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Interviews

ChatGPT aus Sicht des EU-Parlamentes

Die Veröffentlichung von ChatGPT Ende 2022 war ein echter Wendepunkt

Eine Umfrage kurz nach Erscheinen von ChatGPT zeigte, dass die Bevölkerung sich von der Politik Regeln für den Einsatz von KI wünscht. Mit Künstlicher Intelligenz werden Risiken für die Demokratie in Form von Desinformation, aber auch Übervorteilung auf Märkten aufgrund unzureichender Kennzeichnung verbunden. Auch bestehen Ängste im Hinblick auf eine mögliche Zunahme von Diskriminierung. Viele EU-Parlamentarierinnen und -Parlamentarier diese Risiken ebenfalls erkannt und deshalb den EU-AI-Act vorangetrieben. Diesen Prozess und den Einfluss der Entwicklungen rund um ChatGPT auf das Europäische Parlament legt Zenner im Interview dar.

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Seit wann beschäftigt Sie das Thema KI?

Vor genau acht Jahren bin ich zu Axel Voss gewechselt. Er war bereits seit Beginn seiner politischen Laufbahn 2009 tief in die europäische Digitalpolitik eingebunden, übernahm aber 2018 für die Fraktion der Europäischen Volkspartei im Europäischen Parlament federführend die Zuständigkeit für das Thema Künstliche Intelligenz. Wir fanden das Thema von Anfang an gleichermaßen juristisch, technologisch und politisch spannend – gerade weil es so viele Grundsatzfragen aufwirft: von der Haftung bis zur Wahrung der Grundrechte, von Innovationsförderung bis zur globalen Regulierungskonkurrenz.
In diesem Jahr veröffentlichte die Europäische Kommission auch ihre erste Mitteilung „Künstliche Intelligenz für Europa“. Es folgten 2020 das Weißbuch zur Künstlichen Intelligenz, 2021 die ersten Gesetzgebungsarbeiten und 2022 schließlich der Vorschlag für die Verordnung über Künstliche Intelligenz der Europäischen Union.
Seitdem hat uns das Thema in nahezu allen Facetten begleitet – strategisch, rechtlich, ethisch und geopolitisch.

 

Welchen Einfluss hat ChatGPT dann auf Brüssel gehabt?

Die französische Ratspräsidentschaft hat das Thema 2022 stark vorangetrieben und vorgeschlagen, auch KI-Systeme mit allgemeinem Verwendungszweck – also sogenannte General Purpose AI – zu regulieren. Bis dahin war das Verständnis für diese KI-Nische im Europäischen Parlament parteiübergreifend noch recht begrenzt. Die Veröffentlichung von ChatGPT Ende 2022 war dann ein echter Wendepunkt: Plötzlich trat das Thema aus der technokratischen Nische heraus und wurde zur Priorität auf höchster politischer Ebene. In der öffentlichen Wahrnehmung überholte Künstliche Intelligenz sogar Digitalgesetze wie den Digital-Services-Act oder den Digital-Markets-Act, die zu diesem Zeitpunkt bereits verabschiedet waren. Ich würde sogar sagen, dass der AI-Act das bekannteste Gesetzesvorhaben wurde, das Brüssel in dieser Legislatur verhandelt hat. Der Druck auf Politikerinnen und Politiker, sich substanziell mit Künstlicher Intelligenz auseinanderzusetzen, stieg dadurch natürlich enorm.

 

Welche Handlungsbedarfe haben Sie damals bei KI gesehen?

Zu Beginn gab es grob gesagt zwei Lager: Die einen warnten vor einer unmittelbar bevorstehenden Allgemeinen Künstlichen Intelligenz – also einer Superintelligenz, während die anderen davon ausgingen, dass diese nie Realität werden würde. Stattdessen sollte man sich auf aktuelle Risiken wie Desinformation, Deepfakes und versteckte Diskriminierung durch algorithmische Systeme konzentrieren. Entsprechend weit gingen auch die politischen Vorschläge auseinander.

Axel Voss, aber auch seine Kolleginnen und Kollegen von der Christlich Demokratischen Union im Deutschen Bundestag standen von Anfang an für einen pragmatischen Kurs, der die Gefahren durch Deepfakes und Fake News zwar nicht bestritt, gleichzeitig aber versuchte, für Europa eine langfristige Wertschöpfung beim Thema Künstliche Intelligenz abzusichern. Wissenschaftliche Studien zeigten nämlich schon damals, dass sich gewisse Fehlentwicklungen des Plattformzeitalters – etwa einseitige Marktkonzentration oder fehlende Transparenz in den Lieferketten – im Bereich Künstlicher Intelligenz wiederholen könnten.

Axel Voss und mein Ziel war deshalb, die gesamte Wertschöpfungskette in den Blick zu nehmen: Nicht nur die Anbieter am Ende (downstream), sondern auch die Entwicklerinnen und Entwickler sowie Anbieter von Basismodellen am Anfang (upstream) sollten regulatorisch adressiert werden. So sollten die großen Anbieter verpflichtet werden, die Informationen bereitzustellen, die nachgelagerte Akteure benötigen, um ihre rechtlichen Pflichten zu erfüllen. Am Ende konnten sich die politischen Parteien im Europäischen Parlament bei diesem, aber auch vielen anderen Themen der Verordnung über Künstliche Intelligenz, auf gemeinsame Linien verständigen – weil wir trotz unterschiedlicher Schwerpunkte ein hohes Maß an gegenseitigem Verständnis entwickelt haben.

 

Wie sah dann die Zusammenarbeit mit den anderen EU-Institutionen aus?

Die Europäische Kommission war anfangs eher zurückhaltend, was die Regulierung von ChatGPT und vergleichbaren Modellen anging. Erst durch das Engagement des französischen Binnenmarktkommissars Thierry Breton kam Bewegung in die Debatte. Im Rat war die Lage hingegen deutlich gespaltener: Einige Mitgliedstaaten, darunter Deutschland, teilten unsere Auffassung, dass die gesamte KI-Wertschöpfungskette in den Blick genommen werden muss – inklusive der Anbieter von Basismodellen. Andere Staaten äußerten dagegen erhebliche Bedenken, insbesondere wegen der unklaren Datenlage und möglicher Wettbewerbsnachteile für europäische KI-Startups wie Aleph Alpha oder Mistral. Dort wollte man vermeiden, die aufkommenden „European Champions“ durch überzogene Regulierung frühzeitig auszubremsen.

Letztlich einigte man sich aber vergleichsweise schnell – nicht zuletzt, weil der politische Wille bestand, das Gesetzespaket noch vor der Europawahl 2024 abzuschließen. So entstand innerhalb weniger Monate das weltweit erste Gesetz, das sich explizit auch auf sogenannte Foundation Models bezieht – ein regulatorischer Meilenstein mit globaler Signalwirkung.

Unser Ziel ist es, einen eigenständigen europäischen Weg in der KI-Entwicklung zu etablieren: einen dritten Weg zwischen den Vereinigten Staaten und China.
Europa kann seine Stärken ausspielen, indem es auf „vertrauenswürdige KI-Technologien“ setzt. Diese Systeme sind vielleicht nicht immer die schnellsten auf dem Markt, aber sie stehen für Qualität, Transparenz und Rechtskonformität.
Man kann sich darauf verlassen, dass sie sparsam mit Energie umgehen, die Privatsphäre respektieren, Urheberrechte achten und nicht auf intransparente Datenmengen aus fragwürdigen Quellen zurückgreifen. So entsteht ein Angebot, das weltweit als echte Alternative wahrgenommen wird – und zwar nicht durch KI-Regulierung allein, sondern durch gezielte Innovationsförderung entlang europäischer Werte.

 

Wie geht es weiter?

Mein Eindruck ist, dass in der aktuellen politischen Lage – und vor dem Hintergrund des Draghi-Berichts – zunächst keine zusätzlichen regulativen Aktivitäten zu erwarten sind.
Das ist auch gut so: Die Europäische Union sollte sich stattdessen darauf konzentrieren, bestehende Regeln zu vereinfachen, aber dann auch effektiv durchzusetzen. Ziel sollte es sein, mit möglichst geringem Bürokratieaufwand – also vor allem durch ein System von Standards, Designprinzipien und Best Practices – verantwortungsvolle, nachhaltige und rechtskonforme KI „made in Europe” zu fördern – und damit weltweit Vertrauen und Interesse zu kreieren. Gleichzeitig könnte dieses Vorgehen auch international zur Anwendung kommen – insbesondere in Ländern, die weniger regulatorische Kapazitäten haben, aber nach vertrauenswürdigen Lösungen suchen. Europas Weg wäre dann nicht nur ein Schutzkonzept, sondern ein Exportmodell für verantwortungsvolle Innovation.

 

Kai Zenner ist Politik- und Rechtswissenschaftler mit Abschlüssen aus Bremen, Freiburg, Münster, und Edinburgh. Er begann seine berufliche Laufbahn bei der Konrad-Adenauer-Stiftung in Brüssel und arbeitet seit 2017 im Europäischen Parlament als Büroleiter und digitalpolitischer Berater für MdEP Axel Voss. Zenner ist Mitglied mehrerer internationaler Expertengremien, darunter der OECD, dem Weltwirtschaftsforum und einer UN-Expertengruppe zu KI.

 

 

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Contatto Leonie Mader
Leonie_Mader
Referentin für Künstliche Intelligenz
Leonie.Mader@kas.de +49 30 26996-3319

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