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Hitzig geführte Debatten über den Umgang mit dem historischen Erbe, die koloniale Vergangenheit, ethnische, kulturelle oder soziale Zugehörigkeiten und die Anzahl der Geschlechter sowie „gegenderte“ Sprache zeigen, wie Identitätspolitik den gesellschaftlichen Diskurs prägt. Die hier gesammelten Beiträge zeigen mit einem Blick auf Geschichte und Gegenwart in Deutschland, Frankreich, Polen und den USA, wie Identitätspolitik aus dem rechten und linken Lager die politische Mitte angreift – und die Gesellschaft spaltet, statt sie zu einen.
Im Verhältnis von Wissenschaft, Gesellschaft und Wahrheit hat sich in den letzten Jahren eine tiefgreifende Veränderung vollzogen. Postmoderne Denktraditionen stellten grundlegende Fragen nach Macht, Perspektive und Objektivität – mit weitreichenden Folgen für die Geistes- und Sozialwissenschaften. Was geschieht nun, wenn diese kritischen Ansätze auf die Naturwissenschaften ausgeweitet werden – wenn also physikalische Theorien nicht mehr als objektive Beschreibungen, sondern als kulturelle Narrative gelesen werden? Die Debatte um die Grenzen legitimer Kritik und den Stellenwert wissenschaftlicher Evidenz ist hochaktuell.
Mit den Mitteln der Ideologiekritik vergleicht John G. Grove die Wokeness der Linken mit Denkmustern der extremen Rechten. Sie teilten eine gemeinsame Sicht auf die menschliche Natur und die Überzeugung von der Schlechtigkeit der Welt. Woke Linke und manche extreme rechte Denker verneinten, dass der Mensch in seinen Handlungen und Möglichkeiten frei sei. Sie setzen auf Kontrolle und Repression, nicht nur in der Politik, sondern auch in der Zivilgesellschaft und im Privatleben. Destruktivität und nicht das kreative Bemühen um kulturelle Erneuerung ist Grove zufolge der Handlungsmodus beider Gruppierungen. Dem gelte es mit klarem Denken und Selbstreflexion – also den Mitteln der westlichen Aufklärung – entgegenzutreten.
In Deutschland machen sich die beiden Seiten von Identitätspolitik bemerkbar: Wokeness gegen völkisches Denken. In Uneinigkeit vereint führen sie einen gemeinsamen Kulturkampf gegen die politische Mitte. Eine Analyse über Wesen und Gefahr von Identitätspolitik sowie den historischen Ursprung und die Bedeutung von „Kulturkampf“ und „Culture Wars“.
Es sind Sätze, die sich wohl mit „gut gealtert“ kommentieren ließen: „Zu viele Grüne sind auch heute noch in symbolische Politik verstrickt. Sie betreiben Identitätspolitik und besondere Pflege des Feindbildes.“ Die Sätze entstammen einer Analyse des Politikwissenschaftlers Joachim Raschke, die er vor über 30 Jahren in der taz veröffentlichte. Es ging damals um die (zwischenzeitliche) Ablehnung einer Ampelkoalition im Bremer Stadtstaat durch die Bremer Grünen. Symbole, Feindbilder, Identität: Es sind Elemente, die auch heute Debatten über Identitätspolitik prägen – und das in der gesamten politischen Landschaft.
Zwei Wörter, die man auch als „Modewörter“ bezeichnen könnte, korrespondieren nicht ohne Grund in der öffentlichen Debatte gegenwärtig sehr häufig miteinander: „Identitätspolitik“ und „Narrativ“. Ganz gleich, ob im nationalen Rahmen, ob in der Frage der persönlichen Orientierung – es ist das Narrativ, die übergreifende Erzählung, die in ganz wesentlichem Maß Identität formt und beeinflusst.
Eigentlich ist es ganz einfach: Beleidige niemanden wegen seiner Hautfarbe, seines Namens, seiner Kleidung, seines Geschlechts, seiner sexuellen Orientierung, seiner Herkunft, seines Glaubens. Und lasse jeden Menschen so sein, wie er es mag. Aber tue auch nicht so, als wäre all das egal, als gäbe es keine Unterschiede. Menschen sind nun mal verschieden, das ist gut so, aber benachteilige niemanden wegen dieser Eigenschaften.
Die Identität eines Menschen wird maßgeblich durch sein Geschlecht bestimmt. In Deutschland erleben wir im Moment eine emotional geführte Debatte darüber, was unter Geschlecht zu verstehen ist. Im Folgenden wird die aktuelle Debatte mit einer historischen Einordnung rund um das Thema Geschlecht in Deutschland skizziert, die auch von internationalen Diskursen beeinflusst ist. Dabei werden Begriffe erläutert, Konfliktlinien aufgezeigt und aktuelle Herausforderungen analysiert.
Geschlecht ist ein auslegbarer Begriff. An ihn koppeln sich kollektive Ängste vor Wandel und Verlust – Verlust der nationalen Identität oder der Hegemonie des Westens, vor dem Aufbrechen traditioneller Familienstrukturen seit der sexuellen Revolution – dies umso mehr vor dem Hintergrund der Radikalisierung von Individualitäten im digitalen Zeitalter. Heute findet die Auslegung des Geschlechtsbegriffs nicht nur im Hinblick auf nicht-heteronormative Sexualitäten, Frauenrechte oder alternative Lebensmodelle statt, sondern zugespitzt auf den Transgender als legitime identitäre Kategorie.
Die Identitätspolitik prägt die Debatten in den USA und spaltet die Nation. Ursache der politischen Polarisierung ist auch das Wahlsystem und wie die Parteien damit umgehen.
Die Identitätspolitik ist in Frankreich Dreh- und Angelpunkt der politischen Geschichte des 19. Jahrhunderts bis hin zu aktuellen politischen Dynamiken und Diskursen, die sich vielfach als Spaltpilz der französischen Gesellschaft erweisen.