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IMAGO / ZUMA Wire

Reportage sui paesi

Es brodelt im Himalaya

di Felix Lorenz

Deutschlands Zeitenwende muss jetzt zu einer verstärkten Sicherheitskooperation mit Indien führen

An der Grenze zwischen Indien und China zeichnet sich ein Kampf der beiden bevölkerungsreichsten Staaten der Welt ab: Ende des Jahres 2022 kam es erneut zu einer gewaltsamen Konfrontation zwischen den beiden Atommächten. Die Konsequenzen dieses Konflikts könnten weitreichender sein, als die deutsche Politik bislang vermutet. Deutschland hat ohnehin spät damit begonnen, den Indo-Pazifik als sicherheitsrelevante Region zu betrachten. Doch anstatt nun — insbesondere vor dem Hintergrund des Ukrainekriegs — die Schlussfolgerungen der Zeitenwende konsequent auf Indien zu übertragen, bleibt es überwiegend bei Freundschaftsbekundungen.

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Zum Hintergrund

Weitgehend unbeachtet von deutschen Medien schwelt der Konflikt um den Verlauf der indo-chinesischen Grenze. Im Juni 2020 kam es zu Auseinandersetzungen im Galwan-Tal innerhalb der Kaschmir-Region. Es waren die schwersten seit dem Grenzkrieg von 1962: Auf indischer Seite kamen 20 Soldaten ums Leben, auf chinesischer Seite ist die Zahl unbekannt. Im Dezember vergangenen Jahres kam es erneut zu Auseinandersetzungen, dieses Mal in Tawang im Osten der Grenzregion. Beide Staatsregierungen bemühen sich zwar demonstrativ um Deeskalation, es finden Konsultationen auf politischer wie auf militärischer Ebene statt. Dennoch bauen beide Seiten ihre militärische Infrastruktur im Grenzgebiet aus und werfen ihrem Gegenüber Aggression vor.[1] Wie also sind die Entwicklungen an der indo-chinesischen Grenze einzuschätzen, vor allem hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf die Sicherheitsarchitektur des Indo-Pazifiks?

 

Nachbarn und Rivalen: Spannungen mit China reichen weit zurück

Dass die Nachbarstaaten ein belastetes Verhältnis haben, ist nichts Neues. Dabei standen die Beziehungen noch unter guten Vorzeichen, als Indien die Unabhängigkeit erlangte: Der erste Premierminister Indiens, Jawaharlal Nehru, propagierte eine Partnerschaft zwischen beiden Staaten unter dem Leitmotiv „Hindi-Chini Bhai Bhai“, oder auch: Bruderschaft zwischen Indien und China.[2] Doch der ursprüngliche Enthusiasmus musste bald der Realität weichen. Der genaue Grenzverlauf zwischen Indien und China wurde nie abschließend geklärt; spätestens der Grenzkrieg von 1962 offenbarte, dass diese Streitigkeit nicht leicht überwunden werden kann.

 

Im Zentrum des Konflikts steht die sogenannte Line of Actual Control (LAC) — ein undefinierter, nach indischen Angaben etwa 3.500 km langer[3] Grenzverlauf entlang des Himalaya-Gebirges. Er stellt heutzutage den Status Quo der militärischen Machtverhältnisse dar, doch steht er auch im Widerspruch zu den territorialen Forderungen beider Staaten. China beansprucht die Provinz Arunachal Pradesh östlich von Bhutan, die sich unter indischer Kontrolle befindet (auf Mandarin: „Zangnan” bzw. Süd-Tibet). Indien wiederum beansprucht die unter chinesischer Kontrolle stehende Region Aksai Chin im Westen der gemeinsamen Grenze.

 

Der Konflikt geht mindestens bis ins Jahr 1914 zurück. Damals unterzeichneten Britisch-Indien und Tibet die Shimla-Konvention, wonach die heutige Provinz Arunachal Pradesh dem Territorium Britisch-Indiens zugesprochen wurde. China zweifelt die völkerrechtliche Verbindlichkeit der Konvention an, da Tibet niemals Souveränität erlangt habe und somit nicht Partei eines völkerrechtlichen Vertrags habe sein können.[4] Eine Regelung über den Verlauf der westlichen Grenze in Aksai Chin, im Wesentlichen eine karge und unfruchtbare Salzwüste, stand lange nicht im Fokus Britisch-Indiens. Eine damals einseitig von einem britischen Offizier gezogene Grenze, die sogenannte Johnson-Linie, dient heute als Grundlage der territorialen Ansprüche Indiens.[5] Seit dem Grenzkrieg von 1962 kontrolliert allerdings China das gesamte Gebiet Aksai Chin und begründet seine Gebietsansprüche mit der historischen Zugehörigkeit zur heutigen Provinz Xinjiang.

 

Eine Bedrohung von zwei Fronten

Für Indien hat Aksai Chin im Rahmen des erweiterten Kaschmir-Konflikts mit Pakistan eine besondere Bedeutung. Würde Indien seinen Anspruch auf Aksai Chin aufgeben, könnte sich dies als Einfallstor für Pakistans erweisen, das Ansprüche auf benachbarte Gebiete erhebt. Und eine Zuspitzung des Konflikts mit Pakistan möchte Indien auf jeden Fall vermeiden: Zu groß ist die Gefahr, im Falle einer Eskalation zwischen gleich zwei Fronten zu geraten. Pakistan und China arbeiten in militärischer Hinsicht eng zusammen, insbesondere unterstützt China das pakistanische Atomprogramm und ist dessen größter Lieferant von hochtechnologisierten Waffenträgern.[6] Die Sorge vor einem solchen Zwei-Fronten-Krieg beeinflusst seit den 1960er-Jahren die politische Diskussion.

 

China ist die Gefahr eines Zwei-Fronten-Kriegs ebenfalls historisch bewusst. Nachdem die Volksrepublik China im Jahr 1949 gegründet wurde, befürchtete der chinesische Staatspräsident Mao Zedong, dass Indien und die USA ein Bündnis eingehen und insbesondere die tibetische Unabhängigkeitsbewegung unterstützen würden. Gleichzeitig drohte an der östlichen Grenze ein US-gestützter Angriff der nationalistischen Truppen von Taiwan aus.[7] Doch schnell zeigte sich, dass von Indien keine große Gefahr ausging: Der indo-chinesische Grenzkrieg von 1962 endete nach nur einem Monat, nachdem Indien eine schwere militärische Niederlage erlitt. China hatte aufgrund dieses Erfolgs zunächst keine weiteren Angriffe an seiner südwestlichen Grenze zu fürchten, zumal der chinesischen Führung die Zurückhaltung Indiens aufgrund der Sorge vor einem Zwei-Fronten-Krieg bekannt war.[8] Zunehmend normalisierte sich die Lage sogar: Zwischen 1993 und 2013 unterzeichneten beide Staaten verschiedene Abkommen zur Stabilisierung der Grenzregion, die vor allem Einschränkungen hinsichtlich Truppenbewegungen und der Verwendung von schweren Geschützen vorsehen. Insbesondere normalisierte sich ab den 1970er-Jahren auch die Beziehung zwischen China und den USA, so dass China keinen Angriff von Taiwan mit US-Unterstützung fürchten musste. Somit drohte China auch an der östlichen Grenze lange kein militärischer Gegner.

 

Doch im Rahmen der „Pivot to Asia“-Strategie sortierten die USA unter Präsident Barack Obama ihre Indo-Pazifik-Politik neu. Im Fokus steht dabei das unausgesprochene Ziel, im Indo-Pazifik ein Gegengewicht zu China zu schaffen;[9] dazu werden bestehende Bündnisse ausgebaut und neue Allianzen geschlossen. Beispielsweise wurde im Jahr 2017 der „Quadrilateral Security Dialoge“ (kurz: Quad) wiederbelebt, ein sicherheitspolitisches Forum zwischen den USA, Australien, Indien und Japan. In China wird das Bündnis, obwohl es noch in den Kinderschuhen steckt, als gewaltige Provokation aufgenommen und gar als „asiatische NATO“ bezeichnet.[10] Auch in Bezug auf den Taiwan-Konflikt treten die USA nun deutlich offensiver auf. So besuchte Nancy Pelosi, damals Sprecherin des US-Repräsentantenhauses, im vergangenen August Taiwans Präsidentin Tsai Ing-wen, um ein Zeichen für die Unterstützung des demokratischen Taiwans zu setzen. Starke Rückendeckung hierbei erhielten die USA gerade auch von regionalen Partnern wie Japan und Australien.

 

Indien als Gegengewicht zu China

Die „Pivot to Asia“-Strategie hat bislang nicht zu einer höheren Kompromissbereitschaft Chinas hinsichtlich der zahlreichen Konflikte im Indo-Pazifik geführt. Erwähnt seien insbesondere der Taiwan-Konflikt, die Territorialansprüche im Südchinesischen Meer und der Disput mit Japan über die Senkaku- bzw. Diaoyu-Inseln. In vielen Fällen hat sich die Gangart Chinas in den letzten Jahren sogar verschärft; vor allem in Bezug auf den Taiwan-Konflikt schließt China mittlerweile nicht mehr aus, auch militärische Gewalt anzuwenden.[11] Das erstarkte Selbstbewusstsein Chinas lässt sich zu einem Großteil darauf zurückführen, dass es keinen militärischen Gegner in seiner direkten Nachbarschaft fürchten muss.

 

Chinas historische Sorge vor einer Zwei-Fronten-Bedrohung sollte nicht unterschätzt werden. Auch wenn der Brennpunkt der chinesischen Sicherheitspolitik auf absehbare Zeit das Südchinesische Meer und der Pazifik bleiben werden, wird die Himalaya-Region zunehmend zu einem zweiten Fokus. Dass China die Entwicklungen an der Grenze zum Himalaya ernst nimmt, lässt sich am zeitlichen Zusammenhang der militärischen Aktivitäten an der Grenze zu Indien beobachten. Erst seit etwa einem Jahrzehnt kommt es dort zu regelmäßigen Provokationen durch China; zudem hat China das tibetische Plateau beständig mit Infrastruktur und militärischen Einrichtungen ausgebaut. Allerdings spielen auch zwei weitere Entwicklungen eine nicht zu unterschätzende Rolle: Zum einen schlossen die USA und Indien zwischen 2006 und 2008 zwei Abkommen ab, die Indien indirekt die Entwicklung von Atomwaffen erleichterten.[12] Zum anderen treibt das indische Verteidigungsministerium seit 2010 den Ausbau militärischer Infrastruktur an der indo-chinesischen Grenze voran.[13] So wurde etwa die Militärbasis Daulat Beg Oldi unweit der LAC in der Kashmir-Region fertiggestellt, die eine deutlich schnellere Mobilisierung indischer Streitkräfte ermöglicht. Beide Seiten können daher für sich beanspruchen, auf Machtprojektion zu reagieren und den jeweiligen Antagonisten in Schach zu halten, was im schlimmsten Fall eine Eskalationsspirale zur Folge haben könnte.[14]

 

Fazit

Der Konflikt im Himalaya zwischen den beiden geopolitischen Rivalen China und Indien könnte jederzeit wieder ausbrechen. Da es sich bei beiden Ländern um Atommächte handelt, hätte eine Eskalation des Konflikts schwerwiegende Folgen für die internationale Gemeinschaft. Ohne eine klare Grenzziehung und der beidseitigen formellen Anerkennung wird der Grenzkonflikt kein Ende finden. Derzeit sind beide Parteien allerdings weit von einer solchen Einigung entfernt.

 

[1]     Panda, Jagannath 2023: The Tawang Effect: Forecasting China-India Relations in 2023, in: The Diplomat, 09.01.2023. Abrufbar unter: https://thediplomat.com/2023/01/the-tawang-effect-forecasting-china-india-relations-in-2023/

[2]     Radchenko, Sergey 2014: The Rise and Fall of Hindi Chini Bhai Bhai. The long, tricky frenemyship of Asia‘s two biggest powers, in: Foreign Policy, 18.09.2014. Abrufbar unter: https://foreignpolicy.com/2014/09/18/the-rise-and-fall-of-hindi-chini-bhai-bhai/

[3]     Singh, Sushant 2020: Line of Actual Control (LAC): Where it is located, and where India and China differ, in: The Indian Express, 01.06.2020. Abrufbar unter: https://indianexpress.com/article/explained/line-of-actual-control-where-it-is-located-and-where-india-and-china-differ-6436436/

[4]     Eekelen, Willem F. van 2023: The Simla Convention: Almost Aborted, Never Signed but Still Relevant, in: Acharya, Alka (Hrsg.), Boundaries and Borderlands. A Century after the 1914 Simla Convention, S. 39 ff.

[5]     Raza, Maroof 2020: Looking for common ground on the borderline, in: The Tribune India, 17.10.2020. Abrufbar unter: https://www.tribuneindia.com/news/comment/looking-for-common-ground-on-the-borderline-156910

[6]     Lalwani, Sameer 2023: A Threshold Alliance: The China-Pakistan Military Relationship, in: United States Institute of Peace (Hrsg.): Special Report No. 517, S. 11 ff.

[7]     Ebd, S. 5.

[8]     Ebd., S. 5.

[9]     Saha, Premesha 2020: From ‘Pivot to Asia’ to Trump’s ARIA: What Drives the US’ Current Asia Policy?, in: ORF Occasional Paper No. 236, S. 10.

[10]   Ni Guihua; Zhu Feng 2022: The State and Dilemmas of the Biden Administration‘s Strategic Competition with China, in: Asia-Pacific Security and Maritime Affairs, S. 12.

[11]   Lee, Yimou; Lague, David; Blanchard, Ben 2020: China launches ‘grey zone’ warfare to subdue Taiwan, in: Reuters Special Reports. Abrufbar unter: https://www.reuters.com/article/hongkong-taiwan-military-idUKKBN28K1H1

[12]   Singh, Sushant 2021: The Challenge of a Two-Front War. India‘s China-Pakistan Dilemma, in: Stimson Center (Hrsg.): South Asia Program Issue Brief, S. 12.

[13]   Ebd, S. 12 f.

[14]   Ebd, S. 12 f.

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Dr. Adrian Haack

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Leiter des Auslandsbüros Indien

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