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Einzeltitel

"Die Erinnerung"

Der israelische Lyriker, Übersetzer und Literaturwissenschaftler Tuvia Rübner wird 90

Im Sommer 2012 hat Tuvia Rübner, damals 88 Jahre alt, in Weimar den Literaturpreis der KAS erhalten. Nun ist der Lyriker, Übersetzer und Literaturwissenschaftler, der in einem israelischen Kibbuz lebt, 90 geworden. Passend zu diesem runden Geburtstag ist sein neuer Lyrikband „Wunderbarer Wahn“ erschienen, das vielleicht schönste Geschenk an sich selbst.

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„Wunderbarer Wahn“ zieht keine Summe eines langen Lebens, ist keine sentenziöse biographische Bilanz. Die Gedichte, die der Autor in sechs Zyklen angeordnet hat, sind Zeugnisse hoher poetischer Aufmerksamkeit, photographisch präzise und immer im Bewusstsein der Zweisprachigkeit geschrieben. Der am 30. Januar 1924 in Preßburg geborene Tuvia Rübner hat die Texte in hohem Alter verfasst, in hebräischer Sprache, in die er 1941 als Flüchtling kam, und sie dann selbst ins muttersprachliche Deutsche übersetzt. Dabei macht er sich die lautmalerischen Korrespondenzen zunutze, die scheinbar zufällig zwischen den Sprachen entstehen und sich gegenseitig ein Echo geben. Das hebräische Wort für „Blumen“ heißt in der Umschrift „p’rachim“. Tuvia Rübner macht daraus „Blumenpracht“, ein sozusagen bilinguales Wort, das ein farbschillerndes Gedicht hervorbringt: „Woher der Seele / Mut, / so zu blühen?“

Tuvia Rübners neue Gedichte blühen auf vielfache Weise. Sie dokumentieren die „Flüchtigkeit des Lebens“ und die sensible Wahrnehmung des Alters. Immer noch ist der Dichter zur Bewunderung der Welt und ihrer „kleinen Freuden“ fähig („eine ruhige Nacht ohne Albträume“), notiert aber auch die ambivalenten „Irrtümer, Auslassungen, Anmaßungen“ der technischen Moderne: „Jede SMS macht die Sprache nur ärmer, ärmer, ärmer. / Im Netz ist auch Segen. Man findet so manches. Findet und löscht es.“ In der Erinnerung, die aufscheucht und trotzdem anhänglich ist, ist der Quellgrund dieser Gedichte zu suchen. „Ich mag sie nicht, / aber sie mag mich“, stellt das Gedicht „Die Erinnerung“ fest. Die Familie taucht auf, der „Vater, fotografiert“ und ein in Wien gemachtes Foto der „Großmutter“. Tuvia Rübners Eltern und seine 1929 geborene Schwester Alice wurden 1942 aus der Preßburg nach Auschwitz deportiert und dort ermordet. Er selbst war im Jahr zuvor über Budapest nach Palästina entkommen. „Vor siebzig Jahren verließ ich sie. / Sie verließen mich nicht“, schreibt der Dichter, der sich in Deutschland nicht „hiobisieren“, aber auch nicht „enthiobisieren“ lassen möchte, lakonisch. Doch die Ahnenreihe wird fortgesetzt. Urenkelin und Urenkel gelten elogische Gedichte. Ihnen stehen die „Totentafeln“ gegenüber, eindringlich fragende Epitaphe an seine erste Frau, die 1950 bei einem Busunglück starb, an verstorbene Freunde und Dichter wie (die erste KAS-Preisträgerin) Sarah Kirsch: „Meinst du die Sprache, so arm geworden, / könnte auf deinen Reichtum verzichten?“

„Was Worte alles vermögen“, statuiert das letzte Gedicht „In Beckett’s Manier“. Tuvia Rübner, der den Holocaust überlebt hat, ist auch hier ein Zeitzeuge mit der Kraft zur Verständigung. Er wendet sich gegen Krieg und Unwahrheit. Seine Gedichte „verschweigen nichts und bewahren das Geheimnis des Vertrauten“, wie Frank Schablewski in seinem einsichtigen Nachwort zu dem Lyrikband sagt. Es sei sein „letztes Buch“, meint der Dichter. Nun, darin kann man ihm vielleicht widersprechen. Denn eine stark erweiterte Neuauflage seiner Lebenserinnerungen „Von Preßburg nach Merchavia“ beim Rimbaud Verlag ist in Vorbereitung.

„Wunderbare Welt“: Die Konrad-Adenauer-Stiftung gratuliert Tuvia Rübner, dem bedeutenden Vermittler (das Wort „Brückenbauer“ erinnere ihn zu sehr an ,Vogelbauer‘, scherzte er einmal) zwischen den Kulturen und Sprachen, zum 90. Geburtstag.

Tuvia Rübner: Wunderbarer Wahn. Gedichte. Aachen: Rimbaud Verlag, 2014.

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Herausgeber

Konrad-Adenauer-Stiftung e.V.

erscheinungsort

Berlin Deutschland