Asset-Herausgeber

Economics and Uncertainty

Zusammenfassung der Dissertation

Asset-Herausgeber

Julia Köhn

Wirtschaftswissenschaften

Universität Witten/Herdecke

Mit der Krise der Weltwirtschaft seit 2007 wurde auch die Krise der Wirtschaftswissenschaften eingeläutet. Die öffentliche Skepsis gegenüber den derzeit geltenden wirtschaftswissenschaftlichen Theorien und Paradigmen wuchs und gipfelte wohl in der Aussage George Soros’, dass die Theorien der Finanzmärkte Massenvernichtungswaffen seinen. Führende Ökonomen unterstützen Soros’ Angriff, und es wurde deutlich, dass die Theorie der Unsicherheit und des Risikos, welche der Finanzmathematik und auch der modernen Makroökonomik zugrunde liegt, der Kern der vermeintlichen intellektuellen Fehlentwicklung ist.

Die Arbeit Uncertainty & Economics untersucht die Entstehung und Entwicklung des ökonomischen Unsicherheitsparadigmas mit dem Ziel, ein alternatives epistemologisches und ontologisches Verständnis von Theorien der Wirtschaft und ihrer politischen Nutzung zu erarbeiten. Diese wissenschaftstheoretische Arbeit dient der Weiterentwicklung der Wissenschaft und legt die natürlichen Grenzen der Erkenntnis in den Wirtschaftswissenschaften offen.

Die dogmengeschichtliche Untersuchung zeigt, dass die derzeit vorherrschende Reinterpretation von unberechenbarer Unsicherheit als berechenbares Risiko unzulässig ist und sich weite Teile der Wirklichkeit der Analyse durch die Wirtschaftswissenschaften entziehen. Um diese These zu belegen wurde die Entwicklung der Theorie der Unsicherheit in den Wirtschaftswissenschaften seit dem 18. Jahrhundert bis in die 1960ger Jahre untersucht. Seit 1960 kam es zu keinen maßgeblichen Weiterentwicklungen, die auch in der politischen Praxis Relevanz besitzen, sodass vereinzelt vorhandene neuere Ansätze nicht untersucht wurden. Die Arbeit zeigt, dass Unsicherheit bereits von David Hume und Adam Smith als bedeutende Einflussgröße auf die Wirtschaft erkannt wurde. Besonders Adam Smith diskutierte die Problematik einer ungewissen Zukunft bei wirtschaftlichen Entscheidungen in der Gegenwart. Hume machte deutlich, dass Ungewissheit nicht nur ein erkenntnistheoretisches Problem aufwirft, sondern auch mit wissenschaftlichen Methoden nur eingeschränkt untersucht werden kann. Aus diesen Erkenntnissen entstand ein Spannungsfeld, das Unsicherheit einerseits als besonders relevant für die Wirtschaftswissenschaften darstellt und andererseits offenlegt, dass Unsicherheit für eine Wissenschaft der Wirtschaft problematisch ist.

Als dann im 19. Jahrhundert mit der Marginalistischen Revolution die Quantifizierbarkeit von wirtschaftswissenschaftlichen Erkenntnissen und die Anwendung mathematischer Theorien an Bedeutung gewann, konnte Unsicherheit in den neu entstandenen Theorien auf Grund ihrer methodologischen Problematik nicht länger berücksichtigt werden. Die Entwicklung der Politischen Ökonomie hin zu einer modernen Wirtschaftswissenschaft führte also dazu, dass Unsicherheit, weil sie wissenschaftlich nicht behandelbar war, aus dem Gegenstandsbereich des wirtschaftswissenschaftlichen Denkens und der Theoriebildung ausgeklammert wurde.

Obgleich es immer wieder vereinzelte Vorstöße gab, Unsicherheit zu reintegrieren, wurde Unsicherheit erst 1921 durch Frank H. Knight in Abgrenzung zum Risiko wieder in den wirtschaftswissenschaftlichen Diskurs eingebracht. Knight beschieb Unsicherheit als nicht quantifizierbares Risiko. Wichtiger noch weißt er darauf hin, dass Unsicherheit der Ursprung von Kreativität, Innovation und damit auch Gewinn sei. Der Umgang mit Unsicherheit ist damit die zentrale Aufgabe des Unternehmers und des Wirtschaftspolitikers. Dabei müssen beide immer davon ausgehen, dass sie die Unsicherheit falsch einschätzen, was Verluste und ökonomische Krisen als Folge haben kann. Selbst wenn es planerisch gelingt, Unsicherheit zu quantifizieren, so liegt es in der Natur der Unsicherheit, dass die Zukunft nicht in prognostizierter Weise eintritt, eben weil sie unsicher ist und sich einer Bewertung in Kategorien von wahr oder falsch entzieht.

Dennoch wurde mit der Theorie der Rationalen Erwartungen auf Basis der seit 1900 entstandenen quantifizierbaren subjektiven Wahrscheinlichkeitstheorie eine Theorie entwickelt, die vorgibt, dass Unsicherheit berechenbar sei. Obgleich diese Theorie auf Basis ihrer Annahmen logisch schlüssig ist, hat sie die Ökonomik dazu verleitet, die Anmerkungen von Hume, Smith und Knight zu ignorieren und davon auszugehen, dass es legitim sei, Unsicherheit so zu betrachten, als ob sie ebenso quantifizierbar sei wie das Risiko. Dieses um 1950 entstandene Paradigma der Unsicherheit liegt den maßgeblichen Theorien der Finanzmärkte und großen Bereichen der Makroökonomie noch heute zu Grunde.

Die seit 2007 durch die Öffentlichkeit geäußerte Vermutung, dass die Wirtschaftswissenschaften nicht nur falsch, sondern auch blind sind, scheint also belegbar. Ferner zeigt sich bei genauerer Analyse der Natur der Unsicherheit in den Wirtschaftswissenschaften im zweiten Teil der Arbeit, dass Unsicherheit nicht dichotom, sondern spektral ist. Unsicherheit ist die Konsequenz der Reflexivität und Komplexität des sozialen Zusammenlebens und kann verschiedene Ausprägungen haben. Je nach Art der Unsicherheit ist diese beschreib- und begreifbar durch den Menschen. Die Unsicherheit kann lokal gemindert und verarbeitet, niemals aber global gemanagt oder kalkuliert werden – wie es die Anhänger des Ordoliberalismus bereits ab den 1920er Jahren beschreiben. Damit ist die direkte Kraft wirtschaftswissenschaftlicher Theorien deutlich geringer als in der Öffentlichkeit und Politik angenommen. Zugleich zeigt diese Untersuchung, dass ein besseres Verständnis der Struktur der Wirtschaft und ihrer Wirkung auf den Menschen essentiell ist, um die Theorie von einer Massenvernichtungswaffe in eine Regenbogenflagge zu wandeln.

Aufbauend auf der Konzeption von Unsicherheit als ein Spektrum von Reflexivität und Komplexität entwickelt die Arbeit im dritten Teil Anforderungen an eine moderne unsicherheitssensible Wirtschaftswissenschaft. Dabei wird das Konzept der Fiktion als Instrument für den Umgang mit Unsicherheit in der wirtschaftswissenschaftlichen Theorie und Praxis eingeführt. Eine neue fiktionale Wirtschaftswissenschaft hat nicht mehr das Ziel, wahre Prognosen anzubieten, die sich sicher als falsch herausstellen müssen, sondern plausible Fiktionen zu entwickeln und die institutionellen Erfordernisse für ihre Realisierung zu identifizieren. Die neue Konzeption ist dynamisch und fordert einen iterativen und adaptiven Politikansatz, der davon ausgeht, von der Zukunft überrascht zu werden.

Asset-Herausgeber

Asset-Herausgeber

Asset-Herausgeber