Issue: 1/2019 kompakt/2019
Die Außen- und Sicherheitspolitik der USA stellte in den ersten beiden Jahren unter Präsident Trump in ihren Grundzügen die Zusammenführung wesentlicher Elemente der Politiken der beiden Amtsvorgänger Obama und Bush in übersteigerter Form dar. Die starke unilaterale Ausrichtung der Bush-Administration sowie der Teilrückzug aus dem Nahen Osten und Europa unter Präsident Obama wurden nicht nur übernommen, sondern dahingehend fortgeführt, dass die USA aus zentralen bestehenden multilateralen Formaten ausgestiegen sind oder ihren Ausstieg ankündigten. Neu ist unter Trump vor allem die Radikalität der Rhetorik und in weiten Teilen auch des Vorgehens.
Viel Lärm um nichts bei der NATO?
Mit Blick auf die NATO-Politik unter Trump ist festzustellen, dass der Präsident durch seine Bemerkung, das Bündnis sei „obsolet“, zwar massive Verunsicherung auslöste, ansonsten aber am NATO-Engagement der USA festhält, ja dieses durch die Aufwertung der European Deterrence Initiative sogar erweitert hat. Die Kritik an der ungleichen Lastenverteilung mit Blick auf die niedrigen Verteidigungsausgaben vieler NATO-Mitglieder ist ebenfalls nicht neu, wird aber von Trump mit neuer Lautstärke und Radikalität vorgebracht. Zwar ist das bereits 2002 vereinbarte und 2014 erneut festgeschriebene Ziel, zwei Prozent des Bruttoinlands produktes für Verteidigung auszugeben, rechtlich nicht bindend, jedoch sollte gerade Deutschland mit seinem immer wieder artikulierten Anspruch, mehr Verantwortung übernehmen zu wollen, hier mit gutem Beispiel vorangehen. Die von Deutschland in Aussicht gestellten eineinhalb Prozent sind jedenfalls nicht ausreichend, um zu einer seriösen Verteidigungspolitik zurückzukehren, bleiben deutlich hinter den Erwartungen der Verbündeten zurück und verfehlen letztendlich die von der Bundes regierung international gemachten Zusagen.
Paradigmenwechsel bei internationalen Verträgen
Abgesehen von den verbalen Attacken gegen NATO, EU und VN stellen die tatsächlichen und angedrohten Aufkündigungen von internationalen Vertragswerken einen Wendepunkt mit sicherheitspolitischer Dimension im trans atlantischen Verhältnis dar. Das betrifft nicht nur den – auch mit Sicherheitserwägungen begründeten – Ausstieg der USA aus der Klimaverein- barung von Paris, sondern auch die Aufkündigung des Nuklearabkommens mit dem Iran und den unter Vorbehalt angekündigten Rückzug vom INF-Vertrag (Washingtoner Vertrag über nukleare Mittelstrecken systeme). Während Trump dem INF-Vertrag verbunden mit einem 60- tägigen Ultimatum an die russische Regierung theo retisch noch eine Chance gibt, kündigte sein Außen minister nicht weniger als die radikale Abkehr von der weltweiten Sicherheitsarchitektur, wie sie sich in ihren Grundzügen seit 1945 entwickelt hat, an. Nicht zuletzt die Ankündigungen des Truppenabzugs aus Syrien und der Truppenreduzierung in Afghanistan deuten auf einen Paradigmenwechsel ganz im Sinne des viel propagierten „America first“ hin.
Keine Sicherheit ohne die USA
Während die transatlantischen Gemeinsamkeiten in der Sicherheitspolitik definitiv weniger geworden sind, bleibt die NATO das mit Abstand wichtigste gemeinsame Projekt. Das hat nicht nur damit zu tun, dass die Allianz die einzige internationale Organisation zu sein scheint, deren Nutzen Präsident Trump einigermaßen anerkennt. Deutschland und die europäischen NATO-Partner haben ihrerseits in Ansätzen erkannt, dass diese US-Administration das Thema der gleichen Lastenverteilung sehr ernst meint und sich wahrscheinlich nicht noch einmal vertrösten lassen wird, was finanzielle Zusagen und die Erfüllung von Bündnisverpflichtungen anbelangt.
Denn während europäische Experten darüber streiten, ob „strategische Autonomie“ gegenüber den USA und eine europäische Armee Visionen oder Illusionen sind, bleibt eine Tatsache bestehen: Gegenwärtig – und voraussichtlich noch auf Jahre – sind die USA weltweit die einzige Nation, die in der Lage und – unter bestimmten Voraussetzungen – willens ist, Deutschland und seine europäischen Verbündeten gegen jedwede derzeit denkbare Bedrohung effektiv zu schützen. Dies schließt symmetrische, asymmetrische und hybride Bedrohungen in allen fünf Dimensionen der Kriegführung, (Land, Luft, See, Welt- und Cyberraum) ein. Die EU wird dieses Maß an Sicherheit auf absehbare Zeit nicht bereitstellen können und ist – auf sich allein gestellt – nur sehr bedingt in der Lage Europa zu verteidigen.
Die Herstellung autonomer europäischer Verteidigungsfähigkeit wird, selbst wenn es gelingen sollte, die hierfür notwendigen politischen Rahmenbedingungen zeitnah zu schaffen, ein außerordentlich langwieriger Prozess werden. Dieser wird derzeit neben den strukturellen Herausforderungen und dem aufzuholenden technologischen Rückstand der Europäer, insbesondere in der Cyber-Kriegführung und im Bereich der technischen nachrichtendienstlichen Aufklärung, vor allem von der Haltung Londons und Berlins beeinträchtigt. Durch den Austritt Großbritanniens aus der EU verliert diese den leistungsfähigsten und leistungswilligsten sicherheitspolitischen Akteur auf dem europäischen Kontinent. Deutschland hat seinen Status als Garant und Rückgrat der konventionellen Verteidigung Europas verloren und ist weit davon entfernt diesen zurückzugewinnen.
Deutschland und seine Verbündeten sollten deshalb klar herausstellen, dass sich die jüngsten Bemühungen, „mehr Europa“ in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik zu erreichen, nicht gegen die USA richten, sondern im Gegenteil darauf abzielen, die Lastenverteilung innerhalb der NATO durch Stärkung des europäischen Pfeilers ausgeglichener zu gestalten.
Nils Wörmer ist Leiter des Teams Außen-, Sicherheits- und Europapolitik der Konrad-Adenauer-Stiftung.