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Interviews

EU-Klimastrategie 2050 - Interview mit Dr. Oliver Geden

Online-Seminar zum KAS-Kernthema Innovation und Nachhaltigkeit

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Aufgrund der Corona-Krise mussten wir auch die anstehende Lunch Discussion zum KAS-Kernthema Innovation und Nachhaltigkeit mit Dr. Oliver Geden, Forschungsgruppenleiter Europa bei der „Stiftung Wissenschaft und Politik“ absagen. Um die Veranstaltung digital stattfinden zu lassen, hat sich Dr. Oliver Geden die Zeit genommen, mit unserer studentischen Hilfskraft Johanna Volk zu telefonieren und über das Thema EU-Klimastrategie 2050 und die Klimapolitik der Bundesregierung zu sprechen.

 

Im Folgenden finden Sie den Wortlaut dieses Telefoninterviews:

 

JV: Vielen Dank, dass sie sich die Zeit nehmen, die abgesagte Veranstaltung in eine digitale Maßnahme umzuformen. Dann würde ich nun direkt mit der ersten Frage beginnen:
In ihrem Sondergutachten 2019 „Aufbruch zu einer neuen Klimapolitik“ kritisieren die Wirtschaftsweisen die wirtschaftliche Effizienz einer nationalen Klimastrategie. Was halten Sie davon, dass sich Deutschland klimapolitische Ziele setzt, die über die EU-Klimastrategie 2050 hinaus gehen?

 

OG: Ich bin mir gar nicht sicher, ob das auch für die neue Klimastrategie gilt, die vor einigen Monaten verabschiedet worden ist, weil die Umsetzung des Ziels der EU-weiten Treibhausgasneutralität in den Mitgliedstaaten noch gar nicht geklärt ist. Es wird ein großer Streitpunkt sein, ob Deutschland ambitionierter vorgehen wird als der Durchschnitt der EU oder nicht. Aber es sieht so aus, als müsse sich Deutschland darauf einlassen, weil Nachzügler aus Mittelosteuropa, wie Polen und Ungarn, das zur Bedingung für eine endgültige Einigung machen werden. Im Detail wird das noch ausgehandelt werden müssen.

Deutschland war in der Klimapolitik innerhalb der EU schon immer einer der Vorreiter. Was jetzt aber das Besondere sein wird: wenn man in der EU bis 2050 nur noch so viele Treibhausgase ausstoßen will wie man gleichzeitig aus der Atmosphäre ziehen kann, dann bedeutet eine Vorreiter-Rolle nicht einfach nur, dass man bis 2050 mehr machen muss als viele andere Mitgliedstaaten. Wenn der Durchschnitt der EU bei netto Null-Emissionen liegen soll, dann müssen die Vorreiter unter die Null-Linie, also sogenannte „negative Emissionen“ generieren. Wie das in der deutschen Politik, die sich das noch nicht klar gemacht hat, und in der breiteren Öffentlichkeit ankommen wird, bleibt abzuwarten. Es könnte dann der Eindruck entstehen, dass wir netto CO2 aus der Atmosphäre ziehen damit die anderen noch weiter emittieren dürfen. Das wird sich wegen der großen Mengen nicht alleine mit Aufforstungsmaßnahmen machen lassen, man wird auch Technologien einsetzen müssen, die heute noch nicht ausgereift sind. Aus der Perspektive wirtschaftlicher Effizienz kann man das kritisieren, aber politisch wird es wohl gar nicht anders möglich sein, weil Polen, Ungarn und Tschechien sagen werden: „wenn ihr nicht mehr macht, dann werden wir hier keinen Deal bekommen.“

 

JV: In den europäischen Nachbarländern ist in vielen Politikfeldern oft von einem deutschen Alleingang die Rede, beispielsweise bei der Entscheidung zur Energiewende. Dabei sehen sich die Deutschen als Vorbilder für die anderen EU Mitgliedstaaten, aber beachten möglicherweise nicht die unterschiedlichen nationalen Interessen. Was denken Sie über solche deutschen Alleingänge und wie klimapolitisch sinnvoll sind diese?

 

OG: Die Energiewende Entscheidung 2011 nach Fukushima war sicherlich ein Alleingang. Andererseits muss man sagen, dass die anderen Länder, die sich dann darüber beklagt haben, uns auch nicht fragen würden, wenn sie ähnlich weitreichende Entscheidungen treffen würden, weil nach EU-Primärrecht die Struktur der nationalen Energieversorgung Sache der Mitgliedstaaten ist. Das Problem bei immer stärker verknüpften Energiemärkten ist aber, dass Nachbarländer von nationalen Alleingängen stark betroffen sein können, vor allem im europäischen Strommarkt. Die Effekte solcher „Alleingänge“ –werden aber tendenziell weiter abnehmen, weil die europäische Regulierung der Energiemärkte immer stärker wird und damit die Spielräume einzelner Mitgliedstaaten deutlich geringer.

Alle EU-Länder haben inzwischen Ziele für erneuerbare Energien, bis 2020 mit verbindlichen nationalen Zielen, auf dem Weg bis 2030 dann gemeinsam auf EU-Ebene. Wenn man sich die Liste der nationalen Ziele bis 2020 ansieht, stellt man fest, dass Deutschland bei den Erneuerbaren gar nicht über dem EU Durchschnitt liegt. Die EU will insgesamt 20% Erneuerbare im Energiemix und das deutsche Ziel beträgt nur 18% - und viel mehr werden wir auch nicht erreichen. Das kommt daher, dass wir in Deutschland sehr stark auf den Stromsektor fokussiert sind, wo wir ja inzwischen Erneuerbare-Energien-Anteile von ca. 40% haben. Bei den anderen beiden großen Blöcken – Wärme und Verkehr – ist bislang aber nicht viel passiert. Langfristig werden sich die nationalen Präferenzen relativieren. Es wird sie weiterhin geben, wegen unterschiedlicher Industriestrukturen und geografischen Voraussetzungen. Aber mit jeder weiteren Dekade wird die europäische Regulierung eine immer größere Rolle spielen. Die nationalen Entscheidungsspielräume werden also fortlaufend geringer werden.

 

 

JV: Der Klimawandel ist ein globalpolitisches Problem, dass die Deutschen alleine nicht lösen können, in der globalen Betrachtung machen die Deutschen CO2-Emissionen nur einen Bruchteil aus. Aber auch die gesamte EU hat einen vergleichsweisen geringen Anteil. Länder wie China, USA, Russland und Indien sind Haupt-Emissionsausstößer. Darin wird deutlich, dass ein global abgestimmtes Vorgehen deutlich effizienter wäre. Sind das Pariser Abkommen und die UN-Klimarahmenkonvention ihrer Meinung nach schon die richtigen Schritte? Wie könnte man ihrer Meinung nach die Klimapolitik noch globaler gestalten? Wäre ein globaler Mindestpreis für Treibhausgasemissionen ein sinnvolles Instrument, beispielsweise?

 

OG: Um hinten anzufangen: der globale Mindestpreis für Emissionen wäre selbstverständlich ein sinnvolles Instrument. Aber es ist auf absehbare Zeit unrealistisch, dass sich andere Länder darauf einlassen werden. Alle Entscheidungen unter der UN-Klimarahmenkonvention müssen einstimmig fallen, d.h. man kann Blockierer nicht durch Mehrheitsentscheidungen zu etwas bringen, was sie partout nicht wollen. Insofern sind die Länder, denen Klimaschutz wichtiger ist als dem größten Teil der Welt - und das trifft auf Europa und Deutschland zu – genötigt, die anderen davon zu überzeugen, dass es ein guter Weg ist. Der europäische Weg ist, das Thema Klimaschutz mit wirtschaftlicher Prosperität verbinden, also dem Versprechen zu verbinden, dass sich Investitionen in grüne Technologien lohnen. Das ist im Grunde genommen auch die Kern-Idee hinter dem Vorschlag für einen europäischen Green Deal der Kommission von der Leyen. Und bei Erneuerbaren im Stromsektor funktioniert das eigentlich sehr gut. Das wird inzwischen auch von China in viel größerem Stil betrieben, auch von Entwicklungsländern, selbst von den USA auf Bundestaatenebene, selbst da wo man sich eher klimawandelskeptisch äußert. Momentan ist das wirtschaftliche Argument im Grunde genommen der beste Hebel. Wir zeigen, dass es geht und das es günstiger sein kann, unter bestimmten Voraussetzungen schon heute und langfristig ohnehin – die Kosten für Solar- und Windstrom sinken ja weiterhin.

Was es im nächsten Schritt braucht, ist ein koordiniertes Vorgehen auch in Sektoren jenseits der Stromproduktion, um zu zeigen, dass und wie man Klimaschutz wirtschaftlich gestalten kann. Mit dem neuen EU-Ziel rücken nun auch Sektoren in den Fokus, bei denen eine Dekarbonisierung viel aufwändiger ist, weil man nicht einfach auf erneuerbaren Strom setzen kann – zum Beispiel in der Stahlindustrie, in der Zementindustrie, im Schiffs- und Luftverkehr. Da wird man auf Energieträger wie Wasserstoff setzen müssen, oder auf die Abscheidung und Speicherung von CO2 in Industrieprozessen. Hier wird sehr viel mehr in Forschung und Entwicklung investiert werden müssen. Aber wenn es – anders als in der Anfangsphase der Förderung von Strom aus erneuerbaren Quellen – gelänge, dass das nicht nur einige EU-Staaten machen, sondern Wege findet, mit Ländern wie China, den USA, Australien. Südkorea oder Japan zu kooperieren, dann können Ressourcen auch effizienter eingesetzt werden. Doch an dem Punkt sind wir noch nicht. Es gibt eine Debatte in der EU, dass man sich zukünftig davor schützen muss, dass andere Regionen mit schwächeren klimapolitischen Standards wesentlich günstiger produzieren und etwa an den Grenzen Ausgleichsmechanismen für Importe einführt, etwa auf den höheren CO2-Gehalt von aus China importiertem Stahl. Das könnte anderen Ländern Anreize geben, zu Hause verstärkt in den Klimaschutz zu investieren. Aber es könnten daraus auch Handelskonflikte entstehen, nicht nur mit China, sondern auch mit den USA oder Indien.  Bei der CO2-Bepreisung im internationalen Luftverkehr hat die EU vor 10 Jahren schon einmal einen ähnlichen Versuch gestartet, und musste schnell einen Rückzieher machen, als China mit der Stornierung einer großen Bestellung bei Airbus gedroht hat.

 

JV: Sie hatten eben schon davon gesprochen, dass man zeigen soll wie es geht. Also sind Sie der Meinung, dass die EU als internationales Vorbild in Sachen Klimapolitik agieren kann und durch ihre bewährten Klimainstrumente anderen Ländern bei der Umsetzung von Klimazielen helfen kann?

 

OG: Auf jeden Fall – zumindest bei denjenigen Nicht EU-Ländern, die Klimapolitik grundsätzlich auch wichtig finden, aber noch am Anfang stehen. Die sehen die EU auch als Labor für klimapolitische und wirtschaftliche Innovationen. Keine andere Industrienation oder Region hat seit 1990 so viel an Emissionen reduziert, auch wenn wir ein wenig davon profitiert haben, dass in den osteuropäischen Ländern die Volkswirtschaften restrukturiert wurden. Viele Länder schauen auch gespannt, wie wir klimapolitische Konflikte miteinander austragen, wie unter jetzt 27 recht unterschiedlichen Mitgliedstaaten der Interessensausgleich organisiert wird und welche Politik-Instrumente wir dabei einsetzen. Wenn man einmal von der derzeitigen Pandemie bedingten Sondersituation absieht, dann hat die EU ja eindrücklich den Beweis erbracht, dass Emissionsminderungen und Wirtschaftswachstum  miteinander vereinbar sind. Trotzdem reicht das aus Sicht anderer Länder möglicherweise nicht, um zu sagen: „Ganz genau so machen wir das bei uns auch“. Aber es ist gut, dass die EU ein Beispiel liefert, an dem sich andere orientieren können. So ist etwa der Emissionshandel als Instrument erstmals in der EU im großen Stil ausgerollt worden und danach auch von vielen anderen Ländern übernommen worden, etwa in China. Nicht immer zwingend auf eine sehr effiziente Weise, aber das ist nicht die Schuld der EU, und das war auch am Anfang in der EU nicht so. Manchmal lernen die Länder auch von den Fehlern, die die EU beim Einsatz von Instrumenten gemacht hat, und manchmal können sie auch diese Fehler überspringen.

 

 

JV: Durch das EU-Emissionshandelssystem seit dem Jahr 2005 konnte bereits ein deutlicher Rückgang der Emissionen in den Sektoren Energiewirtschaft und Industrie beobachtet werden. Der Sachverständigenrat und andere Ökonomen fordern, dass auch die anderen Sektoren in das EU-Emissionshandelssystem aufgenommen werden. In Deutschland wurde beschlossen, dass ab 2021 ein nationales Emissionshandelssystem in den Bereichen Wärme und Verkehr eingeführt werden. Glauben Sie, dass ein nationales Emissionshandelssystem eine richtige Entscheidung der Bundesregierung war oder wäre eine europäische Lösung effizienter gewesen?

 

OG: Wie so oft wäre eine europäische Lösung wirtschaftlich effizienter gewesen, allerdings hätte man sie nicht so schnell bekommen können, insofern war das Vorgehen der Regierungsparteien politisch effizienter. Auch wenn es so eine Art Prüfauftrag für die Kommission gibt, Wärme und Verkehr in den EU-Emissionshandel zu bringen, denke ich nicht, dass dies in den kommenden Jahren passieren wird. Viele der klimapolitischen Nachzügler in der EU, vor allem die Osteuropäer, sind vorsichtig, neue Sektoren in den Emissionshandel zu integrieren, weil sie dann ein Stück weit Kontrolle aufgeben müssten. In einem EU-weit harmonisierten Emissionshandel findet die Angleichung zwischen Ost und West schneller statt als wenn es nationale Ziele gibt, wie es im Moment für Wärme, Verkehr und Landwirtschaft der Fall ist. Es ist im jetzigen System für die Nachzügler leichter, Sonderregeln für sich auszuhandeln. Im Stromsektor und der energieintensiven Industrie stehen Polen, Tschechien und Ungarn unter einem viel größeren Anpassungsdruck. Deutschland würde national davon profitieren, wenn diese Bereiche in den Emissionshandel integriert würden und insgesamt wäre es ökonomisch auch effizienter. Aber aus Sicht mancher Regierungen geht die Rechnung politisch so nicht auf und deshalb bin ich skeptisch, ob es so bald die notwendigen Mehrheiten geben wird, um Wärme und Verkehr in den EU- Emissionshandel zu überführen – zumal sich auch das Europäische Parlament in dieser Frage bislang zurückhaltend äußert.

 

 

JV: Die neuveröffentlichte EU-Klimastrategie 2050 umfasst wieder viele verschiedene Politikbereiche und Maßnahmen. Dem einzelnen Bürger kommen solche Maßnahmen teilweise sehr abstrakt vor. Was kann die EU ihrer Meinung nach dazu beitragen, dass mehr Transparenz in der Klimapolitik entsteht und die BürgerInnen genau wissen, welche Maßnahmen welche Ziele verfolgen?

 

OG: Klimapolitik ist in der Tat sehr komplex geworden, gerade weil alle Lebensbereiche davon betroffen sind oder zukünftig betroffen sein werden. Das ist im Grunde auch das wesentliche Merkmal der neuen EU-Klimastrategie 2050. Das alte Ziel für 2050 lag bei einer Emissionsreduktion von 80-95%.  Sehr viele Branchen – etwa die Landwirtschaft oder Teile der Industrie – gingen stillschweigend davon aus, dass ihre Emissionen zu einem großen Teil in den verbleibenden 5-20% enthalten sind. Das ändert sich jetzt, das ist für viele dieser Branchen ungewöhnlich.

Aus Sicht der Bürgerinnen und Bürger ist es weniger abstrakt, wenn sie sich regelmäßig bei allem, was sie tun, bei allem, was sie konsumieren und bei jeder Reise fragen, wie es unsere Gesellschaft eigentlich hinbekommen will, dass damit spätestens in 2050 keine Emissionen mehr verbunden sein werden. Das ist im Grunde die Kernfrage, wenn man Treibhausgasneutralität erreichen will – zuerst in der EU, dann auf der ganzen Welt, weil nur so der Temperaturanstieg gestoppt werden kann. Wenn der Plan, bis 2050 auf netto Null-Emissionen zu kommen, ernsthaft umgesetzt wird, dann wird er alle Lebensbereiche umfassen. Manches wird über veränderte Konsummuster gelingen, aber im Wesentlichen wird es um tiefgreifende Veränderungen bei Infrastrukturen und Produktionsweisen gehen. Und weil viele Sektoren stark ineinandergreifen, hat man unter Transparenzgesichtspunkten immer das Problem, dass politische Maßnahmen möglicherweise auch mehrere Ziele gleichzeitig verfolgen, Und dass es immer auch alternative Wege geben wird, über die politisch gestritten werden wird. Was die Sache erschwert: gerade die technologischen Lösungen werden nicht immer einfach zu verstehen sein. Wenn es nicht einfach darum geht, Kohlestrom durch erneuerbaren Strom zu ersetzen, wird es technisch schnell komplex, wie man in der beginnenden Diskussion um den Einsatz von Wasserstoff sieht.

Was Bürgerinnen und Bürger größtenteils wohl noch gar nicht verstehen ist, dass Treibhausgasneutralität nicht bedeutet, dass alle Emissionen eliminiert werden können. Es wird Bereiche geben, da kann man die Emissionen, wenigstens nach heutigem technischem Wissen, nicht auf Null bringen. Zum Beispiel in der Zementindustrie oder in Teilen der Landwirtschaft. Selbst bei 100% erneuerbarer Stromversorgung wird man parallel Infrastrukturen aufbauen müssen,  mit denen CO2 aus der Atmosphäre gezogen werden kann. Das werden am Ende nicht nur Bäume sein, denn für die benötigten Mengen fehlen uns die Landflächen. Technische Methoden zur Entfernung von CO2 aus der Atmosphäre stehen noch am Anfang ihrer Entwicklung, sind kostspielig und das CO2 müsste unterirdisch gelagert werden. An diesem Punkt ist die Klimapolitik bislang noch sehr intransparent.

 

JV: Noch eine aktuelle Frage. Und zwar haben alle Zuschauer in der Tagesschau die Bilder vom Klima gesehen, wie es sich gerade erholt. Dass man in China wieder den Himmel sehen kann und die Flüsse wieder klarer werden. Welche Auswirkungen hat die weltweite Corona-Krise auf das Klima bzw. die Klimapolitik?

 

OG: Auf das Klima hat die Pandemie zunächst mal einen „positiven Effekt“, weil die Emissionen drastisch runter gehen. Aber das wird ein Einmaleffekt sein und wir werden dann vermutlich, wenn die Wirtschaft sich wieder erholt, bei einem ähnlichen Niveau wie vorher sein. Und für das Klima, das ja in sehr langen Zeiträumen zu betrachten ist, ist es nicht besonders relevant, wenn ein Jahr lang die Emissionen mal stark runter gegangen sind, wenn es danach im Wesentlichen so weiter geht wie vorher. Für die Klimapolitik ist jede wirtschaftliche und politischen Krise hochproblematisch: wenn sie eine Volkswirtschaft aktiv transformieren wollen in Richtung netto Nullemissionen, dann müssen sie permanent am Ball bleiben. Dann benötigen sie Mittel für Investitionen und politisch wirksame Instrumente.  Die Prioritäten haben sich jetzt verständlicherweise stark verschoben. Inwiefern bzw. wann sich das wieder ändern wird, lässt sich derzeit ja noch gar nicht absehen. Welche Rolle klimafreundliche Investitionen in Konjunkturprogrammen tatsächlich spielen werden, bleibt abzuwarten. Auf EU-Ebene wird die Kommission darauf bedacht sein, ihr Flagschiff-Projekt des europäischen Grünen Deals nicht untergehen zu lassen, aber einige mittelosteuropäische Mitgliedstaaten vertreten bereits die Auffassung, dass dem Klimaschutz in den kommenden Jahren nicht mehr die gleiche Priorität zukommen sollte.

 

JV: Zum Abschluss noch eine praktische Frage und zwar wird der Klimawandel als globales Problem in den Köpfen der Bevölkerung immer mehr wahrgenommen und diskutiert. Viele VerbraucherInnen würden gerne mehr zur Lösung des Problems beitragen, aber die beschlossenen Maßnahmen beziehen sich häufig auf Industriesektoren und damit auf eine höhere Ebene, die die VerbraucherInnen teilweise nicht betrifft. Haben Sie Tipps, wie der einzelne Bürger oder die einzelne Bürgerin mehr zum Klimaschutz in seinem alltäglichen Leben beitragen kann?

 

OG: Ich denke, dass es heute nicht mehr an Informationen darüber mangelt, was man in seinem eigenen Alltag selbst tun könnte. Bei den meisten Bürgerinnen und Bürger klafft dann aber doch eine deutliche Lücke zwischen eigenem Anspruch und der gelebten Praxis – nachvollziehbarerweise. Wenn es etwa um einen veränderten Konsum geht, dann setzt das voraus, dass man permanent bereit ist, sich über die Klimaschädlichkeit einzelner Produkte sowie über mögliche Alternativen zu informieren. Dazu fehlt uns im Alltag die Zeit, zumal wir dabei oft widersprüchliche Informationen bewerten müssen. Letztlich ist das Klimaproblem ein Infrastrukturproblem, das vor allem politisch angegangen werden muss. In der Klimadebatte wird die Rolle des klimafreundlichen privaten Konsums sicherlich überschätzt. Das wirksamste, das Bürgerinnen und Bürger für den Klimaschutz tun können, ist eigenes politisches Engagement.

 

JV: Vielen Dank, dass Sie sich die Zeit genommen haben für dieses Interview und dass so die abgesagte analoge Veranstaltung zumindest digital stattfinden kann.

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Dr. Oliver Geden Stiftung Wissenschaft und Politik

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Über diese Reihe

In unserer Reihe "Interviews" werden Gespräche und Diskussionen mit Expertinnen und Experten der Konrad-Adenauer-Stiftung e.V. zu unterschiedlichen Themen geführt.