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Ägyptens Regierung wählt den Schura-Rat

In der ersten Juniwoche fanden die Wahlen zur zweiten Kammer des ägyptischen Parlaments, dem sog. Schura-Rat, statt. Beobachter hatten einen deutlichen Wahlsieg der Regierungspartei NDP prophezeit. Es kam wie erwartet. Fast alle zu vergebenden Sitze gingen an die NDP, die Wahlbeteiligung war katastrophal niedrig und selbst in der staatsnahen Presse ist von massiven Manipulationen zu lesen.

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Beobachter vermuten, dass die Regierung die Wahlen nutzte, um die oppositionelle Muslimbruderschaft weiter kaltzustellen und auch ansonsten für klare politische Verhältnisse zu sorgen. Obwohl der Schura-Rat politisch weitgehend bedeutungslos ist, bieten die jetzigen Wahlen einen Vorgeschmack auf die im Herbst bevorstehenden Parlamentswahlen.

 

Die zweite Kammer des ägyptischen Parlaments wurde nach einem Referendum 1979 eingerichtet und trat 1980 erstmals zusammen. Der Schura-Rat ("shura", arab. "Beratung") soll Gesetzesvorschläge erarbeiten und Gesetze auf ihre Verfassungsmäßigkeit überprüfen. Darüber hinaus hat er die etwas vage Aufgabe "den Geist der Revolution von 1952 und der Verfassung von 1971 zu wahren". Die Schura hat zur Zeit 264 Mitglieder. Ein Drittel der Mitglieder (88) wird alle drei Jahre gewählt. Ein weiteres Drittel wird vom Präsidenten ernannt.

 

Bereits seit seiner Gründung steht der Schura-Rat in dem Ruf, primär ein Instrument des Prestigeerwerbs, der Kooptation und der Ämterpatronage zu sein. Der frühere Präsident Sadat habe die Schura vor allem eingerichtet, um politisch unbequeme Mitstreiter ruhig zu stellen, ohne sie ihrer Privilegien zu berauben. Auch heute noch gilt die Schura als Honoratiorenclub, in dem verdiente ehemalige Funktionäre, Minister und Parlamentarier unbehelligt vom politischen Tagesgeschäft ihre privaten Netzwerke pflegen können. Dementsprechend populär und begehrt sind Sitze im Schura-Rat bei Geschäftsleuten, Grundbesitzern, Akademikern und Stammesführern. Abgesehen von diesen Prestige- und Netzwerkfunktionen für ihre Mitglieder ist das reale politische Gewicht der Schura gering.

 

 

Erwartetes Ergebnis

Die Schura wird seit ihrer Gründung von der Regierungspartei dominiert. Dementsprechend wurden auch bei den diesjährigen Wahlen keine Überraschungen erwartet. Insgesamt traten 456 Kandidaten an – so wenige wie nie zuvor. Nach dem offiziellen Wahlergebnis, das nach den Nachwahlen am 8. Juni verkündet wurde, erhielt die NDP 84 der 88 Sitze. Die oppositionelle Muslimbruderschaft, die mit 18 Kandidaten in den Wahlkampf gegangen war, erhielt wie in der vorangegangen Legislaturperiode keinen Sitz. Die meisten anderen Parteien beteiligten sich an der Wahl, verwandten aber nur wenige personelle und finanzielle Ressourcen für den Wahlkampf. Ungeachtet dieses niedrigen Engagements gingen diesmal vier Sitze an jeweils eine der kleinen und etablierten Oppositionsparteien, womit sich die Zahl von Vertretern der Opposition in der Schura verdoppelte. Stimmen aus der Muslimbruderschaft bezeichneten dies als Versuch, dem Wahlergebnis einen pluralen Anstrich zu geben (Al-Ahram Weekly vom 10.6.2010)

Präsident Mubarak wird in den nächsten Tagen 44 weitere Mitglieder der Schura benennen. Beobachter rechnen damit, dass hierunter viele Christen und Frauen sein werden. Außerdem ist davon auszugehen, dass der Präsident eine Reihe verdienter Politiker und Funktionäre in den Schura-Rat berufen wird, aber auch einige prominente Oppositionelle. Der bekannte Analyst Amr Al-Shobaki vom renommierten Al-Ahram Zentrum für politische und strategische Studien weist darauf hin, dass bereits bei den Schura-Wahlen 2007 die meisten ernannten Kandidaten zum politischen Komitee der NDP und damit zum direkten Umfeld des Präsidenten gehörten. Auch diesmal ist davon auszugehen, dass die Berufung eine Reihe von Rückschlüssen auf die Entwicklung des innenpolitischen Kräftefelds im Umfeld des Präsidenten zulässt.

 

 

Keine Beobachtung, kaum Beteiligung

Die Wahlen selbst fanden weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Internationale Beobachter waren von vornherein nicht zugelassen, und auch unabhängigen ägyptischen Wahlbeobachtern soll oft der Zugang zu den Wahllokalen verwehrt worden sein. Die juristische Kontrolle der Wahlen lag stattdessen in den Händen einer Kommission, die von Gerichten in den einzelnen Gouvernoraten eingesetzt wurde. Diese Praxis war mit der Verfassungsänderung von 2007 eingeführt worden und sollte nach dem Wahlsieg der Muslimbrüder in den Parlamentswahlen 2005 eine weitgehende Kontrolle des Wahlausgangs gewährleisten. Erwartungsgemäß bescheinigte die Kommission dem Wahlgang einen sauberen und im Wesentlichen fairen Ablauf.

 

Unabhängige NROs und Oppositionspolitiker sehen das anders. Ägyptische Blogger und Journalisten berichten im Internet, wie sie unter fadenscheinigen bürokratischen Ausreden am Betreten der Wahllokale gehindert wurden. In ägyptischen Zeitungen ist von Festnahmen, Manipulationen, Nötigungen und von Stimmenkauf zu lesen. Zum Teil soll es zu gewaltsamen Übergriffen von Sicherheitskräften gekommen sein. Aus verschiedenen Wahlkreisen wird außerdem von gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen den Anhängern einzelner Kandidaten berichtet. Teilweise sollen kandidierende Muslimbrüder mit der Begründung verhaftet worden sein, sie hätten im Wahlkampf "religiöse Parolen" verwendet (Al-Masr Al-Yawm vom 30.5.2010). Anhänger der Bruderschaft demonstrierten deshalb an verschiedenen Orten des Landes gegen die offenkundigen Fälschungen und Manipulationen. Aber auch Vertreter der Oppositionsparteien bezeichnen die Wahlen als "Farce" und die Wahlbeobachtung durch die Wahlkommission als "Show" (Al-Masr Al-Yawm vom 4.6.2010).

 

Vielsagend ist schließlich auch die Wahlbeteiligung. Offizielle Quellen sprechen von 14, andere von 30 Prozent. In der regierungsnahen Zeitung Al-Ahram (vom 3.6.2010) werden lediglich drei Prozent genannt. In Oberägypten sprechen unabhängige Schätzungen von etwa fünf Prozent. Bei vielen Ägyptern ist der Schura-Rat unbeliebt, zum Teil aber auch völlig unbekannt (Al-Yawm Al-Sabea vom 15.6.210). Kritische Beobachter erklären das geringe Interesse aber nicht nur mit dem fehlenden politischen Gewicht der Schura. Im Gegensatz zu den Parlamentswahlen, so ist oft zu hören, würden die Kandidaten der Schura mit deutlich geringeren materiellen Anreizen beim Volk für ihre Stimme werben.

 

 

Sieg für den Vorsitzenden

Die (teilweise) neugewählte Schura wird am 24. Juni erstmals zusammentreten und ihren Vorsitzenden wählen. Es ist davon auszugehen, dass der seit 2004 amtierende Amtsinhaber, NDP-Generalsekretär Safwat El-Sherif, wiedergewählt wird. El-Sherif hatte dem Schura-Rat in den vergangenen Jahren eine gewisse politische Bedeutung verliehen, in dem er ihn zur medialen Inszenierung öffentlicher Debatten nutzte. Darüber hinaus spielt die Schura auch bei der Zulassung neuer Parteien eine erkennbare Rolle. Das jetzige Wahlergebnis kann deshalb als Erfolg für den einflussreichen El-Sherif gelten. Alle von ihm geförderten Kandidaten erhielten ihre Sitze, seine Position gilt weitgehend als unangefochten. El-Sherif gilt als Vertreter der "alten Garde". Das jetzige Wahlergebnis interpretieren Beobachter daher auch als Rückschlag für die Reformer und Wirtschaftseliten im Umfeld des Präsidentensohnes Gamal Mubarak. Die Schura-Wahl kann daher auch als Signal an diejenigen verstanden werden, die in Gamal Mubarak den sicheren Nachfolger seines Vaters im Präsidentenamt sehen.

 

 

Schlussfolgerungen

Der Schura-Rat mag politisch unbedeutsam sein, für das Machtkalkül der Regierung ist er es nicht. Schura-Mitglieder genießen zahlreiche Privilegien und verfügen über Zugänge zum weiteren Machtapparat. Für ein Regime, das in starkem Maße von Patronage abhängt, ist er deshalb ein wichtiges Instrument der Klientelbindung. Darüber hinaus messen ägyptische Beobachter dem Wahlausgang eine wichtige Signalfunktion für die folgenden Parlaments- und Präsidentschaftswahlen bei. Der allgemeine Tenor ist, dass jetzt erprobt werde, was später zur Regel werden solle. Die unabhängige Tageszeitung Al-Dustour bringt dies am 17. Juni mit einer Karikatur auf den Punkt. Sie zeigt eine Regieklappe mit der Aufschrift "Schura-Wahlen", der Regisseur ruft im Hintergrund "Wahlfälschung – die erste".

Die Hauptbotschaft der Schura-Wahlen geht aber an die Adresse der Muslimbruderschaft. Indem diese keinen einzigen ihrer Kandidaten in der Schura platzieren konnte, macht die Regierung deutlich, welche Rolle der verbotenen, aber bislang geduldeten Gruppierung im parlamentarischen Prozess in Zukunft eingeräumt werden soll: nämlich gar keine. Seit langem kursieren in Ägypten Gerüchte, nach denen der Erfolg der Muslimbrüder bei den Parlamentswahlen 2005 auf einem "Deal" mit der Regierung beruhte. "Mäßigung und Unterordnung gegen Teilhabe und Einbindung" soll die damalige Formel gewesen sein. Der frühere Anführer der Bruderschaft, Mohammed Akif, hatte diesen "Deal" in der ägyptischen Presse vor einigen Monaten sogar explizit bestätigt. Das Signal der jetzigen Wahlen ist damit klar: einen neuen "Deal" mit der Bruderschaft wird es nicht geben.

 

Die Muslimbrüder reagierten umgehend. Am 4. Juni traten sie mit dem möglichen Präsidentschaftskandidaten Mohammed El-Baradei an die Öffentlichkeit und verkündeten eine Allianz mit dessen säkularer Oppositionsbewegung. Gleichzeitig stellte El-Baradei klar, dass er die Schura-Wahl für eine Farce halte (BBC vom 5.6.2010). Kennern der politischen Szene in Ägypten ist klar, dass es sich hierbei nicht um eine Liebesheirat handelt. Tatsächlich beruht die neue Allianz seitens der Bruderschaft auf taktischem Kalkül. Den Verlust ihrer Präsenz im ägyptischen Parlament vor Augen wollen die Muslimbrüder die Regierung in einen neuen "Deal" drängen. Die Allianz mit El-Baradei soll den Druck erhöhen. Das Ergebnis wird sich spätestens bei den Parlamentswahlen im Herbst zeigen.

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