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Reportage sui paesi

Ohne Perspektive?

di Dr. Hans Maria Heyn

Zunehmender politischer Unmut der palästinensischen Bevölkerung

Neue Umfragedaten aus der Westbank und dem Gazastreifen verdeutlichen die stetig wachsende Perspektivlosigkeit und den zunehmenden politischen Unmut der palästinensischen Bevölkerung.

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Der Waffenstillstand zwischen der Ha-mas in Gaza und Israel hält seit über einem Monat. Trotzdem ist immer noch unklar, wie eine langfristige und nachhaltige Entwicklungsstrategie für das eingeschlossene Gaza aussehen kann und wie beide Seiten im Nahostkonflikt wieder näher zueinander finden. Gleichzeitig bemüht sich Palästinenserpräsident Abbas, auf internationaler Ebene eine diplomatische Allianz zu schmieden, um die internationale Anerkennung der Grenzen eines Staates Palästina zu erreichen. Diese Bestrebungen werden zwar von einer Mehrzahl der Palästinenser begrüßt, gleichwohl ist man sehr skeptisch, was deren Erfolgsaussichten angeht.

In dieser Zeit geprägt von Ratlosigkeit und Ungewissheit auf palästinensischer Seite führte das Palestinian Center for Policy and Survey Research (PSR) im Auftrag der Konrad-Adenauer-Stiftung vom 25. – 27. September erneut in der Westbank und im Gazastreifen eine umfassende Meinungsumfrage (KAS-PSR Poll) zu politischen und sozialen Themen durch. Die vorherige Meinungsumfrage fand direkt nach dem Ende des dritten Gazakrieges am 26. August statt. Von Interesse ist es zu überprüfen, inwieweit das gegenwärtige Meinungsbild noch von den Folgen des Gazakrieges geprägt ist, oder ob die Menschen bereits jetzt ihre politischen Einstellungen ändern und ihre persönliche Lage bereits anders beurteilen.

Die Ergebnisse der Meinungsumfrage lassen allgemein vier große Schlussfolgerungen zu:

  1. Die Unterstützung für die Hamas geht deutlich zurück, bleibt aber auf weiterhin hohem Niveau.
  2. Die durch den dritten Gazakrieg ausgelösten Radikalisierungstendenzen bleiben im Teil erhalten.
  3. Die Perspektivlosigkeit innerhalb der palästinensischen Gesellschaft nimmt deutlich zu.
  4. Die palästinensische Einheitsregierung verliert an Zustimmung.
Die Unterstützung für die Hamas geht deutlich zurück, bleibt aber auf weiterhin hohem Niveau

Die Popularität der Hamas ist in den letzten vier Wochen deutlich zurückgegangen. Dies war – vergleicht man die aktuellen Zahlen mit den KAS-PSR Umfragen nach dem ersten und zweiten Gazakrieg – erwartbar. Sahen direkt nach dem Krieg noch 79 % der befragten Palästinenser die Hamas als Kriegsgewinner, so sind jetzt, vier Wochen später nur noch 69 % dieser Meinung. In Gaza selber sind sogar 59 % der Befragten inzwischen unzufrieden mit dem, was durch den Krieg erreicht wurde. Im direkten politischen Vergleich zwischen Hamas und Fatah kann die Fatah zwar Boden gutmachen, ist jedoch bei weitem noch nicht auf dem „Vorkriegsniveau“ angelangt. So würde bei einer möglichen Präsidentenwahl Ismail Haniyeh als Kandidat der Hamas den gegenwärtigen Präsidenten Mahmoud Abbas weiterhin deutlich schlagen (für Haniyeh sprechen sich 55 % der Befragten, für Abbas nur 38 % aus). Diese Werte unterscheiden sich ferner zwischen Westbank und Gaza. Während im Gazastreifen Abbas und Haniyeh fast gleichauf liegen (47 % zu 50 %) ist die Unterstützung für Abbas in der Westbank weiterhin auf niedrigem Niveau (Abbas 33 % und Haniyeh 57 %). Sollten Wahlen für die Palästinensische Nationalversammlung stattfinden, so würde die Hamas weiterhin entsprechend dieser Umfrage die meisten Stimmen erhalten. Rund 39 % der Befragten würden für Hamas und nur 36 % für Fatah stimmen. Vor dem dritten Gazakrieg im Juni konnte die Fatah noch 40 % Zustimmung und Hamas nur 32 % erreichen. Es bleibt abzuwarten, ob diese Werte noch weiter zurückgehen werden und sich bei der nächsten Umfrage im Dezember bereits wieder auf dem Niveau vom Juni 2014 einpendeln. Als entscheidende Faktoren gelten hierbei, ob der Waffenstillstand weiterhin Bestand hat und ob es der Fatah-geführten Einheitsregierung gelingt, das Schattenkabinett der Hamas in Gaza in der Politikpraxis abzulösen.

Die durch den dritten Gazakrieg ausgelösten Radikalisierungstendenzen wer-den geringer, erreichen aber noch bei weitem nicht das „Vorkriegsniveau“

Obgleich dieses deutlichen Popularitätsverlustes der Hamas als politischer Bewegung bleibt ein Trend zur Radikalisierung innerhalb der palästinensischen Bevölkerung erhalten. So sprechen sich auch heute noch 80 % der Befragten dafür aus, Raketen aus dem Gazastreifen auf Israel zu schießen, sollte die Blockade des Küstenstreifens nicht beendigt werden. Auch sind 44 % der Befragten weiterhin der Meinung dass ein bewaffneter Widerstand die effektivste Methode darstellt, um die Okkupation der Palästinensergebiete zu beenden; nur 29 % sehen in Verhandlungen und nur 23 % im gewaltfreien Widerstand die besten Handlungsoptionen. Dies verdeutlicht allerdings einen Rückgang der Gewaltbereitschaft in den letzten vier Wochen. In der letzten Umfrage sprachen sich noch 53 % für den bewaffneten Widerstand und 22 % für Verhandlungen bzw. 20 % für den gewaltfreien Widerstand aus. Auch die Bereitschaft eine erneute Intifada zu beginnen, schwindet wieder. Nur noch die Hälfte der Befragten befürwortet dies – vor einem Monat lag die Zahl noch bei 60 %, vor Beginn des Gaz-akrieges im Juni allerdings nur bei ca. 41 %.

Die Perspektivlosigkeit innerhalb der palästinensischen Gesellschaft nimmt deutlich zu

Ein immer größerer Teil der palästinensischen Gesellschaft evaluiert die eigenen Lebensbedingungen zunehmend negativ. Dies gilt sowohl für die Menschen im Gazastreifen als auch in der Westbank. So werden die Lebensbedingungen in Gaza von nur noch 9 % als positiv beschrieben. Vor dem Krieg im Juni – eingedenk der auch damals vorherrschenden Isolation und prekären Lebensverhältnisse der Bevölkerung – bezeichneten immerhin noch 24 % der Befragten ihre eigenen Lebensverhältnisse als positiv. Auch in der Westbank ist dieser Wert auf inzwischen 24 % gesunken – vor dem Krieg waren es immerhin noch 33 %. Gleichzeitig bleibt die Unzufriedenheit mit der palästinensischen Zivilverwaltung weiterhin auf hohem Niveau. So bezeichnen 78 % die PA als korrupt und nur 23 % - sowohl in Gaza als auch der Westbank – glauben, es gäbe eine wirkliche Pressefreiheit. Zudem überrascht die Zahl, dass nur noch 29 % der Befragten in der Westbank annehmen, sie könnten die eigene Regierung gefahrlos kritisieren. Eine Mutmaßung, der immerhin 35 % der Befragten in Gaza zustimmen. Diese Zahlen stehen im Widerspruch zu den bisher erhobenen Daten. In der Vergangenheit gab immer eine Mehrheit der Befragten in der Westbank an – im Vergleich zum Gazastreifen – die eigene Regierung kritisieren zu können. Im Dezember 2013 bezeugten diese Kritikmöglichkeiten noch 33,7 % der Westbank-Palästinenser und nur 24,4 % im Gazastreifen. Dass sich dieses Bild gänzlich gewendet hat, zeugt entweder von einem aufkeimenden Mut im Gazastreifen sich gegen die Hamas zu wenden, oder von zunehmender – entweder gefühlter oder reeller – Repression gegen Andersdenkende in der Westbank. Diese Frage muss in den nächsten Wochen und Monaten genauer untersucht werden. Eine zunehmend kritische Regierungssicht ist gleichwohl bereits heute feststellbar. Sie kumuliert darin, dass eine Mehrheit der Befragten (52 %) die PA inzwischen als eine Last für das palästinensische Volk bezeichnen und nur noch 41 % von der PA als „Errungenschaft“ sprechen. So glauben inzwischen auch 72 % der Befragten nicht mehr an die Chance, innerhalb der nächsten fünf Jahre einen eigenen palästinensischen Staat neben dem Staat Israel entstehen zu lassen. Dies führt jedoch nicht zu einer stärkeren Unterstützung der sog. Einstaatenlö-sung, die rund 71 % der Befragten weiter ablehnen.

Die palästinensische Einheitsregierung verliert an Zustimmung

Die Zufriedenheit mit der palästinensischen Einheitsregierung geht rapide zurück. Nur noch 36 % der Befragten zeigen sich mit der Regierung unter Premierminister Hamdallah zufrieden. Direkt nach der Schaffung der Einheitsregierung vor mehr als drei Monaten waren noch 61 % der Befragten zuversichtlich. Die Misserfolge der Einheitsregierung lasten die Befragten vor allem der PA (36 %) und nicht der Hamas (25%) an. Trotz dieser deutlichen Kritik wünschen sich die Bürger Gazas die Kontrolle der Grenzen durch eben diese Einheitsregierung (64 % Zustimmung) und nicht durch die Hamas. Und sogar 68 % aller Befragten meinen, die Angestellten im „Sicherheitssektor“ in Gaza sollten durch die Einheitsregierung und nicht durch die Hamas kontrolliert werden. Dies zeigt, dass zwar in der Summe die Arbeit der Einheitsregierung zunehmend negativ angesehen wird – vor allem von den Menschen in Westbank. Allerdings will man bei zentralen Fragen, die eine bedingte Zusammenarbeit mit Israel oder auch der internationalen Gemeinschaft betreffen (Grenzen, Sicherheitsfragen) die Kontrolle nicht in die Hände der Hamas legen, sondern die sonst so kritisch beäugte Fatah-geführte Einheitsregierung damit vertraut wissen. Dies zeigt eine im Kern doch eher Hamas-kritische Ausrichtung bei den Befragten. Gleichwohl gelingt es der Einheitsregierung bisher nicht, daraus politisches Kapital zu schlagen.

Quo vadis – wohin, wenn der Weg nicht klar ist

Alle diese Umfragedaten sprechen in der Summe von einer großen palästinensischen Perspektivlosigkeit und Unzufriedenheit mit den Regierenden. Dies können auch die gegenwärtigen Bemühungen der palästinensischen Führung auf internationaler Ebene nicht verändern. Nur 40 % der Befragten kennen überhaupt die Bestrebungen von Präsident Abbas, auf internationaler Ebene eine Deadline für die Okkupation durchzusetzen; und dies, obwohl die palästinensischen Medien seit Tagen prominent hierzu berichten. Sind den Befragten die Abbas-Pläne bekannt, so zeigen sich 58 % davon überzeugt, dass die Chancen für eine Realisierung der Vorschläge gering oder nicht-existent sind. Dies verdeutlicht, dass selbst die eigene Bevölkerung nicht an den Erfolg der gegenwärtigen palästinensischen Bestrebungen glaubt.

Zudem hat der verlustreiche Krieg gegen Israel bisher zu keinen nennenswerten Verbesserungen der Lebensbedingungen – weder in Gaza noch in der Westbank – geführt. In Gaza ist das Gegenteil der Fall. Hier werden die Folgen des Krieges an Mensch, Natur und Infrastruktur noch über Jahre spürbar sein. Im Nachhinein wird daher vielen die Sinnlosigkeit eines solchen Unterfangens deutlich. Und gleichzeitig schwindet die Angst vor Verlusten und damit auch vor einem erneuten Krieg – denn für viele Menschen gerade in Gaza gibt es einfach nichts mehr zu verlieren, weder an Mensch, Natur noch Infrastruktur.

Bei seinem Besuch in den Vereinigten Staaten in der vergangenen Woche hielt Präsident Abbas zwei große Reden. In seiner ersten großen Rede auf Englisch in der Copper Union Hall, in der sich schon Abraham Lincoln wegweisend gegen Sklaverei aussprach, zeigte sich Abbas als nicht müde werdender, friedensbejahender Staatsmann. Seine zweite Rede vor den Vereinten Nationen am Freitag, den 26. September wird vor allem wegen der Genozidvorwürfe gegenüber Israel im Rahmen des dritten Gazakrieges in Erinnerung bleiben. Viel Kritik ist in diesem Zusammenhang an Abbas geübt worden, vor allem von Israel und den Vereinigten Staaten. Sicher ist, dass derartige Aussagen, egal ob von Präsident Abbas – oder am Montag darauf von Präsident Netanjahu, der die Hamas mit der Gruppierung Islamischer Staat gleichsetzte, Verhanlungen zwischen beiden Seiten auf absehbare Zukunft erschweren werden.

Nur wenn es den Palästinensern gelingt, mit einer Stimme zu sprechen, wird im internationalen Konzert der Akteure diese Stimme gehört werden. Und diese palästinensische Stimme muss eine friedensbejahende Aussage mit sich tragen. Wie die drei Gazakriege und zwei Intifadas gezeigt haben, lässt sich ein Palästinensischer Staat nicht mit Gewalt schaffen. Daher ist es von elementarer Bedeutung, ob es der Einheitsregierung in den nächsten Wochen und Monaten gelingt, in Gaza belastbare Strukturen zu schaffen. Vorstöße bei den Vereinten Nationen scheinen gegenwärtig nicht die notwendigen Mehrheiten zur Veränderung des Status Quo zu generieren. Eine Anerkennung der zukünftigen Grenzen eines Staates Palästinas durch den UN-Sicherheitsrat ist so gut wie ausgeschlossen. So führt am Ende alles wieder auf Gespräche mit der israelischen Seite hinaus. Doch die große illegale israelische Landnahme in der Nähe von Bethlehem, der unverminderte Siedlungsneubau und die zunehmenden Spannungen rund um den Tempelberg lassen nicht auf große Verhandlungsbereitschaft schließen. So stehen die Palästinenser wieder einmal mit dem Rücken zur Wand und es bleibt zu hoffen, dass die eigene Perspektivlosigkeit nicht wieder in Aggression mündet.

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