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Das Zusammenspiel formeller und informeller Institutionen bei der Umsetzung von Reformkonzepten – Eine Analyse am Beispiel von Tansania und Uganda

Zusammenfassung der Dissertation

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Pia Becker

Hochschule für Politik München

Kulturelle Ökonomik

Ziel des Promotionsvorhabens ist es, die Relevanz des Zusammenspiels von Kultur und Wirtschaft bei entwicklungsökonomischen Fragen aufzuzeigen. In der Literatur gilt es weiterhin weitestgehend als ungeklärt, warum sich einige Länder schneller entwickeln als andere (vgl. z.B. Banerjee/Duflo 2011). Der Versuch durch die Transplantation von formellen Institutionen gezielt Wachstum herbeizuführen, muss in den meisten Fällen als gescheitert angesehen werden. In dem Dissertationsvorhaben wird dargelegt, wie ein umfassender kultureller Ansatz in der Ökonomik, der über die alleinige Betrachtung formeller Bedingungen hinausgeht, unser Verständnis von nachholender wirtschaftlicher Entwicklung erweitern kann. Dies soll beispielhaft an den beiden afrikanischen Ländern Tansania und Uganda aufgezeigt werden.

Den grundlegenden theoretischen Ansatz der Arbeit bildet die kulturelle Ökonomik. Daraus folgt, dass ökonomische Probleme in ihrer kulturellen Bedingtheit verstanden werden müssen (Goldschmidt/Remmele 2005). Kultur wird definiert als das fortlaufende Zusammenspiel von formellen Regeln und informellen Beschränkungen(1), das sich in der geschichtlichen Entwicklung einzelner Gesellschaften in unterschiedlicher Form herausbildet und von jedem Mitglied in der Gesellschaft im Prozess der Sozialisation erlernt werden muss und (potenziell) reflektiert werden kann (Spranz/Lenger/Goldschmidt 2012). Das Verständnis wirtschaftlicher Phänomene aus einer kulturellen Perspektive zielt auch darauf ab, die tatsächliche Interaktion zwischen formellen Regeln und informellen Beschränkungen, sowie die individuellen Deutungsmuster darüber, wahrzunehmen und zu analysieren. Dadurch können wirtschaftliche Entwicklungsprozesse besser verstanden und wirtschaftspolitische Empfehlungen gegeben werden, die auch wirksam werden können.

Um das Zusammenspiel zwischen formellen und informellen Institutionen und der individuellen Interpretation dieses Zusammenspiels empirisch greifbar zu machen, wird das Konzept des kulturellen Dolmetschers eingeführt.

Der kulturelle Dolmetscher

Der kulturelle Dolmetscher ist eine Weiterentwicklung bestehender Konzepte des politischen bzw. kulturellen Unternehmers und hat es zum Ziel, die individuelle und die institutionelle Perspektive bei der Analyse von wirtschaftlichen Entwicklungsprozessen und den entsprechenden politischen Reformen zu verbinden.

Als kultureller Dolmetscher werden Personen verstanden, die zwischen verschiedenen Kontexten vermitteln und institutionellen Wandel befördern. Deswegen müssen sie insbesondere im Hinblick auf die Kultur über eine besondere Expertise verfügen. Da, wie bereits erläutert, unter Kultur immer das Zusammenspiel von formellen Institutionen und informellen Beschränkungen verstanden wird, versteht es sich, dass ein kultureller Dolmetscher bei der „Übersetzung“ konkreter (westlicher) Institutionen und Reformagenden in andere Kontexte sich der jeweiligen Entstehungs- und Geltungsbedingungen dieser (westlichen) Institutionen bewusst sein muss. Das Interesse des kulturellen Dolmetschers liegt darin, die kommunikativen Bedingungen für eine Vermittlung von Ideen zu ermöglichen.

Um die Rolle des kulturellen Dolmetschers genauer zu erfassen, und auch um Rückschlüsse auf das Zusammenspiel von formellen und informellen Institutionen zu erlangen, ist eine empirische Analyse des kulturellen Dolmetschers erforderlich.

Empirische Erkenntnisse

Methodik

Die empirischen Erkenntnisse des Promotionsprojektes basieren auf mehrwöchigen Forschungsaufenthalten in Uganda und Tansania. Während der Feldforschung wurden qualitative Experteninterviews mit Consultants durchgeführt, die von Gebern mit der Implementierung von unterschiedlichen Programmen betraut sind. Im Rahmen dieser Arbeit werden diese Consultants als kulturelle Dolmetscher betrachtet.

Der kulturelle Dolmetscher in der Praxis

Damit der kulturelle Dolmetscher seiner Aufgabe nachkommen und formelle Institutionen in einen anderen kulturellen Kontext einführen kann, braucht er eine sehr hohe Sensitivität für die jeweilige Umgebung und die Zielgruppe. Zunächst muss er die „Sprache“ seiner Zielgruppe erlernen, bevor er die neuen Institutionen für diese Zielgruppe „übersetzen“ kann. Zur Vermittlung bedient er sich verschiedener Methoden. Dabei ist es wichtig, dass der Zielgruppe die neuen Regeln nicht nur theoretisch vorgestellt werden, sondern sie diese auch selbst kognitiv nachvollziehen. Relevant für eine erfolgreiche Vermittlung der Institutionen ist auch, dass die Individuen verstehen, wie sie von den neuen Institutionen profitieren können, also einen Anreiz haben diese auch zu übernehmen und bisherige Verhaltensweisen zu verändern.

Als Herausforderung bei der Vermittlung neuer formeller Institutionen beschreiben die kulturellen Dolmetscher vor allem die mindsets ihrer Zielgruppen und bestehende informelle Institutionen. Auch wenn es zunächst so scheint, dass bestimmte informelle Institutionen der Einführung neuer formeller Institutionen entgegenstehen, so spielen sie eine zentrale Rolle bei der Vermittlung der neuen formellen Institutionen. Um der Bevölkerung die neuen Konzepte zu vermitteln und verständlich zu machen, knüpfen die kulturellen Dolmetscher an den bestehenden informellen Institutionen an und nutzen diese als Ankerpunkte.

Fazit

Die vorliegende Arbeit lässt sowohl Rückschlüsse für die institutionenökonomische Theorie als auch für die Praxis der Entwicklungszusammenarbeit zu.

Wirtschaftliche Phänomene sollten eingebettet in ihrem jeweiligen Kontext verstanden werden. Die Empirie verdeutlicht, dass Fragen der wirtschaftlichen Entwicklung interdependent mit politischen, gesellschaftlichen und rechtlichen Entwicklungen sind. Diese komplexen Zusammenhänge verdeutlichen auch, warum Blaupausen keine praktikablen Lösungen darstellen. Vielmehr sind empirische Fallstudien erforderlich, um die spezifischen Einflussgrößen für wirtschaftliche Entwicklung zu identifizieren.

In der Praxis der Entwicklungszusammenarbeit zeigt sich, dass auch hier eine stärkere Orientierung am Kontext erforderlich ist. Dieses Erfordernis wird von vielen Praktikern zwar anerkannt, jedoch in den meisten Programmen nicht umgesetzt. Auch wenn die Entwicklungszusammenarbeit ihrerseits vielen Beschränkungen ausgesetzt ist, so sollte es Ziel sein, keine globalen Entwicklungsstrategien zu verbreiten, sondern durch die Vermittlung formeller Institutionen auch deren Akzeptanz und Wirksamkeit zu erreichen.

Anmerkungen:

(1) Die Begriffe der formellen Regeln und der informellen Beschränkungen werden im Sinne von North (1990) verstanden. Für eine Kritik an diesem Verständnis vgl. Hodgson (2006).

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