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Reportage sui paesi

Politischer Islam in der Türkei

di Dr. Wulf Eberhard Schönbohm
Die türkische Republik ist 1923 unter Führung des Kriegshelden und späteren Staatsmanns Gazi Mustafa Kemal (Atatürk) im Kampf gegen die verschiedenen europäischen Mächte und gegen den letzten Sultan des Osmanischen Reiches gegründet worden. Mit Atatürk begann die radikale Abkehr vom osmanischen Staats- und Gesellschaftssystem und dem Einfluss des Islam auf die Politik.

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Die säkulare Republik, die dem sunitischen Islam und deren Interpreten keinerlei Einfluss auf den Staat und die politische Entscheidungen zugestand, beinhaltete einen radikalen Wechsel. Die Bürger wurden durch die politische Führung in die Moderne gestoßen. Das Kalifat wurde abgeschafft, islamische Sekten wurden später verboten, die Prediger in den Moscheen wurden zu Staatsbeamten, die von einer eigens geschaffenen Religionsbehörde bezahlt und kontrolliert wurden.

Islamische Parteien

Nach Gründung der türkischen Republik bis in die heutige Zeit ist das Spannungsverhältnis zwischen säkularem Staat und muslimischer Tradition ein Dauerthema und ein Dauerproblem. In den ersten Jahrzehnten der Republik gab es überhaupt keine islamische oder islamistische Partei.

Erst Ende der 60er Jahre entstand unter Erbakan die erste islamische Partei (Nationale Ordnungspartei), die nach dem Militärputsch 1971 verboten wurde. 1973 erreichte deren Nachfolgepartei, die Nationale Heilspartei (MSP), bei den Wahlen 11,8 % der Stimmen und war zweimal an der Regierung beteiligt. Die Nationale Heilspartei von Erbakan war zwar offiziell keine islamistische Partei, die die Einführung der Scharia propagierte.

Allerdings wurde sie vom politischen Establishment als politisch gefährlich für die türkische Republik eingeschätzt. Sie wurde deshalb auch, wie ihre Vorgängerpartei, vom Verfassungsgericht verboten. Die Nachfolgepartei Refah wurde ebenfalls vom Verfassungsgericht verboten, obwohl sie in den Wahlen 1991 16,9% erreichte und 1995 21,4% erhielt. Ihre Nachfolgepartei Fazilet (Tugendpartei) erzielte unter dem Parteivorsitzenden Kutan 1999 nur noch 14,9%.

Aber auch die Tugend-Partei wurde in diesem Jahr (2001) vom Verfassungsgericht verboten. Alle 4 islamischen Parteien waren von Erbakan geleitet oder aus dem Hintergrund gesteuert worden. Erstmalig gründeten sich aber nach dem Verbot der Fazilet Partei in diesem Jahr als Nachfolgeparteien zwei neue islamische Parteien. Die islamische Bewegung spaltete sich also. Die eine ist die AK-Partei (Gerechtigkeits- und Entwicklungspartei) unter Führung des früheren Oberbürgermeisters von Istanbul, Tayyip Erdogan, der Mitglied der Refah und Fazilet gewesen war.

Die andere islamische Partei trägt den Namen Saadet-Partei (Glückseligkeits-Partei), die immer noch von Erbakan aus dem Hintergrund geleitet wird, da dieser ein politisches Betätigungsverbot verordnet bekommen hat. Sie versteht sich als konservative islamische Partei in Fortsetzung von Refah und Fazilet.

Erdogan dagegen stellt seine Partei als islamisch-demokratische Partei dar, die den säkularen Staat anerkennt und nicht bekämpft, sondern ihren Frieden mit den Atatürkschen Prinzipien und der türkischen Republik gemacht hat.

Angesichts des geringen Ansehens der Regierungsparteien unter Ministerpräsident Bülent Ecevit erreicht die AK-Partei in den Umfragen sehr gute Ergebnisse und würde danach bei einer möglichen Wahl eventuell sogar stärkste Partei werden können. Sehr viele Türken glauben nicht an den politischen Wandel Erdogans, der früher ein fundamentaler Islamvertreter war. Sie unterstellen ihm, dass er "Takiye" (Täuschung) betreibt, um seine wahren Ziele zu verdecken, die er dann wieder offen verfolge und werde, wenn er die Macht erobert hat.

Im Augenblick ist noch offen, ob Erdogan überhaupt Parteivorsitzender bleiben und bei den nächsten Wahlen für das Parlament kandidieren kann, weil die ursprünglich intendierte Änderung der Verfassung, wonach Erdogan eine politische Betätigung ermöglicht worden wäre, überraschend vom türkischen Parlament nicht verabschiedet wurde.

Offensichtlich hatten die übrigen Parteien die Befürchtung, dass Erdogan bei den Wahlen mit seiner Partei zu gut abschneidet. Nun wird demnächst die Frage vom Verfassungsgericht entschieden werden, ob Erdogan Parteivorsitzender bleiben und fürs Parlament kandidieren kann.

Inwieweit Erdogan wirklich einen politischen Gesinnungswandel durchgemacht hat, ist sehr schwer zu beurteilen und sehr umstritten.

Das Militär und die politische Elite schätzen den islamischen Fundamentalismus nach wie vor als eine große Gefahr für die Republik ein. Letztlich wird der Wähler bei der nächsten Wahl darüber entscheiden. In jedem Fall wäre es für die Zukunft der türkischen Republik und des politischen Systems ein Vorzug, wenn sich künftig im türkischen Parteiensystem eine wirklich islamisch- demokratische Partei etablieren könnte, ohne ständig vom Parteienverbot bedroht zu sein. Denn dies würde die gläubigen Muslime mit der türkischen Republik versöhnen, in der sich manche in der Vergangenheit offensichtlich vernachlässigt oder benachteiligt fühlten.

Reaktionen auf den 11. September

Die türkische Regierung hat auf die Terroranschläge in den USA am 11. September klar und eindeutig reagiert und ihre Solidarität mit dem USA und der NATO bekräftigt. Das Parlament hat jetzt auch den möglichen Einsatz türkischer Truppen außerhalb des Landes gebilligt. Allerdings scheinen alle türkischen Parteien ein ungutes Gefühl zu haben, wenn die von den USA angeforderten speziell ausgebildeten Kommandotruppen der türkischen Armee in Afghanistan eingesetzt werden sollten.

Dies dürfte in der türkischen Bevölkerung vor allem dann Probleme aufwerfen, wenn bei möglichen Einsätzen auch die Zivilbevölkerung in Mitleidenschaft geriete. Denn Afghanistan ist ein verarmtes muslimisches Land, und sehr schnell kommt dann Solidarität mit den muslimischen Glaubensbrüdern auf, woran die Regierung nicht so ohne weiteres vorbei gehen kann.

Nach den Anschlägen am 11. September wurde in einer türkischen Zeitung ein türkischer Bürger mit folgender Aussage zitiert: " Man sagt zwar, dem US-Präsidenten sei es so rausgerutscht, aber man kann nicht akzeptieren, dass die Sache in einen Kreuzzug ausarten wird. Wir sind ein Land, dass zu 90% aus Muslimen besteht, wir müssen auch an die Interessen unserer Glaubensbrüder denken". Auch in der radikalen nationalistisch-islamistischen Zeitung Akit wurde den USA vorgeworfen, einen Kreuzzug gegen die islamische Welt vorzubereiten, an dem sich die Türkei nicht beteiligen dürfe.

71% der türkischen Bevölkerung lehnen Militärschläge gegen Afghanistan ab, und 61% befürworten eine neutrale Haltung Ankaras in diesen Konflikt.

In der türkischen Bevölkerung ist die Erinnerung an den Krieg in Bosnien noch stark präsent, in dem nach ihrer Meinung Zehntausende Muslime ermordet wurden, ohne dass der Westen rechtzeitig eingriff. "Solidarität mit den muslimischen Glaubensbrüdern" kann sehr schnell politisch mobilisiert werden, wenn die militärischen Angriffe und die damit verbundenen zivilen Opfer in Afghanistan zunehmen.

Die AK-Partei von Erdogan hat die Terroranschläge in USA eindeutig und hart verurteilt, die geplanten Militärschläge von Seiten der USA und der NATO gegen Afghanistan nicht eindeutig kritisiert, aber auch nicht eindeutig unterstützt. Der Vorsitzende der Glückseligkeitspartei, Recai Kutan, hat die Angriffe gegen Afghanistan kritisiert und deren Einstellung gefordert. Auch radikale kleine linksextreme und islamistische Gruppen haben gegen den Angriff der USA in Afghanistan protestiert.

Militärschlag gegen Irak?

Noch schwieriger wird die Situation für die Türkei, falls die USA ein militärisches Vorgehen gegen den Irak erwägen. Der Irak ist ein Nachbar der Türkei und ebenfalls ein muslimisches Land. Die früher guten Wirtschaftsbeziehungen zwischen dem Irak und der Türkei sind als Folge des Golfkrieges und des danach verhängten Wirtschaftsembargos praktisch zum Erliegen gekommen; dies benachteiligt vor allen Dingen die türkische Grenzregion zum Irak im Südosten des Landes stark. Man spricht von ca. 80 Milliarden Dollar Verlust als Folge dieser Situation.

Die Befürchtung ist nun , dass der noch vorhandene geringe Handel zwischen der Türkei und Irak völlig gestoppt wird und die Flüchtlingsströme zunehmen werden, wenn ein erneuter Angriff gegen den Irak erfolgt, mit dem sich die Beziehungen gerade gut entwickelt haben.

Da die Türkei ihre Flugplätze für die amerikanischen Flugzeuge zur Verfügung gestellt hat, würde die Türkei sich in der islamischen Welt isolieren, falls Angriffe gegen den Irak von türkischen Flugplätzen aus gestartet werden. Vor allem besteht von Seiten der Türkei die Befürchtung, dass bei einem Militärschlag gegen den Irak dessen Einheit gefährdet werden könnte mit der Folge, dass im Nordirak ein separater kurdischer Staat entsteht, was die Türkei natürlich auf jeden Fall verhindern will.

In jedem Fall scheinen sich die türkischen Parteien einig zu sein, dass sie den Amerikanern in jedem Fall davon abraten, den Irak anzugreifen. Denn wenn diese Angriffe erfolgen, wird dies erst recht die Solidaritätsgefühle in der Türkei und den Nachbarländern mit den muslimischen Glaubensbrüdern im Irak mobilisieren. Da die augenblickliche türkische Regierung schwach ist und geringes Ansehen hat, weiß niemand, wie und ob sie solch eine Entwicklung politisch bewältigen könnte.

Neben den islamischen Parteien gibt es in der Türkei auch noch einige wenige islamistische Terrorgruppen, die zwar bisher erfolgreich bekämpft wurden, aber immer noch in kleineren Einheiten vorhanden sind.

Die Solidarität mit islamischen Glaubensbrüdern hat in der türkischen Bevölkerung auch im Hinblick auf den Krieg in Tschetschenien eine große Rolle gespielt. Dies auch deswegen, weil viele Menschen aus der Kaukasusregion mittlerweile in der Türkei leben. Das Vorgehen der russischen Armee in Tschetschenien gegen die dortige Bevölkerung und die islamischen Kämpfer, die von manchen als Freiheitskämpfer angesehen wurden, ist stark kritisiert worden.

Im April diesen Jahres hat die Besetzung eines Luxus-Hotels in Istanbul durch eine bewaffnete Gruppe tschetschenischer Extremisten zu starken Spannungen zwischen der Türkei und Russland geführt. Russland hat der türkischen Regierung vorgeworfen, dass sie gegen tschetschenische Terroristen nicht entschieden genug vorgehe.

Vor allen Dingen wurde von russischer Seite darauf hingewiesen, dass der Anführer dieses Anschlags wenige Jahre zuvor eine Schwarzmeerfähre besetzt und kontrolliert habe. Dieser sei zwar in der Türkei verurteilt, aber sehr bald auf Grund der letzten Generalamnestie wieder freigelassen worden und habe den neuen Anschlag auf das Hotel angeführt. Nur weil in beiden Fällen keine Menschen verletzt wurden, denn die tschetschenischen Extremisten ergaben sich, denn ihr Ziel war offensichtlich "nur", die Weltöffentlichkeit auf den Tschetschenienkrieg hinzuweisen, haben sich die Spannungen zwischen der Türkei und Russland nicht weiter verschärft. In jedem Fall sind Angehörige islamischer Minderheiten aus den verschiedensten Nachbarstaaten oder aus der Region in der Türkei tätig und werden von den türkischen Behörden geduldet, solange sie keine Gewaltaktionen durchführen.

Die Türkei ist ein Land, das sich politisch, militärisch und wirtschaftlich zum Westen gehörig fühlt. Ihre Bedeutung ist als Folge der Anschläge vom 11. September und der geplanten Antiterrorstrategie der NATO gewachsen. Ohne oder gegen die Türkei können viele militärische Maßnahmen von der USA oder der NATO nicht realisiert werden. Trotzdem müssen die türkische Regierung und Politik und auch der Westen darauf Rücksicht nehmen, dass die Türkei gleichzeitig ein islamisches Land ist und darf daher die Türkei nicht überfordern. Die politische Mobilisierung der Solidaritätsgefühle mit unterdrückten, bekämpften oder getöteten muslimischen Glaubensbrüdern ist auch in diesem Land immer noch und immer wieder möglich.

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Sven-Joachim Irmer

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