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Abstracts der Vorträge 2012

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2012: Wieviel Heimat verträgt Europa?

Prof. Dr. Wolfgang Braungart

Universität Bielefeld

Heimat – Sprache – poetische Imagination

Literatur redet natürlich immer von und über etwas, so z. B. auch über 'Heimat' und 'Europa'. Es muss ihr aber immer und so auch hier gelingen, durch die poetische Imagination die Einbildungskraft ihrer Leser in Bewegung zu versetzen. Die Einbildungskraft ist nämlich das menschliche Vermögen, das von geschichtlich-kultureller Erinnerung und individueller, lebensweltlicher Erfahrung geprägt ist und das von Begriffen, Modellen, Konzepten zwar bedrängt, durch sie aber nie wirklich gebändigt werden kann. Die Einbildungskraft wird durch Literatur angesprochen wie durch keine andere Kunst sonst.

'Heimat' und 'Europa': Hier drohen immer und in besonderer Weise Kitsch und Trivialität, also die Versuchung, die Einbildungskraft allzu schnell beruhigen zu wollen, indem versprochen wird: Hier kannst du dich einrichten; hier geht es vertraut und bequem zu. Das ist gerade für dieses große Thema unserer Tagung fatal. Der Vortrag versucht, ausgehend vom lyrischen Werk Friedrich Hölderlins, zu diesem Problemfeld einige Thesen zu entwickeln.

Prof. Dr. Ioana Crăciun-Fischer

Universität Bukarest

Integration durch Bekenntnis zum Eigenen: Reflexionen zur interkulturellen Dimension der Romane Aglaja Veteranyis

Integration durch Bekenntnis zum Eigenen lautet das paradoxe Rezept all jener auf Deutsch schreibenden Autorinnen und Autoren mit Migrationshintergrund, die ihre Herkunftssprache nicht als schicksalsbedingtes Hindernis auf dem Weg zur Integration in die Literatur ihrer deutschsprachigen Wahlheimat wahrgenommen, sondern als große Chance erkannt haben, ihr eigenes künstlerisches Profil zu gestalten und sich in einem Literaturbetrieb zu behaupten, der dem Konkurrenzdruck der Marktwirtschaft unterworfen ist. In meinem Vortrag möchte ich diese Integrationsstrategie am Beispiel der auf Deutsch verfassten Romane der gebürtigen Rumänin Aglaya Veteranyi analysieren und dabei zeigen, dass die Faszination, die ihre skurrile Prosa ausübt, auf die rumänische Gegenwartsgeschichte sowie auf die rumänische Kultur mit ihren Sitten und Bräuchen zurückzuführen ist.

Prof. Dr. Frank Finlay

University of Leeds

Heimat und keine: Die Romane Christian Krachts

Dieser Vortrag beschaeftigt sich mit Christian Kracht und gilt als Versuch, sein Romanwerk in der gegenwaertigen literarischen Landschaft der Bundesrepublik zu verorten. Ausgehend von der Rezeption des Debütromans Faserland (1995) und vor dem Hintergrund von aktuellen literarischen Trends wird auf einen inzwischen breiten kritischen Konsens hingewiesen, nach dem Krachts Werke trotz ihrer Beschäftigung mit der ‘Oberfläche’ sich durchaus tiefsinningen Themen widmen. Anhand einer Diskussion von den Romanen 1979, (2001) Ich werde hier sein im Sonnenschein und Schatten (2008) und Imperium wird gezeigt, daß das Streben nach Erhaben- und Überlegenheit — also die Suche nach ‘Heimat’ im weitesten Sinne — eine thematische Konstante in Krachts Romanen bildet. Es wird jedoch behauptet, daß eine Berücksichtigung der Vielfalt von aesthetischen Elementen eine spielerische Dimension im Werk bloßlegt, die Krachts ethischen Ernst mit Absicht — und mit Humor — unterminiert.

Prof. Dr. Peter Hanenberg

Lissabon – Universidade Católica Portuguesa

Wie viel Europa verträgt die (Heimat-)Literatur?

Die scheinbar einfache Frage im Titel, basiert auf einer Reihe stillschweigender Voraussetzungen, die zunächst selbst zu hinterfragen sind. Wie kann man Europa messen? Wie kommt es in die Literatur? Kann Europa Heimat sein und in welchem Sinne? Und was passiert mit der Literatur, wenn sie etwas nicht verträgt? Oder wer verträgt hier wen und wo?

Zunächst wird es also darum gehen festzustellen, was Europa überhaupt sein könnte. Dann wird man erwägen müssen, ob und wie es sich literarisch zu erkennen gibt, und schließlich wird man nach seinem Potential als Heimat fragen. Ein Gedanke zur "Weltzivilisation" von Joachim Ritter mag uns dabei ebenso helfen wie George Steiners oder Zygmunt Baumans Essays zum Thema. Vor allem aber ein Blick auf Thomas Mann, ein kurzer Rückblick auf Joseph Roth, ein Absatz zu Günter Grass, ein Ausflug mit Uwe Johnson und eine Reise mit Hans Joachim Schädlich sollten Beweis genug sein dafür, wie viel Europa die Heimatliteratur wirklich braucht: Begriffe wie Transkulturalität (Wolfgang Welsch), Hybridität (Nestor Canclini) oder Konvivialität (Paul Gilroy) erhalten in ihrer literarischen Gestaltung die Kraft, die ihnen das Leben nicht immer gewährt.

Prof. Dr. Oliver Jahraus

Ludwig-Maximilians-Universität München

Einführung in Michael Hanekes Film Das weiße Band (2008)

Michael Hanekes 22. Spielfilm, Das weiße Band, der 2009 in die Kinos kam, u.a. die Goldene Palme 2009 in Cannes gewann und zwei Oscar-Nominierungen bekam, schlägt seine Zuschauer von Anfang an in den Bann, indem eine Erzählerstimme als voice over aus dem Off eine geheimnisvolle Geschichte über gefährliche Streiche in einer norddeutschen, noch feudal organisierten Dorfgemeinschaft vor dem Ersten Weltkrieg nach dem Muster einer Kriminalgeschichte (Whodunit) verspricht. Doch die Erzählung selbst bleibt offen, das Rätsel wird nicht gelöst. Eine mögliche Lösung, die der Film andeutet, will ich in meiner Einführung verraten, indem ich eine ganz bestimmte Sehweise und Interpretation des Films vorschlage. Die Suche nach der Lösung des Rätsels, die ganz dem Zuschauer überlassen bleibt, ist an den historischen Kontext verwiesen. Folgt man dieser Spur, so kann der Film als eine allegorische Verdichtung der sozialgeschichtlichen Dispositionen des Ersten Weltkriegs gesehen werden, eine Allegorie nicht nur die initialen Ereignisse von Sarajewo, sondern auch ihrer gesellschaftlichen Wurzeln. Der Film liefert damit ein Modell der Vorgeschichte des Ersten Weltkriegs.

Prof. Dr. Detelina Metz

Universität Sofia

Das (un)bekannte Bulgarien in der globalen Kommunikation

Wenn das 20. Jahrhundert mit einem Wort beschrieben werden soll, so ist dieses Wort „Kommunikation“. Fundamentales Bedürfnis aller Menschen ist es zu kommunizieren. Die Menschen sind „verurteilt“, zu kommunizieren. Schwerpunkt dieses Beitrags ist die käufliche, professionelle, zweckorientierte Kommunikation, die Werbung heißt. Die Werbespots erweisen sich als eine besondere Form des sozialen Kontakts. Ihre Ästhetisierung macht sie zu einem Massengenre europäischer, wenn nicht sogar weltweiter Kommunikation, die die sprachlichen Grenzen überspringt. Die Werbespots werden als Indikator und Regulator der Popularkultur europaweit angesehen. Wieviel Heimat die Werbespots übermitteln „dürfen“, welche Unterschiede die Werbelandschaften in Bulgarien und in Deutschland aufweisen, sind die Fragen, nach denen in dem Vortrag Antworten gesucht werden.

Prof. Dr. Bogdan Mirtschev

St.-Kliment-Ohridski-Universität Sofia

Eine Sache des Herzens: Heimat als konstruierte Irrealität

Seit der Romantik ist „Heimat“ in der deutschsprachigen Literatur ein wichtiger Topos, der zum Kernbegriff für manche Strömungen in ihrer Geschichte wurde. Ist die „Heimatidee” eine deutsche Mystifikation (B. Schlink), oder etwa eine überlieferte Konstruktion, der negativen Einstellung deutscher Romantiker zu einer von der Aufklärung geprägten Denkweise (P. Blickle)? Aus der Perspektive literarischer Komparatistik kann dagegen argumentiert werden. Heimat hat (nicht nur) in der deutschen Literatur starke emotionale Bezugspunkte und wird etwa mit der Sehnsucht nach Orten des Glücks, wo man zu Hause und nicht Gast ist, mit dem “Versuch die Kindheit verwandelnd einzuholen“ (Chr. Türke) assoziiert. Nicht nur in der sog. Heimatdichtung wird sie als Schutz – und identitätsstiftender fester Wert gedacht. Als konstruierte Irrealität, als Ort des Eigenen und Vertrauten, als Utopie, hat sie eine mythische Dimension auch in der deutschen Gegenwartsliteratur. Viele Metaphern, womit der Heimat-Begriff assoziiert wird, sind im Wandel der Zeit die gleichen geblieben, wie auch manche Ideen, die sich um ihn ranken – die Erzeugung eines nationalen Zugehörigkeitsgefühls, die durch Erinnerung heraufbeschworene Vertrautheit mit einer soziokulturellen Struktur. Das erkennt man sogar an Beispielen literarischer Heimat-Dekonstruktionen, die Umrisse einer unheimlichen Heimat sichtbar machen.

Prof. Dr. Joanna Pfaff-Czarnecka

Universität Bielefeld

Heimat und Zugehörigkeiten in Europa

Weshalb wird heute die Auseinandersetzung mit der Heimat wieder aktuell? –Die meisten Antworten betonen die – miteinander verwobenen - Wirkungen der Globalisierung, Kriege und Konflikte, die kommunikativen Entgrenzungen und das Ineinandergreifen unterschiedlicher kultureller wie sozialer Räume. Sie weisen so auf wichtige Rahmenbedingungen hin und betonen zudem die Problematik des Heimatbegriffs – vor allem wenn er mit nationalen Bezügen unterlegt wird. Doch die Brisanz der Heimat liegt heute – so die Grundannahme meines Beitrags – vor allem in der Vielfalt der Zugehörigkeiten begründet. Verschiedenartige Zu- und Zusammengehörigkeiten lassen sich aus der Ich-Perspektive unterschiedlich gewichten, gestalten und mehr oder weniger leicht miteinander kombinieren. Die Be-Heimat-ung in der späten Moderne wird zum Objekt individueller wie kollektiver Reflexion. Sie spannt sich zwischen verschiedenen Bezugshorizonten auf und vollzieht sich in einschneidenden Prozessen sozialer Grenzziehung wie in Grenzüberschreitungen. Die spätmoderne Reflexivität nimmt die Ambivalenzen und Paradoxien der Zugehörigkeit in den Blick: die Nähe von Zugehörigkeit und Ausgrenzung, die kommunitären Regimes der Zugehörigkeit, die Utopie der Heimat, ebenso wie die politischen Realitäten des Zusammengehörens in hier-und-jetzt.

Nils Rottschäfer, M.A

Universität Bielefeld

Heimat und Religiosität bei Arnold Stadler

Die Konzepte ‚Heimat‘ und ‚Religiosität‘ sind bei Arnold Stadler aufs Engste miteinander verschränkt und bilden wie bei kaum einem anderen Autor der Gegenwartsliteratur einen für das Werk strukturbildenden Komplex. Der Vortrag rückt beide Problemkreise in eine gemeinsame Perspektive. Stadlers Poetik der Sehnsucht und Verwandlung (als ästhetische und als religiöse) richtet sich über die ländliche und katholisch geprägte Herkunftsregion Oberschwabens hinaus auf eine religiös-transzendente Heimat, auf ein metaphysisches Bei-sich- und Angenommensein. Als verlorene ist Heimat strukturell analog zum religiösen Konstitutionselement ‚Passion‘, als ersehnte und utopische ist Heimat strukturell analog zur religiösen Sehnsucht. Das „Dazugehörigkeitsverlangen“ der Protagonisten Stadlers kann beschrieben werden als ein Sehnsuchtsgefühl, das auf etwas bezogen, auf einen konkreten, sinnlich erfahrbaren Horizont ist bei gleichzeitigem Wissen, dass dieses Gefühl sentimentalisch ist. Im emphatischen „Ja“ Rolands in Stadlers Roman „Komm, gehen wir“ – verstanden als poetologisches Bekenntnis und als religiöses Gefühl der Hoffnung – äußert sich ein Aufbruchs- und Erneuerungsbedürfnis des Subjekts, oder: ein „Kinderglaube“, der einer (spät)romantischen Sehnsucht nach Unmittelbarkeit und Sinnhaftigkeit ihr Recht verleiht.

Prof. Dr. Anthonya Visser

Universität Leiden

Heimat Europa im Film: Lars von Triers „Europäische Visionen" mit Fatih Akins „Die bösen alten Lieder"

Aus allen Ländern der EU wurde 2004 ein Regisseur ausgewählt, sich mit einem filmischen Beitrag von fünf Minuten an Lars von Triers Projekt „Europäische Visionen" zu beteiligen. Es entstand somit eine Kompilation von 25 Sichtweisen auf das in dem Jahr von 15 auf 25 Länder erweiterte Europa.

Der Vortrag wird kurz das Gesamtprojekt darstellen, bevor ausführlich auf das in dem für Deutschland eingereichten Kurzfilm von Fatih Akin vermittelte Heimat-Bild eingegangen wird. Dazu wird der titelgebende Text Heines (aus dem Buch der Lieder) in einer intertextuellen/intermedialen Besprechung gemeinsam mit den musikalischen (Robert Schumanns „Dichterliebe" neu arrangiert) und den visuellen Elementen des in größtenteils in Schwarz-Weiß gedrehten Films analysiert.

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