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Israelisch-palästinensische Verhandlungen: Die Stunde der Wahrheit rückt näher

kohta Michael Mertes, Evelyn Gaiser

Eine Momentaufnahme aus Israel zu Beginn des Jahres 2014

Voraussichtlich wird die Debatte über das Ob und das Wie einer Zwei-Staaten-Lösung in Israel 2014 die nach wie vor drängenden innenpolitischen Reformthemen in den Hintergrund rücken. Die zunehmende Nervosität der politischen Akteure äußert sich unter anderem in ungewohnt scharfer Kritik an den Vereinigten Staaten und zunehmender Furcht vor einer internationalen Boykottbewegung gegen Israel. Trotz erheblicher Opposition innerhalb seiner eigenen Regierung und innerhalb seiner eigenen Partei, des Likud, sitzt Ministerpräsident Netanjahu fest im Sattel.

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In nächster Zeit – ein genaues Datum steht nicht fest – wird US-Außenminister John Kerry Israelis und Palästinensern den Entwurf eines Rahmenabkommens auf dem Weg zum „final status agreement“ (d.h. zur abschließenden Regelung aller Streitfragen) vorlegen. Die von Kerry für eine solche Regelung ursprünglich gesetzte Frist von neun Monaten läuft Ende April 2014 ab.

Schon seit längerem steht fest, dass dieser Termin nicht einzuhalten ist. Das angekündigte Rahmenabkommen soll nunmehr einen Zwischenschritt ermöglichen. Die Frist für eine abschließende Regelung wird – Stand: Anfang Februar 2014 – auf Ende des Jahres verschoben. Kerry betont neuerdings, dass mit dem Rahmenabkommen nichts präjudiziert werden solle – es habe lediglich den Zweck, beide Seiten auf ein ernsthaftes „endgame“ zu verpflichten.

Die Debatte darüber, ob eine Zwei-Staaten-Lösung überhaupt wünschenswert ist und, wenn ja, wie weit Israel den Palästinensern entgegenkommen sollte, prägt gegenwärtig die israelische Innenpolitik und drängt die wirtschaftlich-soziale Reformagenda des Kabinetts Netanjahu III in den Hintergrund – wenn man einmal vom eskalierenden Streit über den Wehrdienst ultraorthodoxer Jeschiwa-Sudenten absieht.

Während sich bislang alle Beteiligten daran hielten, keine Details aus den Verhandlungen in die Öffentlichkeit dringen zu lassen, wird der Nachrichtenmarkt seit Anfang des Jahres immer häufiger mit (gezielten) Indiskretionen bedient. Gelegentlich dürfte es sich dabei um „Testballons“ handeln. Diesen Eindruck erweckte zum Beispiel Ende Januar das Aufsehen erregende Op-Ed des New York Times-Kommentators Thomas Friedman, in dem Details eines angeblichen „Kerry-Plans“ vorgestellt wurden.

Ein anderer Typ Indiskretion dient wohl vor allem dazu, die eigene Anhängerschaft zu beruhigen – wie zum Beispiel die (natürlich unbestätigte) Information aus dem Amt des Ministerpräsidenten, dass in einem „final status agreement“ dem Staat Israel rund 10% der Fläche des Westjordanlandes zugeschlagen werden müssten.

Drei Aspekte der innerisraelischen Debatte sollten in diesem Länderbericht kurz dargestellt werden:

1) Welche Auswirkungen hat der Streit über die Zwei-Staaten-Lösung und mögliche israelische Konzessionen auf den Zusammenhalt und die Überlebenschancen der gegenwärtigen Regierung?

2) Wie entwickelt sich das Bild der Vereinigten Staaten in der israelischen Öffentlichkeit?

3) Welche politischen Auswirkungen hat die zunehmende Sorge vor einem gegen Israel gerichteten internationalen Wirtschaftsboykott?

1. Konflikte im Kabinett Netanjahu III

Für das Prinzip einer Zwei-Staaten-Lösung ist in der 19. Knesset eine Mehrheit von mindestens 77 zu 43 Mandaten vorhanden. Die Zahl 77 folgt aus der Addition aller Mandate zentristischer, linker und arabischer sowie aller Mandate ultraorthodoxer Parteien. Entgegen einer verbreiteten Fehlwahrnehmung gibt es bei den Ultraorthodoxen – anders als bei den Nationalreligiösen – keine prinzipiellen Einwände gegen einen Palästinenserstaat.

Im Likud gibt es wenigstens einen Politiker, der sich öffentlich auf das Prinzip einer Zwei-Staaten-Lösung festgelegt hat: Ministerpräsident Netanjahu selbst. Diese Festlegung erfolgte 2009 in einer für den Likud bahnbrechenden Rede an der Bar-Ilan-Universität („Bar-Ilan I“). Seit den Knessetwahlen 2013 hat der rechte, siedlerfreundliche Flügel des Likud erheblich an Einfluss gewonnen. Im Verhältnis zu dieser Strömung nimmt Netanjahu innerhalb seiner eigenen Partei eine moderat linke Position ein. Einige seiner Parteifreunde behaupten unterdessen, Netanjahu glaube in Wahrheit nicht daran, dass es in naher Zukunft eine Vereinbarung mit den Palästinensern geben werde.

In einer zweiten, ebenfalls an der Bar-Ilan-Universität gehaltenen Rede („Bar-Ilan II“) wiederholte Netanjahu im Oktober 2013 zwar sein Ja zur Zwei-Staaten-Lösung, formulierte es allerdings sehr viel zurückhaltender als 2009. Kommentatoren stellten fest, in „Bar-Ilan II“ habe Netanjahu als eigentliche Ursache des Konflikts herausgestellt, die Palästinenser seien dagegen, dass Juden in Israel leben; die regierungskritische Haaretz meinte sogar, „Bar-Ilan II“ laufe auf einen Widerruf von „Bar-Ilan I“ hinaus.

Im Fokus: Die Anerkennung Israels als Jüdischer Staat

Es trifft jedenfalls zu, dass Netanjahu seit „Bar-Ilan II“ eine israelische Bedingung ganz besonders herausstellt: Die palästinensische Seite müsse Israel explizit als jüdischen Staat anerkennen. Erstmals wurde diese Forderung im Jahr 2000 von Tzipi Livni in die Debatte geworfen – und 2007 zum Verhandlungsgegenstand in Annapolis gemacht. Eine Mehrheit 77% der jüdischen Israelis befürwortet heute – laut einer Umfrage des Israel Democracy Institute – eine solche Anerkennung.

Der grand old man der israelischen Politikwissenschaft, Shlomo Avineri, wies jüngst in einem ausgewogen argumentierenden Op-Ed für Haaretz darauf hin, Netanjahus Forderung greife die israelische Urangst auf, dass die Palästinenser sich niemals wirklich mit der Gründung des Staates Israel 1948 abgefunden hätten. Zwar sei die völkerrechtliche Anerkennung Israels als jüdischer Staat nicht notwendig, aber die palästinensische Seite müsse durch öffentliche Erklärungen ihrer Repräsentanten klar zu verstehen geben, dass sie Israel als jüdischen Nationalstaat wirklich akzeptiert; dies habe zum Beispiel der ägyptische Präsident Anwar as-Sadat in seiner historischen Rede vor der Knesset 1977 getan.

Von palästinensischer Seite wird der Forderung nach völkerrechtlicher Anerkennung Israels als jüdischer Staat vehement widersprochen. Dies könne, so wird unter anderem befürchtet, als Legitimation zur Diskriminierung der arabisch/palästinensischen Israelis (rund 20% der Bevölkerung Israels) missbraucht werden. Aus Kreisen der US-Regierung wurde dementiert, dass Kerry die Staaten der Arabischen Liga dränge, auf diese Forderung Netanjahus einzugehen.

Während sich nationalistische Likud-Vertreter wie Danny Danon mit ablehnenden Äußerungen über die Zwei-Staaten-Lösung derzeit zurückhalten, lässt der nationalreligiöse Koalitionspartner HaBajit HaJehudi (Das jüdische Zuhause) unter Führung von Wirtschafts- und Religionsminister Naftali Bennett keinen Zweifel daran, dass er dieses Ziel für falsch hält und zur Not bereit ist, die Regierung zu verlassen.

Bennett vertritt die Auffassung, Israel solle die Zone C, die rund 60% des Westjordanlandes ausmacht und in der rund 340.000 israelische Siedler leben, annektieren und den dort ansässigen rund 90.000 Palästinensern (so Bennetts eigene Schätzung) die Staatsbürgerschaft anbieten. Kürzlich ließ sich Bennett auf einen öffentlichen Schlagabtausch mit Netanjahu ein. Dieser hatte zu erkennen gegeben, dass er sich jüdische Siedlungen auf künftigem palästinensischen Hoheitsgebiet durchaus vorstellen könnte. Durch eine allgemein als halbherzig bewertete Entschuldigung („Ich wollte den Ministerpräsidenten nicht beleidigen“) konnte Bennett seinen Hinauswurf aus dem Kabinett und damit die erste große Krise des Kabinetts Netanjahu III in letzter Minute abwenden.

Netanjahus zentristische Koalitionspartner

Für eine Zwei-Staaten-Lösung sprechen sich die beiden zentristischen Koalitionspartner aus: Die kleinere HaTnua unterstützt vorbehaltlos ihre Vorsitzende Tzipi Livni, zu deren Portfolio neben dem Justizministerium die Führung der Verhandlungen mit den Palästinensern gehört.

Jesch Atid, der zweitgrößte Koalitionspartner nach dem Likud, vertritt diese Position ebenfalls. Allerdings hielt sich der Jesch-Atid-Gründer und -Vorsitzende Jair Lapid mit öffentlichen Äußerungen zu diesem Thema anfänglich zurück – vermutlich, um Naftali Bennett, seinen Hauptverbündeten im Hinblick auf innenpolitische Reformen, nicht unnötig zu verärgern. Inzwischen lässt er keinen Zweifel an seinem Ja zur Zwei-Staaten-Lösung aufkommen. Netanjahus Forderung nach völkerrechtlicher Anerkennung Israels als jüdischer Staat unterstützt er nicht.

Eines ist klar: Sollte es jemals dazu kommen, dass Israel sich zum Rückzug aus dem allergrößten Teil des Westjordanlandes verpflichtet, sind erhebliche innenpolitische Kontroversen zu erwarten. Wie viele Siedler betroffen wären, läst sich nicht mit Bestimmtheit sagen. Die Zahl von 80.000, die der frühere Ministerpräsident Ehud Olmert nennt, scheint realistisch zu sein.

2. Kritik an den Vereinten Staaten

Symptomatisch für die zunehmend gereizte Stimmung in Israels politischer Klasse ist auch die außergewöhnlich offene Kritik von der rechten Seite des politischen Spektrums an der amerikanischen Außenpolitik im Allgemeinen und US-Außenminister Kerry im Besonderen.

Besonderes Aufsehen erregten die scharfen persönlichen, durch Indiskretion öffentlich gewordenen Angriffe von Verteidigungsminister Moshe „Bogie“ Ja’alon auf Kerry. Der nationalreligiöse Knessetabgeordnete Motti Jogev glaubte gar, bei Kerry „antisemitische Untertöne“ gehört zu haben – wofür er sich später mit der Bemerkung, das sei nicht persönlich gemeint gewesen, lauwarm entschuldigte.

Erheblichen Ärger bei vielen israelischen Politikern löste Kerrys Warnung am 1. Februar auf der Münchner Sicherheitskonferenz aus, ein Scheitern der Verhandlungen könne internationale Tendenzen zum Wirtschaftsboykott gegen Israel verstärken. Ministerpräsident Netanjahu persönlich verwahrte sich gegen diesen Hinweis.

Eine Umfrage des Geocartography Institute für die Wochenendausgabe der Jerusalem Post vom 7./8. Februar ergab, dass israelische Juden die Verlässlichkeit US-amerikanischer Sicherheitsgarantien zurzeit sehr skeptisch beurteilen: Israel könne, so glauben 70% der Befragten, nicht uneingeschränkt darauf bauen, dass die Vereinigten Staaten israelischen Interessen und Sicherheitsbedürfnissen Genüge tun werden.

Zu der teilweise harschen Kritik israelischer Politiker aus nationalkonservativen, nationalistischen und nationalreligiösen Kreisen an US-Außenminister Kerry erklärten 67% der Befragten, das entspreche auch ihrer Meinung; nur 32% widersprachen.

3. Israelische Sorgen vor der Boykottbewegung

Die Befunde der Geocartography-Umfrage bestätigen den durch die öffentlichen Diskurse der vergangenen Wochen vermittelten Eindruck, dass in Israel die Sorge vor einer internationalen Boykottbewegung zunimmt. Zwei Drittel der jüdischen Israels – 67% – teilen Kerrys Befürchtung, und nur 17% äußern sich völlig unbeeindruckt. In einer dramatischen Rede warnte Finanzminister Jair Lapid kürzlich vor einer (durch Sanktionen ausgelösten) Wirtschaftskrise, sollten die israelisch-palästinensischen Verhandlungen scheitern.

Kerrys Warnungen vor dem Risiko eines internationalen Wirtschaftsboykotts trafen also einen Nerv. Allerdings mag bezweifelt werden, ob die bislang bekannt gewordenen „Boykott“-Fälle (es handelt sich dabei vor allem um „Divestment“-Fälle, also um die Rücknahme von Beteiligungen an israelischen Unternehmen) es rechtfertigen, das dramatische Bild eines nahenden Boykott-Tsunamis zu beschwören.

Schmerzlich ist aus israelischer Sicht, dass auch eng befreundete europäische Regierungen inzwischen die Fortsetzung ihrer wissenschaftlich-technologischen Zusammenarbeit mit Israel von einer „Territorialklausel“ abhängig machen, mit der sichergestellt werden soll, dass israelische Einrichtungen im Westjordanland oder in Ost-Jerusalem keine Zuwendungen aus den vom Partnerland zur Verfügung gestellten Mitteln erhalten. Besonderes Aufsehen erregte in diesem Zusammenhang ein Haaretz-Bericht im Januar über entsprechende Pläne der Regierung Merkel.

Mit einem international bekannten Gesicht verband sich diese Debatte, als die Schauspielerin Scarlett „ScarJo“ Johansson wegen eines Werbespots für das im Westjordanland (Mischor Adumim) produzierende israelische Unternehmen SodaStream in die Kritik geriet. Es wurde „ScarJo“ in Israel hoch angerechnet, dass sie sich nicht von SodaStream distanzierte, sondern sich von der NGO Oxfam trennte, die ihr Engagement für SodaStream missbilligt hatte.

Insgesamt wird in der israelischen Debatte nicht genügend differenziert zwischen der internationalen Boykottbewegung „BDS - Boycott, Divestment and Sanctions“ auf der einen Seite und Staaten und Staatenverbünden wie der EU auf der anderen. Während Staaten und Staatenverbünde sich um eine völkerrechtskonforme Förderpraxis bemühen, stehen Teile der BDS-Bewegung im Verdacht, letztlich das Existenzrecht Israels selbst in Frage zu stellen.

Fazit und Ausblick

  • Es steht zu erwarten, dass die israelisch-palästinensischen Friedensverhandlungen bis zum Jahresende 2014 innenpolitische Reformthemen in den Hintergrund drängen werden.
  • Ministerpräsident Netanjahu hat sich mit der – von palästinensischer Seite vehement zurückgewiesenen – Forderung nach Anerkennung Israels als jüdischer Staat in einer Weise öffentlich festgelegt, dass derzeit nicht zu erkennen ist, wie ein für beide Seiten gesichtswahrender Kompromiss in dieser Frage aussehen könnte.
  • Meinungsumfragen zeigen, dass die Debatte über die israelisch-palästinensischen Verhandlungen sich zurzeit eher günstig auf die Wahlaussichten der nationalkonservativ-nationalistischen (Likud Beitenu) und nationalreligiösen (HaBajit HaJehudi) Koalitionspartner auswirkt, während die beiden zentristischen Koalitionspartner (Jesch Atid und HaTnua) zurzeit leichte Einbußen hinnehmen müssen. Allerdings würde eine Neuwahl der Knesset an der klaren parlamentarischen Mehrheit für eine Zwei-Staaten-Lösung nichts ändern.
  • Trotz massiver Opposition innerhalb des Likud gegen eine Zwei-Staaten-Lösung sitzt Ministerpräsident Netanjahu fest im Sattel. Es gibt keinen innerparteilichen Rivalen, der ihm auch nur annähernd ebenbürtig wäre. Entgegen mancher Spekulation ist auch nicht zu erwarten, dass Netanjahu im äußersten Fall bereit wäre, zusammen mit Anhängern den Likud zu verlassen und eine neue politische Formation (wie 2005 Ariel Sharon die Kadima) zu gründen.
Den gesamten Text inklusive Fußnoten lesen Sie im pdf (oben).

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