Doppelstrukturen im Gesundheitswesen
Die gesetzliche Unfallversicherung mit den Berufsgenossenschaften und Unfallkassen soll abgeschafft werden, weil hierdurch teure Doppelstrukturen aufrechterhalten werden. Bei Wege- und Arbeitsunfällen kann die verpflichtende Krankenversicherung entstehende Behandlungskosten heute schon ohne Mehraufwand ebenso gut abdecken. Daher ist hier keine weitere Versicherung nötig. Auch die Prävention und Versicherung von Berufskrankheiten ließe sich bei den Krankenversicherungen ansiedeln, da Kompetenzen in Gesundheits- und Behandlungsfragen sowie Kontakte zu Gesundheitsdienstleistern dort bereits vorhanden sind. Zusätzliche Kapazitäten in diesem Bereich ließen sich über die bisher bei den Berufsgenossenschaften hierfür zuständigen Personen leicht bereitstellen. Die tatsächlich notwendige Überwachung von angemessenen Maßnahmen im Bereich der Unfallverhütung sollte von der Gewerbeaufsicht übernommen werden. Die Leistungen der bisherigen Unfallversicherung könnten so deutlich effizienter erbracht werden, ohne dass es nötig wäre, neue Strukturen aufzubauen.
Das Einsparpotenzial ist dagegen hoch. Bisher zahlen Unternehmen durchschnittlich 1,3 Prozent des Bruttogehaltes jedes Arbeitnehmers an die Berufsgenossenschaften. Dazu kommen Steuerzuschüsse von etwa 1,8 Mrd. Euro pro Jahr für die staatlichen Unfallkassen. Die Gesamtausgaben im System der Unfallversicherungen lagen nach Angaben aus dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales 2022 bei 16,7 Mrd. Euro.1 Hierbei stehen etwa 1,7 Mrd. Euro für Verwaltungskosten und weitere drei Mrd. Euro für Vermögensaufwendungen und sonstige Ausgaben.
Mit der Abschaffung der – besonders bei den staatlichen Unfallkassen sehr kleinteiligen Strukturen – würden ein beträchtlicher Teil der Verwaltungskosten eingespart. Mit der Bearbeitung von Berufskrankheiten müsste der finanziell aufwändigste Teilbereich allerdings an die gesetzlichen oder privaten Krankenkassen übergehen, deren Beitragssatz dann leicht steigen müsste. Andere Bereiche, wie die sehr kleinteilige Aufnahme und Bearbeitung von Arbeits- und Wegeunfällen fielen aber weg. Daneben sinken die Kosten für die Leistungserbringung. Denn die Berufsgenossenschaften erbringen heute deutlich höhere Leistungen als die Krankenkassen. Dabei ist es schwer vermittelbar, warum eine geschädigte Person bessere Leistungen bezieht, wenn sie sich diesen Schaden im Umfeld der Arbeit zuzieht und nicht z. B. zu Hause. Ein nennenswerter Teil der Gesamtausgaben im System der Unfallversicherungen – zumindest ein mittlerer einstelliger Milliardenbetrag – könnte mit einer Abschaffung der Unfallversicherung also eingespart werden.
Wichtiger als die monetären Effekte mag für viele Unternehmen aber die wegfallende Bürokratie rund um die Mitgliedschaft in den Berufsgenossenschaften sein. Gerade für kleine Unternehmen ist dies überproportional aufwändig. Auch für verunfallte Personen ist es eine Erleichterung, nicht erst überlegen zu müssen, ob man direkt zum nächsten Arzt gehen kann oder erst einen Durchgangsarzt mit der richtigen Zulassung aufsuchen muss.
Haftung bei Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten
Knackpunkt der Reform wäre die Klärung der Haftungsfragen für Unternehmen bei Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten. Hier müsste der Gesetzgeber zuerst Haftungsfälle gesetzlich klar definieren, so dass nur bei eindeutiger Fahrlässigkeit des Arbeitgebers eine zivilrechtliche Haftung eintritt, die einen Schadenersatzanspruch nach sich zieht. Behandlungskosten - auch für langfristige Fälle – trüge aber in jedem Fall die dafür zuständige Krankenversicherung. Da der Arbeitgeber ohnehin die Hälfte ihres Beitrags bezahlt, wäre es unsinnig zu behaupten, es wäre unsozial, von Arbeitgebern verursachte Krankheiten von der allgemeinen Krankenversicherung tragen zu lassen.
Wenn dieses Haftungsrisiko abgedeckt ist, würde sich die über die Unternehmenshaftpflicht zu versichernde Schadenssumme im Vergleich zur heutigen Haftpflicht nicht deutlich verändern. Denn Schadenersatz bei Fahrlässigkeit muss sie heute auch schon abdecken.
Schließlich sind die Berufsgenossenschaften und Unfallkassen für Maßnahmen im Bereich der Gesundheitsvorsorge und Unfallverhütung zuständig. Eine Abschaffung dieses Systems kann daher nur gelingen, wenn die vielen Sicherungs-, Überwachungs-, Belehrungs- und Hinweispflichten, die heute oft zu absurden Scheinfortbildungen in Unternehmen führen, auf das nach gesundem Menschenverstand notwendige Maß reduziert werden. Ein grundsätzliches Verantwortungsbewusstsein sollte man Unternehmen und deren Mitarbeitern dabei zutrauen. Die nach einer Reform übrigbleibenden verpflichtenden Präventions- und Sicherheitsmaßnahmen sollten von der ohnehin existierenden Gewerbeaufsicht überwacht werden. Damit wäre auch in diesem Bereich eine Doppelstruktur abgeschafft.
Die hier skizzierte Reform sollte nicht für sich allein stehen. Sie muss sich in einen Gesamtansatz der Staatsmodernisierung einpassen, der durch die Reform mehrerer Instrumente zu einer effektiveren, transparenteren und effizienteren Erbringung staatlicher Leistungen führt.
1 https://www.bmas.de/DE/Service/Statistiken-Open-Data/Statistiken-der-gesetzlichen-Unfallversicherung/berichtsjahr-2022.html. Neuere Daten nicht verfügbar