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Todor Bozhinov / Wikimedia Commons / CC BY-SA 3.0

Reportage sui paesi

Bulgarien vor Parlaments- und Präsidentschaftswahl

di Thorsten Geißler
In Bulgarien finden am 14. November sowohl eine Parlaments- als auch die Präsidentschaftswahl statt. Während die Präsidentschaftswahl turnusgemäß fünf Jahre nach der Wahl von Rumen Radew zum Staatspräsidenten erfolgt, ist die Parlamentswahl bereits die dritte in diesem Jahr, nachdem es weder nach der Wahl am 4. April noch am 11. Juli zu einer Regierungsbildung gekommen war.

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Beide Wahlkämpfe finden vor dem Hintergrund der Coronakrise statt, Bulgarien hat innerhalb der EU die geringste Impfquote, eine extrem hohe Morbidität und die höchste Mortalität, trotzdem sind Beschränkungen des öffentlichen Lebens in weiten Teilen der Bevölkerung weiterhin höchst unpopulär. Die Interimsregierung hat daher erst Ende Oktober den Zugang zu Einkaufszentren und gastronomischen Einrichtungen beschränkt und von der Vorlage eines „grünen Zertifikats“ abhängig gemacht, das allerdings bereits unmittelbar nach einer ersten Impfung ausgestellt wird, es reichen auch ein PCR-Test (72 Stunden gültig), ein Schnelltest (48 Stunden gültig) und seit dieser Woche ein Antikörpertest.

Traditionelle Parteibindungen werden bei der Stimmabgabe eine Rolle spielen, viele Wählerinnen und Wähler setzen weiterhin auf Parteien, die sie bisher gewählt haben und die für sie „Sicherheit“ und „Stabilität“ verkörpern, daneben gibt es aber auch viele Bulgarinnen und Bulgarinnen, die mit den gegenwärtigen Verhältnissen unzufrieden sind und auf neue Formationen setzten, die mit Themen wie „Korruptionsbekämpfung“ und „Justizreform“ werben. Ein wichtiger und oft ausschlaggebender Faktor ist auch die Popularität der jeweiligen Spitzenkandidaten, ein ausgeprägter „Themenwahlkampf“ hat hingegen nicht stattgefunden.

Stärkste Partei bei der Parlamentswahl dürfte GERB (Bürger für eine europäische Entwicklung Bulgariens, EVP-Mitglied) unter Führung von Ex-Ministerpräsident Bojko Borissow werden, die Partei tritt erneut in einem Bündnis mit der SDS (Union Demokratischer Kräfte, EVP-Mitglied), dem ein Stimmenanteil von ca. 24 % vorausgesagt wird. Damit hätte GERB sich erfolgreich konsolidiert, nachdem sie im April zwar mit 25,7 % noch stärkste Kraft geworden war, aber gegenüber der Wahl 2017 ganze 7 % verloren hatte. Bei der Wahl im Juni war sie mit 23,5 % sogar nur zweitstärkste Partei geworden. GERB hatte das Land unter Führung von Bojko Borissow Jahre regiert, verwies auf gute makroökonomische Daten, stetiges hohes Wirtschaftswachstum, niedrige Arbeitslosenzahl, geringe Inflation und Staatsverschuldung, Bulgarien war in den Warteraum zur EURO-Zone aufgenommen worden, es wurde auf eine Modernisierung der Infrastruktur und außenpolitische Stabilität gesetzt. Aber im Sommer 2020 war es zu landesweiten Demonstrationen gekommen, GERB wurde der Korruption und des Machtmissbrauchs bezichtigt. Nachdem die Parlamentswahl im April zu keiner Regierungsbildung geführt hatte, erhob die vom Staatspräsidenten eingesetzte Interimsregierung ständig und bis zuletzt weiterhin Vorwürfe gegenüber der Vorgängerregierung, der sie u.a. vorwarf, bei der Vergabe zahlreicher öffentlicher Aufträge massiv gegen das Vergaberecht verstoßen zu haben. GERB ist noch immer weit entfernt von seiner früheren Stärke, die Vorwürfe haben bei vielen Bulgarinnen und Bulgaren Wirkung gezeigt, andererseits zeigt das prognostizierte Ergebnis, dass die Partei ein konstant starker Bestandteil des bulgarischen Parteiensystems ist und dass sich viele Menschen nach der Stabilität der Ära Borissow zurücksehnen.

Welche Partei diesmal zweitstärkste Kraft im Parlament wird, ist völlig offen. Aussicht darauf hat die Bulgarische Sozialistische Partei (BSP), der zwischen 15 und 17 % der Stimmenvorausgesagt werden. Die BSP hatte im April mit 14, 8 % (- 12,4 % gegenüber 2017 !) eine schwere Wahlniederlage erlitten und im Juli mit 13,4 % ihr historisch schlechtestes Ergebnis verzeichnet. Die BSP ist keine sozialdemokratische Partei im mitteleuropäischen Sinn, sondern erhebt zwar sozialpolitische Forderungen, vertritt aber im Übrigen eine nationalpopulistische und sozialkonservative Agenda. Damit kann sie im ländlichen Raum bei Wählern mit eher niedrigem Bildungsabschluss punkten.

Aber auch eine neue politische Partei, die unter der Bezeichnung „Wir setzen den Wandel fort“ (PP) antritt, hat Chancen darauf, zweitstärkste Kraft im Parlament zu werden. Sie wird von zwei ehemaligen Ministern der Übergangsregierung geführt, dem ehemaligen Wirtschaftsminister Kiril Petkow und dem ehemaligen Finanzminister Assen Wassilew, die im September zurücktraten, um mit ihrem neuen politischen Projekt in den Wahlkampf einzutreten. Der neuen Partei wird ein ähnliches Ergebnis vorausgesagt wie der BSP. Petkow und Wassilew sind Harvard-Absolventen und haben ein Team mit ähnlich hohen Bildungsabschlüssen um sich geschart. Beide werben damit, Korruption aufzudecken und entschlossen zu bekämpfen, auch wollen sie die Justiz reformieren und den Generalstaatsanwalt austauschen.

Die Partei wird gewählt von Bulgarinnen und Bulgaren, die sich nach einem Wandel sehnen, nach einer Reformkraft, die ihre Hoffnungen nicht enttäuscht. Es schadet der Partei offenbar auch nicht, dass Petkow bei seiner Ernennung zum Interimsminister verschwiegen hatte, dass er zum damaligen Zeitpunkt neben der bulgarischen auch die kanadische Staatsangehörigkeit besaß, das bulgarische Verfassungsgericht urteilte Ende Oktober, seine Ernennung zum Interimsminister sei unwirksam gewesen.

Erhebliche Verluste dürfte diesmal die populistische Partei des Sängers und TV-Moderators Slawi Trifonow verzeichnen, auf die viele Bulgarinnen und Bulgarinnen noch im April ihre Hoffnungen gesetzt hatten. Im April hatte die neue Kraft, die unter der Bezeichnung „Es gibt so ein Volk“ (ITN) antritt, aus dem Stand 17,4 % der Stimmen erzielt, und obwohl sich Trifonow nach der Wahl vierzehn Tage in Schweigen hüllte und auch keinen Versuch einer Regierungsbildung unternahm, legte seine Partei im Juli noch einmal zu und kam auf 24.1 %. Damit war ITN stärkste Kraft und erhielt den Auftrag zur Regierungsbildung. Aber anstatt in Verhandlungen mit anderen Parteien einzutreten, stellte Trifonow ein komplettes Kabinett mit der Aufforderung an die anderen politischen Kräfte vor, dieses zu unterstützen. Natürlich war keine der anderen Parteien bereit, Trifonow einen „Blankoscheck“ auszustellen, und er hat mit seinem antisystemischen Verhalten offenbar auch viele Bulgarinnen und Bulgaren vor den Kopf gestoßen.

Als stabile Kraft wird sich bei der bevorstehenden Wahl wohl auch das Bündnis „Demokratisches Bulgarien“ (DB) erweisen, das aus der Partei des ehemaligen Justizministers Hristo Iwanow „Ja, Bulgarien“, den „Demokraten für ein Starkes Bulgarien“ (DSB, EVP-Mitgliedspartei) und den bulgarischen Grünen besteht. Bei der Wahl im April hatte die Allianz 9,3 % der Stimmen erzielt und war im Juli auf 12,6 % geklettert, jetzt dürfte sie ca. 10 % der Stimmen erzielen. Die leichten Verluste erklären sich durch eine voraussichtliche Abwanderung zu „Wir setzen den Wandel fort“, das auf eine ähnliche Programmatik und ebenfalls auf eher urbane Wähler mit hohem Bildungsabschluss setzt. Das „Demokratische Bulgarien“ ist unter den neuen politischen Formationen die älteste und setzt unverändert auf Themen wie Korruptionsbekämpfung und Justizreform.

Die inoffizielle Partei der türkischen Minderheit DPS (Bewegung für Rechte und Freiheiten, „Renew“-Mitglied“) kann sich auf ihre traditionelle Wählerbasis verlassen, bei der Wahl im April erzielte sie 10,3 %, im Juli 10,7 %, jetzt werden ihr 9,5 bis 11,1 % vorausgesagt. Bemerkenswert ist, dass bei dieser Wahl für diese Partei der ehemalige Abgeordnete Delian Pejewski erneut kandidiert, ein umstrittener Unternehmer, der sein Medienimperium eigenen Angaben zufolge verkauft hat, er war im April und Juli nicht angetreten, von den USA wurde er mit einem Einreiseverbot belegt.

Fraglich ist, ob das Protestbündnis „Steh auf! Fratzen raus“ diesmal den Sprung über die 4 % Hürde schafft. Die Allianz, der auch die EVP-Mitgliedspartei „Bulgarien der Bürger“ (DBG) angehört, wird von der ehemaligen Ombudsfrau Maja Manolowa angeführt, sie und andere jetzige Kandidaten der Partei spielten bei den Protesten im vergangenen Jahr eine maßgebliche Rolle.

Allen Umfragen zufolge werden die nationalistischen Parteien auch diesmal den Einzug ins Parlament nicht schaffen.

 

Wie geht es weiter?

Die voraussichtlich stärkste Kraft GERB/SDS wird der Verfassung gemäß als erste den Auftrag zur Regierungsbildung erhalten, dafür hat eine Woche Zeit. Es erscheint unwahrscheinlich, dass sie damit wieder den ehemaligen Außenminister Daniel Mitow betraut, unklar ist aber auch, ob Ex-Ministerpräsident Bojko Borissow persönlich in den Ring steigt. GERB/SDS setzt darauf, einen erheblichen Vorsprung vor der zweitstärksten Partei zu erzielen und wird mit diesem Argument die anderen Parteien dazu auffordern, mit ihr über die Bildung einer Regierung zu verhandeln. Bisher aber zeigen alle anderen politischen Kräfte GERB/SDS die kalte Schulter, und es ist mehr als zweifelhaft, dass sich dies nach der Wahl ändert. Allerdings hat Interimsinnenminister Raschkow öffentlich behauptet, bei einem „Geheimtreffen“ zwischen GERB und DPS sei bereits über eine gemeinsame Koalition mit deiner „linken“ Partei gesprochen worden. Bojko Borissow hat dies vehement dementiert.

Sollte die BSP zweistärkste Kraft werden, so wird sie ohne wesentliche Vorbedingungen zu stellen den Versuch unternehmen, eine Regierung zu bilden. Die BSP versucht seit längerem, sich als Reformkraft zu präsentieren, wird von Kräften wie „Wir setzen den Wandel fort“, ITN, dem Demokratischen Bulgarien und (mit Einschränkungen) „Steh auf! Fratzen raus“ jedoch als „Partei des alten Systems“ bezeichnet, es ist daher ebenfalls mehr als fraglich, ob es der BSP gelingt eine Regierung zu bilden, zumal auch sie dafür nur eine Woche Zeit hätte.

Sollte „Wir setzen den Wandel fort“ zweitstärkste Kraft werden, so wird die Partei zunächst auf das Demokratische Bulgarien und ITN zugehen, sollte „Steh auf! Fratzen raus!“ den Einzug ins Parlament schaffen, wird es auch Gespräche mit dieser Kraft geben. Allen Umfragen zufolge wird aber ein denkbares Bündnis dieser Kräfte über keine Mehrheit im Parlament verfügen. GERB/SDS könnten anbieten, mit Teilen ihrer Abgeordneten der Vertrauensabstimmung im Parlament fernzubleiben und auf diese Weise eine solche Koalition ermöglichen, aber dies würde zumindest zu Spekulationen darüber führen, welche Zugeständnisse dafür hinter den Kulissen gemacht wurden. Denkbar ist auch, dass ein solches Bündnis zu einer Zusammenarbeit mit der BSP bereit wäre, in welcher Form auch immer.

Sollten den beiden stärksten politischen Kräften eine Regierungsbildung nicht gelingen, so kann der Staatspräsident nach freier Wahl damit eine dritte, im Parlament vertretene Partei beauftragen. Sollte dieser Fall eintreten, ist nicht vorhersehbar, ob eine Regierungsbildung gelingt.

Sollte sie scheitern, so bleibt es bei einer Interimsregierung, und es wird im kommenden Jahr zu einer weiteren Parlamentswahl kommen. Dann dürften auch Forderungen nach Einführung eines Präsidialsystems laut werden, aber für grundlegende Verfassungsänderungen setzt die derzeitige Verfassung hohe Hürden.

Bei der Präsidentenwahl treten die Bewerber nicht mit einem detaillierten politischen Programm an, denn das bulgarische Staatsoberhaupt hat überwiegend repräsentative Aufgaben und Kompetenzen, kann allerdings dann, wenn eine reguläre Regierung nicht zustande kommt, eine Interimsregierung mit begrenzten Befugnissen einsetzen und über deren Zusammensetzung frei entscheiden. Die von Präsident Rumen Radew im Mai eingesetzte Interimsregierung gibt sich als Kraft, die Korruption und Amtsmissbrauch bekämpft und erfreut sich daher einer gewissen Beliebtheit.

Amtsinhaber Rumen Radew hat zum Teil auch deshalb, zum Teil aber auch aufgrund eigener hoher Popularität gute Chancen auf eine Wiederwahl. Der ehemalige Luftwaffengeneral hat nach den derzeitigen Umfragen Aussicht darauf, im ersten Wahlgang  zwischen 47 und 48 % der Stimmen zu erzielen, es ist aber auch nicht völlig ausgeschlossen, dass er mehr als 50 % der Stimmen auf sich vereingt.  Radew hat sich seit Beginn seiner Amtszeit kritisch mit der Regierung Borissow auseinandergesetzt und sich damit den Rückhalt der Bulgarinnen und Bulgaren verschafft, die diese Kritik teilen. Die Proteste im Jahr 2020 hat er unterstützt und erklärt, Korruption bekämpfen zu wollen. Radew wird von der BSP, „Wir setzen den Wandel fort“, ITN und „Steh auf! Fratzen raus!“ Unterstützt, dürfte aber auch Stimmen von Anhängern des “Demokratischen Bulgarien“ erhalten.

Radews stärkster Konkurrent ist der Rektor der Sofioter Universität, Anastas Gerdschikow, der offiziell von einem Initiativkomitee nominiert wurde, jedoch von GERB/SDS unterstützt wird, allerdings keiner Partei angehört. Gerdschikow wirft Radew vor, die Nation zu spalten, er hingegen wolle als Präsident die Einheit der Nation verkörpern. Er dürfte etwas mehr als 25 % der Stimmen in einem ersten Wahlgang erzielen.

Das „Demokratische Bulgarien“ unterstützt den derzeitigen Präsidenten des Obersten Gerichtshofs, Losan Panow, dessen Amtszeit zum Jahresende ausläuft. Er spricht sich für Korruptionsbekämpfung und eine Reform der Justiz aus. Ihm werden ca. 6 % der Stimmen vorausgesagt.

Die DPS hat mit ihrem Parteivorsitzenden Mustafa Karadaja zum ersten Mal einen ethnischen Türken als Präsidentschaftskandidaten aufgestellt, er verspricht „eine bessere Zukunft“ und will die Einheit der Nation verkörpern. Er dürfte 8-9 % der Stimmen erhalten.

Daneben gibt es zahlreiche andere Bewerberinnen und Bewerber für das Präsidentenamt, die allesamt chancenlos sind.

Sollte es am 21. November zu einer Stichwahl zwischen Radew und Gerdschikow kommen, dürfte Radew deutlicher Favorit sein, da sein Vorsprung im ersten Wahlgang mehr als deutlich ausfallen dürfte und sein Herausforderer nur auf die Unterstützung von GERB/SDS und DPS hoffen kann.

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Norbert Beckmann-Dierkes

Norbert Beckmann-Dierkes bild

Leiter der Auslandsbüros Bulgarien Kommissarischer Leiter des Auslandsbüros Albanien

norbert.beckmann@kas.de +359 2 943-4388 | +359 2 943-4390 +359 2 943-3459

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