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Sotiris Dimitropoulos, Eurokiniss, ANE, picture alliance

Auslandsinformationen

Vom Sorgenkind zum Musterschüler

von Marian Wendt, Eleftherios Petropoulos

Griechenlands neue Rolle in Europa

Staatsschulden, Migrationskrise, Korruption – mit diesen Worten brachte man Griechenland bis vor einigen Jahren in Verbindung. Neuerdings liest man eher von Wachstum, Rückkehr an den Kapitalmarkt und einer steigenden Beliebtheit. Das Land weist mit die größten Wachstumszahlen in der EU auf und entwickelt sich zum Energiehub Europas. Wie kam es zu dieser Entwicklung? Was wurde in den vergangenen Jahren richtig gemacht? Und was bedeutet das neue griechische Selbstbewusstsein für die geopolitische Ausrichtung des Landes und seine Europapolitik?

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Das Land vor der Krise: Die „goldenen“ 2000er

Mit der Einführung des Euros 2002 war Griechenland endgültig im inneren Kreis des europäischen Integrationsprozesses angekommen. Gleichzeitig bedeutete die Aufnahme Griechenlands in den Euroraum, dass die Möglichkeit der Abwertung sowie der individuellen Bewertung der öffentlichen Finanzen und der Wirtschaftskraft durch Banken und internationale Institutionen zunächst wegfiel, sodass die Zinsen für griechische Staatsanleihen in den 2000er-Jahren auf einem einheitlichen europäischen Niveau lagen. Dies führte zu einer plötzlichen Verfügbarkeit von günstigem Geld im Land und löste einen Schwung aus, der durch den Gewinn der Fußball-Europameisterschaft 2004 und die Austragung der Olympischen Spiele im selben Jahr zusätzlich verstärkt wurde.

Das Land befand sich regelrecht in einem Freudentaumel: Öffentliche Investitionen erfolgten, die öffentliche Verwaltung wurde weiter ausgebaut und insbesondere die regierenden Parteien schufen zahlreiche Privilegien. So konnte ein Arbeitnehmer beispielsweise nach nur 20 Arbeitsjahren in Rente gehen, wenn er ein minderjähriges Kind hatte. Im öffentlichen Sektor gab es Zulagen für „pünktliches Erscheinen im Büro“. Die Parteien rekrutierten in Scharen Anhänger, die sie dann auch durch Versorgungen halten mussten. Das führte zu mehr Besitzstandswahrung und setzte das Phänomen der Vetternwirtschaft und des Klientelismus fort. Das böse Erwachen kam dann 2008 mit dem Zusammenbruch der Investmentbank Lehman Brothers und dem Beginn der Bankenkrise, die zwei Jahre später in einer Staatsschuldenkrise Griechenlands mündete – der Beginn eines Jahrzehnts mit schweren wirtschaftlichen und politischen Verwerfungen im Land.

 

Land in der Krise: Zusammenbruch in den 2010er-Jahren

Mit dem Ausbruch der Finanzkrise wurde die Fähigkeit von Staaten, auf wirtschaftliche Krisen angemessen zu reagieren, infrage gestellt. Obwohl sie alle Teil derselben Wirtschaftsgemeinschaft waren, erwiesen sich die Mitgliedstaaten des Euroraums als unterschiedlich widerstandsfähig; insbesondere der europäische Süden wurde auf eine harte Probe gestellt, vor allem aber Griechenland. Die chronische Schwäche der griechischen Wirtschaft und das Ausbleiben struktureller Veränderungen, verbunden mit der Intransparenz bei der Veröffentlichung der Haushaltszahlen des Landes, führten zum ökonomischen Zusammenbruch. Die Aufschläge für griechische Staatsanleihen schossen in die Höhe: Der Zinssatz für Langzeitanleihen Griechenlands erreichte mit 29,2 Prozent seinen Höchststand im Februar 2012, was zu einer Situation führte, in der Griechenland seine Schulden nicht mehr bedienen konnte. Um eine Insolvenz des Staates abzuwenden, wurde in drei verschiedenen Hilfspaketen der Europäischen Union beziehungsweise ihrer Mitgliedstaaten der griechische Staat „gerettet“. Diese „Rettung“ war allerdings an Bedingungen geknüpft, die sich unter folgenden Hauptzielen zusammenfassen lassen:

  • Wiederherstellung der Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen,
  • Wahrung der Finanzstabilität,
  • Durchführung von Reformen für Wachstum und Beschäftigung,
  • Modernisierung des öffentlichen Sektors.

 

Aus Krisen lernen: Der Aufbruch in ein neues Jahrzehnt

Die notwendigen Reformen, insbesondere in den Bereichen Arbeit, Sozialversicherung, wirtschaftliche Konsolidierung und Justiz, führten zu harten Einschnitten und großen sozialen Verwerfungen. Infolgedessen kam es zu großen politischen Veränderungen im Land. So brach die sozialdemokratischen Partei PASOK, die in den vorherigen 40 Jahren eine der beiden traditionellen Säulen der Macht in Griechenland dargestellt hatte, zusammen. Parallel entwickelte sich das linke Bündnis Syriza, das vor allem von den landesweiten Protesten gegen die Reformen getragen wurde. Als Syriza 2015 dann gemeinsam mit der rechtspopulistischen ANEL (Unabhängige Griechen) die Regierung stellte, versprachen Regierungschef Alexis Tsipras und sein Finanzminister Yanis Varoufakis eine Abkehr von den schmerzhaften Reformen. Die Realität der wirtschaftlichen Lage holte sie jedoch schnell ein und sie sahen sich ebenfalls gezwungen, Maßnahmen umzusetzen, die zwar unangenehm waren, von den meisten Fachleuten aber als notwendig angesehen wurden.

Erst mit der Wahl von Kyriakos Mitsotakis im Jahr 2019 konnte sich das Land allmählich aus der Lethargie der Krisenjahre befreien. Mitsotakis und seine bürgerlich-konservative Partei Nea Dimokratia (ND) erkannten die Notwendigkeit der eingeleiteten Reformen und hatten schon in der Zeit als Oppositionspartei weitere Ideen für die Zukunft Griechenlands entwickelt. Diese wurden nun konsequenter als zuvor umgesetzt. Die Maßnahmen erzielten allmählich ihre Wirkung und das Land konnte sich in den zurückliegenden vier Jahren Stück für Stück wieder Zugang zum internationalen Kapitalmarkt verschaffen. Die Ratingagentur S&P Global Ratings hat Griechenland am 20. Oktober 2023 wieder den Status „kreditwürdig“ zugesprochen, gefolgt von Fitch im Dezember 2023. Auch weist Griechenland mittlerweile ein höheres Wirtschaftswachstum auf und konnte durch einen mittlerweile effizienter arbeitenden Staat die Coronakrise besser meistern als andere Länder in Europa. Die Idee eines Griechenland 2.0 war geboren und gab den Griechen Stolz und Motivation zurück. Der sogenannte Nationale Plan für Erholung und Widerstandsfähigkeit sieht 106 Investitionen und 68 Reformen vor, die sich auf vier Säulen verteilen:

  • grüner Wandel;
  • digitale Transformation;
  • Beschäftigung, Qualifikationen und sozialer Zusammenhalt;
  • Privatinvestitionen und wirtschaftliche Transformation.

 

Insgesamt werden hierdurch 31,16 Milliarden Euro mobilisiert.

 

Trotz positiver Entwicklungen weist Griechenland die zweithöchste Arbeitslosenquote in der EU auf.

 

Die innenpolitische Bilanz der vergangenen Jahre: Mehr Licht als Schatten

Die Entwicklung Griechenlands schreitet langsam, aber stetig voran und die ersten Ergebnisse einer umsichtigen Wirtschaftspolitik sind für die Bürgerinnen und Bürger des Landes spürbar geworden. Trotz der großen Herausforderungen, mit denen das Land in jüngster Zeit konfrontiert war und ist – wie der Coronapandemie, die zu einem sensiblen Zeitpunkt einsetzte, als der Aufschwung im Land gerade erst begonnen hatte, und dem Krieg in der Ukraine – trugen die ergriffenen Maßnahmen zur Rückkehr der Wirtschaft auf das Vorkrisenniveau bei. Auch die Verarmung eines großen Teils der Bevölkerung aufgrund der exorbitanten Energiekosten konnte verhindert werden. Dies ist von besonderer Bedeutung, da Griechenland trotz eines deutlichen Rückgangs der Arbeitslosigkeit immer noch die zweithöchste Arbeitslosenquote in der EU aufweist. Auch in anderen Bereichen der Volkswirtschaft und des Sozialstaats bleiben große Herausforderungen bestehen, nicht zuletzt durch die demografische Entwicklung. Griechenlands Bevölkerung altert, das Land hat eine der niedrigsten Geburtenraten in Europa (1,26). Bei der jüngsten Volkszählung im Jahr 2021 ist zum ersten Mal ein Rückgang der Gesamtbevölkerung des Landes (10,48 Millionen Einwohner) verzeichnet worden. Gleichzeitig ist die Lebenserwartung auf durchschnittlich mehr als 80 Jahre angestiegen.

Zusammen mit den Verzerrungen der Vergangenheit im Arbeits- und Versicherungssektor, die zur Frühverrentung von Hunderttausenden von Bürgern geführt haben, entsteht eine explosive Mischung für die Zukunft des Versicherungswesens in Griechenland. In den vergangenen Jahren wurden zahlreiche Maßnahmen ergriffen, um die Voraussetzungen für die Nachhaltigkeit des Versicherungssystems zu schaffen. Die Anstrengungen müssen jedoch fortgesetzt werden. Es darf nicht vergessen werden, dass in den Jahren der Krise mehr als 500.000 hochqualifizierte junge Menschen das Land verlassen haben, um im Ausland ein besseres Leben zu führen. Die meisten von ihnen sind noch nicht zurückgekehrt und die Abwanderung von Fachkräften geht weiter, wenn auch in geringerem Maße.

Positiv stimmt aber der Blick auf einen der wichtigsten Sektoren der griechischen Wirtschaft: 2023 wird mit voraussichtlich mehr als 35 Millionen Gästen das beste Jahr in der Geschichte des griechischen Tourismus gewesen sein. In den vergangenen Jahren wurden erhebliche Investitionen getätigt, sowohl in klassische als auch in weniger bekannte Reiseziele. Gleichzeitig werden dadurch jedoch weitere Maßnahmen nötig, da an einigen Orten die Auswirkungen des Massentourismus und die damit einhergehenden Probleme sichtbar werden. Die oft nur begrenzt verfügbare oder veraltete öffentliche Infrastruktur ist nicht mehr in der Lage, den stark gestiegenen Bedarf zu decken, was zu einer Verschlechterung der Dienstleistungen für Einheimische und Besucher führt.

Große Unternehmen aus dem Ausland haben wieder Vertrauen in das Land gefasst und siedeln sich an.

Durch die Wiederbelebung der öffentlichen Investitionen konnten diese Probleme im Bereich der Infrastruktur teilweise zwar bereits gelöst werden. In den vergangenen Jahren hat Griechenland ein umfangreiches Straßennetz aufgebaut, das gemessen an der Einwohnerzahl des Landes eines der größten in Europa ist. Durch den effektiven Einsatz von EU-Mitteln wurde die öffentliche Infrastruktur modernisiert und umweltfreundlich gestaltet. Dennoch bleiben erhebliche Defizite: Die Eisenbahntragödie in Tempi mit vielen Opfern Anfang 2023 hat das chronische Versäumnis des Staates deutlich gemacht, in wichtigen Bereichen seine Infrastruktur nicht modernisiert und sie mit europäischen und internationalen Standards nicht in Einklang gebracht zu haben. Ähnliche Schlussfolgerungen lassen sich auch aus den verheerenden Waldbränden im Sommer 2023 und der Unfähigkeit der zuständigen Behörden ziehen, den Bürgern angesichts der sich verschärfenden Klimakrise, von der Griechenland und der Mittelmeerraum offensichtlich stark betroffen sein werden, ein hohes Maß an Katastrophenschutz zu bieten.

Gleichzeitig setzt die Regierung aber positive Akzente beim Thema Nachhaltigkeit, indem sie Anreize für Privatpersonen schafft, ihre Häuser zu sanieren und energetisch zu modernisieren: Der energetische Fußabdruck des Landes wird so verringert – man rechnet mit Energieeinsparungen im privaten Bereich allein von mindestens 213.000 Tonnen Öleinheiten jährlich bis zum Jahr 2025. Dies entspricht circa 1,5 Prozent des gesamten jährlichen Energiebedarfs des Landes oder dem Verbrauch von 105.000 Haushalten. Bis 2030 sollten im gesamten Land Energieeinsparungen von bis zu 30 Prozent im Vergleich zu heute realisiert werden. Dank der politischen Stabilität und des verlässlichen wirtschaftlichen Aufschwungs haben große Unternehmen und Industriebetriebe wieder Vertrauen in den südeuropäischen Staat gefasst und siedeln sich in Griechenland an, insbesondere in den Bereichen Technologie, Logistik und Pharmazie.

Die digitale Revolution in der griechischen öffentlichen Verwaltung war eine der dominierenden Botschaften, auf die sich die Regierung Mitsotakis für ihre Wiederwahl im Sommer 2023 stützte. Die Digitalisierung hat zu einer Verbesserung der Beziehungen zwischen Bürger und Staat geführt und in gewissem Maße das Vertrauen in die Institutionen gestärkt. Eine Reihe von Dienstleistungen wird nun digital erbracht, wodurch die Kosten für die Verwaltung des Staates gesenkt werden.

Die Digitalisierung spielte in entscheidenden Momenten eine wichtige Rolle: Beispiele dafür sind die während der Pandemie etablierte effiziente Verwaltung der Impfungen, aber auch die Einführung einer einheitlichen Notrufnummer (112). Eine solche einheitliche Nummer dient der schnellen Erreichbarkeit der Sicherheitsbehörden und der europaweiten Standardisierung. Ein weiteres Beispiel stellt der „Market Pass“ dar: Es handelt sich um eine Maßnahme, die den Haushalten dabei helfen soll, einen Teil der gestiegenen Kosten für Einkäufe, insbesondere von Lebensmitteln, zu decken. Wer Anspruch auf diese Unterstützung hat, erhält von der Bank eine spezielle Debitkarte, auf der der Staat den Betrag der Unterstützung gutschreibt.

Die Digitalisierung hat also die Beziehungen zwischen Bürgern und Staat verbessert und viele Dienstleistungen elektronisch zugänglich gemacht, aber die öffentliche Bürokratie wurde nicht in dem nötigen Maße modernisiert und verschlankt. Im Bereich der Justiz wurde beispielsweise nur wenig unternommen, um die Verfahrensdauer zu verkürzen, während die akuten Probleme der personellen Unterbesetzung in den Verwaltungsdiensten und bei der Umstrukturierung des Gerichtswesens bestehen bleiben. Die Digitalisierung ist hier nicht ausreichend fortgeschritten. Im Bildungsbereich wurde viel getan und in den vergangenen Jahren gab es bedeutende Durchbrüche. So wurde die digitale Bildung eingeführt und die Lehrpläne wurden modernisiert. Es müssen jedoch weitere Anstrengungen unternommen werden, um das Bildungswesen an das sich rasch verändernde Arbeitsumfeld und an die Bedürfnisse der Zukunft anzupassen.

Die neue Stabilität trägt zur Stärkung des internationalen Profils des Landes bei.

 

Stärkung des Ansehens innerhalb der EU und international

Im Ausland trug die Stabilität, die Griechenland nach Jahren der Krise und der politischen Experimente wiedererlangte, zur Stärkung des internationalen und europapolitischen Profils des Landes bei. Nachdem es lange höchstens als Problemfall auf der internationalen Bühne eine Rolle spielte, begann Griechenland, sich zum gestaltenden Akteur zu entwickeln, der seine strategischen Ziele auch in den europäischen Kontext einbringt. Diese Ziele der neuen griechischen Außenpolitik lassen sich wie folgt zusammenfassen:

 

Abschluss strategischer Partnerschaften und Allianzen mit Ländern wie Israel und Ägypten – insbesondere im Energiesektor

In den vergangenen Jahren hat Griechenland eine aktive Diplomatie im östlichen Mittelmeerraum sowie auf dem Balkan entwickelt, um die Position des Landes als Energiedrehscheibe zu stärken. Dazu gehören die Pläne für die Entwicklung von umweltfreundlichen Stromübertragungskabeln in Zusammenarbeit mit Israel (EuroAsia Interconnector) und Ägypten (GREGY). Gleichzeitig werden die Netze, die das Land mit seinen nördlichen Nachbarn sowie mit Italien und der Türkei verbinden, stark ausgebaut. Griechenland hat seine LNG-Speicherkapazitäten deutlich gesteigert, was nicht nur zur Energiesicherheit Griechenlands, sondern auch zur Abkopplung seiner Nachbarn vom russischen Gas beitragen wird. Griechenland investiert nun massiv in die Nutzung erneuerbarer Energiequellen und erhöht deren Anteil im Energiemix. Nach offiziellen Angaben der staatlichen Netzverwaltungsbehörde (ADMIE) erreichte der Anteil der erneuerbaren Energien an der Energieerzeugung im Zeitraum Januar bis Oktober 2022 47,1 Prozent und übertraf damit den der fossilen Brennstoffe. Im Oktober 2022 wurde das Land fünf Stunden am Stück nur mit Strom aus erneuerbaren Energiequellen versorgt.

 

Aufwertung der traditionellen strategischen Allianz mit den USA und Frankreich

In einem Kontext von Instabilität und Unsicherheit auf globaler Ebene stärkt Griechenland seine Verteidigung: Die traditionelle strategische Zusammenarbeit mit den USA wird auf eine neue Grundlage gestellt. Die Förderung der Rolle des Hafens von Alexandroupolis an der Grenze zur Türkei als alternativer Zugang zum Schwarzen Meer, der unter anderem den Transfer von wertvollem Kriegsmaterial in die Ukraine erleichtert, sowie der Abschluss eines gegenseitigen Verteidigungsabkommens im Mai 2022 zeigen den neuen „Frühling“ in den griechisch-amerikanischen Beziehungen.

Ähnlich verhält es sich mit der Vertiefung der Beziehungen zu Frankreich, wo ein Jahr zuvor, 2021, ein entsprechendes Verteidigungsabkommen im Rahmen eines umfangreichen Rüstungspakets mit der Lieferung modernster Fregatten aus Frankreich als Hauptelement abgeschlossen wurde. Griechenland stärkt seine militärische Abschreckungsmacht und damit die Ostflanke der NATO im südosteuropäischen und mediterranen Raum. Der Preis dafür ist jedoch hoch: 2022 wandte Griechenland 3,54 Prozent seines Bruttoinlandsprodukts für die Verteidigung auf, was den höchsten Prozentsatz im gesamten Bündnis darstellt und sogar die USA noch übertrifft.

Der Krieg in der Ukraine war ein Wendepunkt in der griechischen Außenpolitik.

 

Beendigung jahrzehntealter Grenzstreitigkeiten mit Nachbarländern

Im Juni 2020 unterzeichnete Griechenland ein Abkommen zur Abgrenzung der Ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ) mit Italien. Somit wurde ein weiteres Puzzleteil zur juristischen Absicherung der Rechte der östlichen Mittelmeeranrainer hinzugefügt. Darüber hinaus ist die politische Einigung zwischen Griechenland und Albanien über die gemeinsame Anrufung des Internationalen Gerichtshofs in Den Haag in der Frage der Abgrenzung ihrer AWZ erwähnenswert. Die Unterzeichnung der entsprechenden Erklärung steht jedoch noch aus. Im Oktober 2020 unterzeichneten Griechenland und Ägypten ein Abkommen über die gegenseitige (partielle) Abgrenzung ihrer AWZ, wodurch das bereits abgeschlossene Memorandum zwischen der Türkei und Libyen zur Festlegung ihrer AWZ infrage gestellt wurde, welches Gebietszuweisungen vornimmt, die mit denjenigen aus dem Abkommen zwischen Athen und Kairo unvereinbar sind.

 

Aktive Beteiligung als NATO- und EU-Mitglied an der Unterstützung der Ukraine gegen den Angriffskrieg Russlands

Der Krieg in der Ukraine war ein Wendepunkt in der griechischen Außenpolitik, aber auch in den nationalen und historischen Narrativen im Lande über die traditionell engen Beziehungen zu Russland, die hauptsächlich auf der gemeinsamen orthodoxen Tradition beruhen. Die von Anfang an eindeutige Unterstützung der Ukraine und die Ausrichtung auf das westliche Lager zerstreuten Bedenken, dass die engen griechisch-russischen Beziehungen einen Einfluss auf die Positionierung des Landes zum Krieg in der Ukraine haben könnten. Griechenland leistet der Ukraine politische, militärische, materielle und moralische Unterstützung – eine Politik, die während des Besuchs von Präsident Selenskyj in Athen im August 2023 bestätigt wurde, als es zur Unterzeichnung einer gemeinsamen Erklärung über die weitere Unterstützung der Ukraine im Krieg zur Verteidigung ihrer nationalen Integrität und ihres Weges in die EU kam.

 

Bewältigung von Sicherheitsherausforderungen in den Beziehungen zur Türkei

Die Beziehungen Griechenlands zur Türkei sind immer wieder von Phasen der An- und Entspannung geprägt. Bis zum Erdbeben in der Türkei und dem Zugunglück im griechischen Tempi, welche beide im Februar 2023 stattfanden, waren die Beziehungen an einem Wendepunkt angelangt: Die zunehmenden Herausforderungen für die Sicherheit Griechenlands durch die Instrumentalisierung von Migranten, die Durchfahrt türkischer Forschungsschiffe in umstrittenen Gewässern zum Zwecke der Kohlenwasserstoff-Exploration, die Infragestellung der griechischen Souveränität über die Inseln der Ägäis, die als aggressiv wahrgenommene türkische Politik in Bezug auf wichtige internationale Abkommen aus der Vergangenheit sowie die provokative Rhetorik gegenüber Griechenland warfen einen Schatten auf die griechisch-türkischen Beziehungen. Die entschlossene und moderat vorgetragene Haltung der griechischen Regierung trug jedoch dazu bei, eine Eskalation zu vermeiden und die griechischen Interessen wirksam zu schützen. Nach den Wahlen in den beiden Ländern Mitte 2023 und im Einklang mit der gegenseitig ausdrücklich bekundeten und gewährten Solidarität beim Erdbeben und dem Zugunglück sind die bilateralen Beziehungen wieder in einer Phase der Entspannung. Gegenseitige Treffen und Besuche führen zu einer Annäherung. Militärische Provokationen werden aktuell unterlassen. Einen Höhepunkt erfuhr diese Phase durch das Treffen des griechischen Ministerpräsidenten Mitsotakis mit dem türkischen Staatspräsident Erdogan am 7. Dezember 2023 in Athen und der Unterzeichnung zahlreicher Regierungsabkommen.

Auf die Politik der Europäischen Union nimmt Griechenland stärkeren Einfluss.

 

Griechenlands „Rückkehr“ auf den Balkan

Die griechische Präsenz in der Region Südosteuropa wurde in den vergangenen Jahren verstärkt. Hellas ist zusammen mit Deutschland einer der Haupttreiber des Berliner Prozesses zur Integration des Westbalkans in die Europäische Union. Bis zum Ausbruch der Finanzkrise hatte Griechenland eine starke wirtschaftliche Präsenz in der Region, während griechische Banken in viele Balkanmärkte, einschließlich Bulgarien, Rumänien, Albanien, Serbien und Nordmazedonien, vorgedrungen waren. Nach Jahren der Abwesenheit kehrt Griechenland nun auf den Balkan zurück. Gleichzeitig entwickelt es eine Reihe von diplomatischen Initiativen, die darauf abzielen, den europäischen Kurs des Westlichen Balkans zu stärken, und versucht, bilaterale Probleme mit seinen Nachbarn zu lösen. Jüngstes Beispiel dafür sind die Verhandlungen mit Albanien über die Festlegung der Seegrenze im Ionischen Meer. Der Fall der Verhaftung eines griechischstämmigen Bürgermeisters in einer Kleinstadt in Südalbanien stellt jedoch seit Monaten die Beziehungen zwischen den beiden Ländern auf die Probe, da auf griechischer Seite Zweifel an der Rechtsstaatlichkeit im Nachbarland geäußert wurden.

 

Mitgestaltung in Europa

Auch auf die Politik der Europäischen Union nimmt Griechenland stärkeren Einfluss. Neben den bereits angesprochenen Fragen im Energiebereich und den strategischen Allianzen im Mittleren und Fernen Osten sind es beispielsweise auch Regelungen zur Migration, bei denen das Land seine Themen besser auf EU-Ebene einbringen kann. Dabei kann man feststellen, dass sich das Bild der Europäischen Union in der griechischen Bevölkerung in den vergangenen Jahren gewandelt hat – auch wenn die Reformen im Land, die durch äußeren Druck ausgelöst wurden, immer noch unbeliebt sind. Das Thema Migration ist dabei bestimmend, wenn es um EU-Debatten geht. Die Zahl der ankommenden Flüchtlinge wird 2023 das Niveau von 2019 – dem Jahr mit den bislang höchsten Zahlen – fast erreichen. Die derzeit zwischen den EU-Institutionen verhandelte Reform der gemeinsamen Asylregeln beinhaltet wesentliche Forderungen Griechenlands, wonach ankommende Migranten innerhalb der Mitgliedstaaten verteilt werden und nicht mehr einzig und allein der Ankunftsstaat an der EU-Außengrenze für Asylverfahren und Aufenthalt zuständig ist. Die bisherigen fünf EU-Hotspots können dafür eine technische Grundlage bilden, da hier bereits Prozesse der Registrierung, des Asylverfahrens, der Unterbringung und der koordinierten Weiterführung erprobt und täglich vollzogen werden.

 

Fazit

Griechenland ist ein Land in Südosteuropa, das in einem Umfeld der Unsicherheit Stabilität ausstrahlt. Es ist ein Rechtsstaat: der älteste in der Region, der Herausforderungen gegenübersteht und ständige Wachsamkeit erfordert, um ihn zu schützen. Es gibt Schwächen beim Pluralismus und bei der Qualität des Journalismus, die behoben werden müssen. Der europaweite Aufstieg der extremen Rechten ist auch an Griechenland nicht spurlos vorübergegangen. Das Phänomen der neofaschistischen Partei Goldene Morgenröte mag aufgrund seines kriminellen Charakters vor Gericht behandelt worden sein, aber wie die jüngsten Wahlen gezeigt haben, gibt es einen nennenswerten Anteil der Bevölkerung, der Kräfte unterstützt, die eine Herausforderung für die öffentliche Debatte darstellen. Der Schutz der Institutionen, aber auch die Gewährleistung eines hohen Niveaus des demokratischen Dialogs sind wichtige Ziele.

Griechenland hat sich aus der Krise der 2010er-Jahre herausgearbeitet. Es liegt nun hauptsächlich an den Griechen und ihrer wiedergewählten Regierung, mit Kontinuität und konsequent weitergeführten Reformen in der staatlichen Daseinsvorsorge, einer konstruktiven und kraftvollen Außenpolitik und einer klugen Kommunikation das Land weiterzuentwickeln. Griechenland ist ein Beispiel, wie ein Land sich mithilfe europäischer Solidarität aus der Krise heraus stärken und reformieren kann. Von solchen Positivbeispielen kann Europa mehr vertragen!

 


 

Marian Wendt ist Leiter des Auslandsbüros Griechenland und Zypern der Konrad-Adenauer-Stiftung.

 


 

Eleftherios Petropoulos ist Projektmanager und wissenschaftlicher Mitarbeiter im AuslandsbüroGriechenland und Zypern der Konrad-Adenauer-Stiftung.


 

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