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Ülkelerden haberler

Indien und die „Russian arms question“

arasında Dr. Adrian Haack

Andere Länder begreifen Rüstungsexporte als strategisches Instrument. Deutschland sollte das auch tun.

Rüstungskooperationen mit der Sowjetunion und der Russischen Föderation bilden seit Indiens Unabhängigkeit die sicherheitspolitische Grundlage des Landes. Die Freundschaft beider Staaten ist in erster Linie eine tiefe Abhängigkeit Neu-Delhis von Moskau. Eine Abhängigkeit, aus der sich die indische Regierung lösen will und lösen muss, da der Abstieg des zweitgrößten Rüstungsexporteurs gerade die strategische Tektonik in weiten Teilen des globalen Südens verschiebt.

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Stornierungen, Zahlungsverzug und Lieferschwierigkeiten

Bereits im vergangenen Jahr kam es zu Verwunderung, nachdem in der Ukraine T-90 Kampfpanzer fotografiert wurden, bei denen es sich nach Ansicht einiger Journalisten um eine nur von Indien verwendete Ausführung handele. Zur gleichen Zeit befanden sich einige dieser Modelle zur Modernisierung in Obhut des russischen Staatsunternehmens Uralwagonsawod. Die Entwendung der indischen Kampfpanzer konnte jedoch nie zweifelsfrei belegt werden. Ob Neu-Delhi über den Verbleib seiner Panzer aufgeklärt werden konnte, wurde nicht öffentlich.[i]

In einem Bericht an das indische Parlament wurde bereits 2022 festgehalten, dass die Russische Föderation Waffensysteme, die für Indien produziert wurden, einbehalten wird. Art und Umfang waren nicht näher aufgeführt.[ii] Kurzum: Der Kreml meldete Eigenbedarf. Im April 2022 stornierte Neu-Delhi eine Bestellung von 48 Mi-17-Helicoptern und im Mai 2022 folgte Indiens einseitige Aussetzung von Verhandlungen über Marinehubschrauber vom Typ Kamov Ka-31.[iii] Neben dem beträchtlichen Auftragsvolumen von über 500 Mio. USD allein für den im Mai stornierten Auftrag büßte die russische Rüstungsindustrie auch an Reputation ein, da nun öffentlich wurde, dass der wichtigste Abnehmer russischer Rüstungsgüter an der fristgerechten Umsetzung des Auftrages zweifelte. Der jüngste Konflikt in der russisch-indischen Rüstungskooperation war ein durch die Sanktionen ausgelöstes Problem bei der Zahlungsabwicklung von Luftabwehrsystemen, da Russland weiterhin auf Zahlungen in US-Dollar drängte. Einen Vorschlag der indischen Regierung, Moskau könnte die aus Rüstungsgeschäften gewonnen Rupien in indische Kapitalmärkte investieren, schlug die russische Seite aus.[iv] 

In Neu-Delhi richtete sich der Unmut weniger gegen die Sanktionen selbst, die die Transaktion in US-Dollar verhinderten, sondern eher gegen die fehlende Kulanz Russlands: die Russische Föderation hatte schließlich die absehbaren Sanktionen der USA durch ihre Invasion erst provoziert und zeigte nun kein Entgegenkommen bei der Zahlungsabwicklung.[v] Unmut der indischen Regierung über „den Westen“ gibt es dennoch, da die Abhängigkeit von der Russischen Föderation ein Resultat des fehlenden Zugangs zu westlichen Waffensystemen sei und man nun für eben diese Abhängigkeit kritisiert werde.[vi] Diese Kritik an der westlichen Kritik lässt sich kaum von der Hand weisen.

 

Russland dominiert das Niedrigpreissegment

Die Russische Föderation spielt gerade für den sogenannten „Globalen Süden“ eine wichtige sicherheitspolitische Rolle. Russland war 2021 der zweitgrößte Waffenexporteur, wobei sich dies auf den Wert der exportierten Waffensysteme bezieht. Im niedrigeren Preissegment war die Russische Föderation der bedeutendste Exporteur. Im 21. Jahrhundert setzt der Kreml die Rolle der Sowjetunion fort und brauchte über Jahrzehnte kaum Konkurrenz durch vergleichbar günstige Anbieter zu fürchten.

Diese Rolle hat politische Auswirkungen, die vor dem Ukraine-Krieg kaum Beachtung fanden. Bei der Nutzung komplexer Waffensysteme aus ausländischer Produktion ist eine Ausbildungskooperation die Regel. Die Ausbildung von technischem Personal hat dabei weniger eine politische Dimension als die Ausbildung von Offizieren. Offiziere werden in den Systemen einer Waffengattung ausgebildet und verbringen in diesem Zusammenhang vielfach längere Zeit in dem Staat, aus dem das System stammt, oder werden durch Militärangehörige jenes Staates ausgebildet. Die späteren Stabsoffiziere bauen so über die Jahrzehnte ihrer beruflichen Laufbahn eine mehr oder weniger starke Bindung auf.

Die technische Abhängigkeit bei Waffensystemen ist natürlich der relevantere Faktor. Das betrifft die Versorgung mit Ersatzteilen: Bei Kampfflugzeugen werden verschiedene Bauteile extrem beansprucht, weshalb ein Flugzeug in festen Intervallen überholt und Verschleißteile getauscht werden müssen. Gerade der Betrieb von Luftfahrzeugen erfordert den stetigen Zulauf an Ersatzteilen. Der Zulauf von Munition ist ebenfalls maßgeblich: Die Lieferprobleme bei der Munition für den Flakpanzer Gepard waren ein anschauliches Bespiel, doch entscheidender ist im Ukraine-Krieg die Produktion von Artilleriemunition. Auch bei der Luftverteidigung ist die entscheidende Frage, ob man mehr Flugkörper als der angreifende Feind aufbringen kann. Engpässe bei der Munition können in letzter Konsequenz kriegsentscheidend sein.[vii] Bei den meisten komplexeren Waffensystemen ist es zudem üblich, dass diese in regelmäßigen Abständen überholt, gewartet und teilweise modernisiert werden. Dabei werden nicht nur Verschleißteile ausgetauscht, sondern auch technisch weiterentwickelte und neue Systeme integriert. So unterscheidet sich beispielsweise der ab 1979 in Serie produzierte Kampfpanzer Leopard 2A0 technisch extrem von dem Leopard 2A8, der ab 2025 an die Bundeswehr ausgeliefert werden soll.[viii] Teilweise werden neue Versionen eines Waffensystems produziert, aber in der Regel versuchen Hersteller, vorhandene Systeme zu modernisieren. Wenn diese regelmäßige Aufwertung ausbleibt, wird das Waffensystem von technologischen Entwicklungen überholt.

Das „Thophy Active Protection System“ der neuen Generation des Leopard 2 deckt das Fahrzeug mit einem 360-Grad-Radar ab und feuert hochautomatisiert eine projektilbildende Ladung auf anfliegende Geschosse ab. Anfang der 1980 war nicht annährend die notwendige Rechenleistung für derartige Technologie vorhanden. Heute ist sie für die moderne Panzerwaffe unerlässlich, wie die ersten Wochen der Invasion der Ukraine veranschaulichten, als die technisch veralteten russischen Panzer reihenweise abgeschossen wurden. Auch bei Schiffen ist diese Praxis üblich. Die Fregatten der Brandenburg-Klasse, die seit 1994 im Dienst sind, sind vergleichsweise neu und trotzdem hat sich gerade die Radar- und Flugkörpertechnologie weiterentwickelt. So wurden die Fregatten dieser Klasse unter anderem mit dem Täuschkörpersystem MASS, das erst seit 2004 produziert wird, nachgerüstet. Diese beiden sehr unterschiedlichen Waffensysteme stehen beispielhaft dafür, wie Waffensysteme gegen die technisch neueste Generation von Geschossen aufgerüstet wurden. Wenn in einer Rüstungskooperation derartige Upgrades ausbleiben, sind die veralteten Modelle auf dem Gefechtsfeldfeld leicht zu bekämpfen. Die Abhängigkeit zwischen Rüstungsexporteur und Rüstungsimporteur besteht somit weit über die reine Beschaffung hinaus. Gerade wenn sich ein Staat für ein langlebiges Waffensystem entschieden hat, schaffen Upgrades und Ersatzteile ein massives Abhängigkeitsverhältnis.

 

Rüstungskooperationen haben starke politische Implikationen

Diese Abhängigkeit von der Russischen Föderation hat enormen Einfluss auf die indische Außenpolitik. Negative Schlagzeilen macht das indische Abstimmungsverhalten zum Angriffskrieg Russlands in der UN-Vollversammlung seit März 2022. Dass Indien sich als einer der wenigen demokratischen Staaten bisher in allen einschlägigen Voten enthalten hat, sorgt in der westlichen Welt für Verstimmung. In Indien wird offen kommuniziert, dass das Abstimmungsverhalten primär auf die Abhängigkeit von russischen Waffensystemen zurückzuführen ist. Die zahlreichen Argumentationsversuche westlicher Diplomaten und Politiker, Indien möge sich an ihre Seite stellen, liefen entsprechend ins Leere. Indiens Regierung mag die Argumente um eine regelbasierte internationale Ordnung teilen, doch das ändert nichts daran, dass die eigenen Sicherheitsinteressen Priorität haben. Indien kann sich kein Zeichen der militärischen Schwäche erlauben – dafür ist die Rüstungskooperation mit Moskau mittelfristig unverzichtbar.

Die sicherheitspolitischen Herausforderungen Indiens fliegen vielfach unter dem Radar der europäischen Öffentlichkeit. Zusammenstöße wie im Jahr 2020 in Ladakh werden als „Scharmützel“[ix] in der Presse beschrieben. Ein Begriff, den wahrscheinlich kein Journalist wählen würde, wenn bei einem Vorfall 20 Bundeswehrsoldaten gefallen wären. Dass sich Neu-Delhi bedroht fühlt, ist keineswegs unbegründet. Der seit Indiens Staatsgründung andauernde Konflikt mit der Atommacht Pakistan tritt zunehmend in die zweite Reihe, ist jedoch immer noch sehr präsent und eng mit der Rivalität zu China verknüpft.

Die Volksrepublik China, Pakistans wichtigster Waffenlieferant, ist die zweite Atommacht mit direkter Grenze zu Indien und beansprucht Teile des indischen Staatsgebietes als „Südtibet“ für sich. Die übergeordnete Ebene der indo-chinesischen Rivalität ist der von China angestrebte Aufstieg zur Hegemonialmacht, der mit dem Eindämmen der indischen Einflusssphäre auf dem asiatischen Kontinent einhergeht. Die chinesischen Gebietsansprüche im indischen Himalaya, im Nordosten des Landes und in Bhutan sind für Indien ernste Bedrohungen. Vor allem ist man in Neu-Delhi besorgt, dass China versuchen könnte, den sogenannten „Siliguri-Korridor“ zu erobern, der auch als „Hühnerhals Indiens“ bezeichnet wird. Der Siliguri-Korridor ist ein nur 20 Kilometer breiter Landstreifen um die Stadt Siliguri im indischen Bundesstaat Westbengalen und der einzige Verbindungpunkt für die acht Staaten Nordostindiens mit dem Rest des Landes.

Auch zur See stellt China eine Bedrohung dar. Eine mögliche militärische Nutzung der „Belt and Road“-Projekte ist für Indien gleichbedeutend mit einer vollständigen maritimen Einkreisung durch China. Würden die Häfen in Pakistan, Sri-Lanka, Bangladesch und Myanmar als chinesische Flottenstützpunkte genutzt werden, würden sie das Seegebiet um Indien effektiv abdecken. Ein Zerstörer erreicht von diesen Häfen aus jeden Punkt innerhalb der 200-Meilen-Zone Indiens in weniger als 24 Stunden und hat Zugriff auf den Schiffsverkehr im Arabischen Meer, der Lakkadivensee, dem Golf von Bangalen und der Andaman-See. Chinesische Marinestützpunkte in Dschibuti, an der Straße von Malakka sowie der Westküste Afrikas bilden einen zweiten Ring um Indien.

Angesichts der Gebietsansprüche, die China in der Region und auch auf indischem Territorium offensiv verfolgt, kann Beijing im indo-chinesischen Konflikt eindeutig als Aggressor identifiziert werden. Zudem hatte China 2022 ein um 210 Mrd. USD größeres Verteidigungsbudget als Indien und ist wehrtechnisch deutlich überlegen.[x] Die Bedrohungslage könnte kaum greifbarer sein.

 

Indiens Diversifizierung ist ein Marathon und kein Sprint

In den vergangenen Jahren war Indien – wenn auch mit sinkender Tendenz – der größte Abnehmer russischer Waffen.[xi] Die Nutzung russischer Waffensysteme ist bei allen drei Teilstreitkräften ausgeprägt.

Die Panzertruppe ist mehrheitlich mit T-90 (1.200 Panzer im aktiven Dienst) und T-72 (2.400 Panzer im aktiven Dienst) ausgestattet. Nur wenige Einheiten nutzen den aus eigener Produktion stammenden Kampfpanzer Arjun. Im Verbund mit den Kampfpanzern kann das das indische Heer auf rund 1.800 BMP-2-Schützenpanzer und 800 BTR-80 zurückgreifen. Vervollständigt wird die Panzertruppe durch gut 700 Luftlande- und Spähpanzer vom Typ BMD und BRDM-2. Insgesamt bilden rund 7.000 Panzer aus russischer Produktion (oder indischer Lizenzproduktion) die Landstreitmacht Indiens. Diese gigantische Stückzahl in Verbindung mit dem Alter der meisten Fahrzeuge lässt nur erahnen, wie riesig der Bedarf an Ersatzteilen und Upgrades sein muss.[xii]

Obwohl die indische Luftwaffe mit dem französische Mehrzweck-Kampfflugzeug Rafale (36 Flugzeuge im aktiven Dienst) und die Eigenproduktion HAL Tejas (30 Flugzeuge im aktiven Dienst) zwei solide Zukunftsprojekte implementiert hat, bilden russische Kampfflugzeuge vom Typ MiG-29 (68) und Su-30MKI (263) das Rückgrat der Luftstreitkräfte. Die Marine verfügt über 42 weitere MiG-29, die auch die Hauptwaffe der Flugzeugträger bilden.[xiii] Abseits des Luftkampfes stellen rund 250 russische Hubschrauber unterschiedlicher Varianten die Flexibilität der indischen Streitkräfte sicher.

Die Marine hat mit einem kürzlich in Dienst gestellten Flugzeugträger aus eigener Produktion und den Zerstörern der Kolkata-Klasse auf den ersten Blick eine geringere Abhängigkeit von russischer Technologie. Jedoch sind sowohl der ältere Flugzeugträger der indischen Marine, wie auch die Atom-U-Boote und die Mehrheit der Fregatten aus sowjetischer bzw. russischer Produktion. Bei den unterschiedlichen Fregatten-Klassen, die alle indische Namen tragen, handelt es sich letztlich um russische Technologie. Beispielhaft ist die relativ neu eingeführte Talwar-Klasse, bei der es sich um eine modifizierte Version der sowjetischen Kriwak-Klasse handelt. Die sieben Schiffe wurden in St. Petersburg und Kaliningrad gebaut.[xiv]   

Das indische Militär ist nur eines von vielen Beispielen von Streitkräften, die eine starke Abhängigkeit von russischen Waffensystemen haben. So hat Algerien allein seit 2005 über 300 T-90-Kampfpanzer und 46 Su-30MK-Kampfflugzeuge von Moskau bezogen.[xv] Malaysia und Vietnam haben jüngst 18 bzw. 12 Su-30 erhalten.[xvi] Venezuela hat seit dem Jahr 2000 russische Flugzeuge, Hubschrauber und Raketensysteme im Wert von 15 Mrd. USD angeschafft.[xvii] Aserbaidschan und Armenien haben in den vergangenen Jahren gleichermaßen umfassende russische Waffenimporte von Panzern bis Hubschraubern erhalten.[xviii] Uganda hat über viele Jahrzehnte eine sowjetisch-russische Panzerflotte mit rund 300 Fahrzeugen angehäuft.[xix] Die Beispiele ließen sich fortführen. Indien sticht lediglich wegen seiner Größe hervor, doch die Abhängigkeit von russischen Waffensystemen ist in zahlreichen Staaten des globalen Südens eklatant. Diese Staaten stehen nun vor der „Russian arms question“.

 

Staaten des globalen Südens suchen nach einer Alternative

Es ist offensichtlich, dass die russische Rüstungsindustrie ihre Stellung in der globalen Sicherheitsarchitektur verlieren wird. Das muss nicht zwangsläufig bedeuten, dass sie keine herausgehobene Stellung mehr haben wird, aber sie wird unabhängig vom Ausgang des Krieges Marktanteile einbüßen. Dafür gibt es vier Gründe:

(1) In den kommenden Jahren wird die russische Rüstungsindustrie nur wenig Kapazitäten haben, um größere Aufträge anzunehmen, da sie die eigenen Verluste aus dem Krieg ausgleichen muss.

(2) Es hat sich gezeigt, dass die Produktion auf zahlreiche ausländische Komponenten angewiesen ist, die wegen der Sanktion auf absehbarer Zeit nur eingeschränkt verfügbar sind.

(3) Weiter ist die Neuanschaffung russischer Waffensysteme für den kaufenden Staat mit möglichen politischen Konsequenzen oder zumindest mit einem Reputationsverlust im Westen verbunden.

(4) Der schwerwiegendste Grund ist die Performance der russischen Waffensysteme in der Ukraine. So waren die technischen Defekte bei Flugkörpern unerwartet hoch[xx]; Russland konnte auch nach über einem Jahr keine Lufthoheit erlangen; es gibt keine Aufnahmen von russischen Panzern, die aus der Fahrt feuern und Ziele punktgenau treffen; die russische Artillerie zielt überraschend ungenau und die Bilder liegengebliebener Fahrzeuge sind um die Welt gegangen. Die russischen Truppen mussten Drohnen im Iran beschaffen und Prestigeprojekte wie der Kampfpanzer A-14 oder der unbemannte Panzer Uran-9 wurden noch nicht auf dem Gefechtsfeld gesichtet. Die Hyperschallrakete „Kinschal“, die als unaufhaltbar inszeniert wurde, wurde vielfach von westlichen Luftverteidigungssystemen abgeschossen. Der Untergang des Flaggschiffs der Schwarzmeerflotte vervollständigte das schlechte Image.

Die „Russian arms question“ wird daher recht dringlich. Da in den allermeisten Staaten der Aufbau einer effektiven Rüstungsindustrie unrealistisch ist, bleiben wenige Optionen. Man kann auf die Regeneration der russischen Rüstungsindustrie warten oder auf die chinesischen Alternativen umsteigen. Indien sucht mehr noch als andere Staaten nach einem dritten Weg, da die chinesische Alternative keine Option ist. Aus indischer Sicht sind Waffensysteme aus NATO-Staaten oder aus Israel die einzige Chance zur Diversifizierung. Die indische Regierung forciert dabei Joint-Ventures bzw. die Produktion in Indien, weniger um die eigene Wirtschaft zu stärken, sondern viel mehr, um die Kosten für die Rüstungsgüter zu senken.

Die Kostenfrage ist für Staaten, die auch Zugang zu chinesischen Rüstungsgütern hätten, natürlich noch viel maßgeblicher. Bereits in der Vergangenheit haben sich einige Staaten für sowjetische und später russische Produkte entschieden, da sie entweder aus politischen Gründen keinen Zugang zu anderen Waffensystem erhalten hatten oder weil sie schlicht günstiger waren. Ein Leopard-2-Kampfpanzer kostet in der A7-Ausführung bereits 15 Mio. Euro.[xxi] Der russische T-90 kostet etwa 3,5 Mio. Euro.[xxii] Das Beispiel ist nicht optimal gewählt, da der Leopard 2 ein anderes technisches Niveau hat und ca. 20 t mehr wiegt. Allerdings wäre dies die Alternative aus Sicht eines Staates, der von einem russischen auf einen deutschen Kampfpanzer umsteigen wollen würde. Der Preisfaktor ist auch heute noch eine wichtige Variable.

Sollten die Rüstungsindustrien der NATO-Staaten wirtschaftlich nicht in der Lage oder nicht politisch mandatiert sein, das russische Vakuum auszufüllen, wird höchstwahrscheinlich China diese Rolle übernehmen. In Südasien ist diese Entwicklung bereits vorangeschritten, da Pakistan wegen der guten indo-russischen Beziehungen auf eine Alternative zu russischen Waffenimporten angewiesen war. Pakistan ist von 2010 bis 2020 mit weitem Abstand zu Bangladesch und Myanmar der größte Importeur chinesischer Rüstungsgüter gewesen. In diesem Sektor gingen 38 Prozent aller chinesischen Exporte von 2006 bis 2020 nach Pakistan.[xxiii] Chinas Rüstungssektor wäre aller Wahrscheinlichkeit auf einen erhöhten Rüstungsexport vorbereitet, da die Industrie gerade in den Jahren wuchs, als in Europa kein Grund für hohe Rüstungsausgaben bestand. Im Vergleich von 2003 bis 2007 und 2008 bis 2012 wuchs der Rüstungsexport Chinas um 162 Prozent.[xxiv] China ist bereit.

 

Deutschland sollte seine Rüstungsindustrie als strategisches Instrument begreifen

Nicht nur Russland und China, auch die USA, Israel oder Frankreich begreifen ihre leistungsfähige Rüstungsindustrie als strategisches Instrument ihrer Außenpolitik. In Deutschland hat sich die Debatte rund um die heimische Rüstungsproduktion um 180 Grad gedreht. Die Bundestagsdebatten um die Anschaffung bewaffnungsfähiger Drohnen ab dem Jahr 2008 erscheinen heute naiv, die pauschale Opposition zu Waffenexporten wird im öffentlichen Diskurs kaum noch vertreten und auch das Image der Rüstungsunternehmen hat sich grundlegend gewandelt. Das Luftverteidigungssystem IRIS-T schützt das Leben von Zivilisten in der Ukraine. Sätze wie „Rüstungsforschung hat keinen Wert für die Gesellschaft“[xxv] oder „Man kann anderen Ländern auch anders zur Seite stehen als mit Haubitzen“[xxvi] in deutschen Leitmedien wirken aus der Zeit gefallen. Deutschland hat im Jahr 2022 von einem gesinnungsethischen Diskurs aus dem Elfenbeinturm zu einer Verantwortungsethik gefunden, die die neue geopolitische Realität anerkennt.

Nach diesem ersten Schritt gilt es, eine strategische Debatte anzustoßen. Es liegt im deutschen Interesse, dass sich Staaten nicht von ihrer Abhängigkeit von Russland in den Orbit Chinas begeben. Es ist zudem ein direktes europäisches Sicherheitsinteresse, den russischen Rüstungsexport zu minimieren. In der russischen Rüstungsindustrie arbeiten 2 bis 3 Mio. Menschen, was rund 20 Prozent der gesamten Industriearbeitsplätze entspricht.[xxvii] Keine andere Volkswirtschaft ist so abhängig von ihrer Rüstungsindustrie. Da es sich um eine mehrheitlich im Staatsbesitz befindliche Industrie handelt, würde ein Exportrückgang den Staatshaushalt direkt treffen. Durch sinkenden Export würden einerseits Einnahmen fehlen, andererseits würden die Beschaffungskosten für die eigenen Streitkräfte erheblich steigen.[xxviii] Zudem birgt die monopolisierte Struktur das Risiko, dass die Schieflage eines einzigen russischen Unternehmens das Einbüßen weitreichender militärischer Fähigkeiten zur Folge hätte oder kostspielige staatliche Unterstützung notwendig wird. Indem man der russischen Rüstungsindustrie Absatzmärkte streitig macht, schwächt man Russlands militärische Fähigkeiten langfristig und gleichzeitig seine Volkswirtschaft insgesamt.

Art und Umfang von Waffenexporten sind zweifelsohne ein Freundschaftsindikator zwischen Staaten. Viele russische Kunden von Venezuela bis Syrien sind keine strategischen Partner Europas. Ein möglicher Wettbewerb mit der russischen oder chinesischen Rüstungsindustrie ist von Fall zu Fall zu entscheiden. Kuba, Nordkorea oder den Iran mit deutscher Technologie aufzurüsten, liegt offenkundig nicht im strategischen Interesse, doch in anderen Fällen wie bspw. Saudi-Arabien – das mitnichten ein Wertepartner ist – hat sich die Bundesregierung bereits aus übergeordneten strategischen Gründen für Waffenexporte entschieden. Indiens Aufrüstung birgt ein geringes Risiko und ist von entscheidender strategischer Bedeutung.

Die außen- und sicherheitspolitischen Institutionen sowie die Parteienlandschaft in Indien sind sehr stabil, weshalb ein Politikwechsel nicht wahrscheinlich ist. Die Bereitschaft, sich aus der Abhängigkeit von Moskau zu lösen, ist groß. Indien ist ein Stabilitätsfaktor im indischen Ozean und steht für freie Seewege ein. Das Land wäre mit einem Wehretat von über 80 Mrd. USD pro Jahr ein großer Abnehmer für die deutsche Verteidigungsindustrie. Frankreich und die USA spielen bereits seit Jahren eine wichtige Rolle in der Modernisierung der indischen Streitkräfte und gehen dabei sehr proaktiv und entgegenkommend vor. Die Indien-NATO-Beziehungen wurden bereits von diesen beiden NATO-Partnern vorgezeichnet. Aus deutscher Perspektive kann man sich dieser Linie nun zumindest nachträglich anschließen oder sich entscheiden, keine sicherheitspolitische Rolle in Südasien zu spielen. Mit seiner über 3.000 km langen Grenze zu China und einer Art „Kalten Krieg“ im Indischen Ozean ist Indien einer der Staaten, mit dem China eine größere militärische Auseinandersetzung bald haben könnte. Durch die schiere Größe und die lange Landgrenze ist Indien aus Sicht der USA neben Japan und Australien der wichtigste potenzielle Partner bei einer möglichen Eskalation mit China. Indien wird deshalb wahrscheinlich einen privilegierten Zugang zu US-Waffensystemen erhalten und selbst die sicherheitspolitische Nähe der USA suchen.

Im Konfliktfall wird sich Indien bei allem Selbstbewusstsein nicht allein gegen China behaupten können, da es gegenüber China wehrtechnisch unterlegen ist. Noch ist die russische Rüstungsindustrie für die indischen Militärplaner maßgeblich – doch hier wird nun vieles neu kalibriert.

Für Indien muss Deutschland – wie für viele anderen Staaten auch – die Frage beantworten, wie „der Ausbau sicherheits- und verteidigungspolitischer Kooperation“[xxix] umgesetzt wird. In den Indo-Pazifik-Leitlinien wird die Teilnahme an Foren, Übungen und Evakuierungsplanungen sowie die Entsendung von Verbindungsoffizieren und „verschiedene Formen der maritimen Präsenz“ genannt. Den Staaten der Region ist durchaus bewusst, dass die Deutsche Marine kein sicherheitspolitischer Faktor in der Region ist. Der rüstungspolitische Ansatz in Deutschlands Leitlinien äußert sich in der dreizehnfachen Nennung von Rüstungskontrolle. Wenn dies die Indo-Pazifik-Strategie der Bundesregierung ist, hat sie derzeit keine ernstzunehmende sicherheitspolitische Dimension.

Kurzum: Wenn Deutschland seine leistungsfähige Rüstungsindustrie nicht als Instrument der Sicherheitspolitik einsetzt, dann ist der Instrumentenkasten leer. Rüstungskooperationen sind beispielsweise für Frankreich oder die USA, aber auch für die Russische Föderation und China ein gängiges und effektives Instrument der Außenpolitik. Gerade für eine Nation, die militärisches Engagement zu vermeiden sucht, ist es abseits der “Soft Power“ die einzige realpolitische Handlungsoption. Deutschland sollte seine Rüstungsindustrie als strategisches Instrument begreifen.


[i] G. Linganna (2022): Indian Army T-90S Bhishma tanks may be fighting in Ukraine for Russia, Frontier India, in: https://bit.ly/3VXTA6k

[ii] P. Wolf (2023): Indiens Weg aus der Abhängigkeit von russischen Waffen ist lang – und führt Richtung Westen, Neue Züricher Zeitung, in: https://bit.ly/3O2kYxV

[iii] G. Kuczyński (2022): India Halts Russian Helicopter Deal, U.S. Comes Into Play, Warsaw Institute, in: https://bit.ly/44TGcDY

[iv] Kootneeti (2023): Indian Military Supplies from Russia Hit Roadblock over US Sanctions, in: https://bit.ly/3nQi7NN

[v] The Wire (2023): Fear of US Sanctions, Payment Method Issues Stall Russia's Military Supply to India: Report, in: https://bit.ly/3BiqHrK

[vi] S. Bhasin (2022): 'West didn't supply weapons….': S Jaishankar on India's Russian-origin inventory, Hindustan Times, in: https://bit.ly/3Mi9N2R

[vii] Tagesschau (2023): "Dieser Krieg wird über Ressourcen entschieden", in: https://bit.ly/3BmJwKg

[viii] W. Geiger & G. Heiming (2023): Neue Kampfpanzer – Bundeswehr soll Leopard 2 A8 erhalten, Europäische Sicherheit & Technik, in:  https://bit.ly/3Mgr2Az

[ix] DW (2020): Tödliches Gefecht zwischen Indien und China, in: https://bit.ly/42sSJNi

[x] Statista (2023): Die Länder mit den weltweit höchsten Militärausgaben im Jahr 2022, in: https://bit.ly/3NY20sj

[xi]Stockholm International Peace Research Institute (2023): Surge in arms imports to Europe, while US dominance of the global arms trade increases, in: https://bit.ly/3Mgn0JA

[xii]IIS (2023): The Military Balance, in:  https://bit.ly/2FYyNu6 (S.248)

[xiii] Ebd. 12 (S. 251f)

[xiv] Radio Stimme Russlands (2012): Russland liefert an Indien Fregatte „Tarkasch“, in: https://bit.ly/3O4VHmG

[xv] Congressional Research Service (2021): Russian Arms Sales and Defense Industry, in: https://bit.ly/3MibDAN

[xvi] A. David (2023): No issues with Russian equipment, armaments, New Straits Times, in: https://bit.ly/42NPY9a

[xvii] G. D. Olmo (2019): Las armas que Rusia le vendió a Venezuela y qué tienen que ver con los aviones militares rusos que llegaron este fin de semana a Caracas, BBC News, in:  https://www.bbc.com/mundo/noticias-america-latina-47702554

[xviii] Fact Investigation Platform (2023): Main supplier of weapons to Armenia and Azerbaijan was Russia: Official of the Russian Foreign Ministry is lying, in: https://bit.ly/3BmMUEY

[xix] Ebd. 12 & 13 (S. 485f)

[xx] Ntv ((2022): Bis zu 60 Prozent der russischen Raketen versagen, in: https://bit.ly/3ptOdPY

[xxi] F. Stoll (2023): Was kostet ein Leopard 2 und Munition für den Panzer?, Focus Online, in: https://bit.ly/3I1R4WE

[xxii] P. Staedele (2023): Der T-90 - Preis, Bewaffnung und Gewicht des russischen Panzers, Südwest Presse, in: https://bit.ly/3VWBuBl

[xxiii] BICC (2022): Länderinformation Pakistan, in: https://bit.ly/44PXsu0

[xxiv] Die Zeit (2023): Chinas Rüstungsindustrie boomt mit Plagiaten, in: https://bit.ly/3MjoFOz

[xxv]K. Haug (2011): Wissen schaffen ohne Waffen!, Die Zeit, in: https://bit.ly/3I0AsPb

[xxvi]G. Mascolo (2022): Schluss mit geheim, Süddeutsche Zeitung, in: https://bit.ly/3MiRomo

[xxvii] Ebd. 12;13 & 19

[xxviii] P. Luzin (2023): Doomed to Failure — Russia’s Efforts to Restore its Military Muscle, CEPA, in: https://bit.ly/3LWmHSH

[xxix] Die Bundesregierung (2020): Leitlinien zum Indo-Pazifik, in: https://bit.ly/3pz7sru

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