Ausgabe: 3/2025
- Die Rivalität zwischen den USA und China stellt das System des freien Welthandels infrage. Für Europa entstehen daraus neue Herausforderungen, aber auch Chancen – insbesondere im Hinblick auf die dynamisch wachsenden Volkswirtschaften Südostasiens.
- China und Japan haben in den vergangenen Jahren ihre wirtschaftliche Präsenz in der Region systematisch ausgebaut. Während China über staatlich gelenkte Großprojekte wie die Belt and Road Initiative Einfluss nimmt, setzt Japan auf gezielte Infrastrukturförderung und strategische Handelsinitiativen.
- Europa hingegen agiert bislang zu zögerlich. Eine kohärente Strategie, die wirtschaftliche Interessen mit entwicklungspolitischen Zielen verbindet, ist bislang nicht erkennbar. Auch bei den Handelsverhandlungen mit Ländern der ASEAN-Region fehlt es an Tempo und Pragmatismus.
- Die Global-Gateway-Initiative der EU bleibt in ihrer Wirkung bislang begrenzt. Für eine erfolgreiche Positionierung in Südostasien müsste sie als strategisches Investitionsprogramm neu ausgerichtet werden.
- Erforderlich ist eine gezielte Außenwirtschaftsförderung, die europäischen Unternehmen den Zugang zu regionalen Märkten erleichtert. Ein engerer Dialog zwischen Politik und Wirtschaft auf europäischer Ebene ist hierfür unerlässlich.
Kaum ein Wirtschaftsraum ist derzeit stärker von den geoökonomischen Turbulenzen betroffen als die Europäische Union. Das weltweite System des offenen Handels und der internationalen industriellen Arbeitsteilung, das seit Jahrzehnten Wachstum und Wohlstand Europas trägt, wird grundlegend infrage gestellt. China untergräbt mit seinen unfairen Handelspraktiken und staatlichen Subventionen für seine Exportunternehmen die Prinzipien des fairen und offenen Welthandels. Und die von der Trump-Administration angedrohten „reziproken“ Zölle haben das Potenzial, das System der internationalen Arbeitsteilung aus den Angeln zu heben. Für die ohnehin wachstumsschwachen Volkswirtschaften Europas könnte ein dauerhafter Rückzug der USA aus dem internationalen System offener Märkte erhebliche wirtschaftliche Folgen haben. Das gilt vor allem für Deutschland, dessen Wirtschaft so eng wie keine andere in Europa mit den USA und China verflochten ist.
Spätestens vor dem Hintergrund der US-Zollpolitik ist klar: Europa braucht neue Wirtschafts- und Handelspartner, um neue Wirtschaftsimpulse zu generieren. Dabei geht der Blick immer häufiger nach Südostasien. Schließlich bilden die aufstrebenden Volkswirtschaften der Region, wie Malaysia, Indonesien oder Vietnam, mit ihren teils sehr hohen Wachstumsraten die weltweit dynamischste Wirtschaftsregion. Zwar können die Länder Südostasiens die enorme wirtschaftliche Bedeutung Chinas und der USA für die europäische Wirtschaft nicht ersetzen. Doch bieten sie große Chancen für Unternehmen, die im Rahmen von China+1-Strategien1 Abhängigkeiten von China durch eine Diversifizierung in die Region hinein reduzieren oder angesichts der US-Zölle neue Absatzmärkte erschließen wollen.
Zudem drohen die südostasiatischen Volkswirtschaften immer mehr zwischen die Fronten der USA-China-Rivalität zu geraten. China dominiert die Region wirtschaftlich und nutzt deren Märkte und Lieferketten, um US-amerikanische Handelsmaßnahmen zu umgehen sowie neue alternative Abnehmer für seine hochsubventionierten Exportprodukte zu generieren. Gleichzeitig sind die Staaten Südostasiens von sehr hohen Strafzöllen der USA bedroht. Vietnam etwa wurde mit 46 Prozent eine der weltweit höchsten Zollraten angedroht, nach einem Zollabkommen wurde schließlich ein Satz von 20 Prozent festgelegt. Wenig überraschend sind daher auch die Staaten der Region darum bemüht, sich hinsichtlich ihrer Wirtschafts- und Handelspartnerschaften breiter aufzustellen.
Die EU mit ihrem riesigen Binnenmarkt und ihren hoch technologisierten Industrieunternehmen ist dabei eine attraktive Kandidatin. Doch die Europäer drohen im wirtschaftlichen Wettbewerb um neue Partner in Südostasien, den Anschluss zu verlieren. Vor allem China und Japan haben in den vergangenen Jahren mit einem strategischen Ansatz, der Politik und Wirtschaft verzahnt, ihre wirtschaftliche Präsenz in der Region deutlich erhöht und mit zahlreichen südostasiatischen Staaten enge und umfassende Wirtschaftspartnerschaften geschlossen. Europa sollte aus den Strategieanpassungen seiner Wettbewerber in der Region lernen. China und Japan vereint, dass sie unterschiedliche Kooperationsmodelle zwischen Regierung und Wirtschaft als umfassende Strategie einsetzen, um den Markteintritt und Investitionen ihrer Unternehmen in Südostasien zu unterstützen. Der EU und ihren Mitgliedstaaten fehlt dagegen eine außenwirtschaftspolitische Strategie, die die eigenen wirtschaftlichen Interessen mit den Zielen und Instrumenten der Handels- und Außenwirtschaftspolitik sowie der Entwicklungszusammenarbeit integriert.2
Chinas Weg zur dominierenden Wirtschaftsmacht in Südostasien
Chinas wirtschaftlicher Aufstieg in Südostasien begann in den frühen 2000er-Jahren, als die chinesische Regierung unter dem damaligen Präsidenten Jiang Zemin ihre „Going-out“-Strategie einführte. Bereits zwei Jahrzehnte zuvor hatte Deng Xiaopings Reform-Regierung aktiv in die Wirtschaft eingegriffen, um die Industrialisierung Chinas voranzutreiben, hauptsächlich durch den Einsatz staatseigener Unternehmen (SOEs), die von der Regierung und später durch die mächtigen Staatsfonds des Landes finanziert wurden. Im Rahmen der „Going-out“-Strategie wurden diese chinesischen SOEs sowie Privatunternehmen dann dazu ermutigt, im Ausland zu investieren, Lieferketten außerhalb Chinas aufzubauen und neue Märkte zu erschließen.
2013 intensivierte Chinas heutiger Präsident Xi Jinping diese Strategie mit der Einführung der Belt and Road Initiative (BRI). Die BRI zielt darauf ab, Infrastruktur-Netzwerke zu schaffen, um Länder in Asien, Europa und Afrika zu verbinden. Der Fokus liegt dabei auf aufstrebenden Volkswirtschaften, die von Investitionen für den Ausbau ihrer Infrastruktur abhängig sind. Gleichzeitig verfügen viele dieser Länder über wichtige Rohstoffe, die China dringend für seine rasant wachsenden Industrie- und Technologiesektoren benötigt.
Wie bei der „Going-out“-Strategie dienen staatseigene Unternehmen als zentrales Instrument zur Umsetzung von BRI-Projekten. Sie spielen eine Schlüsselrolle beim Ausbau der Infrastruktur in China. Das Land gilt heute als globale Führungsmacht in diesem Bereich – mit dem weltweit größten Netz an Hochgeschwindigkeitsbahnen3, den schnellsten Internetverbindungen4 und dem weltbesten Containerhafen5.
Die Umsetzung der BRI durch die SOEs ist in ganz Südostasien sichtbar. Zu den größten Infrastrukturprojekten in der Region, die von Chinas SOEs durchgeführt werden, zählen etwa die Hochgeschwindigkeitsstrecke Jakarta-Bandung in Indonesien, die Laos-China-Bahn, das Bicol-Süd-Bahnprojekt auf den Philippinen, die Phnom Penh-Sihanoukville-Autobahn und der internationale Flughafen Siem Reap-Angkor in Kambodscha sowie die Ostküstenbahnverbindung und der Malaysia-China-Kuantan-Industriepark in Malaysia. Die technologisch wie finanziell gut ausgestatteten chinesischen SOEs realisieren diese Projekte durch Joint Ventures mit ähnlichen SOEs in den Staaten Südostasiens. Denn auch in Ländern wie Singapur, Malaysia, Indonesien, Vietnam, Thailand und Myanmar sind SOEs in vielen Wirtschaftssektoren führend. Diese SOE-SOE-Joint Ventures sind ein Weg für China, um Zugang zu den Volkswirtschaften Südostasiens zu erhalten und werden häufig auf höchster politischer Ebene vereinbart. Solche Partnerschaften untergraben den fairen Wettbewerb in der Region, da nichtchinesische Unternehmen daran gehindert werden, eigene Angebote für solche Projekte einzureichen. Zudem erfolgt die Umsetzung der BRI-Projekte häufig im Kontext intransparenter Verbindungen zwischen Regierung und Wirtschaft, die konventionellen, für westliche Regierungen und Unternehmen geltenden Governance-Indikatoren nicht genügen würden.
Während die chinesische Regierung die BRI nutzt, um ihren SOEs neue Geschäfts- und Investitionsmöglichkeiten in aufstrebenden Volkswirtschaften zu eröffnen, insbesondere bei Infrastrukturprojekten, fördert sie auch privatwirtschaftliche Unternehmen dabei „rauszugehen“ (Going-out) und aktiv ihre Position in den Industrie- und Technologiesektoren Südostasiens auszubauen. Chinas privatwirtschaftliche Unternehmen konnten seitdem in rasantem Tempo große Marktanteile in der Region erlangen. Die chinesische Regierung identifiziert dabei Schlüsselindustrien, fokussiert sich auf strategische Investitionen, finanziert Forschung und Entwicklung, forciert Innovationen und fördert die Schaffung integrierter regionaler Lieferketten.
Mithilfe privater Unternehmen dringt China zunehmend in die Märkte Südostasiens ein und versucht, seine etablierten westlichen Konkurrenten zu überholen. Dies zeigt sich besonders im Technologiesektor, wo Firmen wie Alibaba, Huawei und BYD ihre Präsenz schnell ausbauen. Der Vorstoß chinesischer Privatunternehmen in Südostasien wurde durch eine strategische und aktive Handelspolitik der chinesischen Regierung in der Region unterstützt. Parallel zu seinem Beitritt zur Welthandelsorganisation im Jahr 2001 schlug China die ASEAN-China-Freihandelszone (ACFTA) vor. Die ACFTA wurde schließlich 2010 implementiert und seitdem auf Chinas Initiative hin erweitert. Darüber hinaus ist China Mitglied der Regional Comprehensive Economic Partnership (RCEP), dem weltweit größten Freihandelsabkommen, das alle ASEAN-Länder sowie Australien, Neuseeland, Südkorea und Japan umfasst.
China ist infolgedessen zum wichtigsten Wirtschaftspartner Südostasiens aufgestiegen. Das Handelsvolumen mit den ASEAN-Ländern hat sich allein in den vergangenen fünf Jahren fast verdoppelt.6 Chinesische Unternehmen expandieren jedoch nicht nur auf den Märkten Südostasiens, sondern dominieren zunehmend auch die industriellen Lieferketten der Region. Tatsächlich sind mehr als 80 Prozent der chinesischen Exporte in die Region Industriegüter.7 Chinas Anteil an allen Importen von industriellen Vorprodukten lag 2021 bei etwa 30 Prozent in Vietnam, Indonesien, Thailand und den Philippinen.8
Diese Zahlen dürften seitdem gestiegen sein, da die sich verschärfende wirtschaftliche Rivalität mit den USA China dazu zwingt, wirtschaftlich noch stärker in die Region vorzudringen. China benötigt alternative Märkte, um seine industriellen Produkte abzusetzen. Vor allem aber verlagerten chinesische Unternehmen bisher Bestandteile ihrer Lieferketten nach Südostasien, um amerikanische Zölle und Sanktionen zu umgehen. Für Vietnam berechnete die britische Zeitschrift The Economist kürzlich eine fast hundertprozentige Korrelation zwischen dem monatlichen Anstieg der Importe aus China und dem der Exporte in die USA.9 Obwohl solche Berechnungen für die übrige Region nicht existieren, deutet vieles darauf hin, dass dies auch in anderen Ländern der Fall sein könnte – so etwa mit Blick auf Autoteile aus Thailand oder Solarpanels aus Malaysia. Die Trump-Administration hat vor dem Hintergrund der laufenden Verhandlungen um ihre Strafzölle mit den südostasiatischen Regierungen verdeutlicht, dass ein stärkeres Vorgehen gegen Chinas wirtschaftlichen Einfluss in den jeweiligen Ländern Grundvoraussetzung für den Abschluss von „Deals“ sein müsse. Angesichts der zunehmenden chinesischen Dominanz in der Region und der wachsenden wirtschaftlichen Abhängigkeiten der südostasiatischen Volkswirtschaften von China erscheint es fraglich, ob die Regierungen sich auf eine solche Forderung einlassen (können).
Japans Antwort auf Chinas Dominanz: Strategischer Kurswechsel in Südostasien
China hat Japan in nur wenigen Jahrzehnten als führende Wirtschaftsmacht Asiens verdrängt. Ähnlich wie europäische Firmen haben auch japanische Industrieunternehmen im Konkurrenzkampf mit chinesischen Unternehmen an Boden verloren. Daher versuchte auch Japan in den vergangenen Jahren mit einem grundlegenden außenwirtschaftspolitischen Kurswechsel, Chinas wachsender wirtschaftlicher Dominanz aktiv etwas entgegenzusetzen. Dabei kooperiert Japan sowohl mit Ländern, die eng mit China verbunden sind (unter anderem Kambodscha und Laos), als auch mit solchen, die eine deutliche Distanz zu China pflegen (unter anderem die Philippinen). Damit soll allen Ländern der Region eine Alternative zum chinesischen wirtschaftlichen Engagement angeboten und eine wirtschaftliche Monopolstellung Chinas in Südostasien verhindert werden.
Japan hat 2016 eine eigene Strategie für einen freien und offenen Indopazifik (Free and Open Indo-Pacific, FOIP) als Antwort auf Chinas BRI entwickelt. Die FOIP-Strategie dient Japan als Vehikel, um Investitionen vor allem in die am wenigsten entwickelten Länder Südostasiens zu lenken. Eines der Hauptziele der FOIP ist die Entwicklung von Infrastruktur, die diese Länder am dringendsten benötigen. Japan verfolgt dieses Ziel durch die Schaffung von sogenannten „Korridoren“.10 Ein Beispiel hierfür ist Japans Ost-West-Wirtschaftskorridor, der von Da Nang in Vietnam über Laos und Thailand bis nach Mawlamyine in Myanmar reicht. Dieser dient unter anderem dazu, den japanischen Zugang nach Indien und in die schnell wachsenden Volkswirtschaften Südasiens zu sichern. Japan verfügt zudem über einen südlichen Wirtschaftskorridor, der durch Ho-Chi-Minh-Stadt in Vietnam, Phnom Penh in Kambodscha, Bangkok in Thailand und Dawei in Myanmar verläuft. Die wirtschaftliche Bedeutung dieser Korridore steigt kontinuierlich, gerade auch für lokale kleine und mittlere Unternehmen in der Region. Bis 2024 waren etwa 1.100 Unternehmen, sowohl lokale als auch ausländische, entlang dieser beiden Korridore aktiv.
2024 schloss Japan mit den USA ein Abkommen zur Schaffung eines weiteren Korridors, des Luzon-Wirtschaftskorridors, um seine wirtschaftliche Präsenz in Südostasien auszubauen. Dieser Korridor befindet sich auf den Philippinen, dem derzeit engsten Verbündeten der USA in Südostasien. Luzon wurde aufgrund des großen Vorkommens an kritischen Rohstoffen wie Nickel, Kobalt, Kupfer und Bauxit, die für die Halbleiter- und Elektrofahrzeugindustrie, einschließlich der Batterieproduktion, von entscheidender Bedeutung sind, gewählt.11 Allein die Möglichkeit des Zugangs zu solchen Mineralien dient als Anreiz für ausländische Unternehmen, in diesen Korridor zu investieren. Schließlich entfallen zum Beispiel rund 45 Prozent der globalen Nickelproduktion auf die Philippinen und Indonesien.12
2023 hat die japanische Regierung die Japan-Vietnam Joint Initiative unterzeichnet, um von den hohen Wachstumsraten Vietnams in den vergangenen zehn Jahren zu profitieren. In Kambodscha schuf Japan 2024 eine Sonderwirtschaftszone (SEZ), um Investitionen japanischer Unternehmen anzuziehen. Diese SEZ war Japans Reaktion auf die Lehren, die es aus Chinas umfangreichen Investitionen unter anderem in den Textilsektor in Kambodscha gezogen hatte und die dem wirtschaftlich noch unterentwickelten Land halfen, seinen industriellen Fertigungssektor aufzubauen. Die Chinesen besitzen heute rund 90 Prozent der Bekleidungsfabriken Kambodschas, während dieser Sektor etwa 40 Prozent des BIP ausmacht.13 Bis 2022 war Kambodscha zum weltweit achtgrößten Exporteur von Bekleidung und Schuhen aufgestiegen. Dabei wurden zahlreiche chinesische Unternehmen in die lokalen Lieferketten integriert, die heute Produkte für den Export nach Japan, in die USA und nach Europa herstellen.
Japan hat selbst unmittelbar erlebt, was es bedeutet, wirtschaftlich zu stark von China abhängig zu sein. 2010 schränkte China seine Exporte von Seltenen Erden nach Japan ein. Dies und mehrere damit verbundene Entwicklungen veranlassten die japanische Regierung, eine Diversifizierung der eigenen Lieferketten zu fördern, insbesondere in Bereichen, die bisher von China dominiert wurden. Ein Kernelement dieser Diversifizierungsstrategie war die Einführung des Wirtschaftssicherheitsgesetzes (ESPA) im Jahr 2022. Das Hauptziel des ESPA besteht darin, Lieferketten vor Unterbrechungen durch geopolitische Konflikte zu schützen, indem sie relokalisiert oder auf Japans Verbündete statt auf China gestützt werden. Um dies zu erreichen, zielt das ESPA darauf ab, eine stabile Versorgung mit kritischen Materialien sicherzustellen, die ständige Bereitstellung und Funktionsfähigkeit kritischer Infrastrukturen zu garantieren und die Entwicklung wichtiger Technologien zu unterstützen. Die japanische Regierung führte eine Reihe von Subventionen ein, um den Aufbau inländischer Produktionskapazitäten, Forschung und Entwicklung sowie Investitionen in globale Lieferketten kritischer Industrien zu fördern. Beispielsweise unterstützte Japans Projekt zur Diversifizierung von Übersee-Lieferketten zwischen 2020 und 2023 124 solcher Projekte in Südostasien.14 Außerdem nutzt die japanische Regierung zunehmend ihre Entwicklungszusammenarbeit als Instrument zur Förderung ihrer Exportunternehmen durch die Anwendung von „gebundener Hilfe“, das heißt zinsgünstiger Darlehen, die die Empfängerländer dazu verpflichten, Aufträge an japanische Unternehmen zu vergeben. Wenn diese Pläne erfolgreich sind, wird dies nicht nur Japan helfen, seine Lieferketten von China zu diversifizieren, sondern auch die Wettbewerbsfähigkeit japanischer Unternehmen in Südostasien erheblich verbessern.
Europa braucht eine integrierte Außenwirtschaftspolitik in Südostasien
Während Japan seine Strategie grundlegend verändert hat, um Chinas wachsender wirtschaftlicher Dominanz entgegenzutreten, zeigt sich Europa noch immer überraschend zurückhaltend in Bezug auf Südostasien. Jetzt, da europäische Unternehmen nach Wegen suchen, um ihre Abhängigkeiten von China zu verringern und in die Region zu diversifizieren, stellen sie fest, dass sie Schwierigkeiten haben, mit Wettbewerbern zu konkurrieren, die bereits seit Jahren in die regionalen Märkte und Lieferketten vordringen – unterstützt von Regierungen, die strategisch darauf hinarbeiten, ihren wirtschaftlichen Einfluss auszubauen. Die EU sollte aus den erfolgreichen Strategien ihrer Wettbewerber lernen und einen eigenen außenwirtschaftspolitischen Ansatz für Südostasien entwickeln, der eine offene Handelspolitik mit einer pragmatischen Strategie der wirtschaftlichen Zusammenarbeit und einer proaktiven Außenwirtschaftsförderung integriert.
EU sollte US-Zollpolitik für Abschluss von Handelsverhandlungen nutzen
Bis heute hat die EU in Südostasien nur Freihandelsabkommen mit Singapur und zuletzt mit Vietnam im Jahr 2019 unterzeichnet. Mit einer Reihe von weiteren wachstumsstarken südostasiatischen Ländern ziehen sich die Verhandlungen über bilaterale Handelsabkommen teilweise schon seit Jahren hin. Zuletzt haben Trumps Zollandrohungen allerdings zu einer neuen Erkenntnis der Dringlichkeit erfolgreicher Handelsabschlüsse bei der EU geführt. Dies hatte in den vergangenen Monaten einen neuen handelspolitischen Pragmatismus der EU-Kommission gegenüber Südostasien zur Folge. So wäre die von EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen und dem indonesischen Präsidenten Prabowo Subianto am 13. Juli 2025 verkündete politische Einigung auf einen Abschluss der seit 2014 laufenden Handelsverhandlungen ohne Trumps Zolldrohungen wohl kaum möglich gewesen.
Auch die 2010 gestarteten Handelsverhandlungen zwischen der EU und Malaysia, die seit 2012 aufgrund erheblicher Differenzen unterbrochen waren, wurden erst Anfang des Jahres unter dem Eindruck der US-amerikanischen Zollpolitik wiederbelebt. Die Verhandlungen mit Thailand sowie den schnell wachsenden Philippinen ziehen sich jedoch seit vielen Jahren hin, ohne dass nennenswerte Fortschritte erzielt wurden.
Eine große Herausforderung für die bisherigen Verhandlungen war der Versuch der EU, ihren Handelspartnern nichthandelsbezogene Forderungen, wie umfangreiche Umwelt- und Sozialstandards, aufzuerlegen. Vor allem Indonesien und Malaysia lehnten diese Forderungen entschieden ab und beschuldigten die EU des Protektionismus unter dem Deckmantel des Klimaschutzes. Angesichts des wachsenden globalen wirtschaftlichen Interesses an der Region, der wirtschaftlichen Probleme Europas, des stagnierenden Handels mit der EU und einer zunehmenden Anzahl bilateraler und regionaler Handelsabkommen in Asien (unter anderem ACFTA, RCEP) waren und sind die aufstrebenden Volkswirtschaften Südostasiens zunehmend in einer Position, Verhandlungen mit der EU scheitern lassen zu können.
Die EU sollte deshalb das Momentum der US-amerikanischen Zolldrohungen nutzen, um alle noch laufenden Handelsverhandlungen mit den südostasiatischen Staaten nach dem erfolgreichen Vorbild mit Indonesien schnell abzuschließen, so Handelshemmnisse abzubauen und den Markteintritt europäischer Unternehmen in Südostasien zu erleichtern. Die EU darf diese Verhandlungen nicht mehr mit nichthandelsbezogenen Forderungen überfrachten, sondern sollte weiter ihren neuen pragmatischeren Ansatz verfolgen, um nach vielen Jahren des Verhandelns endlich mit allen dynamischen Volkswirtschaften der Region erfolgreich zum Abschluss zu kommen.
Großes Potenzial von Global Gateway bislang nicht ausreichend genutzt
Im Jahr 2021 startete die EU ihre Global-Gateway-Initiative (unter anderem als Antwort auf Chinas BRI) mit dem Ziel, „intelligente, saubere und sichere Konnektivität in den Bereichen Digitales, Energie und Verkehr zu fördern und Gesundheit, Bildung und Forschungssysteme weltweit zu stärken“.15 Bis 2027 plant die EU im Rahmen von Global Gateway, 300 Milliarden Euro in Entwicklungsländern zu investieren. Davon sind jedoch nur 10 Milliarden Euro16 für Projekte in Südostasien vorgesehen – eine unverständlich geringe Summe angesichts der enormen geopolitischen und wirtschaftlichen Bedeutung der Region. Zum Vergleich: Das BRI-Projekt des Industrieparks Rempang Eco-City in Indonesien hat allein ein Budget von umgerechnet fast 10 Milliarden Euro.17
In Südostasien umfasst die Global-Gateway-Initiative im Einklang mit der grünen Agenda der EU und der Agenda für „nachhaltige Konnektivität“ den Bau von Netzen und Straßen in Kambodscha. Außerdem wird die Stromversorgung verbessert, um die Energieeffizienz zu steigern, einschließlich eines Wasserkraftwerks in Vietnam. Weiterhin beinhaltet die Initiative den Bau von städtischen Verkehrssystemen, Bewässerungssystemen und Straßen in Laos, um die Konnektivität zu erhöhen. Auf den Philippinen werden zudem Solarkraftwerke und Heimsolarsysteme errichtet, um entlegene Gebiete zu elektrifizieren. Obwohl diese Projekte sich vor allem an der grünen Agenda der EU orientieren, haben sie auch das Potenzial, wirtschaftliche Möglichkeiten für europäische Unternehmen zu eröffnen, Kontrolle über wichtige Infrastrukturen zu erlangen und Zugang zu wichtigen Ressourcen, die derzeit noch über chinesische Lieferketten in der Region erworben werden müssen, zu sichern. Stattdessen läuft Global Gateway in Südostasien aber noch immer größtenteils entlang der Logik klassischer Entwicklungszusammenarbeit, in der das strategische Öffnen von wirtschaftlichen Möglichkeiten für europäische Unternehmen nur eine nachrangige Überlegung darstellt.
Zudem suggeriert das Global-Gateway-Konzept, dass es sich um eine kohärente, von der EU-Kommission koordinierte und gesteuerte Investitionsstrategie handelt. In Südostasien ist Global Gateway jedoch lediglich eine Ansammlung von nicht miteinander verbundenen Projekten, die oft von den nationalen Entwicklungsbanken und -agenturen der Mitgliedstaaten verwaltet und finanziert werden und von denen einige bereits lange vor der Einführung dieser europäischen Initiative in Planung waren. Angesichts des geringen finanziellen Volumens der meisten Projekte, der relativ bescheidenen Gesamtsumme, die für die Region mobilisiert wird, und des Mangels an einem echten strategischen Ansatz bei der Umsetzung ist fraglich, ob Global Gateway eine echte Antwort auf Chinas BRI oder Japans Wirtschaftskorridore sein kann.
Die Global-Gateway-Initiative sollte deshalb als ein europäisch koordiniertes, strategisches Investitionsprogramm strukturiert werden. Das für Südostasien vorgesehene Budget muss unbedingt angepasst werden, um der zentralen Bedeutung der Region für Europas Diversifizierungsbemühungen Rechnung zu tragen. Die Projekte von Global Gateway sollten sich zudem auf Bereiche konzentrieren, in denen europäische Unternehmen einen Wettbewerbsvorteil haben, um so Einstiegs- und Geschäftsmöglichkeiten für diese Unternehmen in der Region zu schaffen.
Europas Unternehmen benötigen strategische Außenwirtschaftsförderung
Bis heute fehlt der EU eine umfassende Strategie, um europäische Unternehmen dabei zu unterstützen, eine stärkere Präsenz in Südostasien aufzubauen. Ein aktiver, gar institutionalisierter Dialog zwischen Kommission und europäischer Wirtschaft, der gemeinsam an Lösungen für die Herausforderungen europäischer Unternehmen im Ausland arbeitet, existiert bisher lediglich in Ansätzen. Im jüngsten EU-ASEAN Business Sentiment Survey haben 59 Prozent der befragten europäischen Unternehmen angegeben, dass die EU ihre Interessen in Südostasien nicht ausreichend fördere – der höchste Wert an Unzufriedenheit seit Einführung des Surveys 2015.18 Die EU sollte die Logik hinter den von Ländern wie China und Japan (und auch Südkorea) geschaffenen Kooperationsmodellen zwischen Regierungen und Unternehmen stärker berücksichtigen, um ihre Relevanz in den Volkswirtschaften Südostasiens zu stärken. Zwar fehlen Europa die SOEs Chinas oder die historisch enge politisch-wirtschaftliche Verzahnung Japans, doch bieten der riesige europäische Binnenmarkt und seine weltweit anerkannten Industrieunternehmen sowie das hohe Vertrauen, das Europa noch immer in der Region genießt, eine gute Grundlage, um die eigene wirtschaftliche Präsenz in Südostasien zu stärken. Schließlich wird die EU von den regionalen Eliten noch immer als bevorzugter Partner angesehen, um sich gegen die Ungewissheiten der USA-China-Rivalität abzusichern.19
Europa hat eindeutig das Potenzial, zu den führenden Wirtschaftsmächten der Region aufzuschließen und seine Präsenz in strategischen Sektoren in Südostasien auszubauen. Damit dies jedoch geschehen kann, muss die EU einen Kurswechsel vollziehen, indem sie den Austausch zwischen der Kommission und den nationalen Regierungen auf der einen Seite und der Wirtschaft auf der anderen verstärkt, um die Herausforderungen für europäische Unternehmen in der Region genauer zu identifizieren und geeignete politische Maßnahmen zur Stärkung ihrer Wettbewerbsposition in Südostasien zu ergreifen. Hier gilt es auch vonseiten der Mitgliedstaaten, die eigenen nationalen Ansätze der Außenwirtschaftsförderung strategisch weiterzuentwickeln und, wo sinnvoll, auf europäischer Ebene besser zu koordinieren. Solche außenwirtschaftspolitischen Maßnahmen sollten zudem in erster Linie wirtschaftlich ausgerichtet sein und nicht durch nichtwirtschaftliche Anforderungen überladen werden, die es Unternehmen erschweren, mit chinesischen oder japanischen Firmen in Südostasien auf Augenhöhe zu konkurrieren.
Dr. Denis Suarsana ist Leiter des Auslandsbüros der Konrad-Adenauer-Stiftung für Indonesien und Timor-Leste.
- Die China+1-Strategie bezeichnet eine Produktions-, Absatz- und Lieferkettenstrategie, bei der Unternehmen zusätzlich zu ihren Aktivitäten in China mindestens ein weiteres Land als Produktionsstandort wählen. Ziel ist es, durch Diversifizierung Abhängigkeiten zu reduzieren, um Risiken durch Marktanteilsverluste, Lieferengpässe, steigende Kosten oder politische Spannungen zu minimieren. ↩︎
- Dieser Artikel basiert auf einer im Oktober 2024 vom Autor gemeinsam mit Prof. Edmund Terence Gomez veröffentlichten Studie: Gomez, Edmund Terence / Suarsana, Denis 2024: Der wirtschaftliche Wettlauf in Südostasien – und warum Europa zurückfällt, Monitor Innovation, Konrad-Adenauer-Stiftung, 28.10.2024, in: https://ogy.de/2roa [29.06.2025]. ↩︎
- Jones, Ben 2022: Past, present and future: The evolution of China’s incredible high-speed rail network, CNN, 09.02.2022, in: https://ogy.de/bwtw [29.06.2025]. ↩︎
- Zhang, Tong 2023: China launches world’s fastest internet with 1.2 terabit per second link, years ahead of forecasts, South China Morning Post, 14.11.2023, in: https://ogy.de/rlh4 [29.06.2025]. ↩︎
- Irwin-Hunt, Alex 2024: The world’s 10 best container ports, fDi Intelligence, 21.08.2024, in: https://ogy.de/4x2k [29.06.2025]. ↩︎
- Suarsana, Denis 2024: De-Risking, aber wohin? Die Schwellenländer der Emerging ASEAN als Alternative zu China, Konrad-Adenauer-Stiftung, 18.04.2024, in: https://ogy.de/gvzc [29.06.2025]. ↩︎
- Wester, Shay 2023: Balancing Act: Assessing China’s Growing Economic Influence in ASEAN, Asia Society, 08.11.2023, in: https://ogy.de/it3n [29.06.2025]. ↩︎
- Weltbank 2025: World Integrated Trade Solution, in: https://ogy.de/s0jz [29.06.2025]. ↩︎
- The Economist 2024: How Trump and Biden have failed to cut ties with China, 27.02.2024, in: https://ogy.de/m61h [29.06.2025]. ↩︎
- Hosoda, Takashi 2022: The shifting nature of Japan’s „Free and Open Indo-Pacific“, AcaMedia, 12.10.2022, in: https://ogy.de/g58z [29.06.2025]. ↩︎
- Camba, Alvin / Seay, Ryan 2024: The Luzon Economic Corridor as the United States’ Southeast Asian litmus test, East Asia Forum, 10.07.2024, in: https://ogy.de/h68l [29.06.2025]. ↩︎
- Tan, Sin Lu 2024: China’s evolving Belt and Road Initiative in Southeast Asia, International Institute for Strategic Studies, 31.07.2024, in: https://ogy.de/ulpd [29.06.2025]. ↩︎
- Ravindran, Sreekanth 2024: 90% of garment units are Chinese-owned, Khmer Times, 31.01.2024, in: https://ogy.de/c6xk [29.06.2025]. ↩︎
- Robaschik, Frank 2024: Japan arbeitet an sicheren Lieferketten, Germany Trade & Invest, 17.06.2024, in: https://ogy.de/1q1z [29.06.2025]. ↩︎
- Europäische Kommission: Global Gateway overview, in: https://ogy.de/29ry [29.06.2025]. ↩︎
- Delegation of the European Union to ASEAN 2023: Implementing the Global Gateway in the ASEAN Region, 05.09.2023, in: https://ogy.de/v1bv [29.06.2025]. ↩︎
- Busbarat, Pongphisoot (Paul) et al. 2023: How Has China’s Belt and Road Initiative Impacted Southeast Asian Countries?, Carnegie Endowment for International Peace, 05.12.2023, in: https://ogy.de/az7a [29.06.2025]. ↩︎
- Humphrey, Chris 2024: Europe must raise its game with EU-ASEAN ties, The Jakarta Post, 10.10.2024, in: https://ogy.de/h02q [29.06.2025]. ↩︎
- Seah, Sharon et al. 2024: The State of Southeast Asia: 2024 Survey Report, ASEAN Studies Centre – ISEAS – Yusof Ishak Institute, 02.04.2024, in: https://ogy.de/ncvw [29.06.2025]. ↩︎
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