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Die Beziehungen Kanadas zu den USA unter Donald Trump

Ellenbogen rauf, Ellenbogen runter

Kanada steht vor einer historischen Bewährungsprobe: Nach Trumps Wiederwahl verschärfen sich die Spannungen mit den USA, und Premierminister Carney setzt auf neue Allianzen in Europa und dem Indo-Pazifik. Wie gelingt Kanada die Balance zwischen wirtschaftlicher Unabhängigkeit und geopolitischer Sicherheit? Und welche Folgen hat der Kurswechsel für die Zukunft des Landes?

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Auf einen Blick
  • Nach der Wiederwahl Donald Trumps haben sich die Beziehungen zwischen den USA und Kanada deutlich verschärft. Trumps protektionistische Wirtschaftspolitik und seine provokanten Äußerungen zu Kanada als „51. Bundesstaat der USA“ entfachten entfachten einen neuen Patriotismus und führten zu einem grundlegenden Wandel in der kanadischen Außen- und Wirtschaftspolitik. Premierminister Mark Carney reagierte mit einer klaren Hinwendung zu Europa und verstärkter Kooperation in Sicherheits- und Verteidigungsfragen.
  • Kanada bemüht sich seither, wirtschaftliche Abhängigkeiten von den USA zu verringern, seine Handelsbeziehungen zu diversifizieren und zugleich die militärische Zusammenarbeit im NATO-Rahmen zu stärken. Carneys Kurs gilt als pragmatisch: Er sucht Stabilität im Verhältnis zu Washington, ohne nationale Interessen zu kompromittieren.
  • Innenpolitisch steht Kanada vor erheblichen Herausforderungen. Die Folgen des Zollstreits, steigende Arbeitslosigkeit und hohe Lebenshaltungskosten belasten das Land. Gleichzeitig sollen Industrie- und Infrastrukturprogramme wirtschaftliche Resilienz fördern.
  • Kanada sieht sich gezwungen, seine geopolitische Position neu zu definieren. Angesichts der wachsenden Unsicherheit über den Kurs der USA setzt Ottawa auf strategische Eigenständigkeit und engere Partnerschaften mit Europa und dem Indo-Pazifik-Raum.
 

Inmitten des globalen Handelskrieges erreichte der Konflikt zwischen den einst engsten Partnern USA und Kanada im Frühjahr 2025 mit gegenseitigen Straf- und Gegenzöllen einen neuen Höhepunkt. Nach seinem erneuten Amtsantritt im Januar setzte US-Präsident Donald Trump seine protektionistische Politik der ersten Amtszeit fort. Mit Drohungen von Strafzöllen in Richtung der Automobil- und Stahlindustrie, aber vor allem mit der Forderung nach der Annektierung Kanadas als „51. Bundesstaat der USA“ entfachte Trump einen fast in Vergessenheit geratenen kanadischen Patriotismus. Die Attacken Trumps hätten laut dem Kanada-Experten Gerd Braune in Kanada nationale Gefühle wie noch nie zuvor ausgelöst und die Beziehung zwischen den Nachbarstaaten nachhaltig verändert.1 Zu Beginn des Wahlkampfes sprach Premierminister Mark Carney gar von unwiederbringlicher Zerstörung: „Die alte Beziehung, die wir zu den Vereinigten Staaten hatten und die auf einer vertiefenden Integration unserer Volkswirtschaften und einer engen sicherheitspolitischen und militärischen Zusammenarbeit beruhte, ist vorbei.“2

Nach den Erfahrungen mit der ersten Trump-Administration von 2017 bis 2021 will Kanada deshalb jetzt seine „Stärken stärken“, innerstaatliche Handelshemmnisse zwischen den Provinzen beseitigen und bisherige Abhängigkeiten im Bereich der Verteidigung neu ausbalancieren. Kanadas Industrie gilt als der größte Investor in den USA, aber mit neuen Märkten in Europa oder im Indo-Pazifik-Raum ist angesichts der protektionistischen Zollpolitik der USA eine Diversifizierung und Resilienz der kanadischen Handels- und Industriepolitik dringender denn je. Als Vorsitzland koordinierte Kanada Mitte Juni das Treffen der G7-Staaten in Kananaskis. Auf der Tagesordnung standen unter anderem Beschlüsse zu Migration, Künstlicher Intelligenz und Quantentechnologien sowie zu kritischen Rohstoffen. „Die G7 wollen die Abhängigkeit von autoritären Staaten wie China verringern und eigene Lieferketten für Lithium, Kobalt oder seltene Erden absichern. Sie haben sich außerdem darauf verständigt, Investitionen zu erleichtern und Partnerschaften mit zuverlässigen Ländern zu stärken.“3

Eine Woche später unterzeichnete Kanada am 24. Juni in Brüssel ein Abkommen mit der EU zur Vertiefung der sicherheitspolitischen Zusammenarbeit, um an der EU-Initiative ReArm Europe über das Programm Security Action for Europe (SAFE) teilzuhaben. Der mit rund 800 Milliarden Euro unterlegte Plan „ReArm Europe/Readiness 2030“ der Europäischen Kommission will die Verteidigungsfähigkeit Europas erhöhen. Das Programm SAFE soll mit 150 Milliarden Euro Kreditoptionen die Interoperabilität der EU-Partner stärken.4 Kanada als Nicht-Mitglied der EU, das aber der NATO angehört, kann womöglich in Anlehnung an den Status Norwegens oder Großbritanniens hier partizipieren und so die hohe Abhängigkeit von der US-amerikanischen Verteidigungsindustrie verringern.5

Die strategische Ausrichtung Kanadas hin zu Europa wurde in den USA erneut kritisch aufgenommen. Beim anschließenden NATO-Treffen in Den Haag bekannte sich Kanada jedoch zum von den USA eingeforderten Fünf-Prozent-Ziel aller NATO-Partner und konnte so womöglich die US-Regierung vorläufig besänftigen. Wie das Land das Ziel umsetzen wird, bleibt abzuwarten. Mit dieser Ausrichtung korrigiert Premierminister Mark Carney die Vorgängerregierung und signalisierte den USA, dass Kanada sich nicht einschüchtern lässt, sich aber der Aufgaben im Nordamerikanischen Luftverteidigungskommando (NORAD), in der Arktis und im nordatlantischen Bündnis mit Europa annimmt. Die Provokationen der USA lassen die Kanadier also nicht nur zusammen-, sondern vor allem näher an ihre europäischen Verbündeten heranrücken – auch mit einem Abkommen im August 2025 zwischen Kanada und Deutschland über die Sicherung kritischer Rohstoffe.6

Der von der Regierung Carney eingeschlagene Kurs gegenüber den USA wirkt nach außen verbindlich und unaufgeregt.
 

Mark Carney und Donald Trump – unterschiedlicher geht es kaum

Kanada erlebte inmitten des Handelskonfliktes mit den USA einen kurzen, eher unspektakulären Wahlkampf. Der Stimmungsumschwung zugunsten der Liberalen mit Mark Carney war ungewöhnlich stark, die Unberechenbarkeit Donald Trumps und der US-Regierung der wichtigste Einflussfaktor bei dieser Wahl.7 Nach den wechselhaften Jahren unter Justin Trudeau galt der ehemalige Zentralbankmanager Mark Carney als krisenerfahren. Obwohl die Konservativen mit Pierre Poilievre ihr bestes Ergebnis seit 1984 erzielten, reichte es nicht für den erhofften Wahlsieg. Carney konnte mit drei Stimmen Vorsprung eine Minderheitsregierung bilden.

Als Premierminister war er gleich zu Beginn seiner Amtszeit und noch vor der Wahl zum Antrittsbesuch zunächst nach Paris und London gereist: ein klares Signal an Washington. Erst danach, im Mai 2025, traf der kanadische Regierungschef in Washington D.C. auf den US-Präsidenten. Die Gespräche waren nach Medienberichten von gegenseitigem Respekt geprägt. Der kanadische Premierminister zeigte sich zwar nicht zufrieden mit den Ergebnissen, aber der Verkauf der Interessen Kanadas stand seiner Aussage nach nicht zur Debatte.8

Der von der Regierung Carney eingeschlagene Kurs gegenüber den USA wirkt nach außen verbindlich und unaufgeregt. Carney selbst vermeidet unnötige Eskalationen. Der bereits von der Regierung beschlossene Digital-Services-Tax-Act wurde kurz vor Beginn der ersten Verhandlungen mit den USA über Strafzölle Ende Juni zurückgezogen.9 Mark Carney trat dennoch nicht als Bittsteller gegenüber US-Präsident Donald Trump auf. Während Premierminister Trudeau Ende November von Trump noch als „Gouverneur des 51. Bundesstaates“ bezeichnet wurde,10 akzeptierte Trump offenbar den neuen kanadischen Premierminister Carney als Finanzfachmann.

Premierminister Mark Carney punktete zwar zu Beginn seiner Amtszeit außenpolitisch mit der Vermittlerrolle Kanadas. Im Herbst 2025 steht die kanadische Regierung jedoch bereits vor allem innenpolitisch vor Herausforderungen, die auf das Verhältnis zu den USA ausstrahlen: Dazu gehören der Ausbau der Pipeline-Infrastruktur, die Beschleunigung des Wohnungsbaus und die Unterstützung der vom Zollstreit betroffenen Unternehmen im Industriegürtel zwischen den USA und Kanada. Im Bereich des Automobilbaus und der Rohstoffindustrie sind beide Länder eng miteinander verknüpft. Bei stagnierender Industrieproduktion steigt in den Regionen auf beiden Seiten zwangsläufig die Arbeitslosigkeit schnell an. Der noch im August 2025 beschlossene Strategic Response Fund von fünf Milliarden kanadischen Dollar soll die Stahl- und Automobilindustrie stützen und den drohenden Verlust von bis zu 30.000 Arbeitsplätzen aufgrund des Zollstreits mit den USA verhindern.11 Die schon jetzt hohe Arbeitslosigkeit birgt Konfliktpotenziale nicht nur mit der Opposition. Die in den vergangenen Jahren gestiegenen Lebenshaltungskosten im Alltag besorgen viele Kanadier. Die Konservativen forderten in einem im Oktober vorgelegten Antrag die Senkung der Steuern auf Lebensmittel.12

Nach „Elbows-Up“ nun also im Herbst eine verbale Abrüstung, um sich der Bewältigung der innerkanadischen Herausforderungen zuwenden zu können? Ein erneutes Annähern an die USA im Sinne eines „Elbows-Down“ erscheint Carney womöglich nützlicher als eine fortgesetzte Konfrontation.

Am 22. August 2025 verdeutlichte Carney bei einer Pressekonferenz, dass Kanada trotz jüngster Spannungen nach wie vor die günstigsten Handelsbedingungen mit den USA genieße. Um diese Position zu bewahren, sollen die im Canada–United States–Mexico Agreement (CUSMA) verankerten Regelungen ausgebaut und alle verbleibenden Zölle auf US-Waren aufgehoben werden – ein Schritt, der ab dem 1. September 2025 weitgehend den freien Handel zwischen beiden Ländern wiederherstellen sollte.13

 

Kanada – USA: Eine wechselhafte Partnerschaft

Die bilateralen Beziehungen zwischen Kanada und den USA waren nie konfliktfrei. Die Regierungszeit etwa von Pierre Trudeau (1968 bis 1979 und 1980 bis 1984), Vater des zurückgetretenen Premierministers Justin Trudeau, kann als konfliktreich beschrieben werden. Als noch schwieriger galten die Jahre der Wirtschaftskrise ab 1930, als der von den USA verabschiedete Smoot-Hawley Tariff Act bereits einen Handelskrieg mit Kanada und Großbritannien auslöste. „Entsprechend schwankte die Wirtschafts- und Handelspolitik Ottawas auch in den vergangenen 40 Jahren zwischen dem Ziel einer vertieften Integration Kanadas in einen nordamerikanischen Markt und Bemühungen, die Abhängigkeit gegenüber dem großen Nachbarn gezielt zu reduzieren.“14

 

Kanada-Trump I

Die bilaterale Zusammenarbeit zwischen Kanada und den USA hat seit der ersten Amtsperiode Donald Trumps unter seiner „America-First“-Agenda erhebliche Spannungen erfahren. Bereits 2018 verhängte Trump Strafzölle auf kanadischen Stahl und Aluminium, die die wirtschaftliche Verflechtung beider Länder gezielt belasteten und auch innerhalb der USA kontrovers diskutiert wurden. Kurz nach Amtsantritt zog sich die US-Regierung zudem aus multilateralen Abkommen wie dem Transpazifischen Freihandelsabkommen (TPP) zurück. Gleichzeitig stellte Trump die NATO-Mitgliedschaft offen infrage, da er die Lastenteilung als unausgewogen und die Beiträge europäischer Staaten für ihre eigene Sicherheit als zu gering kritisierte. Kanada lag zu diesem Zeitpunkt unter dem Zwei-Prozent-Ziel der NATO; erst für 2029/2030 wurden 1,76 Prozent des BIP als erreichbar angesehen.15

Unter der Präsidentschaft von Joe Biden entspannte sich das Verhältnis nur kurzzeitig. Aber auch er setzte entgegen mancher Behauptungen auf eine „America-First“-Politik, wenn auch mit einem anderen Ton und deutlich kooperativer als sein Vorgänger. Einige Ziele waren zudem neu und wären unter der Trump-Administration so undenkbar gewesen, wie der starke Fokus auf Umwelt- und Klimapolitik oder auch die Förderung sozialer Gerechtigkeit.16 Kanada unter Premierminister Justin Trudeau legte seinen Schwerpunkt ebenso auf multilaterale Zusammenarbeit. So wurde das Pariser Klimaschutzabkommen beibehalten, während mit dem Net-Zero Emissions Accountability Act17 von 2021 Klimaneutralität bis 2050 angestrebt wird – ein gesellschaftlich nach wie vor umstrittener Weg, bei dem insbesondere die CO2-Steuer ein zentrales Thema der konservativen Kritik bleibt.

Parallel zu diesen politischen Entwicklungen traf der Handelskrieg zwischen den USA und China die kanadische Wirtschaft insbesondere in der Stahlindustrie und im Automobilbau hart. Zugleich drängte die US-Regierung auf eine Neuverhandlung des Freihandelsabkommens NAFTA mit Kanada und Mexiko. Dieser Druck führte 2018 zum United States–Mexico–Canada Agreement (USMCA), das Kanada als Canada–United States–Mexico Agreement (CUSMA) bezeichnet. Das Abkommen sollte Nachteile ausgleichen, die US-Produktion stärken und die Position der USA durch eine engere Energiekooperation mit Kanada festigen.

Kanada verstärkte in den vergangenen Jahren seine Kooperationen mit den Ländern des Indo-Pazifik-Raumes.
 

Kanada-Trump II

Mit Trumps zweitem Amtsantritt im Januar 2025 sanken die bilateralen Beziehungen zwischen Kanada und den USA auf einen historischen Tiefpunkt. Während die USA ihren konfrontativen Kurs gegenüber China fortsetzen, wird auch der Umgang mit den historisch engen Verbündeten Kanada und Europa zunehmend rücksichtsloser. Die Prioritäten wurden gleich zu Beginn unilateral verschoben. Es verdichteten sich Hinweise, dass die zweite Amtszeit Trumps dem Plan für eine erneute Präsidentschaft, dem „Project 2025 – Mandate for Leadership“18, der Heritage-Foundation folgt und diesen bis zu den Militäreinsätzen in US-amerikanischen Großstädten umsetzt.19 Die Drohungen der Trump-II-Administration gegen Kanada, Grönland oder Europa nehmen bewusst eine Beschädigung der regelbasierten Ordnung in Kauf. Zwischenzeitlich sprach Trump gar von einer militärischen Besetzung des selbstverwalteten Grönlands, das zum NATO-Partner Dänemark gehört. Das „Project 2025“ weist bereits auf die strategische Bedeutung Grönlands zur Abwehr Chinas hin.20 In diesem Jahr kündigte Trump zudem ein Ende des USMCA-Abkommens an, erkannte aber schnell, dass dies auch in den USA zu erheblichen Nachteilen geführt hätte, und ließ davon ab. Stattdessen nutzte die US-Regierung das bestehende trilaterale Handelsabkommen, das kanadische Export-Produkte zu rund 85 Prozent zollfrei stelle und somit ein Vorteil für Kanada sei.21

Über dieses Freihandelsabkommen hinaus verstärkte Kanada in den vergangenen Jahren seine Kooperationen mit den Ländern des Indo-Pazifik-Raumes. Die Zusammenarbeit mit Australien, Neuseeland, Japan und Südkorea ist strategisch relevant, um den wachsenden Einfluss Chinas zurückzudrängen.

 

Wirtschaftliche Interdependenzen Kanada – USA

Kanada und die Vereinigten Staaten unterscheiden sich nicht nur bei den Einwohnerzahlen, sondern auch der Wirtschaftskraft deutlich. Die USA als wirtschaftlich-technologische und militärische Supermacht sind mit rund 350 Millionen Einwohnern und einem BIP von rund 29,2 Billionen US-Dollar die derzeit stärkste Volkswirtschaft der Welt.22 Kanada sieht sich mit 41 Millionen Einwohnern und einem Bruttoinlandsprodukt von rund 2,25 Billionen US-Dollar im Jahr 2024 stets als Mittelmacht und oft im Windschatten der USA. Die Waren- und Handelsströme Kanadas sind mit rund 70 bis 75 Prozent eindimensional in Richtung USA ausgerichtet, obwohl der Export um etwa 10 Prozent aufgrund der Zollstreitigkeiten und mancher Unsicherheiten zurückgeht.23 „Nicht nur gehen drei Viertel der kanadischen Warenexporte in die USA. Kanada ist auch das wichtigste Exportziel für die USA und der größte Exportpartner für 32 der 50 Bundesstaaten.“24

Diese Verflechtung zweier Volkswirtschaften hat Vorteile, aber ebenso gewichtige Nachteile. Die jeweiligen Handelsüberschüsse haben zu unterschiedlichen Bewertungen im Handelskonflikt geführt. Zu Beginn des Jahres 2025 hat Trump dies gegenüber Kanada immer wieder betont, wobei der Handelsbilanzüberschuss sich in erster Linie auf die Energieexporte Kanadas in die USA begründete. Kanadas Ressourcenreichtum ist für die Energieversorgung, die Automobil- oder Stahlindustrie, aber ebenso für die Landwirtschaft und damit die Ernährungssicherheit der USA von erheblicher Bedeutung. Kanada ist der größte Energie-Handelspartner und liefert rund 60 Prozent der Ölimporte und fast 99 Prozent der Erdgasimporte der USA. Es verfügt zudem über Rohstoffe, die von existenzieller Bedeutung sind – schweres Rohöl aus Ölsanden, Erdgas, Flüssiggas, kritische Mineralien und Metalle – und liefert rund 85 Prozent des importierten Stroms der USA.25

Dieses Drohpotenzial als Antwort auf die US-Strafzölle hat Kanada mit Rücksicht auf die eigene Industrie nur aufgezeigt, aber nicht eingesetzt. Die Forderungen aus den für die Energieversorgung verantwortlichen Provinzen sind gleichwohl bis heute unüberhörbar.26 Der im März 2025 wiedergewählte Premier der Provinz Ontario, Doug Ford, drohte gleich zu Beginn des Handelskrieges den USA mit einem Exportstopp für Energie.27 Das hätte die USA durch steigende Energiepreise schwer getroffen und womöglich den Handelskonflikt weiter verschärft.

Für Kanada wird es darauf ankommen, einen Kurs strategischer Resilienz einzuschlagen.

Die Abhängigkeit Kanadas von den USA bleibt vermutlich weiterhin eine Konstante. Im Jahr 2024 importierten die USA Waren im Wert von rund 476 Milliarden US-Dollar aus Kanada – mehr als aus China (463 Milliarden US-Dollar), jedoch weniger als aus Mexiko (562 Milliarden), wie das Bureau of Economic Analysis für 2025 berichtet.28 Entfielen diese Importe nur teilweise, wäre dies ein Schaden für die kanadische Wirtschaft. Unabhängig von der Dauer des Handelskonflikts mit den USA wird es für Kanada nach Jahren der Debatte nun darauf ankommen, einen Kurs strategischer Resilienz einzuschlagen:

  1. Handelspolitische Emanzipation von den USA durch Diversifizierung der Handelspartner in Richtung der EU und des Indo-Pazifik-Raumes sowie eine sukzessive Absenkung der Integration der kanadischen und US-amerikanischen Wirtschaftszweige. Das ist kein neuer Gedanke, aber bisher nicht ausreichend umgesetzt.
  2. Ausbau der industriepolitischen Sicherheitspartnerschaft mit der Europäischen Union durch konkrete Projekte im kanadischen Haushalt, um das vereinbarte Fünf-Prozent-Ziel der NATO bis 2030 zu erreichen, unter anderem durch Nutzung der EU-Programme SAFE und ReArm-Europe.
  3. Ausbau der Rohstoffindustrie sowie einer hinreichenden Energie-, Wasserstoff- und LNG-Transportinfrastruktur, um sowohl in Richtung USA lieferfähig zu bleiben, aber gleichzeitig die Pipeline- und Hafenkapazitäten in West-Ost-Richtung zu erweitern. Diese Herausforderungen sind in den zurückliegenden Jahren in dieser Konsequenz von Kanada nicht erwartet, von der Regierung Justin Trudeaus aber auch weitgehend ignoriert worden.
 

Es wird ungemütlicher für Kanada und Europa

Die Erosion der multilateralen Ordnung und der Systemwettbewerb fordern die freiheitlichen Demokratien zunehmend heraus. Die Anerkennung geltenden Rechts wird von autoritären Staaten immer häufiger durch das Recht des Stärkeren ersetzt. Der künftige Weg der USA ist mit hoher Unsicherheit behaftet. Kanada setzt anscheinend darauf, dass die zweite Amtsperiode Trumps vorübergeht und man wieder zur Tagesordnung übergehen kann. Diese Hoffnung könnte sich für Kanada als trügerisch erweisen, zumal Donald Trump nicht zögert, das Instrument der Strafzölle bei vermeintlichem Fehlverhalten einzusetzen.29

Geostrategisch und militärisch waren die USA und Kanada in den vergangenen Jahrzehnten die wichtigsten Bündnispartner außerhalb der Europäischen Union und damit von hoher Relevanz. Eine dauerhafte Störung der bilateralen Beziehungen zwischen Kanada und den USA bliebe nicht ohne Folgen für das Nordatlantische Bündnis und die Europäische Union. Setzte sich der Handelskrieg zwischen Kanada und den USA fort, wären bisherige Erfolge des CETA-Abkommens gefährdet. Der Handel zwischen Kanada und der EU hat sich seit der faktischen Anwendung seit 2017 um 70 Prozent gesteigert.30 Dennoch wurde das Freihandelsabkommen bisher in zehn Ländern der EU nicht ratifiziert.

Ob Kanada in einer angespannten Haushaltslage seine bisherigen NATO-Zusagen wird halten können, darf infrage gestellt werden.

Die im Zollstreit mit den USA angekündigten Maßnahmen lassen Preissteigerungen für kanadische Produkte erwarten, die im Handel mit Europa und auch Deutschland selbst bei Steigerungen des Außenhandels mit der EU womöglich nicht aufgefangen werden können. Nach Angaben des Bundesverbandes der Deutschen Industrie werde die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Kanada immer bedeutender. „Im Jahr 2022 erreichte das bilaterale Handelsvolumen zwischen Deutschland und Kanada einen neuen Rekord. Ausgehend vom Jahr 2021 erfolgte eine Steigerung von 28 Prozent auf 20,8 Milliarden Euro, unter anderem durch eine größere Ausfuhr deutscher Kfz, Maschinen und Elektrotechnik.“31 Das inzwischen erreichte Handelsvolumen zwischen Deutschland und Kanada käme ins Stocken, was Arbeitsplätze auf beiden Seiten des Atlantiks gefährden würde. Allein die Verteuerung des importierten Stahls hätte weitreichende Auswirkungen auf die deutsche Industrie. Das Institut für Wirtschaftsforschung rechnete bereits im Frühjahr mit erheblichen indirekten Auswirkungen auf die deutsche Stahlindustrie.32 Schon 2018 haben die sogenannten Umlenkungseffekte Tausende von Arbeitsplätzen in der deutschen Stahlindustrie gefährdet, was sich hier wiederholen könnte.

Ein weiteres Beispiel wären die Investitionen von über fünf Milliarden Euro durch Volkswagen in die weltgrößte Giga-Fabrik zur Batterieherstellung für Elektrofahrzeuge in St. Thomas, Ontario. Das Ziel eines zusätzlichen Absatzmarktes in Nordamerika wäre nicht nur durch Zollstreitigkeiten gefährdet, sondern ebenso aufgrund der Tatsache, dass US-Präsident Trump den Umbau der Automobilindustrie sehr grundsätzlich infrage stellt. Die Automobilindustrie in Deutschland würde aufgrund der weltweiten Integration inmitten der industriellen Transformation und der aktuellen Debatten über eine Verschiebung oder gar Streichung des sogenannten Verbrenner-Aus erneut geschwächt.

Ob Kanada in einer angespannten Haushaltslage seine bisherigen NATO-Zusagen wird halten können, zur Stärkung der NATO-Ostflanke bis 2026 rund 2.000 kanadische Soldaten in Lettland zu stationieren,33 und gleichzeitig in die Modernisierung von NORAD und in neue Kapazitäten zum Schutz der Nord-Flanke der NATO entlang der Arktis bis zu den nordischen Staaten Europas zu investieren, darf zumindest infrage gestellt werden.

Sollte also die bisherige multilaterale Ordnung im „Globalen Norden“ einer einseitig den Interessen der USA dienenden Politik weichen müssen, wäre dies tatsächlich die schon vor zehn Jahren vom Politologen Matthias Kennert beschriebene Phase der Multipolarität, die eher Instabilität und Krisenanfälligkeit bedeute.34

Laut einer Analyse der Stiftung Wissenschaft und Politik befinden sich die USA inzwischen im Prozess „von einer Demokratiekrise zur Staatskrise“ und es sei „mit einem neuerlichen Autokratisierungsschub“ zu rechnen.35

Die bisherige militärische Lastenteilung im westlichen Bündnis wird zumindest vonseiten der USA nicht mehr akzeptiert. Das Fünf-Prozent-Ziel steht letztlich als Symbol für eine klare Aufgabenverschiebung innerhalb der NATO in Richtung Europa und Kanada.

In geopolitisch unsicheren Zeiten ist eine Neuausrichtung Kanadas nicht ohne Risiko, ein Beitritt zur EU nach Artikel 49 des Vertrags über die Europäische Union (EUV) unwahrscheinlich. Kanada ist territorial kein europäisches Land. Ein Status vergleichbar mit dem Norwegens wird derzeit nicht zu den obersten Prioritäten Kanadas gehören, zumal dies eine Anerkennung europäischer Regularien voraussetzt – eine Debatte, die Kanada noch nicht geführt hat.

Vielmehr wird Kanada die einseitigen Dependenzen von den USA erneut hinterfragen müssen. Es ist zweifelsohne im kanadischen Interesse, unabhängiger auf geopolitische Herausforderungen in Zeiten von Handelskriegen und Cyber-Angriffen reagieren zu können. Je weiter sich die USA aber mit Donald Trump isolieren oder gar, wie Historikerin Anne Appelbaum es formulierte, selbst in „Richtung einer Autokratie entwickeln, in der Medien manipuliert und die Presse- und Meinungsfreiheit eingeschränkt werden“36, desto drängender richtet sich der Blick auf Kanada.

Die derzeit wahrscheinlichste Option ist jedoch, dass Kanada darauf setzt, die bilateralen Beziehungen zu den USA wieder ausreichend zu stabilisieren. Kanada hatte es sich genauso wie Europa im Windschatten der USA mehr oder weniger bequem eingerichtet. Der Weckruf aber hallt noch lange nach.

 

 

Dr. Bernd Althusmann ist Leiter des Auslandsbüros Kanada der Konrad-Adenauer-Stiftung mit Sitz in Ottawa.

 

 
  1. Braune, Gerd 2025: Kanadas neuer Blick auf die USA, Atlantik-Brücke, 28.07.2025, in: https://ogy.de/ex8m [13.09.2025]. ↩︎
  2. t-online 2025: Kanada kündigt USA die Freundschaft – so reagiert Trump, 28.03.2025, in: https://ogy.de/af5i [12.08.2025]. ↩︎
  3. Bundesregierung 2025: G7 zeigen Geschlossenheit, 18.06.2025, in: https://ogy.de/d9wc [11.10.2025]. ↩︎
  4. Clapp, Sebastian et al. 2025: ReArm Europe Plan/Readiness 2030, European Parliamentary Research Service, 04/2025, in: https://ogy.de/6dp5 [29.10.2025]. ↩︎
  5. Lioe, Kim Eduard / Kauer, Pia 2025: Canada and Europe Deepen Defense Ties Amid Rising Global Instability, Atlantik-Brücke, 15.07.2025, in: https://ogy.de/0gxx [04.08.2025]. ↩︎
  6. Liebrich, Silvia 2025: Deutschland will Seltene Erden aus Kanada beziehen, Süddeutsche Zeitung, 27.08.2025, in: https://ogy.de/psbj [11.10.2025]. ↩︎
  7. Althusmann, Bernd 2025: Kanada hat gewählt. Die Weichen werden neu gestellt, Länderberichte, Konrad-Adenauer-Stiftung, 06.05.2025, in: https://ogy.de/066g [14.09.2025]. ↩︎
  8. Fouda, Malek 2025: Kanadischer Ministerpräsident Carney trifft Trump: „Kanada steht nicht zum Verkauf“, Euronews, 07.05.2025, in: https://ogy.de/k9ju [14.09.2025]. ↩︎
  9. Noakes, Taylor C. 2025: What was Mark Carney thinking when he walked back the digital services tax?, The Globe and Mail, 01.07.2025, in: https://ogy.de/sq9n [05.10.2025]. ↩︎
  10. Tasker, John Paul 2024: Trump taunts Trudeau by calling him ‚governor‘ of ‚a great state‘, CBC News, 10.12.2024, in: https://ogy.de/ijjz [12.10.2025]. ↩︎
  11. Zimonjic, Peter 2025: Carney unveils billions in funding, Buy Canadian policy to combat Trump’s tariffs, CBC News, 05.09.2025, in: https://ogy.de/0q9x [05.10.2025]. ↩︎
  12. Copps, Sheila 2025: Poilievre’s getting traction with his focus on food prices, The Hill Times, 06.10.2025, in: https://ogy.de/71vt [12.10.2025]. ↩︎
  13. Prime Minister of Canada 2025: Statement by the Prime Minister on CAN-U.S. trade, 22.08.2025, in: https://ogy.de/zgt1 [23.08.2025]. ↩︎
  14. Pressler, Florian 2011: Kanada, die transatlantischen Handelsbeziehungen und der nordamerikanische Markt: Von der Third Option zu NAFTA und CETA, Zeitschrift für Kanada-Studien 31: 1, S. 11–35, hier: S. 12, in: https://ogy.de/ko7s [29.10.2025]. ↩︎
  15. Department of National Defence 2024: Our North, Strong and Free: A Renewed Vision for Canada’s Defence, 03.05.2024, S. 11, in: https://ogy.de/gm0o [26.10.2025]. ↩︎
  16. Mildner, Stormy-Annika 2024: Handelspolitik für die Mittelschicht – Reindustrialisierung, „Economic Security“ und die Zukunft der US-Handelspolitik, ifo Schnelldienst 77: 9, 18.09.2024, S. 3–8, in: https://ogy.de/ckc7 [26.10.2025]. ↩︎
  17. Steinacher, Heiko 2025: Politische Ziele, Germany Trade & Invest (GTAI), 18.03.2025, in: https://ogy.de/ewoq [04.10.2025]. ↩︎
  18. Dans, Paul / Groves, Steven (Hrsg.) 2023: Mandate for Leadership. The Conservative Promise, The Heritage Foundation, in: https://ogy.de/b73q [04.10.2025]. Der wirtschaftspolitische Berater Trumps, Peter Navarro, und der heutige Botschafter der USA in Kanada, Pete Hoekstra, werden als Mitwirkende angeführt. ↩︎
  19. Deutschlandfunk 2025: Setzt Trump den radikalen Plan „Project 2025“ um?, 10.06.2025, in: https://ogy.de/zfhp [11.10.2025]. ↩︎
  20. Dans / Groves (Hrsg.) 2023, N. 18, S. 256. ↩︎
  21. Blanchfield, Mike 2025: Carney on Trump: ‚We’ll speak when it makes sense‘, Politico, 05.08.2025, in: https://ogy.de/hckp [04.10.2025]. ↩︎
  22. Urmersbach, Bruno 2025: Ranking der 20 Länder mit dem größten Bruttoinlandsprodukt (BIP) im Jahr 2024, Statista, 27.10.2025, in: https://ogy.de/frvz [29.10.2025]. ↩︎
  23. Steinacher, Heiko 2025: Kanada könnte zukünftig mehr Maschinen aus Deutschland einführen, GTAI, 04.08.2025, in: https://ogy.de/wluk [14.09.2025]. ↩︎
  24. Neinhaus, Andreas 2025: Kanadas ungewöhnliche Handelsbilanz, Finanz und Wirtschaft, 18.03.2025, in: https://ogy.de/n5cv [12.10.2025]. ↩︎
  25. Canada Energy Regulator 2025: Market Snapshot: Overview of Canada-U.S. Energy Trade, 12.02.2025, in: https://ogy.de/ok0s [14.09.2025]. ↩︎
  26. Koch, Matthias 2025: Richtung Hölle durch mehr Zölle, RedaktionsNetzwerk Deutschland, 02.04.2025, in: https://ogy.de/z5b2 [11.10.2025]. ↩︎
  27. Ebd. ↩︎
  28. Sargent, Tim / Shimooka, Richard / Tronnes, Jamie 2025: The Grand Bargain. A Path to Prosperity, Security, and Strength for the United States and Canada, Center for North American Prosperity and Security, 10.07.2025, S. 9, in: https://ogy.de/rshu [14.09.2025]. ↩︎
  29. Frankfurter Allgemeine Zeitung 2025: Trump kündigt zusätzliche Zölle gegen Kanada an, 26.10.2025, in: https://ogy.de/g0x2 [26.10.2025]. ↩︎
  30. De La Feld, Simone 2025: With CETA, the EU and Canada have increased bilateral trade by more than 70 per cent, Eunews, 16.06.2025, in: https://ogy.de/nghl [26.10.2025]. ↩︎
  31. Lenkeit, Daniel 2023: Deutsch-kanadischer Handel wächst kräftig, GTAI, 14.02.2023, https://ogy.de/s2pa [26.10.2025], zitiert in: Krämer, Matthias 2025: Zusammenarbeit für eine wettbewerbsfähige Wirtschaft, BDI, 05.03.2025, in: https://ogy.de/xm3j [26.10.2025]. ↩︎
  32. Kolev-Schaefer, Galina / Matthes, Jürgen 2025: US-Stahlzölle: Der Handelskrieg beginnt auch mit der EU, Institut der deutschen Wirtschaft, 11.02.2025, in: https://ogy.de/nfgc [26.10.2025]. ↩︎
  33. ntv 2023: Kanada wird Militärpräsenz in Lettland „mehr als verdoppeln“, 10.07.2023, in: https://ogy.de/ljgr [11.10.2025]. ↩︎
  34. Kennert, Matthias 2015: Die Mär von der multipolaren Weltordnung: Hegemonie in der Sicherheitspolitik des 21. Jahrhunderts, Arbeitspapier Sicherheitspolitik 05/2015, Bundesakademie für Sicherheitspolitik, S. 1 und 4, in: https://ogy.de/4aam [29.10.2025]. ↩︎
  35. Overhaus, Marco / Thimm, Johannes 2024: Die USA auf dem Weg in die Systemkrise, SWP-Aktuell 2024/A 16, Stiftung Wissenschaft und Politik, 11.03.2024, S. 8, in: https://ogy.de/0asx [11.10.2025]. ↩︎
  36. Slomka, Marietta 2025: Was passiert da in den USA, Frau Applebaum?, Interview, ZDFheute, 09.03.2025, in: https://ogy.de/fj48 [05.10.2025]. ↩︎

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