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Reportage sui paesi

Sozialistenchef Sergej Stanischev wurde zum Ministerpräsidenten Bulgariens gewählt – für vier Stunden

Schwere Verfassungskrise in Bulgarien

Regierungsmandat des Sozialistenchefs nach vier Stunden gescheitert. Regierungsauftrag an Кönigsbewegung. Diskussion um vorzeitige Neuwahlen

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Nach der am Donnerstag morgen in einer dramatischen Nachtsitzung der bulgarischen Nationalversammlung gescheiterten Wahl des Sozialistenchefs Sergej Stanischev zum neuen Ministerpräsidenten steht das Balkanland vor einer schweren politischen Krise.

Nach der Parlamentswahl am 25. Juni war die Sozialistische Partei zwar als eindeutig stärkste Partei aus den Wahlen hervorgegangen, war aber mit 31% und 82 Mandaten weit hinter ihren Erwartungen geblieben. In quälenden, sich äußerst zäh hinstreckenden Verhandlungen wurde zuerst versucht, eine Koalition aus Sozialistischer Partei, der Partei der türkischen Minderheit, die sich schon früher und sehr entschieden an die Sozialistische Partei gebunden hatte, und der Königsbewegung des bisherigen Premiers Zar Simeon II. zu bilden.

Von Anfang an aber waren die Koalitionsverhandlungen beherrscht durch immer neue Forderungen von Simeon II., der sich mit seiner Wahlniederlage – die Königsbewegung erreichte knapp 20% und 53 Sitze – partout nicht abfinden wollte. Besonders aber wollte Simeon sichergestellt wissen, daß alle restituierten Ländereien und Immobilien, die er sich persönlich in seiner vierjährigen Amtszeit einverleibt hat (der Wert wird auf etwa 160 Mio. Dollar geschätzt), unangetastet bleiben. Als dann schließlich Simeon deshalb verlangte, daß das Kabinett nur einstimmig Beschlüsse fassen kann, womit er sich ein ständiges Veto gesichert und damit den Ministerpräsidenten zu einer Statistenrolle degradiert hätte, waren die Verhandlungen gescheitert – übrigens sehr zum Mißfallen von Staatspräsident Parwanov, der lieber Simeon in einer Regierung eingebunden gesehen hätte, damit dieser ihn nicht als Gegenkandidat bei den Präsidentschaftswahlen im nächsten Jahr gefährlich werden könnte.

So entschloß sich dann der Chef der Sozialistischen Partei, der erst 39-jährige Sergej Stanischev, trotzdem, sein Glück zu wagen. Zusammen mit der Partei der türkischen Minderheit verfügt diese Koalition über 116 Abgeordnete der insgesamt 240 Sitze umfassenden Nationalversammlung, wobei für die Wahl des Ministerpräsidenten die Mehrheit der anwesenden Abgeordneten schon ausreichend ist.

Tatsächlich stimmten im ersten Wahlgang – der Wahl des Ministerpräsidenten – 120 Abgeordnete für Stanischev, 119 gegen ihn, wobei klar wurde, daß vier Abgeordnete der rechtsextremen Bewegung „Angriff“ („Ataka“) für den Sozialistenchef votiert hatten.

In den nun folgenden vier Stunden spielte sich in der Nationalversammlung Dramatisches ab. Auffällig breitschultrige Herren kamen in den Fraktionssaal der rechtsextremen Bewegung „Angriff“ und machten den Abweichlern klar, daß diese nicht noch einmal für die Sozialisten stimmen dürfen. Zur gleichen Zeit dämmerte es aber den Sozialisten, daß sie sich in einer Zwickmühle befanden: Denn nach der Bestätigung der Wahl des Ministerpräsidenten muß in einem zweiten Wahlgang die vom dann gewählten Ministerpräsidenten eingebrachte Kabinettsliste vom Parlament bestätigt werden. Dabei aber haben im Parlament Ministerpräsidenten und Minister kein Stimmrecht, da in diesem Punkt die Verfassung strikt auf Trennung zwischen Legislative und Exekutive besteht. Mit nur einer Stimme Mehrheit, nämlich seiner eigenen, wurde Stanischev ziemlich schnell klar, daß die Bestätigung seines Kabinetts höchst unsicher war, zumal er im zweiten Wahlgang nicht stimmberechtigt war.

Über Stunden hinweg tagte die Wahlkomission (dieses gewählte Abgeordnetengremium überwacht die Wahlvorgänge), Verfassungsjuristen wurden nächtens ins Parlament gekarrt, der Staatspräsident kam, Gerüchte schwirrten umher, es werde versucht, die Nachrückerin für Stanischev mit einem Hubschrauber aus der an der Schwarzmeerküste gelegenen Stadt Burgas nach Sofia zu fliegen. Offenbar wurde, daß die Verfassung Bulgariens in keiner Weise antizipiert hatte, daß der Fall eintreten könnte, daß einem bereits gewählten Ministerpräsidenten sein Kabinett verweigert werden könnte.

Am Ende aber stellte Sergej Stanischev seine Kabinettsliste zur Abstimmung – und verlor, nämlich mit 117 zu 118 Stimmen. Noch am Morgen gab Sergej Stanischev sein Scheitern bekannt und damit sein Mandat zur Regierungsbildung zurück.

Nun ist Staatspräsident Parwanov am Zuge. Er hat schon angekündigt, daß er beabsichtige, der zweitgrößten Gruppe, der Königsbewegung, das Mandat zur Bildung einer Regierung zu geben. Noch aber hat er nicht erklärt, wann er das Mandat der Königsbewegung erteilt. In einem solchen Fall hat eine Partei laut Verfassung nur sieben Tage Zeit, ihr Mandat zu verwirklichen. Damit befindet sich aber auch die Königsbewegung in einer äußerst prekären Situation. Denn schon jetzt zeichnet sich ab, daß eine Regierungsbildung unter Simeon II. an der Spitze nur schwer möglich sein wird. Der Vorsitzende der bürgerlich-konservativen Partei „Demokraten für ein starkes Bulgarien“ (DSB), der frühere bulgarische Ministerpräsident Iwan Kostov, hat schon am Morgen des gleichen Tags nach einer Krisensitzung beim Staatspräsidenten verkündet, daß er für eine zweite Amtszeit Simeon II. die Hand nicht reichen werde. Ähnlich klangen Stimmen aus der liberal-bürgerlichen Volksunion. Und bei Achmed Dogan, dem Chef der Partei der türkischen Minderheit, braucht Simeon erst gar nicht anzuklopfen. Das Verhältnis gilt als zerrüttet. Zwar gibt es in der Königsbewegung durchaus Kräfte, die nur allzu bereit wären, den Ballast Simeon II. abzuwerfen, um mit den anderen ins Geschäft zu kommen. Nur auf die Frage, was dann eine Königsbewegung ohne König ist, wissen auch sie so recht keine Antwort. So ist im Moment überhaupt nicht abzusehen, wie es der Königsbewegung gelingen soll, eine tragfähige Regierung zu bilden. Sollte aber auch das nicht gelingen, muß der Staatspräsident einer dritten Partei das Mandat zur Regierungsbildung erteilen. In diesem Fall ist es wahrscheinlich, daß dann die drittstärkste Partei – die Partei der türkischen Minderheit - den Regierungsauftrag erhält. Deren Chef Dogan hat aber nun schon durchblicken lassen, daß er in einem solchen Falle umgehend wiederum Stanischev zum Regierungschef vorschlagen würde.

Was also auf den ersten Blick absurd erscheinen mag – nämlich genau den für das Amt vorzuschlagen, der gerade mit der Bildung einer Regierung gescheitert ist – ergibt in diesem balkanischen Machtpoker durchaus Sinn. Dogan ist sich völlig im klaren, daß er als Vertreter der türkischen Minderheit keine Chancen hat, selbst Ministerpräsident zu werden. Zumal er von den Zugeständnissen der Sozialisten auch gut leben kann. Die hatten ihm fünf Ministerposten und acht Gouverneure (vergleichbar deutschen Regierungspräsidenten) versprochen. Zumal dann in einem dritten und dann letzten Versuch die Chancen für Stanischev steigen dürften.

Denn dann stehen die Abgeordneten vor der Frage, ob sie eine Regierung der Sozialisten und der türkischen Minderheit oder vorgezogene Neuwahlen für das kleinere Übel halten.

Schon jetzt aber ist klar, daß die Abweichler der rechtsextremen Bewegung „Angriff“ aus der Fraktion ausgeschlossen werden, sie dann in keine Fraktionsdisziplin eingebunden sein werden. Und auch andere Abgeordnete möglicherweise von der „Volksunion“ um den früheren Sofioter Bürgermeister Sofianski hätten von vorgezogenen Neuwahlen nichts zu erwarten.

Scheitert allerdings ein dritter, letzter Versuch, dann sind Neuwahlen noch im Herbst unausweichlich.

Bereits jetzt allerdings ist der politische Flurschaden beträchtlich. Jede Regierung, die jetzt gebildet würde, hätte Probleme, auf lange Sicht stabil zu bleiben. Politische Stabilität braucht das Land aber dringend, wenn es die für den EU-Beitritt notwendigen Reformen durchsetzen will.

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Thorsten Geißler

Thorsten Geißler

Leiter des Auslandsbüros Bulgarien

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