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Diego Delso / flickr / CC BY-SA 3.0 / creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/

Country reports

Präsidentschaftswahlen in Estland 2021

by Sveta Pääru, Elisabeth Bauer, Alexandra Bumcke
Am 31. August wurde Alar Karis im zweiten Wahlgang vom estnischen Parlament (Riigikogu) zum neuen Präsidenten der Republik Estland gewählt. Er löst damit seine seit 2016 amtierende Vorgängerin Kersti Kaljulaid ab. Die diesjährige Präsidentschaftswahl ist die siebte seit der Unabhängigkeit des Landes von der Sowjetunion. Der Präsident erfüllt in erster Linie repräsentative Aufgaben und wird auf fünf Jahre gewählt, mit der Möglichkeit einer Wiederwahl.

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Die Wahl Alar Karis‘

Karis trat als einziger Kandidat zur Abstimmung an. Seine Kandidatur wurde erst knapp zwei Wochen vor der Wahl von der regierenden Koalition aus Zentrumspartei und Reformpartei ins Gespräch gebracht. Amtsinhaberin Kaljulaid wäre zwar zu einer erneuten Kandidatur bereit gewesen, hatte aber nicht genügend Unterstützung durch die Abge­ordneten erhalten, da sie insbesondere von Vertre­tern der Zentrumspartei als zu politisch wahrge­nommen wird.[1]

Für die Wahl zum Präsidenten wird eine Zwei­drittelmehrheit von 68 der 101 Stimmen im Parlament benötigt. Auf die Regie­rungs­koalition entfallen dabei 59 Abgeordnete, sodass sie auf mindestens neun Stimmen aus der Opposi­tion ange­wiesen war.

Die oppositionelle Isamaa und die Sozialdemokraten hatten im Vorfeld angekündigt, die Fraktionsdisziplin für die Wahl aufzuheben. Dennoch verfehlte Karis im ersten Wahlgang mit 63 Stimmen die nötige Mehr­heit. Zwei Abgeordnete – Siim Kallas (Reform­partei) und Helir-Valdor Seeder (Vorsitzender der Isamaa) – wurden zum Zeitpunkt der Wahl im Krankenhaus behandelt und konnten nicht an der Abstim­mung teilnehmen.

Am folgenden Tag trat der Riigikogu daher zum zweiten Wahlgang zusammen. Die Auszählung wurde zunächst durch einen Protest des Abge­ordneten Kalle Grünthal (EKRE) verzögert: Eine Abgeordnete der Zentrumspartei hatte aus gesund­heitlichen Gründen im Innenhof des Parlaments­gebäudes aus einem Auto heraus an der Abstimmung teilge­nommen. Grünthal sah darin das Wahlge­heimnis verletzt, da Mitglieder der Wahlkommission durch ihre räumliche Nähe zur Abgeordneten ihr Wahlver­halten hätten beeinflussen können.[2]

Nachdem der Vorsitzende der Wahlkommission das Vorgehen jedoch für rechtmäßig erklärt hatte, konnte das Ergebnis der Wahl bekannt gegeben werden: Vom 80 abgegebenen Stimmen entfielen 72 auf Karis; 8 Wahlzettel blieben leer. Damit konnte Karis die Wahl für sich entscheiden und wird sein Amt am 11. Oktober offiziell antreten.

 

Hintergrund

Der estnische Präsident wird in geheimer Wahl vom Riigikogu gewählt. Es stehen dabei maximal drei Wahlgänge zur Verfügung. Falls in keiner der drei Wahlgänge ein Kandidat die erforderliche Mehrheit auf sich vereinen kann, geht die Entscheidung auf die Wahlversammlung über. Diese besteht aus den Parlamentsabgeordneten sowie Vertretern der kom­munalen Selbstverwaltungen. Die Wahlversammlung spiegelt nicht die herr­schenden politischen Kräfte­verhältnisse wider und ist auch nicht dazu ver­pflichtet, die in Umfragen zum Ausdruck gebrachten Präferenzen der Bevöl­kerung zu berücksichtigen. Daher bemühen sich die Abgeordneten in der Regel, bereits im Riigikogu eine Entscheidung über den künftigen Staatspräsidenten herbeizuführen.

Dies war dem Parlament zuvor drei Mal gelungen: 1992 (Lennart Meri), 2011 (Toomas Hendrik Ilves) sowie 2016 (Kersti Kaljulaid). Die Wahl Kaljulaids war allerdings an das Parlament zurückverwiesen worden, nachdem in der Wahlversammlung keine Einigung erzielt werden konnte – ein Fall, der von der Verfassung nicht vorgesehen war. Die Wahlver­sammlung wiederum hat bislang in drei Wahlen den Präsidenten bestimmt: 1996 (Lennart Meri), 2001 (Arnold Rüütel) sowie 2006 (Toomas Hendrik Ilves).

 

Zur Person

Alan Karis, am 26. März 1958 in Tartu geboren, ist gebürtiger Molekulargenetiker und Entwicklungs-biologe. Nach seinem Studium an der Estnischen Universität der Umweltwissenschaften in Tartu wurde er dort zunächst zum Professor und später zum Rektor ernannt. Er amtierte zudem als Rektor der Universität Tartu und zwischen 2013 und 2018 als oberster Rechnungsprüfer. Zuletzt war Karis Direktor des Estnischen Nationalmuseums.

 

Politische Schwerpunkte

Karis bereits einige Schwerpunkte seiner künftigen Arbeit skizziert, wobei er der estnischen Innen- und Außenpolitik gleichermaßen Bedeutung beimisst:[3]

Covid-19: Karis sprach sich dafür aus, mit allen gesellschaftlichen Gruppen im Ge­spräch zu bleiben und Desinformation durch Kommunikation und Bildung entgegen­zuwirken;

Stärkung des Parlaments: Vor dem Hintergrund des Bekanntwerdens massiver Kalkulationsfehler im Staatshaushalt[4] solle der Riigikogu die Regierung noch stärker kontrollieren und neue Gesetzesentwürfe genau prüfen;

Bildung: Estland solle es sich zum Ziel setzen, das Land mit der am besten gebil­deten Bevölkerung zu werden – „[n]ot just to move into the top five educated nations, but to be number one in the world.“[5]

Beziehungen zu Russland: Der Dialog über Streitthemen wie etwa die gemein­same Grenze solle fortgeführt werden. Ein Treffen mit Präsident Putin wäre denkbar, sofern ein klares Ziel definiert und die Gespräche sehr gut vorbereitet seien;

Europäische Union: Estland solle sich stärker innerhalb der EU engagieren und deren Entwicklung genau verfolgen.

 

Stimmung in der Bevölkerung

In einer Meinungsumfrage der Agentur Norstadt, die zwischen dem 17. und dem 24. August durchgeführt wurde, sprachen sich 35% der Befragten für eine zweite Amtszeit der amtierenden Präsidentin Kersti Kaljulaid aus. 12% unterstützten den Parlaments­präsidenten Jüri Ratas (Zentrumspartei), 9% ent­fielen auf Henn Põlluaas (EKRE). Mit 8% steht der designierte Präsident Alar Karis damit an vierter Stelle.[6]

Die Wahl Karis‘ hatte eine seit Jahren schwelende Debatte um eine mögliche Wahlrechtsreform angeheizt. Kritik entzündet sich insbesondere an der kurzfristigen Bekanntgabe der Kandidatur Karis‘: Da es den im Riigikogu vertretenen Parteien lange Zeit nicht gelang, sich auf einen mehrheitsfähigen Kandi­daten zu einigen, blieb diesem kaum Zeit, um sich vor der Wahl der Öffent­lichkeit vorzustellen.[7]

Vor diesem Hintergrund kündigte die Zentrumspartei an, einen Gesetzesvorschlag für die künftige Direkt­wahl des Präsidenten durch die Bevöl­kerung vorzulegen.[8] Die Idee ist allerdings nicht unum­stritten – unter anderem wird eine zu starke Machtkonzentration in den Händen des Präsidenten befürchtet.[9] Karis selbst versprach, das Thema Wahlrechtsreform auf die politische Tages­ordnung zu setzen, um verschiedene Ansätze zu diskutieren.[10]

 

[1] https://news.err.ee/1608270477/feature-estonia-s-presidential-election-2021

[2] https://news.err.ee/1608323135/gallery-presidential-election-2021-second-round-of-voting

[3] https://news.err.ee/1608324134/president-elect-i-ll-keep-questions-over-election-process-on-table; https://news.err.ee/1608321551/who-is-estonia-s-next-president-alar-karis

[4] https://news.err.ee/1608323048/audit-office-finance-ministry-made-serious-errors-calculating-state-budget

[5] https://news.err.ee/1608321551/who-is-estonia-s-next-president-alar-karis

[6] https://news.err.ee/1608319943/survey-estonian-residents-prefer-kaljulaid-for-next-president

[7] https://www.euronews.com/2021/08/25/why-is-no-one-stepping-forward-to-be-estonia-s-next-president

[8] https://news.err.ee/1608314573/center-party-says-will-table-direct-presidential-elections-bill

[9] https://news.err.ee/1608323210/eesti-200-leader-direct-presidential-elections-would-be-bad-thing

[10] https://news.err.ee/1608324134/president-elect-i-ll-keep-questions-over-election-process-on-table

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Oliver Morwinsky

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