisen stand das Ergebnis schon vor der Abstimmung, häufig bereits bei den Vorwahlentscheidungen, mehr oder weniger fest.

Die Zahl der sicheren Wahlkreise, in denen entweder die Republikanische oder die Demokratische Partei mit wenigstens 20 Prozent vorn lagen, ist zwischen 2018 und 2022 von 265 auf jetzt 291 gestiegen. In 35 sicheren Wahlkreisen ging die Partei mit den geringeren Erfolgsaussichten nicht einmal mit einem Gegenkandidaten ins Rennen.

 

„Sichere“ Wahlkreise durch gerrymandering und social sorting

Folge dieser Wahlkreiskonsolidierung ist das bereits oben beschriebene social sorting (oder auch: The Big Sort) nach parteipolitischen Präferenzen. So beklagt der für die Demokraten wichtige Bundesstaat Wisconsin, dass in zunehmendem Maße vor allem gut ausgebildete junge Menschen und Familien mit höherem Einkommen das Weite suchen und sich in den progressiveren Großstädten anderer Bundesstaaten, allen voran Chicago, Minneapolis und Detroit, niederlassen. Früher gehörte Wisconsin zu den nördlichen Bundesstaaten hinter der blue wall, wo die Demokraten verlässliche Mehrheiten fanden. Heute ist das nicht mehr garantiert.

Eine Ursache dafür, dass seit Jahren immer weniger Wahlkreise stark umkämpft sind, ist hingegen das gerrymandering. Da sich alle Bürgerinnen und Bürger für die Stimmabgabe registrieren lassen müssen und Datenschutz in den USA nur schwach ausgeprägt ist, „kennen“ die Parteien das Wahlvolk sehr genau und wissen, in welchem Viertel traditionell beziehungsweise voraussichtlich wie gestimmt wird. In vielen Bundesstaaten beeinflusst das nach jeder Volkszählung alle zehn Jahre den Neuzuschnitt der Wahlkreise.

 

Republikanische Wahlkampferfolge mit identitätspolitischen Schwerpunkten: Glenn Youngkin (Virginia) und Ron DeSantis (Florida)

Was aber haben die Folgen von social sorting und gerrymandering mit Identitätspolitik und Kulturkampf zu tun? Die Antwort lautet: Virginia.

Dort war die Gouverneurswahl 2021 für den Republikaner Glenn Youngkin ein Riesenerfolg! Die GOP bekam fast 40 Prozent Stimmen mehr als 2017. Sie konnte in jedem Bezirk zulegen. Der Demokrat Terry McAuliffe kam insgesamt auf Stimmenzuwächse von nur zehn Prozent. Im nordwestlichen Teil des Bundesstaates musste er im Vergleich zur Gouverneurswahl 2017 sogar Stimmen einbüßen. Zwölf Bezirke, in denen bei der Präsidentschaftswahl 2020 Joe Biden gewonnen hatte, darunter auch Vorstädte mit einem hohen schwarzen Bevölkerungsanteil, fielen ein Jahr später an die Republikaner und ihren Gouverneurskandidaten Glenn Youngkin.

Der politische Quereinsteiger hatte im Wahlkampf mit Kritik an den Einschränkungen während der Covid-19-Pandemie, darunter die Maskenpflicht an öffentlichen Schulen, und an Unterrichtsinhalten über Rassismus einen Nerv getroffen. Im Wahlkampf blieb Youngkin deutlich auf Distanz zu Donald Trump, ohne sich aber von ihm mit öffentlichen Äußerungen abzusetzen. Mit seinem Fokus auf die Bildungspolitik und seiner Forderung nach einer Stärkung der parents’ rights im Schulwesen konnte er auf diese Weise sowohl die Trump-Anhängerinnen und -Anhänger als auch moderate Republikaner und viele Unabhängige überzeugen (man kann sich als Demokrat, als Republikaner oder als Unabhängiger für die Wahlen registrieren lassen). Seine Ergebnisse in Virginia waren flächendeckend besser als die des Ex-Präsidenten im Jahr zuvor.

Floridas Gouverneur Ron DeSantis blies nur wenig später in das gleiche Horn: Weil er schulische Unterrichtsinhalte über sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität gesetzlich einschränken wollte, musste der Republikaner heftige Kritik aus den Reihen seiner politischen Gegnerinnen und Gegner einstecken. Nach Umfragen fand das Gesetz in Florida jedoch breite Zustimmung. Bei der Gouverneurswahl 2022 wurde DeSantis daraufhin mit einem fulminanten Ergebnis wiedergewählt.

DeSantis schlug und schlägt im Kampf gegen wokeism und unter dem Motto „protect the children“ noch deutlichere Töne an als Glenn Youngkin. In Florida war sein Vorsprung bei den Gouverneurswahlen überdies größer als für die GOP in Virginia. Davon abzuleiten, dass die Aussicht auf einen Wahlsieg umso vielversprechender ist, je entschlossener identitätspolitische Themen ins Visier genommen werden, griffe jedoch zu kurz. DeSantis musste und muss sich in Florida nicht nur gegen die Demokraten behaupten, sondern auch und vor allem die Trump-Anhängerinnen und -Anhänger in den eigenen Reihen überzeugen und mobilisieren. Für die Gouverneurswahl in Virginia wäre das kein Erfolgsrezept gewesen. Ex-Präsident Trump findet dort unter dem GOP-Wahlvolk keineswegs ungeteilte Zustimmung. Zwar haben beide Gouverneure die Schul- und Bildungspolitik erfolgreich in den Mittelpunkt ihres Wahlkampfes gesetzt; Youngkin war in Virginia jedoch viel stärker auf die Unterstützung der gemäßigten und unabhängigen Wählerinnen und Wähler angewiesen.

 

Identitätspolitische Themen mobilisieren Wählerinnen und Wähler

Nach den Erfolgen bei den Gouverneurswahlen in Florida und Virginia ist klar, dass die Republikaner Identitätspolitik in den Wahlkampf tragen. Das Thema mobilisiert! Schon um in den eigenen Reihen bei den primaries gegen Ex-Präsident Trump eine Chance zu haben, werden die parteiinternen Gegenkandidatinnen und -kandidaten dazu laut und deutlich Stellung beziehen müssen. Damit ist keineswegs gesagt, dass Identitätspolitik nach dem Nominierungsparteitag der Republikaner auch im eigentlichen Präsidentschaftswahlkampf zwangsläufig oben auf der Agenda steht. Nicht jedem Fernfahrer und jeder Fabrikarbeiterin gehen täglich Transgenderrechte durch den Kopf. Außerdem treiben „Wutthemen“ auch die Anhängerinnen und Anhänger der Gegenseite an die Wahlurnen. Für die Demokraten waren Forderungen nach drastischen Mittelkürzungen bei der Polizei („defund the police“) 2020 insgesamt kontraproduktiv. Von der Entscheidung des Obersten Gerichts zur Aufhebung des Abtreibungsrechts konnten sie 2022 wiederum stärker profitieren als die Republikaner. Gemäßigte und unabhängige Wählerinnen und Wähler „mitte-links“, die zum Beispiel bei der Inflationsbekämpfung mit der Biden-Administration haderten und sich deshalb vielleicht nicht an der Abstimmung beteiligt hätten, liefen nach dem Abtreibungsurteil scharenweise in die Wahllokale. Grundsätzlich können sich die Republikaner bei der Thematik aber gute Chancen ausrechnen. Dafür spricht nicht nur, dass progressive Aktivistinnen und Aktivisten mit allzu massiven Forderungen in der Gesamtbevölkerung keineswegs eine Mehrheit finden, sondern auch, dass die schwarze Minderheit auf identitätspolitische Fragen deutlich zurückhaltender reagiert.

 

Gesellschaftliche Positionierungen zu Geschlecht und Identität

Etwa 60 Prozent aller Stimmberechtigten in den USA sind dagegen, dass für Angaben zum Geschlecht neben „Mann“ und „Frau“ auf offiziellen Formularen weitere Optionen angekreuzt werden können oder dass Athletinnen und Athleten in Teams antreten, die nicht ihrem Geschlecht bei der Geburt entsprechen. Auch unter den Unabhängigen sind circa 60 Prozent der Meinung, dass über die Frage, ob jemand ein Mann oder eine Frau ist, allein das Geschlecht bei der Geburt entscheidet. Gleichzeitig erkennen drei Viertel aller Unabhängigen an, dass transgeschlechtliche Menschen in den USA in unterschiedlichem Ausmaß Diskriminierung erfahren. Mehrheitlich sind die Unabhängigen überdies dagegen, dass Bücher über transgeschlechtliche Jugendliche aus den Schulen verbannt werden.

Während 86 Prozent der republikanischen Wählerinnen und Wähler die Auffassung vertreten, dass das Geschlecht eines Menschen mit der Geburt feststeht, stimmen dem nur 38 Prozent der Demokraten zu. Unter den demokratischen Wählerinnen und Wählern bestehen aber ebenfalls erhebliche Unterschiede: Während nur 27 Prozent der Weißen der Meinung sind, dass die Geburt über das Geschlecht entscheidet, wird die Frage von 66 Prozent der schwarzen Demokraten bejaht.

66 Prozent der stimmberechtigten Republikaner meinen, dass die Gesellschaft bei der Anerkennung transgeschlechtlicher Menschen zu weit gehe. Dieser Auffassung können sich nur 15 Prozent der Demokraten anschließen. Unter den weißen Wählerinnen und Wählern der Demokraten vertreten sogar nur elf Prozent diese Meinung. Bei den schwarzen Anhängerinnen und Anhängern der Partei sind hingegen etwas über ein Viertel davon überzeugt, die Gesellschaft gehe in dieser Frage zu weit. Parteiübergreifend sind die erwachsenen US-Amerikanerinnen und -Amerikaner bei der Anerkennung transgeschlechtlicher Menschen mit 38 Prozent Ja- („geht zu weit“) und 36 Prozent Nein-Stimmen („geht nicht weit genug“) unentschieden. Knapp ein Viertel sagt, das, was in der Frage bisher unternommen wurde, sei ausreichend.

Wichtig sind zudem die Eltern von Kindern im Kindergarten und an weiterführenden Schulen („K-12“). Danach, erstens, gefragt, ob ihre Kinder im Unterricht lernen sollten, dass jemand ein Junge oder ein Mädchen sein könne, auch wenn das Geschlecht von dem bei der Geburt abweicht, antworten 31 Prozent mit Ja. Genauso viele Eltern sprechen sich, zweitens, hingegen dafür aus, dass ihre Kinder lernen sollten, das Geschlecht stehe mit der Geburt fest. Und sogar 37 Prozent wollen, drittens, dass ihre Kinder über die Frage in der Schule nicht unterrichtet werden. Unter den Anhängerinnen und Anhängern der Republikaner findet die erste Frage nur neun Prozent Zustimmung, die zweite 44 Prozent und die dritte 46 Prozent. Unter den Demokraten sind 49 Prozent der Meinung, ihre Kinder sollten lernen, dass das Geschlecht nicht zwingend mit der Geburt feststehe, während 21 Prozent wollen, dass im Unterricht die Festlegung des Geschlechts mit der Geburt gelehrt wird. Bei den Demokraten sind überdies 28 Prozent der Auffassung, dass die Thematik in der Schule nicht behandelt werden sollte.

Erneut bestehen zwischen weißen und schwarzen Demokraten deutliche Unterschiede: Die schwarzen Anhängerinnen und Anhänger der Partei sind nicht nur ablehnender (37 Prozent), wenn es darum geht, das Thema überhaupt im Unterricht zu behandeln. Sie sind auch deutlich zurückhaltender (30 Prozent) als die weißen Demokraten (64 Prozent), wenn ihren Kindern beigebracht werden soll, nicht das Geschlecht bei Geburt entscheide darüber, ob jemand ein Junge oder Mädchen ist. Die Unterschiede unter den demokratischen Wählerinnen und Wählern haben viel damit zu tun, dass sich Schwarze bei ihren Meinungen über Geschlechtsidentität deutlich stärker (37 Prozent) als Weiße (elf Prozent) von religiösen Überzeugungen leiten lassen.

 

Kampf um die jungen Wählerinnen und Wähler

Während einerseits die Demokraten also verhindern müssen, dass ihre schwarzen Wählerinnen und Wähler sowie moderate Unabhängige links der Mitte die Seiten wechseln, bleiben für die Republikaner sowohl junge Menschen als auch Frauen die Achillesferse. Denn trotz seines Alters schnitt Joe Biden 2020 bei jungen Wählerinnen und Wählern in wichtigen swing states deutlich besser ab als sein republikanischer Kontrahent. So konnte Biden in Arizona, Georgia und Pennsylvania zwar insgesamt mehr oder weniger knappe Mehrheiten erringen, erhielt von jungen Wählerinnen und Wählern aber deutlich mehr Stimmen als Donald Trump.

Georgia verdient wegen des überaus knappen Wahlsiegs für die Demokraten noch einen genaueren Blick: Aus der Gruppe der 18- bis 29-jährigen Stimmberechtigten haben sich dort 51 Prozent beteiligt und damit, wie in fast allen anderen Bundesstaaten, mehr als bei der Präsidentschaftswahl 2016. Joe Biden lag bei diesen jüngeren Wählerinnen und Wählern in Georgia insgesamt deutlich vor Trump, die hohe Zustimmung war jedoch keineswegs einheitlich: Zwar fand der Demokrat 90 Prozent Zustimmung bei den schwarzen Wählerinnen und Wählern der Altersgruppe, bei den gleichaltrigen weißen Stimmberechtigten lag jedoch Trump mit 62 Prozent deutlich vor seinem demokratischen Mitbewerber.

Für die USA insgesamt lag Biden bei jungen Weißen mit 51 Prozent Zustimmung nur knapp vor Trump (45 Prozent) und fand insbesondere unter den jungen schwarzen (87 Prozent), asiatischen (83 Prozent) und hispanischen (73 Prozent) Wählerinnen und Wählern deutliche Mehrheiten, genauso wie bei weißen College-Absolventinnen und Absolventen (62 Prozent). Zudem wählten ihn von den jungen weißen Wählerinnen und Wählern 13 Prozent mehr als Trump verbuchen konnte.

 

Kampf um die single woke females

Während sich die GOP bereits seit Jahren darum bemüht, Mütter (soccer moms) allen voran in den umkämpften Vorstädten und vorstädtischen Gemeinden (exurbs) zu erreichen, finden jetzt die single woke females zusätzliche Aufmerksamkeit. Damit sind ledige Frauen gemeint, die noch nie verheiratet waren. Ihr Anteil an der weiblichen Gesamtbevölkerung liegt heute bei 30 Prozent. Die Zahl der stimmberechtigten ledigen Frauen ist in den USA inzwischen fast so groß wie die Gruppe der schwarzen Wählerinnen und Wähler. Die meisten single woke females sind jünger (Millennials beziehungsweise Generation Y, also zwischen 1980 und 1995 geboren, und Gen Z, die bis 2010 Geborenen), gut ausgebildet, berufstätig und leben in Städten. Bei den Zwischenwahlen 2022 stimmten fast 70 Prozent der unverheirateten Frauen für die Demokraten. Nicht zuletzt dieser Wählergruppe war zu verdanken, dass im vergangenen Jahr bei den Gouverneurswahlen acht demokratische Kandidatinnen gewählt beziehungsweise im Amt bestätigt wurden. Für die Republikaner haben vier Kandidatinnen die Gouverneurswahl gewonnen.

 

Demokraten profitieren in Wahlen vom Wertegerüst der Jüngeren

Strukturell ist das Wahlverhalten der jungen Generation für die Republikaner deshalb ein Problem, weil diese Gruppe wächst. Der Anteil der Millennials und der Gen Z (oder plurals) an der Gesamtbevölkerung lag zum Zeitpunkt der Präsidentschaftswahl 2020 bei 41,5 Prozent, steigt bis 2024 auf 48,5 Prozent und wächst dann wenigstens bis 2036 kontinuierlich weiter auf 61,5 Prozent. Im Senat hat die GOP 2024 zwar insofern einen Vorteil, als sie nur elf Sitze verteidigen muss, während bei den Demokraten 24 Sitze auf dem Spiel stehen. Angesichts ihrer überaus knappen Mehrheit in der Parlamentskammer ist das Risiko für die Demokraten mithin größer. Andererseits konnte die Partei 2022 in entscheidenden battleground states auf die Unterstützung der jüngeren Wählerinnen und Wähler vertrauen: In Arizona, Georgia, New Hampshire, Nevada und Pennsylvania gewannen die demokratischen Senatskandidatinnen und -kandidaten, weil sie unter den 18- bis 44-Jährigen jeweils zwischen 58 und 67 Prozent Zustimmung fanden. Im Repräsentantenhaus haben die Demokraten 2022 zwar ihre Mehrheit eingebüßt; mit nur fünf Sitzen Vorsprung war der Sieg der Republikaner aber alles andere als die erwartete red wave. Gebremst wurde der Erfolg der Republikaner auch in dieser Kongresskammer von der jungen Generation: 77 Prozent der plurals hatten demokratisch gewählt, 56 Prozent der Millennials.

Die einen argumentieren, die GOP habe unter jüngeren Wählerinnen und Wählern ein „Werteproblem“, weil sie weder für Waffenkontrolle und school shootings, noch für das Recht auf Abtreibung, den Klimawandel, die medizinische Versorgung und für LGBTQ-Themen passende Antworten finde. Aus den eigenen Reihen kritisieren wiederum andere, dass die Partei vor allem ein „Kommunikationsproblem“ habe. Um jüngere Wählerinnen und Wähler zu überzeugen, müsse die Partei dort präsent sein, wo die Gen Z ist, nämlich auf Instagram und TikTok. Dort gehe es angesichts rückläufiger Parteibindung sowohl bei den Republikanern als auch bei den Demokraten selbst beim Klimawandel aber nicht mehr um politisch „links“ oder „rechts“, sondern darum, ob die Botschaften, erstens, als interessant und relevant ankommen, und, zweitens, ob – allen voran beim Thema „Waffengewalt“ – auch emotionale Betroffenheit deutlich wird. Nur mit Sachargumenten und ohne Empathie sei diese Wählergruppe nicht erreichbar.

Wie sehr das Wahlsystem für die USA insgesamt aber auch in den einzelnen Bundesstaaten darüber entscheidet, ob sich die Kandidatinnen und Kandidaten parteiintern und über die Parteigrenzen hinweg in heftigen Grabenkämpfen begegnen, zeigt das Beispiel Alaska. Der dünn besiedelte und überaus konservative Bundesstaat hat im Repräsentantenhaus nur einen Sitz, den, erstmals seit 50 Jahren, mit Mary Peltola eine Demokratin gewonnen hat. Ihre Gegenkandidatin war die Republikanerin Sarah Palin. Im Wahlkampf hat Peltola auf Negativwerbung gegen ihre Herausforderin verzichtet. Stattdessen versprach sie, sich für den Fischfang einzusetzen. Ihr Wahlkampfslogan lautete: „pro-fish, pro-family, pro-freedom”. Nach ihrer Wahl übernahm sie für ihr Kongressbüro den Chief of Staff ihres republikanischen (!) Vorgängers. Sarah Palin und Nick Begich, der dritte republikanische Kandidat für die Kongresswahl, lieferten sich vor den primaries hingegen heftige verbale Auseinandersetzungen.

Im Senat hat Alaska, wie jeder andere US-Bundesstaat, hingegen zwei Sitze. Beide Senatoren, Dan Sullivan und Lisa Murkowski, sind Republikaner. Murkowski wurde im letzten Jahr wiedergewählt und konnte sich damit parteiintern gegen die von Donald Trump favorisierte Kelly Tshibaka durchsetzen. Im Wahlkampf erklärte Murkowski öffentlich ihre Unterstützung für die Demokratin Peltola. Die beiden Kongressmitglieder verkörpern damit im Grunde das Gegenteil von dem, womit die US-Politik ansonsten für Schlagzeilen sorgt. Möglich war das wohl nur, weil Alaska im vergangenen Jahr mit knapper Mehrheit als erster Bundesstaat ein komplett offenes Vorwahlverfahren mit Ranglistenwahlen eingeführt hat. Kritikerinnen und Kritiker bemängeln, dass damit die Parteien bei der Festlegung auf ihre Kandidatinnen und Kandidaten geschwächt würden. Deshalb ist derzeit nicht damit zu rechnen, dass das Verfahren Schule macht. Gleichzeitig muss auch für die identitätspolitische Auseinandersetzung nachdenklich stimmen, dass die Wählerinnen und Wähler im sehr konservativen Alaska parteiübergreifend zwei moderate und kompromissbereite Politikerinnen auf den Schild gehoben haben.

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Paul Linnarz

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Leiter des Auslandsbüros in Washington, D.C.

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