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Reportage sui paesi

Machtwechsel in Tschechien: Die „Patrioten für Europa“ bestimmen die Regierungsbildung

di Dr. Marco Arndt, Alena Reslová

Zwischen Brüssel und Budapest? Wohin steuert eine neue Regierung unter Andrej Babiš?

Am 3. und 4. Oktober 2025 hat Tschechien ein neues Abgeordnetenhaus gewählt. Es war die Stunde von Milliardär Andrej Babiš, dem ANO-Vorsitzenden und einem der drei Gründer der Fraktion der „Patrioten für Europa“ im Europaparlament, der auch Orban angehört. Mit einem Wahlergebnis von knapp 35 Prozent kann keine Regierung ohne ihn gebildet werden. So bestimmt Babiš die Agenda. Er ist also kurz davor, seinen Traum zu erfüllen und erneut Regierungschef zu werden. Alles läuft auf eine ANO-Minderheitsregierung hinaus, unterstützt vom Parlamentsneuling – seiner Schwesterpartei aus dem Lager der Patrioten – den Motoristen und den geschwächten Rechtsextremisten der SPD.

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Wahlergebnisse Tschechien 2025

ANO saugt die Proteststimmen auf

Die Parlamentswahlen in Tschechien zeigen ein Land, das tief gespalten ist zwischen zwei politischen Lagern: „Tschechien A“ – demokratisch und proeuropäisch – und „Tschechien B“ – populistisch, euroskeptisch – und was die SPD angeht – auch extremistisch. Die emotional aufgeladene Kampagne, die auch geprägt war von Angst und Polarisierung, führte zu einer außergewöhnlich hohen Wahlbeteiligung von über 69 Prozent. Beide Blöcke haben davon profitiert. Tschechien A versammelte sich hinter dem Thema „westliche Orientierung und Sicherheit“, Tschechien B mobilisierte Wähler mit sozialen Themen und Wohlstandsversprechen.

Die populistische ANO gewann die Wahl mit 34,5 Prozent der Stimmen. Ein positiver Effekt: ANO konnte viele Stimmen von extremistischen Parteien absorbieren. Die linksextreme Partei „Stačilo!“ – bestehend aus ehemaligen Kommunisten und Sozialdemokraten – scheiterte auch deshalb an der Fünf-Prozent-Hürde und zieht nicht wieder in das Parlament ein. Auch die rechtsextreme SPD schnitt schlechter ab als erwartet und erreichte nur knapp acht Prozent. Dies ist auch ein deutlicher Misserfolg pro-russischer Desinformationskampagnen in den sozialen Netzwerken.

Die Regierungsparteien, bestehend aus dem Wahlbündnis SPOLU (ODS von Premier Fiala, KDU-ČSL [EVP], TOP 09 [EVP]) und STAN (EVP) verloren zwar Stimmen, aber nicht dramatisch. Zusammen haben sie ebenfalls knapp 35 Prozent erreicht, haben aber keinen Koalitionspartner. Ob die drei Parteien weiterhin in der Wahlkoalition SPOLU bleiben, ist offen. Vor allem die beiden kleineren Parteien KDU-ČSL und TOP 09 profitierten von der gemeinsamen Liste, da sie allein antretend an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert wären. Die mitte-rechts orientierte ODS steht nun vor der Frage, ob sie weiterhin im Rahmen von SPOLU die Mitte besetzen will oder ob sie versucht, im Mitte-Rechts Spektrum den Motoristen Konkurrenz zu machen. Den Motoristen gelang mit dem Einzug ins Parlament (knapp sieben Prozent) ein Überraschungserfolg. Die Partei profiliert sich gegen den Green Deal und engagiert sich für den traditionellen Automobilsektor sowie gegen das Verbrenneraus.

Die Piraten, die sich 2024 aus der Regierung Fiala zurückzogen, profitierten mit neun Prozent von ihrer Oppositionsrolle.

 

Regierungsperspektiven

Die Koalitionsverhandlungen begannen bereits am Wahlabend, als Babiš mit den Motoristen sowie der SPD erste Gespräche führte. Ob sie erfolgreich sein werden und was das Ergebnis sein wird, ist momentan nicht absehbar. Erstaunlich ist aber, dass sich im Land kein Widerstand gegen eine Regierungsbeteiligung einer rechtsextremen Partei regt. Präsident Petr Pavel will allerdings aktiv die Regierungsbildung begleiten, da für ihn eine Orientierung pro-NATO und pro-EU eine Bedingung für den Regierungsauftrag ist.  Dies kann bei einer Kombination aus ANO, Motoristen und SPD zumindest fraglich erscheinen. Die anderen demokratischen Parteien haben bislang eine Teilnahme an Verhandlungen mit ANO ausgeschlossen. Das könnte sich jedoch noch ändern, falls die Verhandlungen zwischen ANO, SPD und Motoristen in eine Sackgasse geraten würden.

 

Europäische und außenpolitische Implikationen

Mit dem Wahlsieg von ANO wird Tschechien nach Ungarn das zweite EU-Land sein, das von einem Premierminister aus der Fraktion „Patrioten für Europa“ regiert wird. Doch Babiš ist kein zweiter Orbán. Er ist Pragmatiker und kein Ideologe. Merkel, Macron und Schäuble seien seine Vorbilder, hat er einmal gesagt. Während seiner ersten Rede als Wahlgewinner betonte er die Treue zur NATO und zur EU. Gleichzeitig fordert er Reformen: mehr Wettbewerbsfähigkeit für Europa und mehr Transparenz bei den Verteidigungsausgaben.

Ein zentrales Thema für ihn sind die zukünftigen Verhandlungen zum europäischen Haushalt. Er will sein Veto-Recht nutzen, um politische Prioritäten durchzusetzen. So kann es durchaus zu Schwierigkeiten bei der Umsetzung des europäischen Emissionshandels (EU ETS 2) kommen, der 2027 in Kraft treten soll und der fossile Energie deutlich verteuern dürfte.

Ein Wandel ist in der tschechischen Ukrainepolitik zu erwarten. Babiš betonte mehrmals, die Ukraine solle aus dem EU-Haushalt unterstützt werden, zu dem auch Tschechien seinen Beitrag leiste. Der tschechische Haushalt solle aber vielmehr für die Bedürfnisse der tschechischen Bürger wie etwa im Gesundheitswesen oder der Steigerung der Gehälter im öffentlichen Sektor genutzt werden. Bei der Verteidigung will sich Babiš vor allem auf die Luftabwehr und den Schutz gegen Drohnen konzentrieren.

Das erfolgreichste Instrument der tschechischen Ukrainepolitik, die sog. Munitionsinitiative, könnte vor dem Aus stehen. Tschechien organisiert seit 2024 weltweit die Beschaffung von Artilleriemunition für Kiew, was Tschechien hohes Ansehen verschafft hat. Die Initiative hat das militärische Kräfteverhältnis zwischen Russland und der Ukraine bei Artilleriegranaten von 1:10 auf 1:2 verbessert. Es wurden bislang mehr als drei Millionen Schuss beschafft. Babiš kritisiert eine angebliche niedrige Transparenz und zu hohe Kosten. Daher ist es denkbar, dass er diese Initiative als Verhandlungsmasse nutzen könnte, um die Unterstützung der russlandfreundlichen SPD zu gewinnen. Der Westen sollte Babiš signalisieren, dass eine Fortsetzung dieser Unterstützung der Ukraine erwartet wird.

 

Gerichtsverfahren und Subventionsproblematik

Babiš befindet sich als einer der größten Unternehmer des Landes in einem Interessenkonflikt. Die Rechtsauffassung ist, dass er als Ministerpräsident nicht zugleich Eigentümer des Agrarkonzerns Agrofert bleiben darf. In seiner ersten Amtszeit als Premierminister hat er den Konzern in eine Treuhandgesellschaft ausgelagert, die ein Verwandter führte. Dies ist nach einer Gesetzesverschärfung nun nicht mehr möglich. Zudem haben Gerichte entschieden, dass er trotz Treuhandlösung nach wie vor Agrofert kontrolliert hätte. Deshalb hat der tschechische Agrarinvestitionsfonds einige Tage vor der Wahl von Babiš 268 Mio. Euro an Subventionen zurückgefordert. Die EU an sich hat sich in dieser Frage nicht geäußert. Babiš lehnt die Rückforderung ab und bezeichnet sie als illegal.

Anhängig ist zudem ein Strafverfahren gegen Babiš, das bereits seit einigen Jahren läuft. Es geht um den Vorwurf des Subventionsbetrugs im Zusammenhang mit dem Bau einer Feriensiedlung („Storchennest-Affäre“). Zwei Freisprüche des Prager Stadtgerichts wurden durch das Oberste Gericht aufgehoben. Der Berufungssenat forderte das Stadtgericht auf, Babiš schuldig zu sprechen. Um das Verfahren nun weiterführen zu können, müsste das Parlament die Immunität von Babiš erneut aufheben, was aber angesichts der Mehrheitsverhältnisse unwahrscheinlich ist und somit auch eine Fortführung des Gerichtsverfahrens. Babiš selbst hält das Verfahren gegen ihn für politisch motiviert. Er sei unschuldig.

 

Fazit: Stabilität durch Dialog

Tschechien steht an einem politischen Wendepunkt. Die Polarisierung im Land bleibt bestehen, doch die Machtverhältnisse haben sich zugunsten der populistischen Kräfte verschoben. Andrej Babiš ist der neue starke Mann in Prag – und Europa muss entscheiden, wie es mit ihm umgehen will. Die kommenden Monate werden zeigen, ob Babiš seine proeuropäischen Versprechen einhält oder oder ob er sich von den europäischen Partnern entfremdet. Für die Stabilität in Mitteleuropa ist das von entscheidender Bedetung.

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Contatto Dr. Marco Arndt
Marco Arndt
Leiter der Auslandsbüros Tschechien und Slowakei
marco.arndt@kas.de

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Informazioni su questa serie

La Fondazione Konrad Adenauer è presente con uffici propri in circa 70 Paesi dei cinque Continenti. I collaboratori presenti sul posto possono riferire direttamente su avvenimenti attuali e sviluppi nel lungo periodo nei Paesi in cui sono impegnati. Sotto "Notizie dai Paesi" mettono a disposizione degli utenti del sito web della Fondazione Konrad Adenauer analisi, informazioni di background e valutazioni esclusive.